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Artikel 31 / 90

»Ich bitte um Vergebung«

aus DER SPIEGEL 34/1990

SPIEGEL: Herr Friedrich, was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie Ende Juli von dem jüngsten RAF-Attentat auf den Bonner Staatssekretär Hans Neusel hörten?

FRIEDRICH: Mein erster Gedanke war: Wird das Auswirkungen auf die Strafverfahren gegen die RAF-Aussteiger aus der DDR haben? Dann fiel mir ein, daß sich an der Politik der RAF, also ideologisch begründetem Mord- und Totschlag, seit damals nichts geändert hat.

SPIEGEL: Fühlten Sie sich an Ihre eigene RAF-Zeit erinnert?

FRIEDRICH: Nur insofern, als Aktionen dieser Art ausschlaggebend dafür waren, daß ich letztlich ausgestiegen bin.

SPIEGEL: Wie wurden Sie »Revolutionär«?

FRIEDRICH: Das fing 1969 an. Nachdem ich Fernsehinterviews mit Rudi Dutschke gesehen hatte, sagte ich mir, man muß was in Richtung Jungsozialisten tun. Das war in der damaligen Situation im Saarland, wo alles von der CDU beherrscht war, schon etwas Revolutionäres. In meinem Heimatort wurde ich sogar Juso-Vorsitzender.

SPIEGEL: Warum haben Sie nicht so weitergemacht? Die Juso-Chefs von damals sitzen heute in Saarbrücken am Kabinettstisch.

FRIEDRICH: Wegen meines Volkswirtschaftsstudiums bin ich 1972 nach Heidelberg in eine Wohngemeinschaft umgezogen. Das war für mich alles faszinierend: die nächtelangen Diskussionen, die völlig andere Lebensart. Und da begann auch der totale Bruch mit meinen bisherigen politischen Überzeugungen.

SPIEGEL: Wo waren Ihre Mitbewohner politisch aktiv?

FRIEDRICH: Es gehörten Leute vom Sozialistischen Patientenkollektiv dazu. _(* Mitte der achtziger Jahre, mit Tochter ) _(Nina und Partnerin Sigrid Sternebeck. ) Das waren Therapeuten und ehemalige Psychiatrie-Patienten, die sich zusammengeschlossen hatten, um gemeinsam gegen den Staat zu kämpfen. Sie glaubten, Hauptursache seelischer Leiden seien die kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse. Der Slogan hieß: Macht kaputt, was euch kaputtmacht.

SPIEGEL: Wie kam der Kontakt zur Roten Armee Fraktion zustande?

FRIEDRICH: Die Mitglieder des Patientenkollektivs haben sich mit den politischen Gefangenen solidarisiert, also damals mit Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und den anderen. Die meisten, die aktiv waren, haben sich dann vom Patienten-Kollektiv abgewandt und den »Komitees gegen Folter an politischen Gefangenen« angeschlossen - ich auch, ich war damals so Mitte 20.

Wir waren damals im Heidelberger Komitee 20 bis 25 Personen. Sieglinde Hofmann war dabei, die später wegen der Schleyer-Entführung zu lebenslänglich verurteilt wurde, und Lutz Taufer, der am Anschlag gegen die Botschaft in Stockholm teilnahm. Dann der Rechtsanwalt Siegfried Haag und Elisabeth von Dyck, die 1979 erschossen wurde. Also mehr oder weniger alles Leute, die später als Terroristen gesucht wurden.

SPIEGEL: Was hatten Sie für Aufgaben?

FRIEDRICH: Ich bin viel gereist. Es gab Folterkomitees in mehreren Städten, die einzelnen Aktionen mußten diskutiert und koordiniert werden. Im Herbst 1974 begann der Hungerstreik der RAF-Gefangenen, es gab viele Solidaritätsaktionen abzustimmen.

SPIEGEL: Die Bundesanwaltschaft hat behauptet, Sie hätten in dieser Zeit vor allem die Kontakte zwischen dem Heidelberger und dem Hamburger Folterkomitee organisiert und seien ständig hin- und hergependelt.

FRIEDRICH: Da ist was dran.

SPIEGEL: Das Kommando, das im April 1975 die deutsche Botschaft in Stockholm überfiel, um die RAF-Gefangenen freizupressen, bestand je zur Hälfte aus Mitgliedern des Hamburger und des Heidelberger Komitees. Sie sollen der Koordinator des Anschlages gewesen sein und die Verbindungen zu allen Unterstützergruppen hergestellt haben.

FRIEDRICH: Das stimmt nicht. Wir haben natürlich Informationen ausgetauscht und Aktionen abgesprochen. Aber das war legale Arbeit. Ich habe von der Stockholm-Aktion erst aus dem Fernsehen erfahren, vorher nichts gewußt. Ich war damals nicht bereit, mich an illegalen Aktionen zu beteiligen. Außerdem hatte ich Zweifel an den Erfolgsaussichten solcher Unternehmungen.

SPIEGEL: Stockholm endete ja mit einem Desaster für die Besetzer. Es gab vier Tote, und der Staat hatte nicht nachgegeben.

FRIEDRICH: Direkte Folge war die Verschärfung der Haftbedingungen für die Gefangenen. Von uns draußen wurde noch mehr Einsatz verlangt. Hinzu kam ein Entsolidarisierungseffekt: Viele, die uns vorher unterstützt hatten, zogen sich nach dem Blutbad in der Botschaft entsetzt zurück. Ich muß allerdings gestehen, daß mich die Stockholmer Aktion trotz allem beeindruckt hatte. Wir draußen fühlten uns beim Kampf für die Gefangenen so ohnmächtig. Und da gab es welche von uns, die hatten immerhin etwas getan.

SPIEGEL: Was war Ihr nächster Schritt?

FRIEDRICH: Ich bin nach Stuttgart umgezogen, habe einen Job im Büro von Rechtsanwalt Klaus Croissant angenommen. Den Kontakt hatte ich über Elisabeth von Dyck bekommen. Damals wurde der große Stammheim-Prozeß vorbereitet. Da wurden Leute gesucht, die ein bißchen politische Erfahrung haben. Außerdem hatte ich immer nebenbei als Buchhalter gearbeitet, um mir etwas Geld zu verdienen. Und in einem Anwaltsbüro müssen ja auch die Bücher geführt werden.

SPIEGEL: Sie galten zu dieser Zeit bei den Behörden als einer der aktivsten RAF-Unterstützer, wurden von der Polizei observiert. Das kann sich doch nicht auf Ihre Buchhaltertätigkeit bezogen haben?

FRIEDRICH: Unsere Aufgabe bestand hauptsächlich darin, Menschen aus dem In- und Ausland die Situation der Gefangenen zu schildern. Es gab viel Solidarität aus dem Ausland, von Anwälten und Organisationen, vor allem aus Frankreich.

SPIEGEL: Wie haben Sie damals die Bundesrepublik gesehen?

FRIEDRICH: Als Polizeistaat, so ähnlich wie Chile. Das kam aber auch daher, weil wir immer abgehört wurden, ständig irgendwelche Observanten dabei hatten und keinen Schritt tun konnten, ohne daß die Polizei wußte, wo wir sind und was wir machen. Für uns war die Bundesrepublik tatsächlich ein Polizeistaat. Aus heutiger Sicht verstehe ich allerdings, daß sich ein Staat auch schützen muß.

SPIEGEL: Beispielsweise gegen die RAF.

FRIEDRICH: Zum Beispiel. Das würde ich heute als legitim ansehen. Allerdings nur in rechtsstaatlichem Rahmen. Denn nicht nur die RAF hat überzogen, sondern auch der Staat.

SPIEGEL: Und wie denken Sie heute über die Haftbedingungen in Stammheim?

FRIEDRICH: Wenn ich versuche, aus dem Gefängnis heraus revolutionäre Politik zu machen, darf ich mich nicht wundern, daß der, dem das Gefängnis gehört, das zu verhindern sucht. Ich würde nicht sagen, die Haftbedingungen waren in Ordnung, das waren sie nicht. Aber sie waren auch in gewisser Weise selbst verschuldet.

SPIEGEL: Damals konnten Sie das nicht erkennen?

FRIEDRICH: Wir waren ein geschlossener Kreis. Da waren immer dieselben Personen zusammen und haben immer an derselben Sache gearbeitet. Dadurch entstand eine Gruppendynamik, die bestimmte Denkweisen blockiert. Wir waren nicht mehr fähig, die Realität wahrzunehmen. Mir ging es ja genauso.

SPIEGEL: Sie sind dann 1977 untergetaucht, wurden fortan von den Ermittlern zum harten Kern der RAF gerechnet.

FRIEDRICH: Das war nach der Schleyer-Entführung. Alle anderen aus dem Büro, also die Anwälte Croissant, Armin Newerla, Arndt Müller, aber auch Volker Speitel, waren schon verhaftet. Ich wußte, daß es nur eine Frage der Zeit ist, wann ich an der Reihe bin. Dem habe ich mich entzogen.

SPIEGEL: Sie sollen während der Schleyer-Entführung häufig mit dem Zug nach Frankreich gefahren sein?

FRIEDRICH: Das stimmt.

SPIEGEL: Eine Reihe der Entführer-Briefe wurde an einem Pariser Bahnhof eingeworfen.

FRIEDRICH: Das habe ich nachträglich auch erfahren.

SPIEGEL: Was hatten Sie denn in Paris zu tun?

FRIEDRICH: Dasselbe, was ich die ganze Zeit gemacht hatte. Mich mit Anwälten getroffen, Kontakte zu französischen Genossen geknüpft. Also reine Komiteearbeit.

SPIEGEL: Nach Ihrem Abtauchen sollen Sie in Paris eine Wohnung angemietet haben.

FRIEDRICH: Muß ich darauf was sagen? Ich mußte ja irgendwo leben. Und wenn ich mich normal gemeldet hätte, wäre ich ja verhaftet worden. Ich mußte ja irgendwo sein. Ich konnte mich ja nicht in Luft auflösen.

SPIEGEL: Wie haben Sie die Schleyer-Aktion beurteilt?

FRIEDRICH: Wir fanden den Anschlag damals gut. Heute ist mir natürlich klar, daß sich niemand anmaßen kann, einen Menschen, auch wenn es der größte politische Feind ist, einfach umzubringen. Ich kann nicht hinter die Errungenschaften von bürgerlichen Revolutionen zurück, als deren Ergebnis die Todesstrafe schließlich abgeschafft wurde. Ich bin von Hause aus Pazifist, ich kann keiner Fliege etwas zuleide tun.

SPIEGEL: Aber zu dieser gnadenlosen Truppe gehörten Sie nach dem Abtauchen auch. Sie haben mit den Leuten, die Anschläge verübten, im Untergrund zusammengelebt.

FRIEDRICH: Daß ich ständig mit denen zusammengelebt habe, stimmt so nicht. Aber es ist wahr, daß ich zu den Meistgesuchten gehörte.

SPIEGEL: Was haben Sie denn im Untergrund gemacht? Sie sollen Spezialist für Paßfälschungen gewesen sein.

FRIEDRICH: Bestimmt nicht, so was kann ich gar nicht. Ich konnte gut Französisch sprechen und kann das auch heute noch, aber ich bin kein Paßfälscher.

SPIEGEL: Aber es muß doch begründete Hinweise gegeben haben, daß Sie zumindest an der Vorbereitung von Taten beteiligt waren?

FRIEDRICH: Wenn das nachweisbar wäre, würde ich jetzt nicht hier sitzen. Bei mir hat immer nur gezählt, daß ich im Büro Croissant war und daß ab und zu von mir irgendwelche Fingerabdrücke auf irgendwelchen Büchern aufgetaucht sind.

SPIEGEL: Allerdings in konspirativen Wohnungen, in denen auch Personen gelebt haben, die später wegen RAF-Morden zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind. Der Terror ging ja weiter, nächste Aktion war 1979 der nur knapp fehlgeschlagene Anschlag auf den damaligen Nato-Oberbefehlshaber, General Alexander Haig.

FRIEDRICH: Die Zeit zwischen 1977 und 1980 möchte ich ausklammern. Ich schade sonst mir, und ich schade anderen. Jedenfalls dann, wenn ich über konkrete Begebenheiten rede.

SPIEGEL: Haben Sie während der ersten Zeit in Paris schon daran gedacht, sich den westdeutschen Behörden zu stellen?

FRIEDRICH: In der aufgeheizten Situation wäre das doch gar nicht möglich gewesen. Die hätten mich verhört und verurteilt, und ich hätte genauso lebenslänglich bekommen wie die anderen auch. Allerdings nicht wegen der Faktenlage, denn da war ja nichts, gar nichts.

SPIEGEL: Wie war denn die Stimmungslage nach dem Ende in Mogadischu und Stammheim?

FRIEDRICH: Als die Gefangenen tot waren, stürzte eine Welt zusammen. Danach machten sich Resignation und Verzweiflung breit.

SPIEGEL: Glaubten Sie damals, die Häftlinge seien ermordet worden?

FRIEDRICH: Ich hatte Zweifel. Aber darüber zu sprechen, wäre Gotteslästerung gewesen.

SPIEGEL: Gab es im Exil neue Perspektiven zur Fortsetzung der Aktionen?

FRIEDRICH: Wenig. Es rächte sich, daß immer nur um eine Befreiung der Gefangenen gekämpft wurde, daß es aber so gut wie keine Vorstellungen darüber gab, wie eine gerechtere Gesellschaft aussehen sollte. Das Ziel hieß, auf einen kurzen Nenner gebracht: Kampf gegen die amerikanischen Besatzer. Befreiung der Bundesrepublik von US-Soldaten, US-Geheimdiensten, US-Konsumartikeln, US-Kultur, US-Kapitalisten.

SPIEGEL: Und für diese Schlacht erhoffte sich die RAF eine Massenbasis?

FRIEDRICH: Die Diagnose lautete: akuter Realitätsverlust. Aber ich kann mit Avantgardebewußtsein auch vieles verdrängen und mich auf den Standpunkt stellen: Wir haben''s begriffen, die anderen haben''s noch nicht begriffen.

SPIEGEL: Was war denn ihr theoretisches Rüstzeug? Was wurde gelesen? Marx?

FRIEDRICH: Wir haben das »Kapital«, den ersten oder den zweiten Band, in Arbeitsgruppen gelesen und diskutiert.

SPIEGEL: Haben Sie das verstanden?

FRIEDRICH: Ehrlich gesagt, nein.

SPIEGEL: Und die anderen?

FRIEDRICH: Ich fürchte, genausowenig. Und weil es so mühselig war, ging das auch nicht lange, nur ein paar Monate. Kant haben wir auch durchgearbeitet.

SPIEGEL: Den Kategorischen Imperativ - »Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne«?

FRIEDRICH: So abenteuerlich es klingt: Den haben wir für uns reklamiert.

SPIEGEL: Die Revolutionäre als Moralisten.

FRIEDRICH: Furchtbare Moralisten.

SPIEGEL: Hat es auch Scham über die Opfer der anderen Seite gegeben, etwa den Tod der Schleyer-Bewacher?

FRIEDRICH: Darüber gab es kontroverse Diskussionen. Einige waren der Meinung, das sei eben der Preis des revolutionären Kampfes. Und es gibt ja auch heute noch Leute, die das so sehen und weitermachen. Aber meine Lebensgefährtin Sigrid Sternebeck und ich haben solche Exzesse total abgelehnt. Wir leiden noch heute seelisch unter den Folgen.

SPIEGEL: Fühlen Sie sich persönlich schuldig?

FRIEDRICH: Nicht im Sinne strafrechtlicher Schuld, aber es gibt eine moralische Mitverantwortung, zu der ich mich bekenne und für die ich die Betroffenen um Vergebung bitten möchte.

SPIEGEL: Weshalb sind Sie letztlich dann doch ausgestiegen?

FRIEDRICH: Ende 1979 habe ich mir gesagt, ich kann das nicht mehr mitmachen. Ich kann das körperlich und geistig nicht durchhalten. Ich habe Tag und Nacht gegrübelt, wie komme ich da raus.

SPIEGEL: Hatten Sie politisch mit der RAF abgeschlossen?

FRIEDRICH: Ehrlich gesagt, es ging mir nicht so sehr um die Inhalte. Ich war einfach nicht mehr in der Lage, diese Art lebensgefährlichen politischen Kampf zu führen. Ich hatte zuviel Angst, um irgend etwas zu machen. Und ich wollte auch nicht mehr so weiterleben. Ich wollte nicht mehr illegal sein, ich wollte raus.

SPIEGEL: War es nicht gefährlich, so etwas zu äußern?

FRIEDRICH: Natürlich konnte niemand einfach sagen, ich haue jetzt ab. Aber es lief eine Grundsatzdiskussion, in der gesagt wurde: Wer aussteigen will, soll jetzt aussteigen. Dahinter stand die Idee: Ob jetzt fünf oder zehn, der Aufwand ist der gleiche. Und denen, die weiterkämpfen wollten, waren wir ja ein Klotz am Bein. In dieser Zeit habe ich mich auch entschieden, mit Sigrid Sternebeck zusammenzuleben.

SPIEGEL: Gab es eine Diskussion, in welchem Land der RAF-Kern die Aussteiger entsorgen wollte?

FRIEDRICH: Nein. Die Gruppe war streng hierarchisch strukturiert, die Führungskader haben das alleine eingefädelt. Es hieß nur, ihr fahrt jetzt nach Prag, dort erfahrt ihr, wo es hingeht. Sigrid und ich sind dann von Paris aus nach Italien und weiter nach Österreich gereist. In Wien haben wir uns unter dem Namen Eildberg - so lautete der Eintrag im Paß - ein Visum für die Tschechoslowakei besorgt, sind nach Prag geflogen und haben da ein paar Tage im Hotel gelebt. Dann kam die Meldung, daß wir in die DDR sollten.

Auf dem Flughafen Schönefeld holte uns ein Mann ab und brachte uns nach Pankow. Wir sind in ein großes vergittertes Gebäude geführt worden, das war das ganz normale Einwanderungsbüro. Dort mußten wir unsere Lebensgeschichte erzählen.

SPIEGEL: Wahrheitsgemäß?

FRIEDRICH: Nein, nein, das war natürlich alles ausgedacht. Die Bediensteten hatten keine Ahnung, wer wir wirklich waren. Dabei ist mir gleich ein Mißgeschick passiert: Ich konnte mich nicht mehr genau an mein erfundenes Geburtsdatum erinnern und machte falsche Angaben. Der Sachbearbeiter wurde mißtrauisch, es gab Rückfragen und Verzögerungen. Einer der Oberen mußte erklären, daß alles in Ordnung geht.

SPIEGEL: Wurden daraus Konsequenzen gezogen?

FRIEDRICH: Sigrid und ich waren ja die Vorhut. Wir sollten gucken, wie die Sache läuft. Aufgrund meines Irrtums kamen die anderen Aussteiger gemeinsam in die Wohnsiedlung nach Briesen und mußten ihre Legende pauken, damit so etwas nicht noch einmal passiert.

SPIEGEL: Hatten Sie einen Kontaktmann?

FRIEDRICH: Ein Mann namens »Gerd« wurde uns zugeordnet, mit dem hatten wir all die Jahre immer mal wieder Verbindung.

SPIEGEL: Wußten Sie, daß er von der Staatssicherheit war?

FRIEDRICH: Der Begriff Stasi fiel nicht. Aber wir waren uns natürlich im klaren, daß ohne die Stasi dort nichts geht. Ohne allerdings zu wissen, daß es da so eine richtige Abteilung Terrorismus gab.

SPIEGEL: Hatten Sie an Ihrem neuen Wohnort Schwedt Privilegien?

FRIEDRICH: Von wegen. Ich mußte bei der Schwedter Papierfabrik als Gabelstaplerfahrer anfangen, meine Frau bekam einen Job in der Warenannahme. Wir hatten beide fast kein Geld, verdienten zusammen gerade 1000 Mark. Das war auch für DDR-Verhältnisse wenig.

SPIEGEL: Gab es noch Kontakte zu den aktiven RAF-Kadern?

FRIEDRICH: Einmal, ganz am Anfang. Da wurde nach Gegenständen in einem Depot gefragt, die offenbar nicht mehr gefunden werden konnten.

SPIEGEL: Es gibt Leute, die behaupten, zehn Jahre DDR seien schlimmer als zehn Jahre Stammheim.

FRIEDRICH: Quatsch. Für uns war es eine heilsame Alternative. Wir mußten jeden Morgen um 6.30 Uhr zur Arbeit und bekamen jede Menge Kontakt zu den arbeitenden Massen, für die wir drüben die Revolution herbeiführen wollten. Das hat uns auf den Boden der Realitäten zurückgebracht. Und dann wurde am 8. Januar 1983 unsere Tochter Nina geboren.

SPIEGEL: Aus den RAF-Revolutionären waren richtige Spießbürger geworden.

FRIEDRICH: Na und. In wem steckt kein Spießbürger? Außerdem war diese Spießbürgerlichkeit für uns auch ein Schutz. Wenn wir anders gelebt hätten, wären wir in dieser spießbürgerlichen Gesellschaft aufgefallen.

SPIEGEL: Was haben Sie empfunden, als die Mauer fiel?

FRIEDRICH: Zunächst habe ich mich gefreut. Aber als dann nach den Wahlen klar war, daß der Anschluß passiert, wußten wir, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis wir auffliegen. Denn wir konnten uns ja denken, daß die Einwanderer _(* Im Juli, in seiner alten Schwedter ) _(Wohnung. ) überprüft werden. Und wenn die geguckt hätten, ob es in der Flensburger Kfz-Datei mal einen Eildberg gegeben hat, wäre es ja schon passiert gewesen.

SPIEGEL: Haben Sie daran gedacht, noch mal unterzutauchen?

FRIEDRICH: Wenn man in so einer Situation ist, sucht man natürlich verzweifelt nach einem Ausweg. Aber für uns stand schon bald fest: Wir gehen hier nicht weg. Wir haben eine Verantwortung für unsere Tochter und müssen das jetzt durchstehen. Und wir haben darauf gebaut, daß die zehn Jahre, die wir ein normales Leben in der DDR gelebt haben, bei der Beurteilung unserer Person und unserer Taten eine Rolle spielen.

SPIEGEL: Hatten Sie zu dieser Zeit Kontakte zu anderen RAF-Aussteigern?

FRIEDRICH: Zu Christine Dümlein und Werner Lotze, die auch ein Kind haben. Wir vereinbarten, uns im Falle von Verhaftungen wechselseitig um die Kinder zu kümmern.

SPIEGEL: Wie haben Sie von der Festnahme von Susanne Albrecht erfahren?

FRIEDRICH: In der Bundesrepublik. Ich hatte mich in meiner Firma bis zum Abteilungsleiter in der Materialwirtschaft hochgearbeitet. Und im Rahmen dieser Tätigkeit mußte ich mit einem Kollegen zu unserer Partnerfirma in Augsburg, um Verhandlungen über den Holzeinkauf zu führen. Es wäre nicht möglich gewesen, das abzulehnen.

SPIEGEL: War das Ihr erster West-Aufenthalt nach der Übersiedlung?

FRIEDRICH: Der zweite - das erstemal war ich im Februar dieses Jahres mit einem ähnlichen Auftrag in Mayen. In einer Verhandlungspause bei den Augsburgern wollte ich dann Sigrid ein Geburtstagsgeschenk kaufen, eine Uhr. Ich gehe zu Woolworth, stehe in der Elektronik-Abteilung vor einem Fernseher und denke, mich trifft der Schlag. Da brachten sie, daß die Susanne in der DDR verhaftet wurde. Ich habe einen Riesenschreck gekriegt, hab'' meine Einkäufe beendet und bin erst mal ins Hotel, um in Ruhe nachdenken zu können. Abends mußte ich dann auch noch zu einem Geschäftsessen gehen mit meinen Verhandlungspartnern. Als ich wieder zurück war in der DDR, habe ich sofort hinter dem Grenzübergang die Sigrid angerufen.

SPIEGEL: Danach war alles nur noch eine Frage der Zeit. Wie kam es zu Ihrer Festnahme?

FRIEDRICH: Ich kam morgens aus der Haustür und sah einen Mann mit Jeans und Aktentasche auf und ab gehen. Da war mir klar, was los war. Ich bin dann in meinem Trabi zur Arbeit gefahren und konnte mindestens acht, neun Autos identifizieren, die mich verfolgten. Verhaftet wurde ich aber erst mittags um halb drei. Sigrid wurde abends am Bahnhof abgeholt, als sie von einem Lehrgang in Berlin zurückkam. Unsere Tochter wurde ins Kinderheim gesteckt.

SPIEGEL: Befürchteten Sie, den Rest Ihres Lebens hinter Gittern zu verbringen?

FRIEDRICH: Wir waren beide überzeugt, daß wir so schnell nicht wieder freikommen. Deshalb war ich natürlich glücklich, daß ich gleich wieder rauskam. Ich wußte nicht, daß der Haftbefehl gegen mich aufgehoben war.

SPIEGEL: Ihre Tochter ist jetzt sieben Jahre alt. Wie haben Sie ihr die Verhaftung der Mutter erklärt?

FRIEDRICH: Ich hab'' ihr gesagt, daß Mama und Papa in ihrem früheren Leben mal Dummheiten gemacht haben, falsche Sachen. Und ich weiß nicht, wie lange Mami im Gefängnis bleiben muß. Und ich mußte ihr erklären, was Terroristen machen. Aber ich habe ihr auch gesagt, daß Mami die Bomben nicht geworfen hat.
*VITA-KASTEN-1 *ÜBERSCHRIFT:

Baptist Ralf Friedrich *

ging 1977 nach der Schleyer-Entführung in den Untergrund und wurde fortan dem harten Kern der RAF zugerechnet. Sein Name stand bis 1985 auf allen Steckbriefen des Bundeskriminalamts. Dann verschwand der Bürgersohn aus dem saarländischen Dorf Landsweiler-Reden von den Fahndungslisten: Der Vorwurf, Mitglied einer kriminellen Vereinigung gewesen zu sein, war verjährt. Friedrich, 43, der für die RAF als Briefbote und Wohnungsbeschaffer tätig gewesen sein soll, hatte sich 1979 vom Terrorismus losgesagt und wohnte seit 1980 mit seiner Lebensgefährtin, dem Ex-RAF-Mitglied Sigrid Sternebeck, in Schwedt in der DDR. In einer Papierfabrik arbeitete er sich vom Handlanger bis zum Einkaufsleiter empor. Heute lebt Friedrich, der von den DDR-Behörden kurz nach seiner Festnahme am 15. Juni wieder auf freien Fuß gesetzt wurde, mit seiner Tochter Nina, 7, in Hamburg.

* Mitte der achtziger Jahre, mit Tochter Nina und Partnerin SigridSternebeck.* Im Juli, in seiner alten Schwedter Wohnung.

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