SPIEGEL: Monseigneur, wir möchten von Ihnen hören, wie es zur Katastrophe in Kambodscha kam.
SIHANOUK: Mein Volk stirbt. Es steht nicht nur vor dem Hungertod, es wird ausgelöscht. Ich möchte, daß mein Kambodscha gerettet wird.
SPIEGEL: Wie kam es damals dazu, daß Sie die Macht verloren? Am Anfang stand Amerikas Intervention im Jahre 1970, die von dem Sicherheitsberater des Präsidenten, Henry Kissinger, heute gebilligt wird ...
SIHANOUK: Über Herrn Kissinger zu diskutieren interessiert mich nicht mehr. Das kann ich tun, wenn ich 75 Jahre alt und pensioniert bin. Heute habe ich Dringenderes zu tun für mein Volk. Ich bin Präsident der Vereinigung der nationalen Kambodschaner, der Kambodschaner nicht nur im Ausland, sondern auch im Inland. Denn es gibt Kambodschaner, die sich bereits zusammenschließen, um den vietnamesischen Kolonialismus zu bekämpfen.
* Mit SPIEGEL-Redakteuren Tiziano Terzani, Rudolf Augstein, Johannes K. Engel. Das Gemälde zeigt Sihanouk-Ehefrau Monique.
SPIEGEL: Sihanouk-treue Partisanen gegen die vietnamesischen Besatzer?
SIHANOUK: Ich verfüge über Truppen, die sich für mich in Kambodscha schlagen. Es sind vielleicht 1000 Mann. Doch ihre Zahl wird sich bald erhöhen. Gegenwärtig sind wir und die Roten Khmer die einzigen, die gegen die Vietnamesen kämpfen.
SPIEGEL: Gibt es eine Absprache zwischen Ihnen und den Roten Khmer?
SIHANOUK: Eine Vereinbarung mit Pol Pot ist unmöglich. Zum gegenwärtigen Augenblick gibt es nur eine Gebietsaufteilung. Die Streitkräfte Pol Pots sind im Westen des Landes konzentriert, die meinen mehr im Norden. SPIEGEL: Wen unterstützt China? SIHANOUK: Zur Zeit Pol Pot, weil er über die größere Widerstandstruppe gegen die Vietnamesen verfügt. Doch die Dinge können sich ändern. Die Vietnamesen werden die Dinge ändern. Pol Pot kann zur Zeit mehr oder weniger auf 30 000 Mann rechnen. Gegenwärtig, während der Trockenperiode, sind seine Truppen schweren Angriffen der Vietnamesen ausgesetzt. Am Ende der Offensive werden ihm womöglich nur noch 10 000 Leute verbleiben. In der Zwischenzeit aber wird sich die Zahl meiner Streitkräfte erhöhen.
SPIEGEL: Und in der nächsten Trockenperiode?
SIHANOUK: Natürlich werde ich da wegen der Vietnamesen gewisse Schwierigkeiten haben. mi großen und ganzen aber werden meine Widerstandstruppen den Streitkräften der Roten Khmer zahlenmäßig überlegen sein, und wir werden die Unterstützung der Länder genießen können, die sich der Besetzung Kambodschas durch die vietnamesischen Kolonialisten widersetzen. Dank der Vietnamesen, die derzeit die Streitkräfte Pol Pots angreifen, wird sich die Bedeutung meiner Widerstandskräfte erhöhen.
SPIEGEL: Lassen Sie uns rekonstruieren, wie alles anfing -- ist es richtig, daß Sie schon vor der US-Intervention von 1970 den Amerikanern erlaubt hatten, die Hochburgen der Nordvietnamesen und des Vietcong im Inneren Kambodschas zu bombardieren?
SIHANOUK: Das habe ich überhaupt nicht erlaubt.
SPIEGEL: Als der US-Sonderbeauftragte Chester Bowles Sie 1969 in PnomPenh besuchte, sollen Sie so etwas erlaubt haben.
SIHANOUK: Ich habe ihm gesagt, ich könne nicht zulassen, daß ausländische Flugzeuge den Luftraum meines Landes verletzen und daß irgendein Ort in Kambodscha bombardiert wird. Daraufhin fragte mich Chester Bowles: »Sind Sie Komplize der Nordvietnamesen?« Nein, sagte ich, ich bin nicht ihr Komplize, aber ich unterstütze die Nordvietnamesen und den Vietcong in ihrem Kampf gegen Sie, weil sie für die Unabhängigkeit ihres Landes kämpfen.
SPIEGEL: Sie nahmen Partei für die Angegriffenen, gegen die Angreifer?
SIHANOUK: Das ist ein moralischer Grundsatz. Ich sagte dann aber auch zu Chester Bowles: Wenn Sie nur gegen den Vietcong und die Nordvietnamesen kämpfen, so stört mich das nicht, weil ich ein neutrales Land vertrete. Was zwischen Ihnen und dem Vietcong und den Nordvietnamesen geschieht, betrifft mich nicht. Wenn Sie sich untereinander schlagen, das geht mich nichts an.
SPIEGEL: Diese Äußerungen haben die Amerikaner ausgespielt
SIHANOUK: ... sie behaupten, Sihanouk will sagen, wenn wir die Hochburgen des Vietcong und der Nordvietnamesen bombardieren, drückt er ein Auge zu.
SPIEGEL: Dieser Eindruck konnte entstehen.
SIHANOUK: Doch danach habe ich bei den Amerikanern mehrfach heftig gegen ihre Bombenangriffe auf das Innere Kambodschas protestiert, denn diese Bombenangriffe trafen nicht den Vietcong und die Nordvietnamesen, sondern zerstörten kambodschanische Schulen, kambodschanische Garnisonen, kambodschanische Kautschukplantagen, Reisfelder und so weiter! Sie töteten Kambodschaner! Ich habe Photos machen lassen und sie den Amerikanern gezeigt. Sie haben nicht den Vietcong bombardiert, sondern die Kambodschaner ... SPIEGEL: Warum?
SIHANOUK: Weil sie Sihanouk Schwierigkeiten machen wollten, denn sie liebten Sihanouk nicht, sie bevorzugten den General Lon Nol.
SPIEGEL: ... den Ministerpräsidenten des Prinzen Sihanouk.
SIHANOUK: Und die Amerikaner bereiteten bereits den Staatsstreich vom März 1970 vor. Lon Nol wiederum glaubte an die Astrologie, und die Astrologen hatten prophezeit, wenn er Präsident von Kambodscha werden. wolle, so könne das sehr leicht geschehen. Er könne Sihanouk einfach auslöschen.
SPIEGEL: Die Astrologen behielten beinahe recht.
SIhANOUK: Ich war zur Kur nach Frankreich gereist, weil ich zu dick war und ein paar Kilo abnehmen wollte. Lon Nol nutzte meine Abwesenheit, um mich abzusetzen.
SPIEGEL: Mit amerikanischer Unterstützung?
SIHANOUK: Kissinger, der vor einigen Monaten hier in Peking war, sagte mir: »Glauben Sie mir, ich -- Kissinger -- bin für Sihanouk und gegen Lon Nol. Glauben Sie nicht, ich sei gegen Sie! Ich hätte Sie gern als Staatschef behalten. Doch was wollen Sie, Lon Nol hat Sie abgesetzt. Ich glaubte, er spielte nur Komödie. Ich glaubte, Sie wollten die Kommunisten in Verlegenheit bringen, Sie -- Sihanouk -- hätten Lon Nol Anweisung gegeben, Sie scheinbar abzusetzen.« Für eine Komödie war das nicht schlecht!
SPIEGEL: Kissinger schreibt in seinen Memoiren, er habe vom Putsch überhaupt nichts gewußt und auch gar keinen Grund gehabt, einen Futsch zu machen, weil der Drahtseilakt des Prinzen das Beste gewesen sei, was sich die Amerikaner damals in diesem Gebiet hätten vorstellen können. Kissinger sagt auch, die CIA sei in dem Fall nicht tätig geworden.
SIHANOUK: Ja, wissen Sie, es gibt Artikel amerikanischer Journalisten aus den Jahren 1970 bis 1975, die besagen, vor dem Putsch hätten die Offiziere Lon Nols bereits Kontakte zur CIA gehabt, und es hätte in Südvietnam Gespräche gegeben, während Sihanouk sich in Frankreich aufhielt. Alles sei ein abgekartetes Spiel gewesen -- zwischen den Amerikanern, den Südvietnamesen, nämlich den Leuten um Nguyen Van Thieu, und den Anhängern Lon Nols. Diese Artikel entsprachen der Realität und auch, was der britische Autor William Shawcross geschrieben hat.
SPIEGEL: Und das haben Sie Kissinger jetzt entgegengehalten?
SIHANOUK: Ich sagte zu Kissinger: Lassen wir die Vergangenheit ruhen. Vergessen wir sie, wir wollen nicht mehr darüber reden. Kissinger ist pro Sihanouk! Bravo! Ich ziehe einen Pro-Sihanouk-Kissinger vor!
SPIEGEL: Sie haben ein Buch über die Roten Khmer geschrieben, in dem Sie behaupten, daß es drei Personen gab, die gegen Sie waren und sich verbündeten: Nixon, General Lon Nol und Ihr Vetter Sirik Matak.
SIHANOUK: Ursprünglich hatte ich geschrieben: Vier Personen, nämlich auch noch Kissinger. Als das Buch noch nicht erschienen war, kam Kissinger hierher nach Peking und sagte mir, er sei mein Freund, er sei für mich. Daraufhin habe ich den Namen Kissinger gestrichen. In dem Buch spreche ich von
dem Trio, nicht von dem Quartett. Ich erwähne Nixon, Lon Nol, Sirik Matak -- und nicht Nixon, Lon Nol, Sirik Matak und Kissinger.
SPIEGEL: Und Nixon? SIHANOUK: Ich erwartete Nixons Besuch, doch er kam nicht zu mir. Aber wenn er mich einmal besuchen sollte, werde ich auch den Namen Nixon streichen.
SPIEGEL: Lon Nol ist heute auch pro Sihanouk.
SIHANOUK: Nicht wahr? Alle Welt verbündet sich mit mir. Alle Welt ist jetzt pro Sihanouk.
SPIEGEL: 1970 war das anders. SIHANOUK: Nach dem Staatsstreich standen die Dinge sehr schlecht. Die Amerikaner glaubten, nach dem Putsch würde alles sehr gut laufen, sie würden Kambodscha als Satellitenstaat gewinnen, als neue Basis für ihre Angriffe gegen den Vietcong. Denn nach der Theorie der amerikanischen Falken konnten die Hochburgen der Nordvietnamesen und des Vietcong im Inneren Kambodschas ausgelöscht werden, wenn man sich Sihanouks entledigte und Lon Nol und Sirik Matak für sich gewänne. Von Kambodscha aus könne man dann den Vietcong und die Nordvietnamesen in Südvietnam schlagen und so den Krieg gewinnen.
SPIEGEL: Da haben die Astrologen versagt, wie man weiß.
SIHANOUK: Nach dem Staatsstreich war das kambodschanische Volk offenbar immer noch pro Sihanouk, es unterstützte jedenfalls nicht Lon Nol. Die Roten Khmer und die Vietnamesen schienen die Schlacht zu gewinnen. Statt entlang der Grenze ausgerottet zu werden, breiteten sich die kommunistischen Hochburgen nach Kambodscha aus und Kambodscha wurde kommunistisch. 1970, einige Monate nach dem Putsch, war bereits klar, daß die Schlacht verloren war. Da wollte man Sihanouk sozusagen zurückgewinnen. Sihanouk sollte das kommunistische Lager verlassen, um wieder Staatschef der nichtkommunistischen Seite zu werden. SPIEGEL: Was taten die USA? SIHANOUK: Die USA? Präsident Nixon ließ sich vom amerikanischen * Bei Bekanntgabe der Absetzung Sihanouks am 13. März 1970.
Kongreß 370 Millionen Dollar pro Jahr bewilligen, um Lon Nol zu unterstützen und ihm zu ermöglichen, seine Macht gegenüber Sihanouk zu bewahren.
SPIEGEL: Kissinger bestreitet nicht, daß seine Regierung sich sofort auf die Seite von Lon Nol gestellt hat. Er sagt nur, er persönlich habe kein Interesse gehabt, Sie von der Spitze zu vertreiben, er persönlich hätte in Ihnen damals die beste Lösung gesehen.
SIHANOUK: Das hat Kissinger 1970 nie zu erkennen gegeben. Er war für Nixons Kambodscha-Lösung.
SPIEGEL; Nixon soll damals gesagt haben: »Es ist die beste Investition, die ich während meiner langen politischen Karriere je für mein Land gemacht habe.«
SIHANOUK: Kissinger reiste nach China, als ich dort war und Tschou En-lai noch lebte. Er hat aber nie gebeten, mir einen Besuch abstatten zu dürfen. Wenn Kissinger eine Lösung Sihanouk wollte, hätte er mich besuchen müssen.
Doch ich akzeptiere, was Kissinger heute sagt. Und darum habe ich seinen Namen in meinem Buch gestrichen. Ich spreche von Nixon, Lon Nol und Sirik Matak. Von Kissinger ist nicht mehr die Rede. Das Problem ist gelöst! Darüber brauchen wir nicht mehr zu diskutieren! Kissinger ist mein Freund! Ich habe seinen Namen in meinem Buch gestrichen!
SPIEGEL: Wann haben Sie, Monseigneur, von dem Putsch gegen sich erfahren?
SIHANOUK: Eigentlich bin ich gar nicht darüber informiert worden. Ich war seit dem 13. März in Moskau. Am 17. März, einen Tag vor dem Putsch, erhielt ich ein Telegramm meiner Mut-Ler aus PnomPenh. Ihre Majestät, meine Mutter, teilte mir mit, es stehe schlecht, ich solle meine Rückkehr nach Pnom Pech verschieben. Es gebe böswillige Leute, die mir übel wollten. Ich solle nicht nach Hause kommen.
SPIEGEL: Ahnten Sie, worum es ging?
SIHANOUK: Damals konnte ich es nicht wissen. Am Nachmittag des 18. März, als der Staatsstreich in Kambodscha also schon stattgefunden hatte, nach kambodschanischer Zeit war es Nacht, hörte meine Umgebung die »Stimme Amerikas« und erfuhr, daß ein Staatstreich gegen mich verübt worden und ich abgesetzt sei. Doch meine Umgebung wagte mir das nicht zu sagen -- niemand sagte es mir.
SPIEGEL: Wie erfuhren Sie es? SIHANOUX: Kossygin, der mich aufgesucht hatte, weil ich die Sowjet-Union verlassen wollte, um nach China zu reisen, sagte mir im Wagen, der mich zum Flughafen brachte: »Prinz Sihanouk, Sie sind abgesetzt. Was beabsichtigen Sie zu tun?« Ich sagte: »Aber das ist absolut illegal. Das ist verfassungswidrig. Ich werde kämpfen!« Inzwischen waren wir auf der Gangway des Flugzeugs angekommen, Kossygin drückte mir die Hand und sagte: »Wenn Sie kämpfen, wird die Sowjet-Union auf Ihrer Seite stehen!«
SPIEGEL: Was sagten die Chinesen?
SIHANOUK: Bei meiner Ankunft in Peking sagten mir Tschou En-lai und Mao Tse-tung: »Wenn Sie kämpfen, werden wir auf Ihrer Seite stehen!« China stand wirklich auf meiner Seite, die Sowjet-Union jedoch ließ mich im Stich und unterstützte Lon Nol. So war es!
SPIEGEL: Kissinger schreibt in seinen Memoiren, das sowjetische Staatsoberhaupt Podgorny hätte Ihnen geraten, sofort von Moskau nach Pnom Penh zurückzufahren.
SIHANOUK: Ja, das stimmt. Am 13. März, bei meiner Ankunft aus Paris in Moskau -- fünf Tage vor dem Putsch -, sagte mir Podgorny: »Siemüssen sofort nach PnomPenh zurückkehren, denn nach unseren Informationen bereiten die Leute dort etwas vor. Wenn Sie sofort dorthin reisen, können Sie die Dinge noch in Ordnung bringen.« Ich sagte zu Podgorny, ich zöge es vor, die Anweisungen meiner Mutter und meines Kabinetts abzuwarten.
SPIEGEL: Glauben Sie nicht, daß Sie damit einen Fehler gemacht haben? Hätten Sie nicht sofort zurückfahren müssen, am 13. März?
SIHANOUK: Keineswegs! Nein, ich habe keinen Fehler gemacht! Denn später habe ich sehr wohl erfahren, daß
Lon Nol und Sirik Matak folgendes beabsichtigten: Wenn ich aus dem Flugzeug stieg, sollte ich nicht nach Pnom Penh, sondern nach Kirirom, 70 Kilometer von Pnom Penh entfernt, gebracht werden, um im Wald getötet zu werden. Es gab bereits einen Hinrichtungstrupp ...
SPIEGEL: Kein Fehler?
SIHANOUK: Sie sind Deutsche! Ich bin Kambodschaner, ich kenne die Dinge besser als Sie! Wenn Sie gestatten, darf ich bemerken, daß ich mich nie um die deutschen Angelegenheiten kümmere! Sie werden nie erlebt haben, daß ich Deutschland, den Osten oder den Westen, kritisiere! Ich sage Ihnen nicht, was Helmut Schmidt tun oder nicht tun sollte! Ich sage Ihnen auch nicht, was der SPIEGEL tun sollte! Sagen Sie mir also nicht, daß ich dies oder das zu tun hätte.
Ich gebe Ihnen lediglich Informationen, über kambodschanische Angelegenheiten aber wollen wir nicht diskutieren. Das ist mein Prinzip: Weder die Chinesen noch die Sowjets oder die Amerikaner haben das Recht, kambodschanische Angelegenheiten zu diskutieren. Auch der SPIEGEL hat dieses Recht nicht.
SPIEGEL: Wir wollen Ihnen nicht vorschreiben, was Sie zu tun haben. Wir wollen wissen, wie alles war, dazu sind wir da.
SIHANOUK: Aber Sie behaupten, ich hätte falsch daran getan, dem Rat Podgornys nicht zu folgen. Ich habe seinen Rat nicht befolgt, weil er Russe und nicht Kambodschaner ist. Ich bin Kambodschaner, ich kenne meine Kambodschaner. Aber ich habe nicht das Glück eines Hitler gehabt. Es gab in der Wehrmacht einen Oberst Stauffenberg, der eine Bombe legte. Die Bombe explodierte, aber Hitler kam davon. Wenn ich zurückgekehrt wäre, hätte ich den Krieg verloren. Aber ich habe den Krieg gegen die Amerikaner gewonnen. Sie, die freie Welt, hat den Krieg verloren. Nicht ich habe den Krieg in Kambodscha verloren. Sihanouk hat den Krieg nicht verloren.
Ich habe keine Niederlage erlebt! Ich habe 1953 gegen die Franzosen gekämpft, ich habe sie geschlagen, denn ich habe die Unabhängigkeit von den Franzosen gewonnen. Ich habe mich mit den Amerikanern geschlagen. Zusammen mit den Roten Khmer habe ich die Amerikaner geschlagen. SPIEGEL: Wirklich?
SIHANOUK: Sie aus dem Westen wollen mir sagen, ich hätte zurückkehren müssen -- zurückkehren, um mich töten zu lassen! Das hätte die Geschäfte der freien Welt gut arrangiert. Nach dem Tod Sihanouks hätten die Roten Khmer den Krieg nicht gewinnen können. Aber da Sihanouk die Kommunisten wählte und die freie Welt schlug, ist die freie Welt unzufrieden und wirft mir vor, nicht zurückgekehrt zu sein! Was hätte ich gerettet? Ich hätte die freie Welt gerettet! Die freie Welt aber interessiert mich nicht, ich gehöre ihr nicht an! Ich bin Kambodschaner.
Ich weiß, was ich zu tun habe. Ich kann manövrieren. Der Beweis: Ich bin noch am Leben. Ich bin nicht tot. Ich bin noch nicht besiegt, während Kissinger und Nixon besiegt sind! Pol Pot, leng Sari*, sie sind besiegt! Wir dürfen den westlichen Argumenten nicht folgen. Die freie Welt hat den Krieg verloren, und jetzt sucht sie einen Sündenbock. Das ist wie in Frankreichs Dritter Republik, die den Krieg verlor. Marschall Pétain ließ dann Daladier verurteilen. Doch Daladier zu verurteilen war normal, weil er Franzose war. Aber wenn die freie Welt Sihanouk verurteilen will, der nicht der freien Welt angehört, so ist das nicht gerecht! Das ist übertrieben! Sie haben einen Krieg verloren, das geht mich nichts an! Ich habe den Krieg gewonnen!
SPIEGEL: Uns interessieren Ursachen und Hintergründe. Dadurch, daß die Amerikaner 1970 nach Kambodscha eingedrungen sind, haben sich die kommunistischen Verbände weiter ins Landesinnere verlagert und sich ansiedeln können -- ist das richtig?
SIHANOUK: Gewiß. Es gab 300 Rote Khmer. Die Nordvietnamesen und der Vietcong wollten lediglich einen Durchgangskorridor. Er hieß »Sihanouk-Pfad«. Nicht ich habe diese Korridor so benannt.
SPIEGEL: Über diesen Pfad erhielten die Vietcong Nachschub, zum Ärger der Amerikaner.
SIHANOUK: Die Waffenlieferungen für die Kommunisten trafen im Hafen von Sihanoukville ein. Die Königliche Armee kümmerte sich um ihren Transport über die Autostraße bis zum Dschungel. Als Entgelt für diese Dienstleistung kassierte die Königliche Armee von drei Munitions-Kisten eine, von drei Gewehren und Maschinengewehren jeweils eins. Das war ein brauchbares Verfahren.
SPIEGEL: Monseigneur, wie denken Sie über Ihre späteren Verbündeten, die Kommunisten?
SIHANOUK: Ich bin kein Kommunist, ich könnte auch niemals einer sein. Aber als ich mich 1970 in Peking niederließ, erlebte ich den Kommunismus aus unmittelbarer Erfahrung und
* Premier, Außenminister des Regimes der »Roten Khmer«.
sah darin auch gewisse Vorteile. Der chinesische Kommunismus ist nicht amüsant, aber er ist akzeptabel. Der Kommunismus der Roten Khmer ist weder amüsant noch akzeptabel.
Die Roten Khmer wollten die ersten wahren Kommunisten in der Geschichte der Menschheit sein. Sie hielten sich für reine Kommunisten. Für sie war China noch nicht kommunistisch genug. Die Roten Khmer wollten einfach in einem Schritt das Ziel eines integralen Kommunismus erreichen. Sie wollten, daß die ganze Welt und die Geschichte ihre einmalige Erfahrung anerkannten. Wir, die Roten Khmer, sind die einzige Partei, die den totalen Kommunismus in einem Jahr durchsetzen kann! Das ist töricht! Das ist verrückt!
SPIEGEL: Aber wie kommt es, daß Kambodschas Kommunisten so sind?
SIHANOUK: Wenn man die Politik der Roten Khmer dadurch erklären will, daß man sagt, Pol Pot sei ein fanatischer Kommunist, so kann man sie nicht erklären. Selbst Hitler war kein normaler Mensch, er war ein Narr. Pol Pot ist verrückt.
SPIEGEL: Sie kennen ihn.
SIHANOUK: Ich kenne ihn sehr gut, ja, er ist ein sehr charmanter Mann. Ich war einmal einen Monat lang bei ihm in einem befreiten Gebiet. Damals nannte er sich Saloth Sar. Er war Saloth Sar und wurde Pol Pot. Selbst General Leclerc nannte sich Monsieur de Hauteclocque. Und so machte es auch Pol Pot, er änderte seinen Namen. In jeder Gesellschaft gibt es Verrückte, sadistische Narren. Sie haben die Baader-Meinhof-Bande, die Schleyer ermordete. Die Vollstrecker dieser Politik sind junge Leute.
SPIEGEL: Was verbindet denn die Bürgerkinder, die in Europa Terrorakte verüben, mit den Roten Khmer? SIHANOUK: Im Fall der Roten Khmer sind die Vollstrecker Menschen aus dem Gebirge. Die Menschen aus der Ebene sind sanftmütig, die Gebirgler hingegen sind Menschen, die im halbwilden Zustand lebten und die Tiere jagten. Ihnen erklärten Pol Pot und leng San: Die Jagd auf Tiere ist vorbei, die Jagd auf Menschen ist interessanter. Junge Menschen werden durch Erziehung stark beeinflußt. In Kambodscha wurden sie auf diese Weise erzogen -- ebenso wie die Kinder in Amerika vom Fernsehen beeinflußt werden. SPIEGEL: Erziehung zum Mord? SIHANOUK: Sie kennen sicher Batman. Die Kinder sehen ihn auf dem Bildschirm. Ich habe von einem Jungen gelesen, der von einem hohen Gebäude sprang, um ihn nachzuahmen. In Kambodscha haben Pol Pot und leng Sari die Kinder gelehrt, Menschen zu jagen -- Kinder lernen leicht. Aber dafür ist nicht die Rasse der Khmer verantwortlich. Sind Sie als Deutsche eine schlechte Rasse? Ich bin sicher, daß die deutsche Rasse gut ist. Nicht weil die deutsche Rasse gewalttätig wäre, ist Hitler an die Macht gekommen. Pol Pot ist wie Hitler. Und Sie wollen doch nicht behaupten, daß Ihre Rasse eine schlechte Rasse ist.
SPIEGEL: Wir sind keine Rassisten. SIHANOUK: Ich bin kein Soziologe, aber Sie müssen begreifen, daß man auch unter meiner Rasse Monster schaffen kann. Beider Rasse ist sehr ähnlich. Wir haben zwei Super-Hitler erlebt: Pol Pot und leng San. Und wie bei Ihnen hat es Menschen gegeben, die ihnen folgten.
Ich bin über die Resultate der Uno-Abstimmung zugunsten Pol Pots sehr enttäuscht. Ich sagte dem amerikanischen Botschafter Woodcock hier in Peking neulich:
»Ihr seid Rassisten. Ihr seid für die Gelben! Ich bin gelb, und ich protestiere! Denn ihr seid nicht gerecht. Ihr seid gegen die Weißen und für die Gelben. Ihr Amerikaner habt in Nürnberg den Feldmarschall Keitel gehenkt und dennoch dafür gestimmt, daß die gelben Pol-Pot-Anhänger einen Sitz in der Uno erhalten,« Gegenüber Hitler war man zu hart, gegenüber Pol Pot zu weich. Das ist untragbar.
SPIEGEL: Müssen Sie sich in Ihrer Lage nicht mit jedem verbünden, der auch gegen Vietnam kämpft, also auch mit Pol Pot?
SIHANOUK: Eine Koalition mit Pol Pot ist unmöglich, dafür werde ich mich niemals einsetzen, niemals, niemals, niemals! Die Idee einer Einheitsfront gegen den gemeinsamen Feind kann es in diesem Fall nicht geben. Das Kambodscha von 1979 ist nicht das China von 1936.
SPIEGEL: Damals verbündete sich der nationalchinesische Führer Tschiang Kai-schek mit dem Kommunisten Mao gegen die Japaner ...
SIHANOUK: ... Ich bin nicht Tschiang Kai-schek, und Pol Pot ist nicht Mao Tse-tung. Pol Pot ist für unsagbare Massaker verantwortlich. Jede Familie in Kambodscha hat den Händen der Roten Khmer Opfer dargebracht, auch meine Familie: 1975 waren zwei meiner Söhne und ihre Ehefrauen und elf Neffen in Kambodscha -- ich habe von ihnen nichts mehr gehört. Sie sind verschwunden, wahrscheinlich getötet, ermordet von den Roten Khmer. Nach meiner Ankunft in Peking habe ich die Chinesen aufgefordert, mir zu helfen, meine Familienangehörigen wiederzufinden. Nach Monaten ließen mir die Chinesen mitteilen, daß sie nichts ausgerichtet und die verschwundenen Personen nicht gefunden hätten. Auch meine Frau, die Prinzessin Monique, hat keinerlei Nachricht von ihrer Schwester, ihrem Schwager und einem Dutzend Verwandter.
SPIEGEL: Monsigneur, Sie haben von 1975 bis Anfang 1979 in PnomPenh gelebt. Haben Sie von diesen Massenmorden nichts bemerkt?
SIHANOUK: Aber nein, ich habe nichts davon gehört, bis ich nach China kam und dann in die Vereinigten Staaten. Ich lebte völlig isoliert, wenn auch mit einem gewissen Komfort, in meinem alten Königspalast. Ich war gefangen. Allen ausländischen Freunden, die mich besuchen wollten -- darunter Präsident Tito -, sagte Pol Pot, ich sei zu beschäftigt.
Hin und wieder hat man mich durch das Land geführt, ich war bestürzt, als ich die leeren Städte sah. Doch was mich mehr berührt hat, war der Anblick der zerlumpten Gestalten, die harte Arbeit leisten mußten bis zum letzten Atemzug, Männer, Frauen, Kinder. Das machte mich unglücklich. 1 was unhappy, I was very unhappy.
SPIEGEL: Wie sind Sie selbst Anfang dieses Jahres aus PnomPenh herhausgekommen?
SIHANOUK: Das war sehr einfach. (Staatspräsident) Khieu Samphan besuchte mich, und wir gingen zusammen zu Pol Pot. Bei einer kurzen Begegnung sagte Pol Pot zu mir: Monseigneur, Sie werden gebraucht. Sie müssen Kambodscha bei der Uno vertreten. Sie müssen hingehen, um Kambodscha gegenüber der Aggression Vietnams zu verteidigen. So bin ich mit meiner Familie mit der letzten Maschine der regulären chinesischen Fluglinie, die bis dahin einmal wöchentlich die Strecke Pnom Penh/Peking flog, herausgekommen. Es war im Grunde also die vietnamesische Invasion, die mich befreit hat. Ja, man könnte sich totlachen, die Vietnamesen haben mich befreit.
SPIEGEL: Monseigneur, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.