RUNDFUNK Im Kreise herum
Walter von Cube, 66, Programmdirektor des Bayerischen Rundfunks, hat nach eigenem Bekunden die »Meinungsfreiheit immer bis an die Grenze des Möglichen verteidigt«. Sechs Wochen vor seinem Amisende hat er nun resigniert.
Der Funk-Senior, seit einem Jahr für die in seinem Haus produzierten griechischen und spanischen Sendungen unmittelbar verantwortlich, brachte dem Leiter der Ausländerprogramme, Gerhard Bogner, eine Beschwerde des Auswärtigen Amts über die spanischen Sendungen zur Kenntnis und notierte auf dem Rand kurzerhand den Wunsch, »die Kommentarsendungen zunächst nicht wiederaufzunehmen«. Über das Motiv dieser Entscheidung rätselt Bogner: »Wir sitzen hier und denken im Kreise herum.«
Für den BR-Redakteur Pavlos Bakojannis, Leiter der griechischen Programme, der seinen mehr als 300 000 Landsleuten in der Bundesrepublik statt der früheren Wochenkommentare in diesem Jahr nur noch sechsmal die politische Meinung sagen durfte, ist die Sache klar. Er sieht in dem Cube-Ukas einen »Sieg des permanenten Druckes von bestimmten Wirtschaftsgruppen und des Auswärtigen Amtes«. Bakojannis: »Ein Vierteljahrhundert nach Hitler wird unser Programm von faschistischen Diktaturen in Spanien und Griechenland zensiert.«
In der Tat hatten Athen wie Madrid die in München produzierten Gastarbeiterprogramme durch direkte und indirekte Interventionen in Bedrängnis gebracht:
Im August letzten Jahres beklagte Paul Frank, Staatssekretär im Bonner Außenministerium, in einem Brief an Intendant Christian Wallenreiter die »außenpolitischen Auswirkungen der griechischsprachigen Sendungen des Bayerischen Rundfunks« und bat -- unter Hinweis auf eine Nachrichtensendung über die Paß-Politik Athens -, »dafür Sorge zu tragen, daß Sendungen dieser Art unterbleiben«.
Im Juni dieses Jahres rügte Innenminister Hans-Dietrich Genscher, daß im spanischen Programm eine (polizeilich genehmigte) Mai-Veranstaltung in Frankfurt bekanntgemacht worden sei. In einem Brief an den für Programmfragen nicht zuständigen bayrischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel verlangte er, »daß der Bayerische Rundfunk künftig von derartigen Aufrufen absieht«.
Etwa zur gleichen Zeit beschwerte sich Wilhelm Fritz, der erst zwei Monate zuvor mit CSU-Mehrheit gewählte Rundfunkratsvorsitzende, bei Intendant Wallenreiter über einen Bakojannis-Kommentar, der »in einer nicht vertretbaren Weise Amerika herabwürdigt« und »die griechische Regierung als Diktatur« qualifiziert habe. Fritz verlangte eine Belehrung des griechischen Redakteurs, »daß er seine Kommentare nicht in dieser Form halten kann«.
Die Fritz-Intervention decouvrierte freilich auch wirtschaftliche Hintergründe der Polit-Fehde. Fritz ist stellvertretendes Vorstandsmitglied der Allianz Versicherungs-AG in München, die in Griechenland gute Geschäfte macht.
So versichert die Allianz beispielsweise die Montage- und Transportrisiken des von einer deutschen Unternehmergruppe (unter anderen Siemens und AEG) projektierten Kraftwerks in Megalopolis; Auftragsvolumen: über 400 Millionen Mark. »Zu keiner Zeit« freilich, behauptet Fritz. habe er seine Funktionen an der Allianz-Spitze und im Rundfunkrat miteinander verquickt.
Andererseits wachsen die Spekulationen über handfeste wirtschaftliche Interessen, die auch bei den Madrider Attacken auf das bayrische Gastarbeiterprogramm eine Rolle spielten. Der Generaldirektor für Rundfunk und Fernsehen im spanischen Informationsministerium, Adolfo Suárez González, der schon zu Jahresbeginn den Ausländerprogrammchef Bogner nach Madrid geladen hatte (Bogner: »Der wollte mir einreden, doch die Politik beiseite zu lassen"), beschwerte sich letzten Monat in einem bislang geheimgehaltenen Schreiben erneut beim Bonner Auswärtigen Amt.
Die spanische Monarchisten-Zeitung »ABC« erläuterte: »Es lohnt sich nicht, die Launen des Bayerischen Rundfunks zu dulden -- auf Kosten des Verlustes guter Gelegenheiten einer Handels- und Industrie-Expansion.« Gemeint ist: Wenn sich der Sender nicht wohlverhält, könnte der Franco-Staat bei der Einführung des Farbfernsehens dem französischen Secam-Verfahren statt dem deutschen Pal-System den Vorzug geben -- zum Schaden der deutschen Wirtschaft. Gunthar Lehner, Nachfolger Cubes als Münchner Hörfunk-Programmdirektor, hält es für »nicht unvorstellbar«, daß bei den Madrider Einmischungsversuchen »so was eine Rolle spielt«.
Unter dem Druck von außen, angesichts der zunehmenden CSU-Übermacht im Rundfunkrat und belästigt von den in keinem Funkhaus fehlenden Kabalen -- Bogner war Rivale bei der Wahl des Cube-Favoriten Lehner zum neuen Programmdirektor -, hatte Cube den Ärger mit der Ausländer-Abteilung schließlich satt: »Die haben sich bisher immer darauf verlassen, der dicke alte Cube verteidigt uns schon.«
Der scheidende Programmdirektor, der mit seiner Handschrift-Marginalie fürs erste nur die übliche Sommerpause für die Kommentarsendungen verlängert hat, will die beschwerliche »Gratwanderung zwischen Bundesregierung. Parteien und Botschaften« ganz beenden. Nächste Woche will er den in Stuttgart versammelten ARD-Programmdirektoren« übernächste Woche der Intendantenvollversammlung in München vorschlagen, die Ausländerabteilung an den Kölner Deutschlandfunk zu übergeben: »Ich hielte das für eine erträgliche Lösung und angesichts der politischen Mehrheitsverhältnisse in Bayern sogar für die bessere.«
Wie man"s nimmt: CDU/CSU-Kandidat für den (gegenwärtig unbesetzten) Intendantenposten des einst von Adenauer zur Missionierung der DDR gegründeten und durch die neue Ostpolitik funktionslos gewordenen Senders ist nämlich der ehemalige nordrhein-westfälische Staatssekretär Gerd Lemmer, der sich bereits als Experte für Gastarbeitersendungen qualifiziert hat.
Schon im März letzten Jahres hatte sich Lemmer, Vorstandsmitglied der Maschinenfabrik Buckau R. Wolf AG in Neuß (die an der Errichtung des Kraftwerks in Megalopolis beteiligt ist), beim Münchner Intendanten Wallenreiter über die griechischen Sendungen beschwert und auf die Schwierigkeiten seines Unternehmens hingewiesen:
»Ich brauche Ihnen, sehr verehrter Herr Wallenreiter, nicht im einzelnen darzulegen, was das für das Unternehmen und die Mitarbeiter bedeutet.«