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Minister »Ich muß härter werden«

Von Jürgen Leinemann
aus DER SPIEGEL 1/1994

Niemand scheint sie wahrzunehmen. Unauffällig, aber zielsicher strebt die Frau durch den vollbesetzten Volksparksaal im mecklenburgischen Städtchen Tessin. Dunkles Kostüm, gestreifte Bluse, harter Pagenhaarschnitt.

Langsam, fast widerwillig rappelt sich vor ihr einer der Honoratioren hoch, Christoph Brandt, der Kreistagspräsident der heimischen Union. Eine Weile tuschelt er mit der Angekommenen, dann quäkt er mißmutig durchs Mikrofon, daß der CDU-Kreisparteitag »unsere Landesvorsitzende« begrüße, »Frau Minister Angela Merkel«.

Die nickt knapp, lächelt geschäftsmäßig in den spärlichen Beifall hinein. »Gemeinsamkeit finden«, verlangt das Spruchband über ihr.

Auf dem CDU-Kreisparteitag wird ihr Vorgänger, der geschaßte Bonner Verkehrsminister Günther Krause, bei seiner Ankunft geradezu überschüttet mit Applaus und Aufmerksamkeit: »Wie schön, daß du Zeit gefunden hast«, schallt es ihm entgegen, »komm doch ins Präsidium.«

Angela Merkel, 39, die ein feines Gespür hat für Signale der Macht, nimmt das eher belustigt zur Kenntnis. Sie weiß, daß sie hier »Angela, die Sanfte« genannt wird. Daß sie das nicht ist, beginnen die Unionsherren an der Ostsee inzwischen zu ahnen.

Zunächst hatten es die zerstrittenen Provinzgockel im Landtag und in den Kreisen von Mecklenburg-Vorpommern für eine prachtvolle Idee gehalten, daß ausgerechnet eine Frau dem Machtmacker Krause nachfolgen sollte. Die könnte mal ein bißchen Harmoniesoße über den Laden kippen. »Als ich denen dann sagte: ,So nicht, meine Herren'', da warn se baff.«

Klar, daß sie nicht Krause ist, »bei weitem nicht«. Die Ministerin grinst pfiffig, sie muß die sturen Fischköppe eben anders kirre kriegen. Also drückt sie ihnen den Baden-Württemberger Klaus Preschle, 33, als Generalsekretär auf, ihren Statthalter sozusagen, und spart nicht mit herbem öffentlichen Tadel an Postengezänk und persönlichen Eitelkeiten. »Seither lebe ich politisch gefährlich«, sagt sie. Aber ist denn Politik etwa ein Beamtenjob bei ''ner Versicherungsgesellschaft? Risiko muß sein.

Das klingt weder leichtfertig noch provozierend. Ihre Sicherheit und die Selbstverständlichkeit ihres Auftritts verblüffen. Diese Frau weiß auch ohne Beifallsstürme, daß sie die steilste politische Karriere gemacht hat, die es in Nachkriegsdeutschland je gegeben hat.

In gut drei Jahren mauserte sie sich von einer blassen Helferin des Demokratischen Aufbruchs in Berlin zur Ministerin in Bonn, zur Stellvertreterin des CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl und zur Landesvorsitzenden in Mecklenburg-Vorpommern. Im Superwahljahr 1994 soll vor allem sie im Osten die abbröckelnde Unionsfront halten.

Blaß ist die schmucklose Physikerin freilich immer noch. Daß ihr die zu diesem Aufstieg gehörende Aura des Erfolges völlig abgeht, irritiert im mediengeilen Bonn manchen. »Sie hat alle Insignien einer blendenden Erscheinung«, findet die FDP-Abgeordnete Uta Würfel, »aber sie macht einfach keinen Gebrauch davon.«

Das ist schwer zu verstehen und noch schwerer zu verzeihen. Angela Merkel liebt keine Selbstdarstellung, auf eine »Politik vordergründiger Wirkung« glaubt sie verzichten zu können. Ohnehin sei bei ihr alles viel zu schnell gegangen und habe zu hoch hinauf geführt, findet sie. »Da fehlt der solide Unterbau. Ich sitze auf hoher Plattform mit wackligen Stützen.«

Mit großer Selbstverständlichkeit ist sie ihre politische Laufbahn nach der Wende angegangen. Lehrerin wäre sie gern geworden für Russisch und Physik; in der DDR mußte sie, aus christlichem Haus stammend, in die Forschung ausweichen. Heute sagt sie: »Es hat mich immer gereizt, wie man eine Gesellschaft in eine bestimmte Richtung drängen kann.«

So wie Ludwig Erhard. In den DDR-Zeiten heimlich, öffentlich nach der Wende beim Demokratischen Aufbruch, und in der Kohl-Partei tritt sie wie eine Art heilige Johanna der sozialen Marktwirtschaft auf. Sie verficht sie mit einer Leidenschaftlichkeit, die sich von der Geschmeidigkeit anderer Wendegewinnler beträchtlich unterscheidet.

Daß ihr die Union heute als die verläßlichste Verfechterin Erhardscher Politik erscheint, hat ihren Widerwillen gegen die »Blockflöten« aus dem Osten neutralisiert und ihr das »Mittun« erleichtert.

Tatsächlich, bekennt sie heute, »war die Ost-CDU früher für mich eine schlimme Partei«. Inzwischen sei sie selbst »weitherziger« geworden, urteile milder: »Ich habe gelernt, daß diese Partei für viele auch ein Hort war.«

Fasziniert von Bonn war sie lange. Immer schon ist die Pastorentochter aus Templin stolz darauf gewesen, in Hamburg zur Welt gekommen zu sein. Zur überzeugten DDR-Bürgerin, sagt sie, habe sie sich nie entwickelt, obwohl sie schon als Kind aufzusagen wußte, wer im Politbüro saß.

Politik war ihr Ding. Als Fünfjährige hielt Angela ihrer Großmutter darüber Vorträge. Mit acht Jahren wußte sie alle Namen des christ-liberalen Bonner Kabinetts auswendig, von Adenauer bis Wuermeling. Die wichtigsten Bundestagsdebatten verfolgte sie am Radio. »Die Wahl Gustav Heinemanns zum Bundespräsidenten habe ich heimlich in der Schule auf dem Klo gehört.«

Nein, Angela Merkel verdankt ihre Karriere keineswegs der »Doppelquote Ossi und Frau«. Diese ebenso ehrgeizige wie disziplinierte Dame ist eine politische Naturbegabung. Instinktsicher wittert sie Spannungen und geheime Untiefen. Die Machtmechanismen in Partei, Regierung und Parlament sind ihr inzwischen vertraut. Sie kann sich wehren. Sie hat Geduld. »Und«, sagt sie, »ich bin Realist.«

Von ungefähr kommen diese politischen Talente natürlich nicht. Im Hause Merkel wurde immer politisiert, vor allem der Vater engagierte sich heftig. In der DDR sympathisierte er mit dem Sozialismus, heute gehört er zum Neuen Forum. Der Bruder, Physiker wie seine älteste Schwester, ist Mitglied beim Bündnis 90/Grüne. Nur die jüngere Schwester, von Beruf Krankenschwester, ist politisch nicht aktiv.

Während der DDR-Zeit bemühte sich die Mutter zwar nach Kräften, die hitzigen Debatten zu dämpfen, Politik vom Küchentisch fernzuhalten. Auch sie ist heute aktiv, als SPD-Stadtverordnete in Templin. Einen leichten politischen Stand kann die Ministerin bei ihren Besuchen zu Hause nicht haben. Aber darüber redet sie nicht.

Sie sagt überhaupt nicht viel, was sie kenntlich machen könnte, zumindest im Westen nicht. Lange wird es nicht mehr dauern, bis ihre Sprache tatsächlich jenen »Gediegenheitsgrad« erreicht hat, der - wie sie spottet - in Bonn von jedem verlangt wird, der professionell wirken will. Zunehmend hat sie kesse Charakterisierungen durch unverbindliche Floskeln ersetzt. Nur noch gelegentlich blitzt Selbstironie auf, nur noch selten wird etwas von ihrer melancholisch eingefärbten Kiebigkeit sichtbar.

Angewidert von den Fragen der »Wessi-Fritzen« verbirgt sich die verletzliche Politikerin hinter ihrem Mißtrauen. Sie zieht sich in ihren Argwohn zurück wie in ein Gehäuse. Auf emotionale Situationen reagiert sie extrem sachlich. Nichts fürchtet die Naturwissenschaftlerin mehr als Situationen, die sie nicht bis zum Ende überblicken kann. Sie plant alles.

Wird sie nicht auch, wie alle Ossis, »oft beäugt wie ein Tier aus dem Zoo«? Findet sie sich nicht immer gleich abgestempelt und in Klischeefächer einsortiert? »Die Schubladen passen alle nicht, in die ich gesteckt werde«, klagt sie, »ich bin aber immer schon drin, wenn ich den Mund aufmache.«

Es ist eine wunderliche Kommode, die so zustande kommt. Die Urteile über Angela Merkel schwanken extrem - von »mausgrau« und »bieder« über »schlagfertig«, »blitzgescheit« und »selbstbewußt« bis zu »überheblich« und »herzlos«. Daß sie unterschätzt wird, hält sie für einen beträchtlichen politischen Gewinn. Daß ihre glatte Undeutlichkeit viele abstößt, unterschätzt sie.

Ist sie ein noch verpuppter Polit-Schmetterling? Die brave Tochter des Papa Kohl? Hat sie keinen Mumm? Oder keine Ahnung? Ist sie nichts als eine typische Ossi-Anpasserin, die im Strom der Macht mitschwimmt?

Angela Merkel sähe sich, wie böse Bonner höhnen, durch solche Fragen eher bestätigt als entlarvt. Allenfalls Irritationen über ihre Ossi-Rolle würde sie einräumen - denn das verblüfft sie selbst, daß sie, die sich nie als DDR-Bürgerin fühlte, inzwischen »wie ein echter Ost-Heini« empfindet.

Wiederholt sich heute hüben, was ihr damals drüben widerfuhr? »Ich habe ein sehr schizophrenes Leben geführt«, erzählt sie: »Ich war Teil des Staates DDR - und lebte zugleich in permanenter Auflehnung dagegen.«

Manchmal klingt Angela Merkel jetzt, als sei sie wiederum in Auflehnung. Besonders verbittert reagiert sie auf die Art, wie ihr sächsischer Parteifreund Steffen Heitmann als Präsidentschaftskandidat erst gehandelt und dann abserviert wurde.

Sie habe bei der Wende gehofft, sagt Angela Merkel, daß in einer Demokratie anständig gestritten werde, über Ziele, Personen und Methoden von Politik. Nun erlebt sie Befremden und Gelächter, wenn sie im Westen sagt: »Ich habe mich so gefreut auf den Streit.«

An einer neuen Kandidaten-Diskussion will sie sich jedenfalls nicht mehr beteiligen: »Weil diese Republik so ist, wie sie ist.« Das klingt ziemlich endgültig.

In allen Bonner Parteien, von der PDS bis zur Union, hört sich Ossi-Resignation heute ähnlich an. Ist sie überfordert mit ihrem politischen Doppelleben am Rhein und an der Ostsee? Wirkt ihre Identität deshalb so verwackelt?

Angela Merkel macht keinen Hehl daraus, wie sehr sie »fast körperlich« leide an den Spannungen, denen sie bei ihrem Hin und Her zwischen zwei Welten ausgesetzt ist. So stark ihre Rückbindung an die Heimat im Osten ist, so heftig ist auch der Wandertrieb, den der neue Beruf fördert. Wo ist ihre Heimat? Im Bonner Ministerium? Bei ihrem Lebensgefährten, dem Chemiker Joachim Sauer, in Berlin? Im Wahlkreis auf Rügen? Bei den Eltern in der Uckermark? »Nester« hat sie, kein Zuhause.

Immer zerren die unterschiedlichen Lebensgeschwindigkeiten an ihr - langsam ist das Tempo im Osten, obwohl viele Probleme drängender erscheinen und der Wunsch nach Veränderung auch. Im Westen dagegen, wo sonst alles zack, zack geht, haben alle Veränderungen, die sich aus der Vereinigung ergeben, offenkundig viel Zeit.

Gründe genug für ein verwischtes Persönlichkeitsbild, erklären sie nicht doch nur unzulänglich das Phänomen einer Frau, die voller Energie steckt und doch kaum Ausstrahlung hat? Sollte da nicht eine persönliche Problematik hinzukommen?

Die Damen der Frauen-Union von Mecklenburg-Vorpommern horchen auf, als ihnen ihre Ministerin nach allerlei vagen Appellen zum Wahlengagement zuruft: »Frauen müssen streitbar sein.« Es sei Zeit, daß die Unionsherren endlich begriffen, »daß wir Frauen auch unbequem sein können, ja, im Interesse der Partei und ihrer Wahlchancen auch unbequem sein müssen«.

Habt doch Verständnis, werte Herren - ach je. Was als flammender Aufruf anhebt, verkleckert im Flehen um die Zustimmung der Männer. Nein, als Frauenministerin erscheint Angela Merkel alles andere als eine Idealbesetzung.

Die manchmal fast knabenhaft wirkende Ministerin wehrt sich dagegen, »mit klischeehaften Erwartungen an Weiblichkeit konfrontiert zu werden«. Wenn Angela Merkel Zeitung liest, dann schlägt sie zuerst die Wirtschaftsseiten auf, vertieft sich dann in Berichte über die Forschung und wendet sich der Politik zu. Erst am Ende kommen Frauenthemen dran, unter »Sonstiges« sozusagen.

Am liebsten beweist sie sich in männlichen Kontexten. In der Union vermißt sie die weibliche Solidarität, auch bei Rita Süssmuth und den anderen CDU-Schwestern. Die Ministerin, die auch für Jugend zuständig ist, kann mit Skins und Punks eben besser reden als mit ihresgleichen. Sie ist stolz darauf, vor körperlichen Bedrohungen gewalttätiger Rechtsradikaler nicht zurückzuweichen. Und sie ist noch stolzer auf ihre naturwissenschaftliche Logik: »In Bonn mußten einige erkennen, daß nicht nur die Juristen denken können in dieser Welt.«

Zu sein wie die Männer, nur besser - dieses Karrieremuster der Angela Merkel ist nicht erst in der Politik entstanden. Den Auftrag »Du mußt besser sein als alle anderen« erhielt sie von ihrer Mutter. Das Modell, das sich zum Nacheifern anbot, war der Vater. Den hieß es zu überbieten, ohne ihn zu kränken.

Vater Merkel, der Anfang der fünfziger Jahre in Hamburg studiert hatte und dort lebte, war freiwillig auf eine Pfarrstelle zurück in die heimische Mark Brandenburg gegangen. Die Tochter hat ihn dafür lebenslang kritisiert. Sie setzte ein idealisiertes Kapitalismus-Modell gegen seine Utopie eines idealistischen Sozialismus.

Je näher der Vater dann in der Spätzeit der DDR an alternative Gruppierungen geriet, desto entschiedener distanzierte sich die Tochter von allen basisdemokratischen Experimenten. »Ich bin ein bürgerlicher Mensch«, sagt sie. »Es war einfach nicht mein Lebensstil, nächtelang zu diskutieren in verräucherten Buden. Ich bin da konservativ.«

An politischen »Vätern«, denen sie nach außen loyal folgt, ohne ihnen in vertraulichen Gesprächen ihre inhaltlichen Abweichungen und Vorbehalte zu verbergen, ist im kurzen politischen Leben der Angela Merkel kein Mangel. Sie hat diese Männer bisher nicht nur alle überlebt, sie ist auch über sie hinausgewachsen - über den Rechtsanwalt und Stasi-Spitzel Wolfgang Schnur vom Demokratischen Aufbruch, wie über ihre CDU-Chefs aus der Volkskammerzeit, Lothar de Maizière und Günther Krause.

Und Helmut Kohl? Es ist in Bonn ein offenes Geheimnis, daß der Bundeskanzler an »dem Mädchen«, wie er besitzergreifend zu sagen pflegt, ein Wohlgefallen hat. Helmut Kohl lobt ihre politische Treue, achtet ihren Fleiß und die Zähigkeit, mit der sie mangelnde Härte auszugleichen sucht, schätzt ihren Machtinstinkt, ihren historischen Sinn und ihr Gespür für Atmosphäre.

Vor allem behagt dem Kanzler, daß sie ihn so rückhaltlos bewundert. Mag sie ihm auch unter vier Augen widersprechen - ein Patriarch wie Kohl spürt, daß sie selbst da in seinem Sog mittreibt, wo sie gegen ihn anzuschwimmen meint.

Angela Merkel reagiert mit Empörung auf den Verdacht, des Kanzlers »brave Tochter« zu sein. Der Anpasservorwurf laufe ihr nach, solange sie im Amt ist. Gewiß, sie könne gut mit ihm reden, bekennt sie. Sie mag seinen Humor, staunt erstaunlicherweise, »daß er den Bezug zum normalen Leben nicht verloren hat« und bewundert, »wie er die Welt über Menschen wahrnimmt«.

»Ein Ergebenheitsverhältnis« möchte sie ihre Beziehung zu Kohl gleichwohl nicht genannt wissen.

Doch kriegt sie, wenn es darauf ankommt, in geheimen Gesprächen offenbar auch kein Nein zustande. Schon ehe sie in Schwerin ihren härtesten Job übernahm, rutschten ihr bei öffentlichen Auftritten manches Mal vor Erschöpfung die Augen weg. Konnte sie sich nicht verweigern, als ihr Kohl auch noch die Bürde des Landesvorsitzes in der verrotteten CDU zwischen Schwerin und Greifswald aufnötigte? Der Kanzler wußte wohl, was er ihr zumutete. Er sagte es auch. »Jetzt wird das Mädchen erstmals halbwegs mit dem Ernst des Lebens konfrontiert.«

Hätte sie sich verweigern sollen? »Solche Haltung würde ich verachten«, versichert Angela Merkel und guckt so trotzig wie eine Kleistsche Prinzessin von Homburg. »So bin ich nicht. Das gehört nicht zu meinem Verständnis von Politik und Leben. Ich lasse mich in den Dienst nehmen.«

Ehrenvoll, gewiß. Aber kann sie sich bei soviel unerschütterlicher Loyalität eigentlich wundern, daß Eigenständigkeit und Widerspruch öffentlich kaum wahrgenommen werden? Daß sie als politischer Nickesel des Kanzlers gilt? Gleichberechtigungsgesetz, Aufbau der Jugendhilfestruktur im Osten, die Kinderschutzkampagne - ihre eigene Erfolgsbilanz klingt blutleer und bürokratisch. Gegen die Enttäuschung, mit der viele Frauen auf ihren Kompromiß zum Paragraphen 218 reagiert haben, wiegen Angela Merkels Ergebnisse leicht.

»Ich muß härter werden«, redet sie sich ein, »sonst läuft gar nichts.« Aber die Härte, die nötig wäre, offen gegen väterliche Autoritäten aufzumucken und aus hierarchisch-patriarchalischen Strukturen auszubrechen, die meint sie nicht.

Als Angela Merkel im September im Hafen von Saßnitz aus dem Kutter »Sternhai« des Fischers Fritz Peters klettert, ist sie zutiefst deprimiert. Nicht nur die wirtschaftlich schwierige Lage der Fischer bedrückt sie, sondern auch die ungeschickte Politik ihrer eigenen Partei.

Solche wie Peters, der sich bitter beklagt, daß ihm im Namen der freien Wirtschaft unentwegt bürokratische Knüppel zwischen die Beine geworfen würden - solche unternehmungslustigen Typen »sind doch eigentlich die Leute, die wir wollen«.

Sie redet sich in Rage. Von wegen Ossi-Mentalität: »Der Peters setzt sich auf so ''ne Rostnudel und fährt unter Lebensgefahr Tag für Tag seine Geschäfte ein.« Und die Union läßt ihn im Stich. Ist es da ein Wunder, daß Wähler und Mitglieder in hellen Scharen der CDU weglaufen?

Knapp drei Monate später, nach den jüngsten Kommunalwahlen im Osten, sagt die Ministerin: »Ich weigere mich, das Brandenburg-Ergebnis als Kohl-Niederlage zu werten.«

Ihre Abwehr klingt aggressiv. Sie sei das ewige Gerede über seinen politischen Untergang leid. Der Bundeskanzler sei schon viel nervöser und schwächer gewesen als jetzt. »Solange ich dabei bin, die ganze angespannte Legislaturperiode lang, erlebe ich doch eine Situation, wo alles dauernd am Ende ist.«

Trotz? Nein, sie wird sich im Superwahljahr nicht kritisch absetzen vom Kanzler der blühenden Landschaften und seinen Fehlern. Im Gegenteil, sie wird, wie ihr väterlicher Chef, die »verbonzte«, »verkrustete« und »verfettete Republik« verantwortlich machen für alle Schwierigkeiten diesseits und jenseits der Elbe, den ganzen »Freizeitpark« Bundesrepublik Deutschland.

Diese Kohl-Formeln, die angeblich das ganze Land meinen, lassen sich im Osten trefflich gegen die Wessis deuten, ohne es ausdrücklich zu sagen.

Nicht, daß Angela Dorothea Merkel sich Siegeschancen versprechen könnte von solcher Strategie. Aber so ist sie eben, loyal. Und es mag ja auch reichen, um ihren mächtigsten politischen Vater zu überleben.

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