SPIEGEL Gespräch »Ich war niemals Pate von Camp David«
SPIEGEL: Majestät, seit über fünf Jahren führen Sie in der Sahara einen sehr teuren und sehr verlustreichen Krieg gegen die Polisario. Eines haben Sie damit offenbar erreicht: Das marokkanische Volk steht geschlossen hinter Ihnen. Zugleich aber blutet das Land aus, verschlechtert sich die Wirtschaftslage von Tag zu Tag. Haben Sie also wirklich etwas gewonnen?
HASSAN: Zunächst habe ich die Gewißheit gewonnen, daß es meinem Land sehr gut geht.
SPIEGEL: Wie das?
HASSAN: Wir haben den Saharakrieg schließlich 1975 begonnen, zu einer Zeit, als sich die ganze Welt in einer Wirtschaftskrise befand, als die Ölpreise stiegen und der Preis für Phosphat ...
SPIEGEL: ... eine Ihrer wichtigsten Devisenquellen ...
HASSAN: ... verfiel. Und wir haben den Krieg nicht nur begonnen, wir haben ihn auch durchgehalten, und jetzt sind wir dabei, ihn zu gewinnen. Wenn Marokko nicht ein gesundes Land wäre, hätten wir niemals gleichzeitig den Krieg fortsetzen, aufrüsten, neue Leute einstellen und ausbilden und dabei auch noch weiterhin unsere Entwicklungspläne erfüllen können, sei es auf dem Gebiet der Landwirtschaft, der Industrie oder in sozialer Hinsicht. Das alles habe ich gewonnen.
SPIEGEL: Und wie lange kann sich Marokko diesen Krieg noch leisten, der täglich über eine Million Dollar verschlingt, wenn zugleich Inflation und Arbeitslosigkeit unaufhaltsam steigen?
HASSAN: Zunächst einmal: Der Krieg kostet nicht jeden Tag eine Million.
SPIEGEL: Wieviel denn?
HASSAN: Ich will Ihnen sagen, was er kostet: ungefähr 200 000 Dollar pro Tag, so ungefähr. Jetzt sind es vielleicht 280 000 Dollar pro Tag, weil der Dollar teurer geworden ist. Im übrigen hat darüber das marokkanische Volk das entscheidende Wort zu sprechen. Wenn es den Krieg beenden will, dann werde ich ihn beenden, denn schließlich bin ich nur der Diener meines Volkes. Solange das Volk jedoch eine Fortsetzung des Krieges wünscht, wird er fortgesetzt. Und ich glaube nicht, daß das Volk für eine Beendigung ist. S.123
SPIEGEL: ... obwohl die Lebensmittelpreise um 40 Prozent steigen; obwohl Sie 40 Prozent Ihres Haushaltes für die Verteidigung ausgeben? 1982 werden Marokkos Deviseneinnahmen gerade noch reichen, um die Zinsen für Ihre Schulden zu bezahlen.
HASSAN: Hören Sie, ich war noch nie ein großer Finanzverwalter. Ich befasse mich mit Wirtschaft, aber nicht mit den Finanzen. Wenn Sie darüber mit meinem Finanzminister sprechen wollen, wird er Ihnen Auskunft geben.
SPIEGEL: Vor kurzem haben Sie erklärt: »Man führt nur Krieg, um zu Verhandlungen zu gelangen, man führt keinen Krieg um des Krieges willen.« Heißt das, daß Sie der Aufforderung der Uno folgen und direkte Verhandlungen mit der Polisario aufnehmen wollen?
HASSAN: Warten wir ab, bis der Krieg beendet ist, mit wem wir verhandeln. Prioritäten habe ich nicht. Auf jeden Fall glaube ich nicht, daß die Polisario der richtige Verhandlungspartner ist, denn schließlich repräsentiert sie nur einen winzigen Teil der Sahrauis ...
SPIEGEL: ... der Bewohner der bis 1975 spanischen Sahara.
HASSAN: Ich glaube, es ist eher eine Frage der nationalen Versöhnung. Denn, ich wiederhole, was ich 1975 gesagt habe: Die Angehörigen der Polisario sind reine Sahrauis. Aber erst wenn auch die letzte Provinz integriert ist, kann ich mich an alle Sahrauis wenden, die zur Polisario gehören.
Es sei hier feierlich und offiziell wiederholt, daß der König von Marokko, der Emir der Gläubigen, der Nachfolger des Propheten, ihnen Verzeihung garantiert und alles Geschehene vergessen wird. Aber das kann keine Frage von Verhandlungen sein, mit Marokkanern wird nicht verhandelt. Denjenigen, die auf Abwege geraten sind, wird verziehen. Ich werde sie einfach als Verirrte betrachten, wenn sie eines Tages wieder in die marokkanische Gesellschaft aufgenommen werden wollen.
SPIEGEL: Besteht nicht die Gefahr, daß Sie bis dahin in die Isolation geraten? Der Polisario fehlen zum Beispiel nur noch ganze fünf Stimmen, um offizielles Mitglied der Organisation für Afrikanische Einheit (OAE) zu werden.
HASSAN: Nach allem, was zur Destabilisierung in Afrika beigetragen hat, gerät nicht Marokko in die Isolation, wer mehr und mehr in die Isolation gerät, ist Monsieur Gaddafi. Wenn es jetzt, in diesem Augenblick, da ich zu Ihnen spreche, eine Gipfelkonferenz der Organisation für Afrikanische Einheit gäbe oder ein Treffen auf Außenministerebene, so würde nicht Marokko wegen Nichteinhaltung der Beschlüsse der Uno und der OAE verurteilt, sondern S.124 ein anderes afrikanisches Land, und das heißt Libyen.
SPIEGEL: Wegen Gaddafis Vorgehen im Tschad?
HASSAN: Nicht nur deswegen. Aber eines ist sicher: Marokko wird nicht isoliert bleiben. Denn schließlich ist eine ganze Reihe meiner Nachbarn oder meiner Freunde inzwischen zu der gleichen Erkenntnis gekommen, die ich schon immer vertreten habe: daß nämlich die Sahara-Affäre nicht etwa ein Krieg um einige tausend Quadratkilometer Land ist, sondern daß es dabei für Marokko in erster Linie um das Überleben geht. Das zeigt sich vor allen Dingen jetzt, denn die Ereignisse im östlichen Mittelmeerraum und im Tschad sind ein Beweis dafür, daß der Sahara-Krieg nicht nur geführt, sondern gewonnen werden muß.
SPIEGEL: Ist er überhaupt militärisch zu gewinnen?
HASSAN: Wir sind gerade dabei. Wenn Sie sich das ansehen wollen -ein Hubschrauber und ein Flugzeug stehen Ihnen anschließend zur Verfügung. Sie können sich dann an Ort und Stelle einen eigenen Eindruck verschaffen. Ich gebe Ihnen meinen Photographen mit, und Sie können photographieren, was Sie wollen ...
SPIEGEL: ... und was zu sehen ist, nämlich ausschließlich marokkanische Truppen, nicht aber Guerillas im Untergrund. Warum war es Ihnen eigentlich nicht möglich, die Grenze zu Algerien so hermetisch abzuschotten, daß die Verbände der Polisario nicht nach Marokko und in die ehemals spanische Sahara vordringen können?
HASSAN: Diese Frage werden Sie bestimmt streichen, sobald Sie das Terrain besichtigt haben. Natürlich hätten wir den Aggressor mit Granatfeuer belegen und eine Blockade verhängen können. Aber das hätte zu einem Krieg mit Algerien geführt.
SPIEGEL: Viele Ihrer Landsleute haben das ja auch gefordert, und Sie selbst haben mit Vergeltungsschlägen gegen algerisches Gebiet gedroht.
HASSAN: Viele Leute haben sich gefragt, warum wir es nicht auf einen solchen Krieg ankommen ließen. Und es war auch gar nicht einfach, ihrem patriotischen Elan zu widerstehen. Aber ich muß sagen, das Spektakel zwischen dem Irak und dem Iran, das wir jetzt im Fernsehen zu sehen bekommen, bestärkt uns doch in der Auffassung, daß die Algerier und die Marokkaner Gott danken müssen, keinen Krieg gegeneinander begonnen zu haben.
SPIEGEL: Ist nicht vieles auch darauf zurückzuführen, daß es an der Spitze Ihrer Armee keine fähigen Strategen mehr gibt, seit Sie nach den Putschversuchen von 1971 und 1972 Ihren Generalstab aufgelöst und das Oberkommando selbst übernommen haben?
HASSAN: Ich glaube, was 1971 und 1972 geschehen ist, war eine Wohltat Gottes, denn wir haben einen Wirbelsturm durchgestanden. Dieser Wirbelsturm war sehr heftig, er hat aber auch alles gereinigt und eine Klärung herbeigeführt. Mit den Anstiftern zweier Attentate wäre die königliche Armee nicht in der Lage gewesen, auf den Golanhöhen und auf der Sinai-Halbinsel zu kämpfen, den »Grünen Marsch« zu vollenden ...
SPIEGEL: ... der Spanien 1975 dazu bewegen sollte, die Westsahara freizugeben.
HASSAN: Ja. Und mit denen hätten wir jetzt auch keinen Krieg in der Sahara gewinnen können. Gott hat die königliche Armee von ihren Schweinehunden befreit. Und er hat Marokko seine besten Offiziere erhalten. So ist es nun einmal.
SPIEGEL: Aber der Generalstab ...
HASSAN: Solche Strategen wie die, von denen Sie sprechen, haben in der französischen Armee niemals mehr als eine Trompete kommandiert. Dies sei noch gewissermaßen in Klammern hinzugefügt.
SPIEGEL: In Marokko spricht man nur sehr selten von den Kriegsopfern, von den Toten und Verwundeten. Andererseits gibt es Berichte, wonach jede Seite ungefähr 10 000 Mann verloren habe. Wie viele Opfer hat es denn nun wirklich gegeben?
HASSAN: Ich habe die genauen Zahlen nicht im Kopf. Ich will sie Ihnen aber gern besorgen. Und ich will Ihnen noch etwas sagen: Hassan II. hat zwar nicht viele gute Eigenschaften, aber er legt großen Wert auf die, die er hat: Er ist bei seinen Gesprächspartnern in der ganzen Welt und bei seinem Volk als ein Mann bekannt, der die Wahrheit sagt. Marokko gibt Informationen, die Befreiungsfront Polisario macht Propaganda. Wenn wir also sagen, es gebe zehn Tote, dann sind es zehn und nicht 15. Wenn wir sagen, auf der Gegenseite seien 20 Tote gezählt worden, dann sind es 20 und nicht zehn.
SPIEGEL: Die Presse Ihres Landes bezeichnet die Kämpfer der Polisario zumeist als Söldner. Wieso eigentlich Söldner? Und in wessen Diensten?
HASSAN: Sie sind Söldner, weil sie nicht für sich selbst kämpfen, sondern S.125 für fremde Rechnung. Sie sind Söldner, denn der Polisario gehören immer weniger Sahrauis an und dafür immer mehr Leute aus Mali, Niger und dem Tschad, Leute, die vor der Hungersnot in der Sahelzone fliehen.
SPIEGEL: Für fremde Rechnung heißt doch wohl, wie Sie mehrfach erklärt haben, Algerien und Libyen. Haben Sie konkrete Beweise dafür?
HASSAN: Wissen Sie, viele Journalisten haben an Ort und Stelle Kisten mit den Aufschriften »Tripoli« und »Libye« gesehen. Wir wissen doch, daß Libyen kein Industrieland ist, daß Libyen keine Waffen produziert, auch keine Munition. Wenn man nun die hochentwickelten Waffensysteme sieht, die die Polisario im Kampf verwendet, dann weiß man: Hier wird täglich ein wahrer Niagarafall an Dollar ausgegeben, und auf uns prasselt ein Eisenhagel hernieder. So etwas kann man sich doch nur mit dem Geld aus Libyen leisten. Und Libyen macht aus seiner Hilfe auch gar kein Geheimnis.
SPIEGEL: Wie hilft Algerien, außer daß es der Polisario, in Tinduf etwa, Unterschlupf gewährt?
HASSAN: Haben Sie eigentlich außer der Sahara kein anderes Thema? Sonst können wir uns darüber noch den ganzen Tag unterhalten!
SPIEGEL: Doch, wir haben auch noch andere Fragen. Aber warum und wie hilft Algerien der Polisario?
HASSAN: Bei uns gibt es ein Sprichwort, das vom Propheten überkommen ist und das lautet: Trachtet danach, über Tote nur Gutes zu reden.
SPIEGEL: Das kannten auch die alten Lateiner schon. Aber wenn Sie von Toten reden, meinen Sie offenbar den früheren algerischen Staatspräsidenten Boumedienne.
HASSAN: Ja, die Polisario wurde von Präsident Boumedienne selbst betreut. Das war eine politische Angelegenheit.
SPIEGEL: Aber hat sich die Haltung Algeriens nach dem Tod Boumediennes nicht erheblich geändert?
HASSAN: Diese Frage sollten Sie lieber der anderen Seite stellen.
SPIEGEL: Zumindest im Westen hat sich der Eindruck verstärkt, daß Algerien unter seinem neuen Präsidenten Schadli eine wesentlich liberalere Haltung einnimmt.
HASSAN: Inzwischen ist den Algeriern immer klarer zum Bewußtsein gekommen, daß die Polisario der Feind Marokkos und Algeriens ist. Auf lange Sicht ist das eine Verschwörung gegen Marokko und Algerien.
SPIEGEL: Es gibt Berichte und Gerüchte, wonach Sie bereits mit Algerien verhandeln. Stimmt das?
HASSAN: Nein.
SPIEGEL: Bonns Kanzler Helmut Schmidt war gerade zu Besuch bei S.126 Ihnen, ebenso Englands Außenminister Lord Carrington. Bonns Außenminister Genscher wiederum reiste nach Algerien. Können die Europäische Gemeinschaft oder einzelne europäische Länder irgend etwas tun, um den Friedensprozeß im Nahen Osten und in der Sahara zu beschleunigen?
HASSAN: Der Nahe Osten ist meiner Meinung nach wichtiger, und ich glaube, daß die Europäische Gemeinschaft sehr wohl etwas tun kann. Im übrigen hat sie das ja auch schon durch ihre Erklärungen zur Räumung der von Israel besetzten Gebiete und zu den Rechten des palästinensischen Volkes bestätigt.
Zu berücksichtigen bleibt allerdings, daß man -- und das habe ich schon immer gesagt -- im Nahen Osten ohne Rußland keinen Frieden erreichen kann. Nur die Europäer können Amerika dazu bringen, auf Camp David zu verzichten und die UdSSR in die Friedensbemühungen im Nahen Osten einzubeziehen. Zu glauben, eine Drei-Parteien-Lösung zwischen Ägypten, Israel und Amerika könne zu einem dauerhaften Frieden führen, ist eine Illusion.
SPIEGEL: Unter den sogenannten gemäßigten Arabern galten Sie lange Zeit als Pate der Verträge von Camp David und auch als geheimer Verbündeter Präsident Sadats ...
HASSAN: Zunächst einmal: Dies ist kein »gemäßigtes«, sondern ein vernünftiges Land. Wenn wir allerdings in Wut geraten sollen, dann können wir das ebensogut wie die anderen. Wir können ebenso verrückt spielen wie jeder andere. Aber wenn Marokko verrückt spielt, wird es gefährlich.
Und außerdem: Ich war niemals Pate von Camp David -- weder auf italienische Art noch im juristischen Sinne. Als Präsident Sadat nach Jerusalem reiste, wußte ich im Gegensatz zu den anderen Staatschefs vorher überhaupt nicht Bescheid darüber. So war das. Dennoch durfte man eine historische Gelegenheit wie die Reise nach Jerusalem nicht ungenutzt vorübergehen lassen, ohne dafür nun gleich eine Erfolgsgarantie zu übernehmen. Ich war vielleicht der einzige arabische Staatschef, der Präsident Sadat dazu beglückwünschte, denn es war ja immerhin eine mutige Tat.
Ich glaube außerdem, daß man jede Gelegenheit zu Verhandlungen wahrnehmen muß. Wenn sie nicht gleich zum Erfolg führen, muß man es erneut versuchen. Und wenn die Israelis wirklich einen gerechten und unparteiischen Frieden schließen wollen, sind wir die ersten, die ihnen helfen, und dazu bereit, Risiken auf uns zu nehmen. Aber genauso wie schon 1973 werden wir auch zu den ersten gehören, die gegen sie kämpfen, wenn sie wollen, daß alles wieder von vorn anfängt.
SPIEGEL: Wie wollen Sie denn den Israelis helfen?
HASSAN: Einen Augenblick bitte, ich bin mit Camp David noch nicht fertig. Als Präsident Sadat aus Camp David zurückkehrte, bat er mich, hier zwischenlanden zu dürfen. Er gab einen zusammenfassenden Bericht über die Beschlüsse von Camp David, die er als Rahmenvertrag definierte, in dem die bilateralen Beziehungen zwischen Ägypten und Israel geregelt seien.
Diese Regelung, so erklärte er uns, schließe eine gerechte Lösung der Probleme der Golanhöhen, Jerusalem und Palästinenser aber keineswegs aus. Dann sagte er mir, er wolle eine Pressekonferenz geben. Ich erwiderte: Herr Präsident, wenn Sie mir sagen, was Sie auf der Pressekonferenz sagen werden, dann bereite ich sie vor. So bin ich mit Präsident Sadat verblieben.
Dann stellte sich aber heraus, daß die Verträge eine doppelte Interpretation zuließen, daß sie voller Zweideutigkeiten und Unklarheiten waren, so daß sowohl der eine als auch der andere recht haben konnte. Mir wurde klar, entweder hatte mich Präsident Sadat betrogen, oder aber man hatte ihn betrogen. Auf jeden Fall konnte ich nicht mehr damit einverstanden sein.
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Wäre ich der Initiator von Camp David gewesen, wären die Verträge besser ausgefallen. Aber das ist nun leider nicht der Fall.
SPIEGEL: Nun wird aber behauptet, daß sich Israels Mosche Dajan und Hassan Tohami, der Vertreter Präsident Sadats, im September 1977 hier in Marokko getroffen hätten. Und es wurde auch berichtet, im Oktober 1976 habe sich der damalige israelische Premier Rabin auf Ihre Einladung drei Tage lang in Rabat aufgehalten. Wenn das denn stimmt, wäre es doch Grund genug, Sie als einen der Paten von Camp David zu bezeichnen.
HASSAN: Präsident Saddam Hussein vom Irak hat mich das auch gefragt: Stimmt es, daß Mosche Dajan und Hassan Tohami sich bei Ihnen getroffen haben? Darauf habe ich ihm folgendes geantwortet: Schauen Sie, entweder wollten die beiden sich treffen -- warum kommen sie dann in ein arabisches Land? Sie könnten auf die Bahamas gehen oder sonstwohin. Oder man wollte sie zwingen, sich zu treffen. Welche Macht kann Marokko schon ausüben, um die beiden hierhin oder dorthin zu bringen, damit sie sich unbedingt treffen? Das ist doch unlogisch.
Zweitens: Ich weiß, daß viele führende Israelis nach Marokko kommen wollten. Ich habe verlautbaren lassen, sie seien herzlich willkommen. Nur eines verbietet sich für mich als König: Tourismus. Deshalb habe ich erklärt: Wenn Sie mit einem festen Plan kommen, mit ernsthaften Vorschlägen, dann bitte sehr. Aber wenn Sie nur als Touristen kommen wollen, dann bleiben Sie besser zu Hause.
SPIEGEL: Wären Sie denn bereit, zwischen Israel und den übrigen arabischen Ländern zu vermitteln?
HASSAN: Nein. Nicht etwa weil ich davor Angst hätte, sondern weil ich glaube, daß für eine Vermittlerrolle bestimmte geographische Voraussetzungen gegeben sein müssen. Ich bin zwar Araber, aber ich habe keinen sechsten Sinn, ich verfüge nicht über das taktische Gespür, das Gefühl für die Atmosphäre, die 6000 Kilometer von hier herrscht. Ich könnte beispielsweise zwischen Spanien und dem Senegal oder Algerien vermitteln, denn dies hier ist mein Gebiet, hier bin ich geboren, hier S.127 kenne ich mich aus. Man muß wirklich in jener Gegend geboren sein, in der man vermitteln will.
SPIEGEL: Henry Kissinger kommt also auch nicht in Frage?
HASSAN: Nein, er ist zwar Jude, aber er wurde nicht dort geboren. Es muß jemand sein, der dort geboren wurde und der Arabisch spricht. So ein Vermittler würde die Verhältnisse besser verstehen.
SPIEGEL: Vor dem National Press Club in Washington haben Sie im November 1978 erklärt, der arabische Boykottaufruf gegen Ägypten sei mehr eine intellektuelle Pose als eine praktische Maßnahme; und bis April 1979 haben Sie ja zumindest auch noch diplomatische Beziehungen zu Kairo unterhalten. Warum haben Sie die abgebrochen -- auf Druck Saudi-Arabiens, das Marokkos Haushalt finanziert?
HASSAN: Also wissen Sie ... Na ja, wir Marokkaner sind keine Europäer. Wir ändern unsere Meinung nicht wegen eines Dollars pro Barrel Öl. Und es ist nie davon die Rede gewesen, daß wir unseren Standpunkt ändern sollten, denn man bezahlt uns weder unseren Haushalt noch unser Öl. Ich kann Ihnen unsere Öl-Rechnungen zeigen, wir zahlen den gleichen Preis wie Ihr Land.
SPIEGEL: Warum war es eigentlich den -- wie Sie sagen -- vernünftigen arabischen Ländern nicht möglich, Präsident Sadats Friedensinitiative vorbehaltlos zu unterstützen? Das hätte seiner Position in den Verhandlungen mit Israel doch sehr viel mehr Gewicht gegeben.
HASSAN: Wir konnten das nicht. Persönlich glaube ich, Präsident Sadat hätte anders vorgehen sollen. Wenn mein Land besetzt wäre, würde ich eine Konferenz der arabischen Länder vorschlagen und ihnen erklären: Wir sind alle betroffen, weil es keinen Separatfrieden geben darf. Aber solange wir nichts unternehmen, erreichen wir den Frieden nicht, und ich will mein Land befreien. Entlaßt mich aus meinen Verpflichtungen, so daß ich die Freiheit habe, mein Land zu befreien. Dann wäre alles klar gewesen, jeder für sich, mindestens für zehn Jahre. Aber man kann nicht zur selben Zeit solidarisch sein wollen und auf eigene Faust handeln. Das ist ein Widerspruch, darüber sind wir uns alle einig. Und wenn wir Araber uns nun mal einig sind, dann reden Sie uns doch keine Gegensätze auf.
SPIEGEL: Sie sind Vorsitzender des Jerusalem-Ausschusses der arabisch-islamischen Staaten. Wie soll das Jerusalem-Problem Ihrer Meinung nach gelöst werden?
HASSAN: Marokko nimmt nicht für sich in Anspruch, den Stein der Weisen für die Lösung des Jerusalem-Problems allein zu besitzen. Ich habe um eine gewisse Bedenkzeit gebeten, und ich stehe in ständiger Verbindung mit einer Reihe meiner Partner, und wir haben auf jeden Fall schon einiges entschieden. Wir wollen den geographischen Umständen Rechnung tragen -- was in Marokko vor sich geht, ist nicht dasselbe, was in Katar geschieht --, den Zwängen, die sich aus der Nachbarschaft ergeben, und den Möglichkeiten jedes einzelnen, sich zu engagieren.
SPIEGEL: Sie haben wegen Jerusalem den Heiligen Krieg ausgerufen. Was bedeutet das -- eine militärische Lösung, Einsatz islamischer Freiwilliger?
HASSAN: »Dschihad« bedeutet nicht Krieg, Dschihad bedeutet Mobilisierung. Wenn also ein Land den Dschihad ausruft, muß es alle seine Kräfte mobilisieren, die intellektuellen, die finanziellen, die menschlichen, das Militär, die Künstler, die Massenmedien. Das ist eine Mobilisierung aller verfügbaren Energien mit dem Ziel, ein Ergebnis zu erreichen, das der heiligen Mission entspricht. Der Dschihad wird nicht für ein x-beliebiges Ziel ausgerufen, sondern für eine heilige Sache, aber er ist nicht spezifischerweise oder ausschließlich ein Krieg. Allerdings schließt er auch nicht unbedingt einen Krieg aus.
SPIEGEL: Sie haben Präsident Sadat im vorigen Jahr in einem Brief aufgefordert, alles zur Lösung des Jerusalem-Problems zu tun. War das ein erster Schritt, den verfemten Sadat in der arabischen Welt wieder hoffähig zu machen?
HASSAN: Ja, das war es tatsächlich. Schließlich gibt es wohl keinen vernünftigen Araber, der sich eine arabische Welt ohne Ägypten wünscht, keinen einzigen.
SPIEGEL: Auch Gaddafi nicht?
HASSAN: Ich wurde mal gefragt, ob Gaddafi, wenn er im Besitz der Atomwaffe wäre, diese auf Kairo werfen würde. Ich habe geantwortet: Nein. Ägypten bleibt für Gaddafi der große Freund.
Als ich meine Botschaft an Sadat richtete, habe ich ihn nicht aufgefordert, seine Unterschrift zurückzuziehen oder die Verträge von Camp David zu zerreißen, ich habe ihn einfach aufgefordert, die Verhandlungen offiziell abzubrechen, da Israel Jerusalem endgültig eingegliedert hat.
SPIEGEL: Hatten Sie wirklich erwartet, daß er das tun würde?
HASSAN: Ich habe es von ganzem Herzen gehofft.
SPIEGEL: Wie beurteilen Sie denn nun die Friedensaussichten im Nahen Osten?
HASSAN: Wenn ich an Israels Stelle wäre, hätte ich die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten, aber ich müßte schnell handeln. Israel besitzt zum Beispiel Atombomben, ungefähr 15 Stück. Entweder werfe ich nun auf jede arabische Hauptstadt eine Atombombe, und zwar sofort, oder aber ich verhalte mich wie ein seriöses Land, und zwar ebenfalls sofort.
Denn in zwei Jahren wird jeder eine Atombombe haben. Niemand sollte glauben, daß die Araber technologisch im Rückstand bleiben werden. Tausende und Abertausende von palästinensischen, kuweitischen, saudischen Wissenschaftlern gehen jedes Jahr in die USA und kommen als hochqualifizierte Wissenschaftler zurück. In zwei Jahren wird unser technologisches Niveau sehr, sehr hoch sein.
Technologie plus Erdöl plus Dollar -- jeder kann sich selbst vorstellen, S.128 welche Möglichkeiten in dieser Kombination stecken. Daher sage ich: Wenn ich Israel wäre, entweder sofort auf jede arabische Hauptstadt eine Atombombe oder aber sofort ernsthafte Friedensbemühungen. Denn in zwei Jahren wird sich alles geändert haben.
SPIEGEL: Sehen Sie Anzeichen für solche ernsthaften Bemühungen?
HASSAN: Die Israelis wollen einfach nicht. Bei Begin kann man ja sowieso nicht von Verhandlungen sprechen, auch nicht von Frieden.
SPIEGEL: In Israel gibt es bald Neuwahlen. Glauben Sie, mit einem anderen israelischen Politiker wären die Aussichten besser?
HASSAN: Wenn Begin fällt, würde mich das sehr ärgern, denn von allen Israelis verteidigt er die Politik der Araber am besten. Die Dummheiten, die er macht, kommen uns zugute. Er leistet uns in der ganzen Welt einen enormen Dienst.
SPIEGEL: Und wie sehen Sie Ihre eigene Zukunft, die Zukunft des Maghreb -- mit wirtschaftlich und militärisch übermächtigen Nachbarn wie Libyen und Algerien? Vor ungefähr einem Jahr haben Sie prophezeit, 1980 werde es im Saharakrieg Frieden zu Ihren Bedingungen geben. Wir schreiben jetzt 1981. Wagen Sie eine neue Prophezeiung?
HASSAN: Man wird sich bei einer Voraussage für zwölf Monate doch wohl um einen Monat irren dürfen. Statt Ende Dezember 1980 wird es nun Ende Januar 1981 sein.
SPIEGEL: Und dann? Haben Sie keine Angst, daß sich zum Beispiel die iranische Entwicklung, die Übernahme der Macht durch den Islam, auch in Marokko wiederholen könnte?
HASSAN: Nein. Denn ich bin überzeugt, daß gewisse Schiiten, und zwar auch die unter Chomeini, den Islam geschwächt haben. Das ist eine Gruppe, die blind ist, in sich abgeschlossen, sektiererisch. Diese Schiiten repräsentieren nicht den Islam, der in der Lage war, über Europa, Spanien und Marokko der Welt die Naturwissenschaften zu bringen, eine geistige Blüte.
Man darf also erwarten, daß die 800 Millionen Moslems, die zum größten Teil in der Dritten Welt leben, eines Tages dessen überdrüssig werden, sich manipulieren zu lassen. Zu glauben, daß das, was im Iran geschehen ist, sich in Marokko wiederholen werde, ist meiner Meinung nach reine Hypothese. Niemand wird daran gehindert, sich so etwas vorzustellen, aber dennoch ist es nicht vorstellbar. Es ist unmöglich und unvorstellbar.
SPIEGEL: Majestät, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
S.122Mit Redakteuren Heinz P. Lohfeldt und Adel S. Elias in einem Zeltauf dem königlichen Golfplatz.*S.126Anfang Januar in Marrakesch.*S.127Im September 1978 in Rabat nach Sadats Rückkehr aus Camp David.*