SÜDAMERIKA / KOLONIALISMUS Im Hinterhof erwünscht
Cheddi Jagan, 45, Premierminister der autonomen Briten-Kolonie Guayana im nordöstlichen Südamerika, sprang von seinem Platz auf. Dann rief er, die geballte rechte Faust zur Siegergeste des geübten Wahlkampfdemagogen erhoben, den Schlachtruf der Revolutionäre Fidel Castros: »Patria o Muerte!« ("Vaterland oder Tod!").
Die Besatzung des Kuba-Frachters »Maria Teresa«, der kurz zuvor im Hafen der Guayana-Hauptstadt Georgetown 12 000 Sack sowjetisches Weizenmehl und 1000 Faß sowjetisches Öl aus kubanischen Raffinerien gelöscht hatte, jubelte dem Premier zu. Von Minute zu Minute steigerte sich Jagans Rhetorik.
»Wie Fidel Castro der erste sozialistische Ministerpräsident in unserer Hemisphäre wurde«, schrie Jagan, »so wird Guayana seinen rechtmäßigen Platz als das erste sozialistische Land in Südamerika beanspruchen.«
Die Kunde von der roten Verbrüderungsszene in Georgetown erschreckte eine Konferenz auf dem englischen Landsitz Birch Grove, zu der sich Amerikas Präsident John F. Kennedy und Englands Premierminister Harold Macmillan getroffen hatten. Der Staatschef der USA mußte bekennen, daß Amerika den Kolonialismus, den es global verdammt, für eine segensreiche Einrichtung hält, wenn er im US -Hinterhof durch ein kommunistisches Regime abgelöst zu werden droht.
Ausgerechnet Amerika, das aus innerer Überzeugung die traditionellen Kolonialmächte zwang, ihre jahrhundertealten Bastionen in der ganzen Welt zu räumen, drängt heute die Kolonialmacht England, im lateinamerikanischen Guayana allen antikolonialistischen Experimenten abzuschwören: Guayana soll nach dem Willen Washingtons britische Kolonie bleiben, damit es sich als freier Staat nicht dem Kommunismus in die Arme wirft.
Erläuterte der britische »Guardian": »Die Vereinigten Staaten sind entschlossen zu verhindern, daß Guayana zu einem zweiten Kuba wird.«
Guayana, seit 1609 britische Kolonie, war bald nach dem Zweiten Weltkrieg von Londons Entkolonialisierern für die Selbstbestimmung vorgesehen worden. Doch statt eines gemäßigten Führers, der die Selbstregierung hätte übernehmen können, wurde Guayana wenige Jahre später von einem Mann beherrscht, der aus seiner Sympathie für kommunistische Vorbilder kein Hehl machte. Sein Name: Cheddi Jagan.
Der Sohn eines indischen Plantagenarbeiters* und studierte Zahnarzt mit US-Diplomen schaffte es dennoch, sich in London Respekt zu verschaffen. England erlaubte, daß Jagan im September 1961 Ministerpräsident des nach innen autonomen Territoriums wurde.
Gemeinsam mit seiner Frau Janet, geborener Rosenberg, die schon als Medizinstudentin in Chicago wegen ihrer kommunistischen Neigungen die »rote Janet« genannt wurde, begann Premier Jagan ein an volksdemokratische Muster erinnerndes Regime zu errichten und engen Kontakt zum Osten aufzunehmen.
Die rote Janet wurde als Generalsekretärin der »Progressiven Volkspartei« (PPP) und Herausgeberin des PPP -Organs »Thunder« ("Donner") die Chefideologin des Jagan-Regimes und vermittelte zudem die politischen und wirtschaftlichen Ostkontakte ihres Mannes.
Auf mehreren Ostblock-Rundreisen wußte Guayanas First Lady ihren Gastgebern mit einschlägigen Deklarationen kommunistischer Loyalität zu schmeicheln. An der Berliner Mauer deklamierte sie 1962: »Ich begrüße den antifaschistischen Schutzwall in Berlin.«
Ehemann Jagan verhandelte derweil mit Polen, der Tschechoslowakei und dem Pankow-Regime über die Entsendung von Experten zur Verstaatlichung der Bauxit- und Eisenerzgruben Guayanas und sicherte sich langfristige Kredite für die Industrialisierung des Landes.
Als der rote Premier bei einem Besuch in Washington für seine bolschewistischen Experimente auch noch US -Wirtschaftshilfe im Rahmen der von Kennedy konzipierten »Allianz für den Fortschritt« beantragte, lehnte Amerikas Staatschef nach langem Zögern in einem knappen Brief jede wirtschaftliche Unterstützung ab.
Statt dessen drängte der US-Präsident die britischen Kolonialherren Guayanas, die Autonomie-Verfassung der Kolonie zu suspendieren, Jagan abzusetzen und in Georgetown auf unbestimmte Zeit, mindestens aber sechs bis sieben Jahre lang, wieder uneingeschränkte Regierungsgewalt auszuüben.
In diesem Zeitraum, so rechneten sich Washingtons Guayana-Strategen aus, müßte es mit Hilfe eines finanzkräftigen Konsortiums amerikanischer und kanadischer Firmen gelingen, den Lebensstandard der Bevölkerung derart zu heben, daß der Radikale Jagan einen großen Teil seiner Anhänger verlöre.
Die Briten waren über die kolonialistische Zumutung der professionellen Antikolonialisten in Washington zunächst empört. Kolonialminister Duncan Sandys erregte sich: »Die Amerikaner müssen einsehen, daß es sich hier um eine britische Kolonie handelt.« London lehnte die von Washington geforderte Verfassungs-Suspension ab.
Erst als Europa-Besucher Kennedy in Birch Grove die Forderungen seiner Experten unterstützte, gaben die Briten nach. Macmillan erklärte sich bereit, die ursprünglich für 1962 geplante Unabhängigkeit Guayanas um zwei Jahre hinauszuzögern.
Kolonialminister Sandys übernahm es vergangene Woche, seinen Landsleuten den Kompromiß zu erläutern. Wenn Guayana nicht zur Ruhe komme, so formulierte er, bleibe England nur »eine gewaltsame Lösung«. Mit anderen Worten: Fortsetzung der britische, Kolonialherrschaft.
* In Britisch-Guayana leben 300 000 Inder und 200 000 Neger, Nachkommen der im 18. und 19. Jahrhundert von britischen Pflanzern importierten Plantagenarbeiter. Zwischen beiden Gruppen herrscht ein Rassen-Konflikt, den Jagan zu seinen Gunsten und zugunsten des Kommunismus ständig schürt.
Guayana-Premier Jagan, Gattin Janet: Lob für die Berliner Mauer