Zur Ausgabe
Artikel 13 / 82

Bonn »ICH WILL KEIN GEGENPOL SEIN«

aus DER SPIEGEL 21/1970

SPIEGEL: Herr Minister, Sie gelten den jungen Linken als »Symbolfigur des ziellosen Pragmatismus«. Fühlen Sie sich durch Ihre Wiederwahl rehabilitiert?

SCHMIDT: Es ist anmaßend, wenn einige junge Leute sagen, sie sprächen für alle. Wenn ich wirklich für alle jungen Leute eine »Symbolfigur des ziellosen Pragmatismus« wäre, dann hätte mich nicht eine so deutliche Mehrheit des Parteitags gewählt.

SPIEGEL: Sehen Sie sich als Gegenpol zur Linken bestätigt?

SCHMIDT: Einige Linke möchten gerne aus mir einen Gegenpol machen, ich war nie einer und will auch keiner sein.

SPIEGEL: Sehen Sie in Ihrem Abstimmungssieg einen persönlichen Triumph oder eher den Ausdruck des Unwillens der Parteigemeinschaft gegen die taktisch ungeschickten Linken?

SCHMIDT: Weder noch. Das Abstimmungsergebnis spiegelt die Kontinuität der Partei wider. Es ist fast genau dieselbe Stimmzahl, die ich auf dem Nürnberger Parteitag vor zwei Jahren bekommen habe. Ich habe in dieser Zeitspanne meine Meinung zu allen Fragen immer, wie ich denke, mit wünschenswerter Klarheit gesagt - öffentlich und parteiintern. Ich finde es gut, daß jedermann in Deutschland sehen kann, daß innerhalb der SPD Meinungsverschiedenheiten offen ausgetragen werden. Daß dabei auch bisweilen harte Worte fallen - weniger von meiner Seite -, ist gut.

SPIEGEL: Hätte die Parteiführung nicht klüger gehandelt, einen dieser jungen Linken auf die Vorschlagsliste für den Parteivorstand zu nehmen, um diese Leute dadurch in die Verantwortung mit hineinzunehmen?

SCHMIDT: Der Parteivorstand ist in seinen politischen Handlungen nicht bestimmt von Tagestaktik. Aber er hat den jüngeren aktiven Teil der Partei mit einbezogen.

SPIEGEL: In den Parteitags-Diskussionen und bei der Kandidatenaufstellung für den Vorstand zeigte sich, daß die Parteimitte im Vergleich zur Linken keinen Nachwuchs präsentieren kann.

SCHMIDT: Ich glaube, der Eindruck führt irre, weil die, die sich für links halten, besonders lautstark auftreten. Für die Mitte nenne ich zum Beispiel Hans Apel.

SPIEGEL: Gehört der nicht schon zum Establishment?

SCHMIDT: Nun hören Sie auf mit diesem Modewort. Der Mann ist doch keine 40 Jahre alt. Er ist nach den albernen Maßstäben der deutschen Politik ein junger und übrigens sehr tüchtiger Mann, der bereits eine bedeutende Funktion als stellvertretender Fraktionsvorsitzender hat. Das zeigt, daß wir mit jungen Leuten durchaus arbeiten wollen.

SPIEGEL: Die Linke hat einen entscheidenden Abstimmungssieg errungen: die Einberufung eines Sonderparteitags über gesellschaftspolitische Reformen im nächsten Jahr. Will der Parteivorstand diesen Einbruch mit seinem »Langzeit-Programm 1972«, über das erst 1972 diskutiert werden soll, konterkarieren?

SCHMIDT: Nein, die Idee zum Langzeit-Programm ist ja älter als jene Parteitagsabstimmung. Auch in meiner Eröffnungsrede war dazu schon ein Hinweis enthalten. Ich hoffe, daß man das Programm zum großen Teil bis 1971 klarkriegen kann. Hier muß sehr gearbeitet und gerechnet werden.

SPIEGEL: Kann also das Langzeit-Programm 1972 schon 1971 diskutiert werden?

SCHMIDT: Ich nehme an, daß dafür Ansätze vielleicht schon dasein werden. Die eigentliche Entscheidung erwarte ich später.

SPIEGEL: Klaus Schütz hat gesagt, die eigentliche Kraftprobe zwischen Establishment und Linken finde vermutlich erst nach der nächsten Bundestagswahl statt. Akzeptieren Sie diese Wertung?

SCHMIDT: Nein, es gibt niemals ein entscheidendes Jahr. Innerhalb der SPD hat es 107 Jahre lang Meinungsverschiedenheiten, Auseinandersetzungen und Meinungsbildungsprozesse gegeben. Die SPD ist ein Prozeß und nicht ein Zustand, schon gar nicht ein Establishment.

SPIEGEL: Worauf führen Sie es zurück, daß Herbert Wehner diesmal mehr Stimmen bekommen hat als Sie?

SCHMIDT: Weil die von Ihnen so genannten Linken sich diesmal entschlossen haben, ihn zu wählen; in Nürnberg haben sie Ihn nicht gewählt.

SPIEGEL: Welche Zukunftschancen geben Sie den Jungsozialisten In der Partei?

SCHMIDT: Große.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 13 / 82
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren