IM JAHR 2000
(Nr. 45/1970, Gewerkschafts-Titel)
Als Betriebsratsmitglied einer Großbank und engagierter Gewerkschafter (Gewerkschaft HBV im DGB) bin ich empört über Ihr letztes Titelblatt. Die geballte rote Faust ist von jeher und auch jetzt noch das Erkennungszeichen der Kommunisten oder noch weiter links stehender Gruppen in aller Welt, die die bestehende Gesellschaftsordnung mit Gewalt ändern wollen. Und dieses Symbol der Gewalt verbinden Sie mit dem Begriff der Gewerkschaften und deren legalen Lohnforderungen.
Hamburg DR. SIEGFRIED WEBER
Werbeleute sind Ihnen im SPIEGEL 44/1970 zuvorgekommen. Diese haben Ihrer geballten roten Faust auf dem Titelbild des SPIEGEL schon den richtigen Anstrich gegeben und ihr auch bildnerisch zeitgemäßere Ausmaße verliehen. So trifft sie -- meiner Meinung nach -- genau aufs Auge, und Sie hätten sich die Hälfte der Titelgeschichte sparen können.
Wolfsburg DIETER DUMATH
Ihr Artikel hat sicher einen Stein ins Rollen gebracht, dessen scharfe Kanten für so manchen Gewerkschaftsfunktionär gefährlich werden könnten. Es freut mich, daß die seit acht Jahren -- nämlich seit der Streichung der Sozialisierungsklausel -- ausstehende Diskussion um das Selbstverständnis der Gewerkschaften mit diesem kritischen und fundierten Beitrag erzwungen wird. Ihr Verdienst ist es, die Gesetzmäßigkeiten und inneren Zusammenhänge, mit denen die Gewerkschaften leben und an denen sie letztlich vielleicht scheitern müssen, einem breiten Publikum so klar vor Augen geführt zu haben.
Würzburg RAINER FAMULLA
Wie man in unserer Wohlstandsgesellschaft auch zu den zähen Lohn- und Gehaltskämpfen unserer Gewerkschaften stehen mag, dieses dürfte wohl unverrückbar feststehen; Gäbe es diese organisierte Kraft nicht in unserer modernen Welt -- die kultivierte Menschheit hätte den Grad ihrer heutigen Mündigkeit und sozialen Höhe längst nicht erreicht.
Wolfsburg Lours KUMMER
Es ist tatsächlich so, daß die Gewerkschaften -- vielleicht unfreiwillig -- zu Radfahrern bei den Unternehmern geworden sind. Durch das jetzt offenbar wachsende Selbstverständnis der Arbeitnehmer wird sich das hoffentlich ändern.
Göttingen DIETER BAUMGARTL
In meiner Arbeitsstelle Opel-Bochum, Werk 1, sind heute im Werkzeugbau (zirka 350 bis 400 Beschäftigte) 122 Gewerkschaftsmitglieder aus der IG Metall ausgetreten. Der nächste Streik in der BRD findet nämlich voraussichtlich im Jahre 2000 statt.
Hattingen (Nrdrh.-Westf.) WALTER GROSS
Der alte DGB-Slogan »Die Kerle sind Schmarotzer, zahlen keinen Beitrag, aber schieben den von uns erreichten höheren Lohn ein« zieht nicht mehr ganz. Das Selbstbewußtsein, besonders der jüngeren Arbeitnehmer, ist stark angestiegen. Sie betrachten zumeist die IG Metall als aufgeblasen und als Großkapitalisten. GEG, Bank für Gemeinwirtschaft und alle die anderen Großunternehmen der Gewerkschaft, das weiß heute jeder Gußputzer, arbeiten mit den Beiträgen der Mitglieder, ohne sie an den Gewinnen in irgendeiner Form teilnehmen zu lassen.
Heidenheim (Bad.-Württ.) KARL LADURNER
Die Firma Siemens übt sich anscheinend in privater Konjunkturdämpfung: Der neue niedersächsische Tarifvertrag der Metallindustrie ist am 6. Oktober ratifiziert worden. Dennoch sah sich die Weltfirma Siemens nicht in der Lage, die den Betriebsangehörigen zustehende Lohnerhöhung am Ende des Oktobers auszuzahlen. Die lapidare Antwort eines Betriebsratsmitgliedes dazu: »Wir sind noch nicht fertig mit dem Ausrechnen der neuen Löhne.« Die Betriebsangehörigen sind in keiner Weise davon unterrichtet worden. Nun soll dieser Mehrlohn in der Endabrechnung November nachgezahlt werden. Das bedeutet natürlich eine höhere Besteuerung. Der Arbeitnehmer muß es wieder ausbaden, doch die Firma Siemens ramscht noch schnell durch die Einbehaltung des Mehrlohnes für zwei Monate eine sicher stattliche Summe Zinsen ein.
Braunschweig JÖRG KUHLMANN
Bravo für Ihren Bericht über die Gewerkschaften. Oswalt Kolle könnte keine bessere Aufklärungsarbeit leisten.
Ludwigshafen HANS DEUTSCH
Wenn ich auch nicht, wie Sie schreiben, Vorstandsmitglied der IG Metall bin, so interessiert Sie vielleicht doch meine Meinung, daß sich die Tarifpolitik der Gewerkschaften, insbesondere der IG Metall, in Zukunft wahrscheinlich mit zwei Problemen auseinandersetzen muß: Voraussichtlich wird die zunehmende internationale Verflechtung des Kapitals eine bessere, die nationalen Grenzen überschreitende Zusammenarbeit der Gewerkschaften bei Tarifauseinandersetzungen und Arbeitskämpfen erzwingen, dann nämlich, wenn supernationale Großkonzerne die Produktion aus bestreikten, Ja vielleicht sogar vorbeugend schon aus nur streikanfälligen Betrieben in andere, »sichere« Länder verlagern. Das Thema »internationale Unterstützungs- oder Sympathiestreiks« wird deshalb zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Die Entwicklung der nächsten Jahre wird wahrscheinlich aber auch zu einem größeren gewerkschaftlichen Interesse an der Gestaltung der betrieblichen Arbeitsbedingungen führen. Dieses gesteigerte Interesse wird eine neue Tarifpolitik erzwingen, die über den Weg von Öffnungsklauseln in den regionalen Tarifverträgen betriebliche Regelungen der jeweiligen Arbeitsbedingungen durch Zusatzverträge ermöglichen, Effektivverdienste gegen willkürlichen Abbau schützen, bei der Lohn- und Gehaltsfindung einen möglichst großen gewerkschaftlichen Einfluß auf die tatsächliche Höhe der Verdienste sichern und Einfluß auf Leistungshergabe und Arbeitsorganisation nehmen kann. Die Gewerkschaften könnten mit Hilfe einer solchen Politik noch besser ihre Aufgabe erfüllen, große Mitgliedermassen zur aktiven Vertretung der eigenen Interessen zu mobilisieren, denn es liegt au! der Hand, daß die Regelung einer großen Zahl betrieblicher Probleme und Konflikte durch die Betroffenen selbst erfolgen muß, weil sachgemäße Regelungen die Aufnahme und Verarbeitung einer so großen Zahl von Informationen erfordern, daß sie nicht mehr von den wenigen Teilnehmern auf Spitzenverhandlungen vereinbart werden können.
Bonn HANS MATTHÖFER
SPD-MdB und Abteilungsleiter im Vorstand der IG Metall
Gewerkschaftslogik: »Früher konnten wir nicht mehr herausholen, weil wir keine Kollegen in der Regierung hatten -- heute können wir nicht mehr herausholen, weil wir Kollegen in der Regierung haben!«
Ahrweiler (Nrdrh.-Westf.) HANS SCHMIDT