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Peru Im Blutrausch

Mit Massakern will die Guerilla-Organisation »Leuchtender Pfad« die Herrschaft über die Landbevölkerung zurückgewinnen.
aus DER SPIEGEL 35/1993

Die Angreifer kamen um zwei Uhr nachts, und sie attackierten an drei Fronten zugleich. Ohne Schußwaffen, nur mit Macheten, Messern und Lanzen bewaffnet, fielen sie 300 Kilometer östlich von Lima über die Bewohner von sechs Dörfern der Ashaninka-Indianer her. Sie zerstückelten an die 60 Menschen, hackten Kindern Ohren und Finger ab.

Mit der grausigen Tat wollte der »Leuchtende Pfad« (spanisch: Sendero Luminoso) beweisen, daß seine Schlagkraft auch nach 13 Jahren Guerillakrieg ungebrochen ist, obwohl der Führer der maoistischen Terrororganisation, Abimael Guzman, seit fast einem Jahr im Gefängnis sitzt.

»Der Leuchtende Pfad versucht verzweifelt, aus der Isolation auszubrechen und die Zusammenarbeit zwischen dem Militär und den Bauern zu zerstören«, sagt der Sendero-Experte Jaime Antezana. Der Blutrausch war offenbar ein Racheakt an jenen Indianern, die sich den bewaffneten Zivilpatrouillen der Regierung angeschlossen hatten.

Das Volk der Ashaninka wird seit 1987 zwischen den Fronten des peruanischen Bürgerkriegs aufgerieben. Damals hatte der Leuchtende Pfad rund 7000 Ashaninka-Familien praktisch versklavt. Die Männer mußten für die Guerrilleros arbeiten, die Frauen wurden vergewaltigt.

Innerhalb weniger Jahre stellte der Leuchtende Pfad ein kleines Heer aus Ashaninka-Kriegern auf. Die peruanischen Streitkräfte bewaffneten daraufhin 1990 ihrerseits rund 20 000 Ashaninka und schlossen sie in Zivilpatrouillen zusammen.

Anfang dieses Jahres befreite das Militär rund 3000 Ashaninka-Familien aus der Sklaverei. Zur Zeit haben die Terroristen noch etwa 1000 Familien in ihrer Gewalt. Die bewaffneten Zivilpatrouillen der Campesinos haben den Leuchtenden Pfad zwar zurückgedrängt, gleichzeitig aber die Landbevölkerung militarisiert.

Mit der Festnahme des Sendero-Führers Guzman im vergangenen September gelang es der Regierung, die Kommandostruktur der Terroristen zu schwächen; vollständig zerschlagen konnte sie die Organisation nicht.

Seit Juli 1992, so der Sendero-Experte Carlos Tapia, haben die Sicherheitskräfte etwa 1200 bis 1500 Guerilleros und Sympathisanten festgenommen, darunter 120 bis 150 lokale Führungskader. Von den Mitgliedern des ehemaligen Zentralkomitees befinden sich mehr als zwei Drittel in Haft - seit dem vorvergangenen Wochenende auch der Militärchef der Organisation, Edmundo Cox.

Präsident des Leuchtenden Pfads bleibt bis zu seinem Tod Abimael Guzman. Für die verhafteten Führungsmitglieder rücken Kader in einer von einem Geheimkongreß festgelegten Reihenfolge nach.

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