»Ich hier Bruder besuchen«
Sie kommen ins Land auf allen Wegen und mit allen Mitteln, als Touristen im Jet-Liner, als Pilger in frommer Runde, als Fußball-Fans mit dem Sonderzug. Die einen kommen lärmend in Gruppen, die anderen allein und stiekum im Bremserhäuschen eines Güterzugs. Und abseits der Schlagbäume -- »da ist's bequem zu gehen, da fallens gar net auf«, weiß Polizeiinspektor Karl Schachtner, der bei Kiefersfelden im Österreich-Bayrischen die grüne Grenze bewacht: »Vom Berg hamma's a scho runtergeholt.«
Kaum ein Weg, der unbegangen, kaum ein Schlich, der unversucht bliebe -- für Tausende in Anatolien, Asturien und Mazedonien ist die Bundesrepublik immer noch das gelobte Land. Und im Gegensatz zu den legalen Gastarbeitern, deren Strom sich drosseln läßt, kommen die Illegalen, wie es ihnen gefällt.
Vlado Hasanagic, beglaubigt als Musik-Interpret, läßt längst die Noten im Koffer und arbeitet statt dessen in Berlin am Bau, Kunstbruder Mirco Stepanic, so zürnt ein Münchner Behördenmann, ist in Wirklichkeit »nicht Maler, sondern Maler« -- auch am Bau. José Santana, eingereist diverser Geschäfte wegen, ist bei einem Heidjer in der Landwirtschaft untergekommen. Noch Mörtel an den Händen schließlich hatte ein Türke, der dem Wuppertaler Kriminalhauptmeister Hans Schmitz bei einer Baustellenkontrolle vormachte: »Ich hier Bruder besuchen.«
Gewappnet mit Chuzpe und Zuversicht, meist auch mit schlechten Papieren, ist während der letzten Jahre ein Heer an Arbeitswilligen vom Mittelmeer nach Deutschland gezogen. Aber anders als ihre offiziell angeworbenen und legal beschäftigten Landsleute sind die Grauen mal ohne Arbeitserlaubnis, mal ohne Aufenthaltsgenehmigung und vielfach ohne beides. Aus Angst vor Entdeckung vertrauen sie sich der Vermittlung Orts- und trickkundiger Landsleute an, zahlen keine Sozialabgaben und leben, da unversichert, gefährlich.
Sie wohnen in verfallenen Fabrikhallen oder ausgemusterten Tanzsälen mit Zwischenwänden aus Pappe, wie jene Türkengruppe, die unlängst in Wuppertal auffiel. Sie arbeiten erklecklich unter Tarif, wie der Jordanier El Achmad in Aschingers »Tegernseer Tönnchen« zu Berlin, der sich mit Zweimarkfünfzig die Stunde begnügte. Sie werken als Leiharbeiter mit unständigem Arbeitsplatz -- »die toten Seelen im Betrieb« wie DGB-Ausländerexperte Max Diamant sie nennt, die wahren Neger der Republik.
Und der heimliche Zuzug aus Spanien, dem Maghreb oder der Türkei scheint fortzudauern; die mittlerweile begrenzten Möglichkeiten im einstigen Gastarbeiter-Mekka -- Strukturkrisen. Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit -- schrecken nicht. die amtlich verfügte Beschränkung der Gastarbeiter-Quote trifft sie nicht.
Seit Ende 1973 hat die Bundesregierung totalen Anwerbestopp verhängt, und wer die gleichwohl Hereingekommenen beschäftigt, dem drohen nach
Oben: Einreisemöglichkeit Berliner Sektorengrenze, Übergang Waltersdorfer Chaussee; unten: Jugoslawinnen in Abschiebehaft, Köln-Ossendorf.
Bonner Beschluß künftig bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe. Zuzugssperre gilt ohnedies in Städten und Regionen, wo die amtlich definierte Toleranzgrenze -- zwölf Prozent Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung -- erreicht worden ist.
Damit wären Städte wie Krefeld und Ulm. München und Frankfurt eigentlich schon off limits. Doch Zuzugssperre wie Einreisestopp sind, so absurd es ist, von Belang nur für den Bereich der legal beschäftigten Ausländer. Eine Szene, die bislang leidlich unter Kontrolle schien, wird besser kontrolliert -- der Untergrund der Illegalen bleibt dunkel wie je.
Die Sekis, Melinas und Vlados -- Wohnsitz unbekannt, Arbeitsplatz wechselnd -- sind der Landessprache oft nicht mächtig, keinem Strafbefehl zugänglich und vor Kontrollen auf der Hut. Zwar packen die Ausländerbehörden unaufhörlich zu, als gälte allerorten die Devise »Erstmal festnehmen«, wie sie der Rechtsanwalt Jürgen Moser in Berlin ausgemacht zu haben glaubt. So muß die Studentin Lita Budisuwandi, zum Studieren eingereist und beim Orchideenverkauf ertappt, ebenso aus dem Lande wie die von Hamburgs Polizei »auf einen Schlag« in ihrer Pension verhafteten 25 Pakistani ohne Papiere oder wie der Türke Hasan Güldas, der gleichsam die Crux der Polizei verkörpert -- Güldas, schon zweimal ausgewiesen, sah jüngst in Berlin der dritten Abschiebung entgegen.
Trotz Razzien und Festnahmen, Abschreckung und Abschiebung ist das Problem der Illegalen seit dem Tage gewachsen, da die Bundesrepublik Gastarbeiter rief. Wie viele Illegale es heute gibt, weiß auch unter Kennern der Szene niemand genau. Ämter, Gewerkschaften und Ausländerorganisationen taxieren fast übereinstimmend auf annähernd 200 000 Ausländer, die ohne Genehmigung im Land oder unerlaubt in Lohn und Brot sind.
Allein im Gebiet Wuppertal ernähren sich danach fast 8000 Illegale, im Ballungsraum Frankfurt 10 000 und in Berlin 17000. Behörden in Baden-Württemberg, wo seit je der Schwerpunkt der deutschen Gastarbeiterbeschäftigung liegt, glauben an die 60 000 Illegale innerhalb der Landesgrenzen.
Und daß der rezessionsbedingte Gastarbeiter-Exodus in nennenswertem Maß auch Illegale fortgesogen hätte, scheint zweifelhaft. Denn zumindest örtlich läßt sich absehen, daß die Zahl der Unerwünschten allenfalls stagniert, wenn nicht steigt. »Vielleicht noch eine Schwemme« sieht Ludwig Held vom Münchner Ausländeramt heraufziehen, und das nicht von ungefähr. Denn Bayern ist eine Art »letzte Auffangstation auf einer Nord-Süd-Bewegung, die auf ihrem Rückzug hier noch einmal hängenbleiben und ein paar Scheine mitnehmen will«, so Hans Maier, Ausländerreferent beim bayrischen DGB. Jerko Radan, Münchner Lokalwirt, kann es bestätigen: »So zehn kommen zu mir am Tag und fragen nach Arbeit. Schwarz natürlich.«
Die Bedingungen dafür, daß die Illegalen-Zahl mittelfristig eher noch ansteigen dürfte, nicht nur auf der Drehscheibe Bayern, sind schon programmiert:
* Administrative Maßnahmen wie Anwerbestopp, Zuzugsverbot und verschärfte Beschäftigungssperre treiben immer mehr Ausländer zum Verstoß und damit in die Illegalität: > die Kopfzahl der Ausländer wächst trotz Anwerbestopps und Wirtschaftskrise ständig weiter, seit November 1973 durch Zuzug von über 250 000 Familienangehörigen auf 4,1 Millionen;
* hohe Arbeitslosigkeit in Branchen mit hoher Ausländerbeschäftigung drängt Familienangehörige in illegale Nebenbeschäftigungen.
»Türkenfamilien drücken auf den Illegalen-Markt.«
Vor allem bei den Türken, weiß DGB-Maier, »drückt die Familienzusammenführung auf den Illegalen-Markt«. Mitglieder kopfstarker Sippen, die auf Grund der Wirtschaftslage keinerlei Aussicht auf Vermittlung haben, sind nach den Erfahrungen von Jürgen Rothscheroth, Direktor am Solinger Arbeitsamt, schon allein deshalb »nahe an der Grenze zur Illegalität«. Daß diese Grenze dann auch überschritten wird, ist laut Stuttgarter Innenministerium »nach wie vor häufig zu beobachten«.
Peter Dörner, Ausländerreferent im hessischen Innenministerium, sieht die Lawine weiter rollen, ungeachtet der Anwerbesperren oder geradezu ihretwegen: »Es ist doch normal, daß jetzt alle die illegal einströmen, die sonst als legale Arbeitnehmer gekommen wären.«
Denn zu der simplen Gesetzlichkeit, wonach Normen-Verschärfung die Zahl der Verstöße erhöht und Familienzuwachs plus Wirtschaftskrise Zwang zum illegalen Anschaffen bedeuten, kommt noch Druck von außen. Da sich in Herkunftsländern wie Jugoslawien und Türkei die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt ebenfalls verschlechtert haben, blieb die Magnetkraft Westdeutschlands ungebrochen.
Der nächste Schub steht auch schon an. Ausländer mit Arbeitserlaubnis, aber ohne Arbeit, denen in der nächsten Zeit die gesetzliche Arbeitslosenunterstützung ausläuft, haben kaum Aussicht auf Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung. Sie dürften aber versucht sein, den weiteren Verlauf der Konjunktur vom Inland aus zu beobachten. Ludwig Held vom Münchner Ausländeramt leidvoll: »Auf die warten wir schon.«
Dem gleichsam administrativen Abrutschen in die Illegalität helfen auch mal übereifrige Amtsbedienstete nach. Als etwa ein fünfzigjähriger Türke, siebenfacher Familienvater, unlängst nach fünfjährigem Aufenthalt die unbefristete Arbeitserlaubnis beantragte und sein letzter Arbeitgeber, die Münchner Hoch- und Tiefbaufirma Wadle & Co., ihn halten wollte, sperrte sich das Münchner Arbeitsamt -- irgendwann, bei einem seiner zahlreichen Firmenwechsel, war der Ausländer in eine sechsmonatige Phase mit unvollständigen Papieren geraten. Ein Landsmann, dem in fünfjähriger Deutschland-Karriere nur insgesamt zwei Tage lang die Arbeitserlaubnis gefehlt hatte, erhielt in München jüngst statt des erhofften Dauerpapiers eine Bußgelddrohung.
Das Mißtrauen der Behörden indes ist so abwegig nicht, denn oft genug haben sie es mit Professionals zu tun, die die Risiken der Illegalen-Existenz bewußt ins Kalkül ziehen. Der Journalist Milan Ilinic, der vom Münchner Exil aus die Ausländerszene beobachtet. sieht eine windige Internationale illegaler Wanderarbeiter auf der Walze -- »ziemlich pfiffig. Nation ist für sie Luft«.
Solche ökonomischen Emigranten, die ihr Vaterland dort suchen, wo es ihnen gutgeht, werden meist in der Bundesrepublik fündig, ohne viel Mühe. So läßt sich das jedem erhältliche dreimonatige Touristenvisum schlicht durch vorübergehende Ausreise erneuern. Das Motto heißt, laut Amts-Mann Held: »Kurz nach Österreich oder Frankreich, und quietschfidel wieder zurück.« Jugoslawische Clans, so beobachtete Milan Ilinic, haben System hereingebracht: »Da ist ein Wirt, der ist legal. Dann kommt sein Schwiegersohn, der ist auf Besuch. Dann arbeitet die Schwester mit, dann kommt die Nichte und die Tante und so fort, alle auf drei Monate zum Arbeiten, dann fahren sie wieder und fangen von vorne an.«
Gegen Bezahlung läßt sich solcher Aufwand vermeiden: Dokumentenfälschung ist zum feinverästelten Dienstleistungsangebot der Illegalen-Szene geworden. Da werden Stempel radiert und Siegel handgemalt. Mal ist es die fingierte Arbeitsbescheinigung, die den offiziellen Aufenthaltsstempel durch die Polizei einbringt, mal erwirkt die gutgetürkte namentliche Anforderung auf Firmenbriefkopf die amtliche Arbeitserlaubnis. Kenner Ilinic glaubt, daß sogar jugoslawische Behördenstellen guten Kommunisten dann und wann mal unter die Arme greifen: »Genossen kriegen Papiere, wenn sie echt sind, die Genossen.« Für das weitgespannte Angebot an Zeugnisfälschungen stehen die »Pfarrerdiplome« à 300 Mark, die ein Händler beim Jugoslawenwirt Jerko Radan in Kommission zu geben versuchte.
Falsche Qualifikationszeugnisse für Mangelberufe gelten neuerdings als Freibrief, scheinlegal die Grenzen zu überwinden. »Gerade das ist im Augenblick am Florieren«, klagt im Landesarbeitsamt Südbayern Heribert Rottenecker, der sich machtlos gibt: »Wie wollen Sie einer kroatischen Folkloregruppe die Arbeitserlaubnis verweigern?«
Daß die verdächtigen Barden, kaum im Land, von der Bühne verschwinden, vorzugsweise in die Gastronomie, können die Behörden vielfach belegen. Bei Stichproben in nur sieben Münchner Lokalen fanden Fahnder 23 der falschen Interpreten unterm Personal wieder. »Schöne Demokratie«. staunt Jerko, der Wirt, »jeder macht, was er will.«
Schon fürchten Ausländerbehörden auch hier den Einzug von Systematisierung. Arbeitsamtler wie Heribert Rottenecker plagt bereits die Vision von ganzen Ensemble-Karawanen, die dann »vielleicht sogar auftreten würden -- zweimal in der Woche, und die Gage geben sie dann auch noch ihrem Vermittler, der den illegalen Arbeitsplatz am Bau beschafft«.
Berufsgemeinschaften wie die zwischen solchen Unterkrainern und Oberschlawinern sind typisch für die Szene
Vermittler sind fast immer im Geschäft. wo die Organisation illegaler Arbeit nach Organisatoren verlangt.
Diese Drahtzieher. oft bereits Ausländer, haben nicht nur Öffentlichkeit und Ämter gegen sich, die ihnen »Menschenhandel und Ausbeutung« (so Bundesarbeitsminister Walter Arendt) vorwerfen, sondern auch das Gesetz. So bedenkt das neugefaßte Arbeitnehmerüberlassungsgesetz das illegale Vermitteln und das vorsätzliche Beschäftigen Illegaler mit Bußgeld bis zu 50 000 Mark oder Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren.
Doch zu lange war es Dunkelmännern möglich, die mild bemessenen Bußgelder ohne Mühe allein aus hinterzogenen Steuern und Abgaben zu bestreiten: »Die grinsten nur: Wollen Sie es bar, oder nehmen Sie auch einen Scheck«, erinnert sich der Berliner Polizeihauptmeister Gerhard Lüder.
Nicht einmal auf Mithilfe der Geschädigten darf die Polizei hoffen. Verängstigte Illegale ertragen lieber ihr Los, als durch Anzeige des Vermittlers die eigene Ausweisung heraufzubeschwören. »Die mucksen nicht auf«, weiß Jugoslawe Radan, »wenn die abgeschoben werden, ist das für sie doch wie ein Todesurteil.«
So haben sich die Subunternehmer eine nur noch schwer anfechtbare Stellung verschafft und eine lukrative noch dazu. Für Manfred Flach vom hessischen Landesarbeitsamt sind es »ganz miese, dreckige Verleiher, die mit Leuten aus Hinteranatolien ein paar leichte Mark machen wollen«. Denn oft genug klappt es für die Mark nicht einmal mit der versprochenen Arbeitsvermittlung: Schlepper und Betrüger nähren sich derzeit nicht schlecht.
Einschleusung und Unterbringung von Landsleuten kosten zwischen 300 und 3000 Mark Gebühr, die vor allem unter Türken als »Bakschisch für deutsche Beamte« glaubwürdig zu deklarieren ist. Weniger überzeugend fallen dann freilich oft die Gegenleistungen aus. Auf nachgemachten städtischen Stempeln konnten Beamte der Stuttgarter Ausländerbehörde nicht einmal das obligate Rößle entdecken.
Subunternehmer mit Lamborghini und Pistole.
Geprellt wurden auch legale Gastarbeiter, die bei der Münchner Reifenfirma Metzeler beschäftigt waren. »Kam eines Tages ein Landsmann« berichtet der jugoslawische Gewerkschaftsberater Georg Hrska, »und sagte: Warum arbeiten in stinkender Fabrik. besser frische Luft.« Der Job des Fremden -- elf Mark die Stunde und Tagegeld für Holzfällen im Akkord -- war freilich nach eineinhalb Monaten beendet. Nun sind die Metzeler-Mannen arbeitslos und illegal.
Zu Bauarbeiten in Libyen warb der jugoslawische Vermittler Lukic Landsleute in München, versprochenes Monatsgehalt: 4000 Mark netto. 30 Strafanzeigen blieben das einzig greifbare Resultat, denn den Job gab es nicht. Lukic war weg und die angezahlten 200 Mark Reisekosten pro Mann ebenfalls.
Längst schon hinaus über derartiges Bauernfängerniveau ist dagegen das Establishment der illegalen Arbeiterverleiher; dort scheint der Anschluß an die feineren Kreise deutscher Weißkragenkriminalität gelungen. Drei kürzlich verurteilte Subunternehmer etwa hatten in Frankfurt ihren Kolonnen über 1,7 Millionen Mark an Steuern und Sozialabgaben abgezogen, nichts davon aber abgeführt. Und Wuppertaler Kollegen machen sich kaum mehr Mühe, Freuden und Alltag ihres Geschäfts vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Die Herren chauffieren Mustang oder Lamborghini; wenn sie im 1.-Klasse-Abteil den Wuppertaler SV zu Auswärtsspielen begleiten, wird um Tausender gepokert. Wenn aber gegenseitige Abwerbung von illegalen Arbeitern im Spiel ist wie kürzlich in Solingen, wird auch mal auf der Straße geschossen.
Gegen das verzweigte Verleihgeschäft im Bergischen arbeitet eine eigens in Wuppertal gegründete Kripo"Sonderkommission Subunternehmer« ("Sokosub"), mit Erfolg. 155 Ermittlungen wurden allein im Vorjahr eingeleitet. 400 Branchenangehörige sind in den letzten vier Jahren aufgeflogen. mit Jahresumsätzen bis zu zehn Millionen Mark; 38 kapitale Fänge führten bislang zur Verurteilung vor Gericht. Dennoch, glaubt Staatsanwalt Heinz Jürgen Severin, wird es »noch einige Jahre dauern, bis in Wuppertal endgültig aufgeräumt« ist.
Weshalb die kriminellen Vermittler den Fahndern immer wieder entrutschen, zeigt beispielhaft der Fall eines Wuppertaler Großverleihers, den die Polizei als ihren einstweilen »dicksten Hund« führt.
»Das große Kreuz«
mit den falschen Verträgen.
Mit Hilfe und auf den Namen eines Strohmanns pflegte der Boß Kleinbetriebe zu gründen -- etwa in Limburg eine Firma für Bauausführung. Geschäftsbriefköpfe wurden gedruckt, Steuervorauszahlungen beim Finanzamt geleistet und acht Arbeiter bei der AOK versichert. Auf die Baustellen von Limburg und Umgebung freilich wurden daraufhin mehrere Dutzend Gastarbeiter gekarrt, Illegale.
Dem Bauherrn berechnete der Verleiher pro Kopf und Stunde 13 Mark, den Arbeitern aber zahlte er kaum die Hälfte. Mit zwölf Strohmännern soll nach Polizeiermittlung der rege Unternehmer in Nord- und Westdeutschland tätig geworden sein. Finanzämter und Kassen beklagen einen Fehlbestand von sieben Millionen Mark.
Vollends machtlos sind die Behörden, wenn unerlaubter Arbeiterverleih -- wie immer mehr im Schwange -- durch vertragliche Abreden zwischen Subunternehmer und Arbeitgeber kaschiert wird: Beispielsweise verdeckt der Werkvertrag über eine Grubenausschachtung fast lückenlos, daß in Wirklichkeit eine Schachtkolonne ausgeliehen und so die Genehmigungspflicht für Arbeitnehmerüberlassungen umgangen worden ist. Für den Münchner Arbeitsamts-Mann Rottenecker ist die Fingierung von Werkverträgen derzeit »das große Kreuz«; von 145 illegalen Verleihern, schätzt Rottenecker, wer-
* Türken mit Berater der Arbeiterwohlfahrt
den allein im südbayrischen Baugewerbe derart die Ämter beschummelt.
In dem Maße aber, wie sich Subunternehmer und kriminelle Auftraggeber Routine bei der Tarnung zulegen, verlagert sich der Erfolgsschwerpunkt polizeilicher Fahndung aufs Fußvolk. Bei Razzien und Stichproben werden die Fahnder immer noch am ehesten fündig: auf dem Hamburger Gemüsemarkt, im Frankfurter Bahnhof oder im »Orient-Expreß«, der U-Bahn zwischen Berlin-City und dem Türken-Quartier Kreuzberg. Manchmal wie jüngst im Hamburger Umland, wo Hubschrauber zur Jagd auf illegale Gartenbauarbeiter ausschwärmten, verblüfft der polizeiliche Aufwand. manchmal aber auch der Ort des Fanges: In Stuttgart postierten sich Illegale ganz offiziell in die Warteschlange vor dem Arbeitsamt.
Seit Beginn von Rezession und zunehmender Ausländerarbeitslosigkeit häufen sich nun auch die Fahndungstips. »Ganz entschieden mehr Hinweise auf Illegale« bekam seither der Frankfurter Kriminalbezirkskommissar Werner Krug, auch aus Gastarbeiterkreisen. Und auf einer Postkarte an die Berliner Polizei stand: »In dieser Straße arbeiten zwei Turisten seid ein Jahr.«
Im Bausektor zwar sei, so beobachtete Erich Schill aus dem baden-württembergischen Arbeitsministerium, »der Illegale-Boom etwas abgeklungen« -- konjunkturbedingt. Ein krisenfester Fahndungsboden dagegen bleibt die Gastronomie; südliches Schnellimbiß-Gewerbe stufen Polizisten als »Pizzeria-Mafia« ein.
Selbst abgebrühte Fahnder entwaffnet hier und da noch, was mancher Griff zutage fördert: die illegale Eisbereiterin mit Tbc in einem Frankfurter Zeil-Café oder die acht illegalen Jugoslawen im Berliner Fleischereibetrieb -- Polizeihauptmeister Lüder: »Noch nicht mal ein Gesundheitspaß. Der Amtsarzt fiel aufs Kreuz.« In einem Schöneberger Pensionszimmer bot sich dagegen den Fahndern unerwartet eine Idylle. Fünf illegale Senegalesen schnitzten original afrikanische Fruchtbarkeitsstatuen und schwärzten sie mit Schuhwichse« ein Gewerbe, das monatelang den Unterhalt garantierte.
Manche Polizeibehörde hat mittlerweile zu ihrem Underground ein fast familiäres Verhältnis entwickelt. Bei der Berliner Polizei etwa sind 28 Beamte zur Arbeitsgruppe Ausländerfragen (AGA) zusammengezogen. In dieser Spezialeinheit werden Bräuche und Mentalität der Ausländer ebenso einstudiert wie Schliche und Schleichwege sondiert. AGA-Veteran Hans-Joachim Jankus, des Türkischen mächtig, empfängt seine Klienten zwischen Nahost-Krimskrams und Orientteppichen zum türkischen Tee.
Die AGA-Leute, allesamt aus der mittleren Laufbahn, alle zehn bis 15 Jahre Revierdienst auf dem Buckel, betreiben nach eigener Einschätzung so etwas wie polizeiliche Sozialarbeit, um »die Diskrepanz zwischen Ausländern und Polizei abzubauen« (Lüder). Sie pauken Fremdsprachen auf der Abendschule, sammeln Sperrmüll für Ausländer-Familien und genießen Respekt noch selbst in abgeschiedenen Türkenspelunken wie dem Schöneberger »Wachtmeister Tippel«.
Auch andernorts leben Polizisten nur unbequem mit der Einsicht, daß bei ihrer Fahndung in erster Linie die Arbeitnehmer auf der Strecke bleiben und damit zugleich die Schwächsten im Verbund. Hilfestellung bei Aufspüren und Abschieben leisten somit viele Polizisten »nur unter größtem Bedauern«, wie ein Duisburger Polizeiführer nach einer Großaktion eingestand.
Amtliches Mitleid wird den Gefaßten bisweilen sogar aus Ministerstuben zuteil. So verfügte NRW-Innenminister Weyer einmal im Falle einer Türkengruppe, die Abschiebung aufzuschieben -- vergebens freilich, denn die Betroffenen waren bereits unterwegs.
Und des Ministers Fehlschlag war erklärlich: Das Abschieben illegaler Ausländer aus der Bundesrepublik wird inzwischen mit Ämterroutine flott erledigt. Auf deutschen Großflughäfen starten wöchentlich Jets mit Ausgewiesenen an Bord, getreu der Maxime des Münchner Ausländerbeamten Held: » ln der Masse ist's billiger.«
Nordrhein-Westfalen flog 1974 fast 2000 Fremde zwangsweise aus; landesweite Koordination sorgt für ausgelastete Flüge -- wenn 40 bis 50 einer Nationalität beisammen sind, alle drei bis vier Wochen, startet eine Chartermaschine von Düsseldorf. In Berlin hingegen bleibt die Charterreise den Türken reserviert, andere Nationalitäten fliegen per Linie, wobei die Ämter gern auch mal die billigen Tarife am Ost-Berliner Zentralflughafen Schönefeld nutzen. Hamburg wiederum beteiligt sich an planmäßigen Charterflügen und setzt jedes Wochenende ein knappes Dutzend unfreiwilliger Passagiere an Bord.
Die Hansestadt. die im letzten Jahr knapp 750 Ausländer exmittierte, hält auch in weiterer Hinsicht auf ökonomischen Ablauf: Was den Nordrhein-Westfalen 1974 nur in 40 Fällen gelang -- Ersatz der Abschiebekosten durch die verantwortlichen Arbeitgeber -, vollzogen die Hamburger zur gleichen Zeit 96mal. Von der halben Million, die Hamburg jährlich fürs Ausfliegen der Fremden aufwendet, fließen jährlich bis zu 150 000 Mark an den Staat zurück.
Achtungserfolge beim polizeilichen Zugriff können allerdings bei Ämtern und Gewerkschaften kaum Optimismus hinsichtlich der künftigen Beherrschung des Illegalen-Problems nähren. Abschiebung, so scheint es, hält nicht für lange als Abschreckung: »Bei unseren Flügen«, klagt Günther Christ vom Düsseldorfer Regierungspräsidium, »da sind immer wieder welche drunter, die schon zwei-, drei- oder viermal ausgewiesen worden waren.« Und zumindest den Bedarf an Arbeitswilligen in Ekelberufen -- Münchens Held: »Wo kriegt man denn noch eine Klofrau und einen Kartoffel-Schäler her?« -- werden weder Konjunkturflaute noch Anwerbestopp decken.
Das Problem der Subunternehmer. so befürchten Arbeitsamtsexperten wie der Düsseldorfer Anton Rohleder, werden die Ämter »dann erst voll in den Griff bekommen, wenn die Firmen, die die Dienste der Subunternehmer in Anspruch nehmen, auch wirklich spürbar haftbar gemacht werden können
Wie etwa Wing Ho Lau, Speisewirt »Zum Deutschen Eck« in Hamburg. Der mußte für den Abtransport seines illegal beschäftigten Küchenhelfers Lau San Fu nach Hongkong aufkommen. Da der Koch ernstlich an Waschzwang litt, erwies sich Flugbegleitung durch Arzt und Behördenvertreter als nötig. Kostenanteil für den Deutscheck-Wirt: 6000 Mark.