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TERRORISMUS »Ich gehe auf Mission«

Überraschender Fund: Auf den Märtyrer-Videos, die die Amerikaner jetzt vorgeführt haben, ist auch einer der meistgesuchten Hamburger Helfer der Todesflieger zu sehen.
Von Dominik Cziesche und Georg Mascolo
aus DER SPIEGEL 4/2002

Die Nachricht sollte aus dem Jenseits kommen, in Farbe, auf VHS und von einem Märtyrer des Heiligen Krieges. Erst küsste der Kämpfer seine Kalaschnikow, dann presste er sein Gesicht lächelnd gegen den Gewehrlauf.

Es waren nur kurze Sequenzen wie diese, die US-Justizminister John Ashcroft und FBI-Direktor Robert Mueller am vergangenen Donnerstag der Weltöffentlichkeit vorführten - stumme Bilder von fünf Videokassetten, die US-Soldaten im zerstörten Haus des bei einem Bombenangriff getöteten Bin-Laden-Militärchefs Mohammed Atif gefunden hatten.

Der Ton der Bänder, erklärte Ashcroft, müsse dagegen vorerst noch geheim bleiben; Spezialisten arbeiteten noch an der Auswertung.

Bei dem 45-Minuten-Band, das einen erschöpft wirkenden Araber mit hängenden Augenlidern und einem geknoteten roten Tuch um den Kopf wiedergibt, hielt sich Ashcroft besonders bedeckt - er präsentierte nur ein Standbild. Gerade dieses Video aber elektrisiert die deutschen Fahnder: Es zeigt Ramzi Binalshibh, 29, weltweit gesucht als einer der Drahtzieher der Anschläge vom 11. September.

Der Jemenit, der einst mit den Hamburger Todespiloten zusammenwohnte, wollte nach Erkenntnissen der Fahnder selbst eine der Maschinen steuern. Nachdem ihm aber die Vereinigten Staaten auch bei seinem vierten Versuch kein Visum ge-

geben hatten ("Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass Ihnen die Ausstellung verweigert wird"), kümmerte er sich um die Finanzierung des Massenmordes.

Sechs Tage vor den Anschlägen, am 5. September, checkte er dann auf dem Düsseldorfer Flughafen um 12.18 Uhr für die Lufthansa-Maschine nach Madrid ein und verschwand. Wo er sich aufhält, ist weiter unklar, doch mit den Videofunden haben sich die Aussichten für die Zielfahnder vom Bundeskriminalamt (BKA) verschlechtert: Weil schon Binalshibhs Glaubensbrüder Said Bahaji und Zakariya Essabar von Zeugen in al-Qaida-Camps gesichtet wurden (SPIEGEL 50/2001), führen jetzt die Spuren aller Verdächtigen aus Hamburg, die wegen der Anschläge per Haftbefehl gesucht werden, zum Hindukusch.

Indizien, dass Binalshibh dort Unterschlupf gefunden haben könnte, gab es bereits vorher: Kurz vor Weihnachten erreichten das BKA Meldungen, er sei beim Endkampf der Qaida ums Leben gekommen - bestätigt ist das bis heute nicht. Außerdem berichten die Amerikaner seit Wochen, dass sie in den Taschen gefangener oder gefallener Taliban-Kämpfer Bilder des Jemeniten finden. Ein Konterfei zeigt die Kopie jenes Passfotos, mit dem er sich erfolglos um sein US-Visum bemüht hatte.

Seitdem rätseln die Ermittler, ob es der Mann wegen seiner Rolle bei den Attentaten in den USA unter den Gotteskriegern zu einem Heldenstatus gebracht hat oder ob Abtrünnige ihn jagen, um bei den Amerikanern eine Kopfprämie zu kassieren.

Diskret hatte die US-Justiz das BKA schon Tage vor der Pressekonferenz von dem Videofund unterrichtet und dabei gleich ein Problem gestanden: »No Audio« - leider sei das Band wohl ohne Ton. Spezialisten sollen jetzt versuchen, Binalshibhs Worte von seinen Lippen abzulesen.

Andere Bekenner-Botschaften von vertonten Bändern sind dagegen schon übersetzt. So stellt sich auf einem Video ein Saudi als Khalid Bin Mohammed al-Juhani vor, der sich wortreich von seiner Mutter verabschiedet. Man möge ihn als Märtyrer in Erinnerung behalten, er bitte um Vergebung, aber das Heilige Land müsse von den Amerikanern befreit werden. Ein zweiter kündigt an: »Ich gehe auf Mission.«

Dass Bin-Laden-Männer nach dem Vorbild palästinensischer Selbstmordattentäter letzte Worte auf Video hinterlassen haben, lässt die US-Behörden neue Anschläge befürchten. Vor allem, dass die Kassetten aus dem Haus von Atif stammen, lässt FBI-Beamte spekulieren, bei ihnen könne es sich um die Elite der Qaida handeln. Weltweit haben sie daher um Hilfe bei der Fahndung gebeten.

Dabei geht es nicht nur um Hinweise auf den Aufenthaltsort. Die Ermittler zerbrechen sich den Kopf darüber, wann die Bänder aufgezeichnet wurden. Im besten Fall sind die Filme alt, dann droht womöglich keine Gefahr mehr, weil die Dschihad-Jünger schon tot sein könnten. Tatsächlich wundern sich die Sicherheitsbehörden, dass es seit Monaten still bleibt; alle Meldungen über drohende Anschläge haben sich bisher als falsch herausgestellt. Ob die Qaida wirklich geschlagen ist oder im Stillen schon an den nächsten Attentaten arbeitet, wissen die Fahnder aber nicht.

Dass Binalshibh - falls er nicht schon umgekommen ist - zum Märtyrertod bereit ist, überrascht nicht. Bei den Ermittlungen nach dem Terroranschlag hat sich immer mehr abgezeichnet, dass der Mann, der 1995 unter dem Namen Omar in Deutschland vergebens Asyl beantragt hatte, um dann als Binalshibh wieder einzureisen, in der Hierarchie der Hamburger Zelle ganz oben stand. So schilderten es auch Zeugen gegenüber der Bundesanwaltschaft: Er sei der zweite Mann hinter jenem Mohammed Atta gewesen, der in Moscheen der Hansestadt ganz offen für den Märtyrertod geworben hatte ("Euch erwarten 70 Jungfrauen, die Euch Honig reichen").

Nach Binalshibhs gescheiterten Versuchen, in den USA Pilot zu werden,

* überwies er dem späteren Todesflieger Marwan al-Shehhi mindestens 14 000 Mark für seinen Flugunterricht;

* versorgte er den in den USA inhaftierten Zacarias Moussaoui, der ebenfalls als Pilot eingeplant gewesen sein soll, mit rund 30 000 Mark. Binalshibh benutzte dafür den falschen Namen Sabet, doch seine Fingerabdrücke auf den Überweisungsbelegen könnten jetzt Moussaoui in die Todeszelle bringen.

Außerdem verwischte Binalshibh in seiner Hamburger Zeit die Spuren seiner Komplizen. Neugierigen Glaubensbrüdern erzählte er die Geschichte, dass Atta in Malaysia promoviere, der arme Shehhi dagegen habe gerade seine Frau nach Hamburg geholt und deshalb kaum noch Zeit. Er selbst erklärte seine häufige Abwesenheit damit, dass er heiraten wolle und die Väter möglicher Bräute besuche.

Noch in der vergangenen Woche begann das BKA mit der Fahndung nach den Terroristen auf den Videobändern. Der Hintergrund der vier anderen Männer ist ungeklärt, auch spricht bisher nichts dafür, dass einer von ihnen in Deutschland Unterschlupf gesucht hat.

Bisher hat die US-Justiz den Deutschen nur Standbilder aus den Videos und bei den vertonten Bändern eine grobe Zusammenfassung des Textes übermittelt. Das Rätsel, was Binalshibh eine Dreiviertelstunde lang zu erzählen hatte, ist damit nicht gelöst. Jetzt hoffen die Fahnder auf Ashcrofts Versprechen, die Bundesregierung werde großzügig bedient. Weitere Unterlagen sollen folgen - vielleicht auch der Binalshibh-Stummfilm.

Denn: Von den Lippen ablesen kann man auch hier. DOMINIK CZIESCHE,

GEORG MASCOLO

* In Shebargan (Afghanistan) nach ihrer Gefangennahme.

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