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»Ich wirke oft farblos und nüchtern«

SPIEGEL-Reporter Jürgen Leinemann über den Kanzler-Berater Horst Teltschik *
Von Jürgen Leinemann
aus DER SPIEGEL 47/1985

Ein Geheimnis war es nie in Bonn, daß Horst Teltschik, 45, der »alte Grantler«, wie sein Chef Helmut Kohl zu sagen pflegt, ein gewittriger Mann sein kann. Dennoch wirkt es etwas verwunderlich, wie abrupt der robuste Berater des Kanzlers für Außenpolitik aus preisenden Erklärungen zur »faszinierenden« und »gewaltigen« Herausforderung des amerikanischen Rüstungsaufbruchs ins All, kurz SDI genannt, plötzlich auffährt und scharf hervorstößt: »Ich bin fest entschlossen, nie mein Rückgrat brechen zu lassen nur wegen einer Scheiß-Karriere.«

Sieh da, Kohls Kissinger, wie die Amerikaner den ehrgeizigen jungen Beamten gezielt auf seine Eitelkeit nennen, hat also die Nase voll. Stand in einer Zeitung nicht etwas über eine mögliche Kandidatur für den Bundestag? In seinem Heimatort Tegernsee wird ein Wahlkreis frei. Teltschik winkt ab: »Da kann man mal sehen, was entsteht, wenn man so rumflachst.«

Es folgen noch ein paar grummelnde Nachbemerkungen des Inhalts, daß er schon morgen seine Arbeit auch »ganz woanders« machen könne, dann fallen ihm seine Frau und seine zwei Kinder ein, das Gewitter verflackert in ernüchternden Überlegungen zur Pensionsregelung für Beamte. Und wenig später zaubert Horst Teltschik wieder jene nervende Freude am Regieren auf seine Züge zurück, die Helmut Kohl seiner Mannschaft vor drei Jahren offenbar als Ergänzung zum Amtseid abverlangt hat.

Gleichwohl ist unverkennbar, daß der Mann, den sie im Kanzleramt »das As« nennen und im Auswärtigen Amt »den Amateur«, in den letzten Monaten die Kehrseite einer steilen Karriere deutlicher kennengelernt hat, als ihm lieb ist. Nicht zu übersehen ist auch, daß er damit noch nicht im reinen ist.

Der Name des Mannes, der ihn öffentlich als Laien abzumeiern pflegt, fällt nicht in diesem Zusammenhang. Mit Hans-Dietrich Genscher »gibt es keine Konflikte«, grinst Teltschik und breitet die Arme aus: »So ist eben Politik. Ich finde das irgendwie amüsant.«

Theoretisch war Horst Teltschik immer klar: »Je exponierter man ist, desto größer wird die Gefahr, ins Feuer der Auseinandersetzungen zu geraten.« Praktisch aber irritiert ihn die Erfahrung, daß auf einmal seit Jahren übliche Verhaltensweisen - eigenständiges Handeln, freimütige Presseäußerungen, politisches Engagement und enge Beziehungen zu ausländischen Regierungsvertretern - nicht mehr Lob einbringen, sondern Tadel von allen Seiten.

Von Kanzler Kohl gab es zwei »väterliche Ermahnungen«, wie Mitarbeiter berichten. »Zu Recht«, findet Teltschik. Rücktrittsforderungen kamen aus den Reihen des Koalitionspartners FDP, Vorwürfe und Hohn über seinen »Dilettantismus« von Experten des Auswärtigen Amtes. Und selbst seine Frau äußerte Mißfallen über »großprotzige« Sprüche in einem Interview.

Zwischen Zorn, Belustigung und Selbstzweifeln schwankend, sagt Teltschik: »Dabei habe ich im Prinzip fortgesetzt, was ich immer gemacht habe« - vier Jahre als Redenschreiber des Ministerpräsidenten Kohl in Mainz. Sieben Jahre als Bürochef des Fraktionsvorsitzenden in Bonn und nun schon drei Jahre beim Kanzler. Erst langsam beginnt ihm zu dämmern, daß es noch lange nicht dasselbe ist, wenn einer dasselbe macht unter veränderten Umständen.

Das ist eine recht befremdliche Erkenntnis für den Chefberater eines Kanzlers, unter dessen Amtsführung das außenpolitische Gewicht der Bundesrepublik rapide abgenommen hat. Im Übermaß konzentriert auf Liebesgesten gegenüber dem Großen Bruder in Washington, die dann auch noch - wie die Bitburger Show - grotesk mißglücken, scheint Bonn derzeit für die Sowjets kein vorrangiger Partner mehr und für Mitterrands Frankreich eine großmäulige europäische Enttäuschung.

Saudis und Israelis fühlen sich gleichermaßen durch mangelndes Fingerspitzengefühl verprellt. In der Dritten Welt ist Bonn inzwischen zusammen mit Washington Reaktionär Nummer eins.

Nun mag Horst Teltschik, der mit seinem Chef die Welt natürlich viel optimistischer sieht, nicht für alles persönlich haftbar sein. Aber was hat er verhindert? Wäre es ohne seine Beratung vielleicht noch schlimmer? Als ein Mann, der wie Helmut Kohl ein Faible hat für emotionsmächtige Symbole in der Politik, wird er ahnen, daß er selbst eine Symbolfigur zu werden beginnt - für den Mißbrauch der Weltpolitik als Objekt ständigen und kleinlichen Gezerres in der Bonner Koalition.

Vordergründig hat er schnelle Erklärungen zur Hand. Die amerikanische »Strategic Defense Initiative« (SDI) ist - so Teltschik - eine so »ambivalente Materie«, daß, wer sich mit ihr befaßt, »automatisch im Konflikt ist«.

Auch daß er sich als Leiter der Kanzleramts-Abteilung Zwei - »Auswärtige

und innerdeutsche Beziehungen, Entwicklungspolitik, äußere Sicherheit« - auf einem gefährlich schmalen Grat zwischen den Interessen von Auswärtigem Amt und Regierungszentrale bewegt, ist ihm vertraut.

Wenn dazu noch Rivalitäten zwischen Kohl und Genscher kommen, wird es ganz schlimm. Der Kanzler kann den Außenminister mit Teltschiks Solo-Nummern ständig in Verlegenheit bringen. Genscher kann Kohl unentwegt einen Dilettanten schimpfen und dabei stets so tun, als meine er Teltschik. Es verwundert Teltschik deshalb auch keineswegs, daß ihn in einer Art Serien-Anpinkelung, die den Verdacht zentralgelenkter Wasserspiele nahelegt, gleich drei FDP-Landesvorsitzende - Walter Döring in Stuttgart, Manfred Brunner in München und Walter Rasch in Berlin - des Größenwahns zeihen und seinen Rücktritt fordern. So etwas gehört für den Bonner Politprofi zum Ritual von Koalitionsquerelen.

Aber so zutreffend diese Einschätzungen auch sein mögen, sie erscheinen dem bei aller Robustheit nicht unsensiblen Aufsteiger doch nicht hinreichend zur Erklärung seiner derzeitigen Schwierigkeiten. Vielmehr wird ihm erst jetzt richtig bewußt, daß sich mit seinem Wechsel in die Schlüsselposition des Kanzleramts »eigentlich über Nacht« seine Umwelt verändert hat: »Da kann man noch so sehr derselbe bleiben wollen, die Umgebung sieht einen mit ganz anderen Augen.«

Was immer Horst Teltschik fortan tat, wurde wichtiger, umstrittener, gefährlicher. Und gleichzeitig nahm die Zahl der offenen Kritiker ab, alte Weggenossen gingen auf Distanz, neue versuchten sich anzuhängen. »Da lernt man Menschen kennen.« Freunde nennt Teltschik heute jene, die ihm nach einem ungeschickten Interview sagen: »Horst, da hast du Mist gebaut.« Und jene, die ihn warnten, als Nachfolger von Waldemar Schreckenberger auch noch Staatssekretär und Chef des Kanzleramts werden zu wollen. Es waren nicht viele.

»So verstehe ich schließlich auch meine Aufgabe als Berater des Kanzlers«, sagt er. Tatsächlich ist Teltschik in der Umgebung Helmut Kohls der mutigste und unbequemste Helfer. Er mag nichts hören von einer Vater-Sohn-Beziehung. Er spricht von einem sehr vertrauensvollen Arbeitsverhältnis. An seiner Loyalität zu Helmut Kohl gibt es keine Zweifel. Das gilt auch umgekehrt.

Horst Teltschik wird diese Loyalität in Zukunft so nötig haben wie den kritischen Rat von Freunden. Der für seine Position noch junge Mann ist nicht nur aus den alten Bezügen herausgewachsen. Er hat auch mit den neuen Rollen Schwierigkeiten, weil sie einander behindern. Zum Teil liegt das in seiner Person, zum Teil ist es Folge seiner Funktion.

Auffällig ist, wie vorsichtig und trocken der in Bayern groß gewordene Sudetendeutsche in amtlicher Funktion zu formulieren pflegt. Einer saftigen und spontanen Ausdrucksweise durchaus nicht abgeneigt, zwingt er sich als Beamter bei politischen Auftritten zu allergrößter Vorsicht. Er wirkt gehemmt, fast scheu. Seine Reden sind zum Gähnen. »Ich weiß, daß ich oft farblos und nüchtern wirke«, untertreibt er, »das kommt, weil ich mich so konzentriere. Ich kann ja keine lockeren Sprüche loslassen.«

In Wahrheit ist der gelernte Politikwissenschaftler nicht ohne eigenen politischen

Ehrgeiz. »Die Frage, ob ich einmal in die aktive Politik gehe, hat mich immer begleitet.« Er hat sie noch nicht abschließend beantwortet. Das erleichtert seine Arbeit keineswegs.

Daß die SDI-Diskussion, die derzeit angeblich nur um Technologie und Forschung geführt wird, inzwischen längst zu einem Streit um die politische Entscheidung für oder gegen den Einstieg in ein militärisches Großprojekt geworden ist, liegt nicht zuletzt an der politischen Aura Teltschiks. Gern mimt er den »kleinen Ministerialdirektor« aus dem Kanzleramt, um die Bedeutung der von ihm geführten Delegation aus Beamten und Industriellen herunterzuspielen, der im Sommer in den USA so bereitwillig Türen geöffnet wurden. Doch daß diese Großzügigkeit vor allem »Kohls Kissinger« galt, weiß er sehr wohl.

Und er weiß natürlich auch - nur wird er es nie sagen -, daß sein Gewicht nicht zuletzt darauf beruht, daß er eben der »Kissinger« Helmut Kohls ist und nicht der eines Kanzlers Helmut Schmidt, der ihn nicht nur nicht gebraucht, sondern auch nicht geduldet hätte.

Das mildert weder Argwohn noch Eifersucht der Profis, noch nötigt es ihn zur Vorsicht. Verstärkt wird die Spannung überdies, weil Teltschik die Verachtung Kohls für Karrierediplomaten teilt.

Denn nur allzugut trifft sich diese Bewertung mit dem Stolz auf seinen eigenen Aufstieg vom wissenschaftlichen Assistenten zum außenpolitischen Top-Experten. Das hat amerikanisches Format in seiner Selbsteinschätzung, war geprägt von Risikobereitschaft und Arbeitswut.

Der Flüchtlingsjunge, der sich zum Bayern hochgerauft hat, der RCDS-Studentenführer, der sich 1968 in Berlin mit den Linken herumschlug, der »Außenseiter«, der sich mit der institutionalisierten Diplomatie anlegt - Horst Teltschik hat es immer auf die harte Tour geschafft. Und nichts deutet darauf hin, daß er jetzt bereit wäre, sein Lebensdrehbuch umzuschreiben.

So bleibt Teltschik ein ständiger Unruheherd in der Koalition. Er denkt gar nicht daran, seine Solo-Rolle als Kohls Kissinger zugunsten einer engeren Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt einzuschränken. Er findet es »wahnsinnig kleinkariert und idiotisch«, seinen Zugang zu den Schlüsselfiguren im Weißen Haus dadurch zu gefährden, daß er die Ergebnisse seiner Gespräche in die offiziellen diplomatischen Kanäle einspeist.

Nase voll? Auf dem Sofa in seinem Amtszimmer reckt sich Kohls Kämpfer. Seine Stimme wird laut und bayrisch, der ohnehin dicke Kopf schwillt an - ein neues Gewitter ist im Anzug. Doch dann lächelt er plötzlich, als habe er den Sieg schon errungen: »Ich mache das doch nicht kaputt, nur um die Neugier von einigen hier zu befriedigen. Das müssen die ertragen.«

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