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SCHULEN / INTERNAT WENTORF Im politischen Raum

aus DER SPIEGEL 46/1969

Wie eine Hollywood-Diva« fühlt sich nach eigenem Zeugnis Konrad Leites, kommissarischer Direktor der einzigen schleswig-holsteinischen Internatsschule für sprachgestörte Kinder in Wentorf bei Hamburg: »Skandal hebt schließlich das Geschäft.«

Fachkollegen hatten davor gewarnt, den Hamburger Taubstummen-Oberlehrer zum Direktor in Wentorf zu machen. Parteifreunde des CDU-Mitglieds Leites beförderten ihn trotzdem.

Seit Leites am 1. Mai von dem damaligen schleswig-holsteinischen CDU-Kultusminister Claus Joachim von Heydebreck ernannt worden ist, stört der Streit um den neuen Chef das Schulleben an dem Wentorfer Internat. Dort werden 43 schulpflichtige Jungen und Mädchen von Sprachheilpädagogen, Erzieherinnen (Kindergärtnerinnen) und Ärzten betreut.

Die Wentorfer Auseinandersetzung ist ohne Beispiel in Schleswig-Holsteins jüngerer Geschichte. Demnächst wird das Kieler Kultusministerium entscheiden, ob Leites endgültig Direktor in Wentorf wird. Seine sechsmonatige Probezeit ist abgelaufen.

Sosehr das Kieler Kultusministerium die fachlichen Qualitäten von Leites rühmt, so wenig wagt es zu behaupten, daß er ein besserer Fachmann als die anderen Bewerber sei.

Leites wurde Direktor in Wentorf, obwohl mehrere Pädagogen es zu verhindern suchten. So bat Günter Böckmann, Vorsitzender der Landesgruppe Schleswig-Holstein der Deutschen Gesellschaft für Sprachheilpädagogik, den Kultusminister, »von einer Berufung des Herrn Leites Abstand zu nehmen«. Auch Heinz Cremer, Landesvorsitzender des schleswig-holsteinischen Sonderschul-Verbandes, riet in einem Brief an den Kultus-Staatssekretär Reinhold Borzikowsky entschieden ab, Und sogar die zuständige Referentin für das Sonderschulwesen im Kultusministerium, die ehemalige Sonderschulrektorin Erika Philipps, gab vor der Entscheidung über die Wentorfer Direktorenstelle ein mehrseitiges Gutachten über Leites ab, das sie selber als »kritisch ablehnend« bezeichnete.

Daß Leites trotz dieser Bedenken Direktor in Wentorf wurde, begründet Staatssekretär Borzikowsky so: »Hier fällt die Entscheidung im politischen Raum.«

Der politische Raum, in dem Personalentscheidungen fallen, ist in Schleswig-Holstein umstrittener als anderswo. Dazu trug beispielsweise bei, daß 1962 ein sechs Jahre zuvor gefaßter Geheimbeschluß des CDU-»Landesfachausschusses für Öffentliche Verwaltung« publik wurde: Es sei »keine Stelle an einen der CDU nicht Nahestehenden ... zu vergeben, wenn für sie ein ihr Nahestehender ... vorhanden ist«.

Zu der Vermutung, im Wentorfer Fall sei so gehandelt worden, trug Leites selber bei. Er erzählte Kollegen, daß er mächtige Freunde im Lande habe: den CDU-Staatssekretär Borzikowsky, den er mit »liebevoller Abkürzung« gern »Borzi« nennt; den CDU-Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises Lauenburg, Olaf von Wrangel (Leites: »Mein Freund"); den Vorsitzenden des CDU-Kreisverbandes Herzogtum Lauenburg und Kieler Landtagsabgeordneten Gustav Drevs.

Seit Leites seinen Dienst im Internat Wentorf angetreten hat, verärgert er das Personal -- zum Teil mit kleinlichen Anordnungen. So ließ er das Haupttelephon, nachdem er bereits einen Zähler hatte einbauen lassen, zusätzlich durch ein Steckschloß sichern; er will Angestellte und Schüler »zum genauen Ablesen« erziehen.

Seinen Kollegen warf Leites vor, an der Schule werde »zuwenig gearbeitet«. Und mehrfach drohte er mit Kündigung. Daß er dazu die Mittel weiß, bewies er seinem Stellvertreter Winfried Peiler. Dieser Heilpädagoge hatte von 1987 bis zum Dienstantritt des neuen Direktors das Internat geleitet. Der Kieler Staatssekretär Borzikowsky bat ihn darum, offiziell das Amt des Direktors zu übernehmen. Peiler lehnte aus Krankheitsgründen ab.

Er wurde ein unbequemer Kritiker seines neuen Direktors. Doch Leites wollte verhindern, daß er es blieb. Am 7. August fuhr Leites mittags nach Kiel; abends kehrte er nach Wentorf zurück. Leites über das Ergebnis der Reise: »Ich habe die Versetzung (von Peiler) mitbekommen.«

Gegenspieler Peiler erreichte, daß vom Verwaltungsgericht Schleswig die Versetzung für nicht zulässig erklärt wurde. Unterrichten darf er erst wieder, seit das Kultusministerium ein (von Leites erlassenes) Hausverbot aufgehoben hat.

Das Klima in der Wentorfer Sonderschule wurde frostig. Lehrer und Erzieherinnen sammelten Minuspunkte gegen ihren Direktor und schrieben bisher mindestens neun Beschwerden an das Kultusministerium. Dazu Dieter Mutke, Justitiar im Ministerium und dessen Sprecher für den Fall Wentorf: »Ach, viel mehr! Alle paar Tage eine neue!«

Seit Mitte August trägt Leites ein Tonbandgerät am Handgelenk und schneidet Unterhaltingen mit. Leite": »Ich mache meine Notizen darauf.«

Vieles, was ihm vorgeworfen wird, bestreitet Leites; beispielsweise, daß

* er eine Konferenz nicht einberief. obwohl das gesamte Kollegium es verlangt hat und er aufgrund der Lehrerdienstordnung dazu verpflichtet war;

* Kinder mehrfach nachts ohne Aufsicht durch einen Erwachsenen blieben und eingeschlossen wurden.

Andere Vorfälle stellt er anders dar als seine Kritiker. Daß er die Dienstvereinbarungen mit den Kindergärtnerinnen annullierte und in neuen Arbeitsplänen ihre Freizeit um ein Drittel kürzte, empfinden Betroffene als eine überflüssige Schikane, Leites hält es für zulässig und notwendig.

Gegensätzlich sind die Auffassungen auch darüber, ob Leites aus guten Gründen sieben Kinder aus dem Internat entließ. Nach einem einstimmig gefaßten Konferenzbeschluß sollten sie noch ein Jahr in Wentorf bleiben, weil Aussicht auf Heilung bestehe. Zwei Monate später hielt Leites die Kinder für geheilt oder für unheilbar.

Der Hauptpersonalrat des Kultusministeriums griff ein, als Leites den Personalrat (Hausmeister Rudi Erb) für abgesetzt erklärte. Eine solche Entscheidung hätte gegen das Personalratsgesetz verstoßen.

Zweifelhaft ist, wie viele Vorwürfe gegen Leites sich erhärten lassen. Sicher ist, daß der Wentorfer Schul-Streit den Personalmangel erhöht hat. Ohnehin fehlen zwei Fachpädagogen, und seit dem Dienstantritt des neuen Direktors haben vier Erzieherinnen ihr Dienstverhältnis gelöst, der Hausmeister sucht eine neue Stelle.

Und auch unter den Eltern breitet sich Unruhe aus. Drei Kinder wurden abgemeldet.

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