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JUGOSLAWIEN »ICH FÜHLE MICH NICHT ALLEIN«

aus DER SPIEGEL 34/1966

Zwei Tage vor seiner Verhaftung am Montag letzter Woche gab der jugoslawische Schriftsteller Mihajlo Mihajlov dem österreichischen Autor Humbert Fink ("Die engen Mauern") ein Interview über die Ziele seiner Opposition gegen das kommunistische Regime Titos. Dem Interview, das in der Grazer Literaturzeitschrift »Wort in der Zeit« erscheint, sind folgende Auszüge entnommen:

FRAGE: Herr Mihajlov, Sie wollen in Jugoslawien ein Mehrparteiensystem einführen. Fürchten Sie nicht, verhaftet zu werden?

MIHAJLOV: Ich glaube nicht, daß man mich verhaften wird, aber wenn das geschieht, werden andere Leute an meine Stelle treten. Ich erhalte aus allen Teilen des Landes zustimmende Briefe, in denen man sich mit mir solidarisch erklärt. Es sind fremde, mir völlig unbekannte Menschen, die mir das schreiben.

FRAGE: Die jugoslawischen Kommunisten sagen, Sie würden von den USA bezahlt.

MIHAJLOV: Nein, ich bekomme keinerlei Unterstützung von dort. Im Gegenteil, bis heute habe ich noch nicht einmal das Honorar für die amerikanische Buchausgabe meines russischen Reiseberichts erhalten.

FRAGE: Ist die Finanzierung der von Ihnen geplanten oppositionellen Zeitschrift gesichert?

MIHAJLOV: Da gibt es keine Probleme.

FRAGE: Haben Sie zu ausländischen Publizisten Kontakte aufgenommen?

MIHAJLOV: Ich habe mit verschiedenen Schriftstellern und Publizisten Kontakt aufgenommen, die alle zu unserem Kongreß nach Zadar kommen und über mich und meine Sache schreiben werden.

FRAGE: Wer?

MIHAJLOV: Das ist noch nicht sicher, nur Ignazio Silone kommt bestimmt. Ich bekomme meine Post jetzt nicht, da sie der Zensur unterliegt. Ich erhalte die Post nur alle drei Tage und weiß daher nie genau, welche Zusagen eigentlich vorliegen. Manche Briefe werden mir überhaupt nicht ausgehändigt.

FRAGE: Können Sie hier in Jugoslawien alles sagen und schreiben, was Sie für wahr halten?

MIHAJLOV: Ich kann alles schreiben, was ich denke. Unsere Gesetze sind da sehr liberal. Andere Autoren können das freilich nicht. Ich kann es, weil die Weltpresse ständig über mich schreibt und weil ich als Devisenbringer zähle.

FRAGE: Was würden Sie davon halten, wenn man Sie als den politischen Don Quichotte des gegenwärtigen Jugoslawien bezeichnete?

MIHAJLOV: Ich glaube nicht, daß ich es bin, und viele Menschen, die um mich sind, glauben es auch nicht.

FRAGE: Was sagen Sie zu den Machtkämpfen in der jugoslawischen KP, bei denen ja wohl die Nachfolge Titos entschieden wird?

MIHAJLOV. Ich denke, daß auf Tito Djilas folgen wird.

FRAGE: Glauben Sie das ernstlich?

MIHAJLOV: Es wird dazwischen Machtkämpfe geben, aber dann wird Djilas kommen.

FRAGE: Sie meinen die Person Djilas oder die Idee?

MIHAJLOV: Nein, ich meine ihn persönlich.

FRAGE: Sie glauben an die Entwicklung eines liberalen Sozialismus jugoslawischer Prägung?

MIHAJLOV: Es entwickelt sich alles auf eine Demokratisierung hin, und wenn unsere Zeitschrift einmal jahrelang erscheint - es wird das erstemal sein, daß eine unabhängige Zeitschrift in Jugoslawien erscheint -, werden sich auch ihre Leser daran gewöhnen, daß die Möglichkeit besteht, sich nicht nur an einer einzigen Ideologie zu orientieren. Damit wird die Basis geschaffen für mehrere politische Parteien.

FRAGE: Überschätzen Sie da nicht die Macht des gedruckten Wortes?

MIHAJLOV: Bei Ihnen im Westen, wo man alles publizieren kann, was man will, ist das Wort nichts. Aber wenn hier bei uns eine Meinung veröffentlicht wird, die gegen die herrschende Ansicht opponiert, wird es eine Explosion geben. Hier ruft jede oppositionelle Meinung sehr viele Diskussionen hervor.

FRAGE: Kalkulieren Sie auch die politische Lethargie Ihrer Landsleute richtig ein?

MIHAJLOV: Bei uns gibt es keine politische Lethargie, es gibt nur eine Lethargie gegenüber der kommunistischen Ideologie.

FRAGE: Herr Mihajlov, fühlen Sie sich als Märtyrer?

MIHAJLOV: Nein. Ich habe viele Freunde. Ich fühle mich nicht allein.

Tito-Gegner Mihajlov

»Es wird eine Explosion geben«

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