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RUHRKOHLE Im Schatten

Der Rückschlag der Weltkonjunktur traf jetzt einen Wirtschaftszweig, der angesichts steigender Ölpreise gesichert erschien: An Ruhr und Saar wachsen die Kohlehalden.
aus DER SPIEGEL 45/1975

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidein Heinz Kühn tafelte gerade mit Parteifreunden in den Gesellschaftsräumen seiner Düsseldorfer Staatskanzlei, als ihm telephonisch der Gesprächswunsch eines hohen Herrn angesagt wurde: Der Bundeskanzler, so meldete ihm sein Sekretariat, wünsche den Herrn Ministerpräsidenten zu sprechen.

Kühn ließ das Dessert stehen und eilte in sein Büro. Doch dort erwartete ihn nicht, wie der Rheinländer meinte ein Telephonanruf des Kanzlers. Der Bonner Regierungschef stand, nur von einem Leibwächter begleitet, persönlich im Raum.

Ohne jegliche Ankündigung war Helmut Schmidt am vergangenen Montagmittag über die Autobahn von Bonn nach Düsseldorf geeilt. Vor seinem China-Trip wollte sich der Bundeskanzler mit Kühn über ein Problem aussprechen, das Düsseldorfs wie Bonns Sozialdemokraten immer heftiger drückt: die unversehens heraufgezogene Kohlenkrise.

Denn dramatisch hat sich in den letzten Monaten die Absatzlage des wichtigsten nationalen Energieträgers verschlechtert: Hatten die Zechen an Ruhr und Saar zu Beginn dieses Jahres nur einen geringen Lagerbestand von 3,4 Millionen Tonnen, so wuchsen die Kohlenberge derweil auf über 14 Millionen Tonnen an. Bis zum Jahresende werden womöglich gar 20 Millionen Tonnen aufgeschüttet sein. So viel Kohle wurde nie zuvor in so kurzer Zeit auf die Halden gekippt.

Düstere historische Reminiszenzen plagen da bereits die regierenden Sozialdemokraten: Das schwere Kohlendebakel trug Mitte der sechziger Jahre wesentlich zum Sturz der Düsseldorfer CDU-Regierung bei.

In einem Brief mit Datum 23. 10. 1975 an den SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner ("Lieber Genosse Wehner") warnt daher der SPD-Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag, Dieter Haak, die in Bund und Land regierenden Sozialdemokraten stünden just »im Jahr der Bundestagswahl vor einem Kohleproblem von bisher ungekanntem Ausmaß«. Die Parteifreunde sollten sich, so Haak an Wehner, »einer neuen verhängnisvollen Entwicklung auf dem Energiemarkt entgegenstemmen«.

Dabei hatte es für die Kohle bis vor kurzem noch ganz gut ausgesehen. Nach dem Ölschock um die Jahreswende 1973/74 korrigierte Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs in seinem Energieprogramm die Kohleförderung mächtig nach oben: Statt der ursprünglich vorgesehenen 83 Millionen Tonnen sollten die Kumpels zukünftig 94 Millionen Tonnen losmachen.

Noch im Herbst vergangenen Jahres zeigten sich die Vertreter der westdeutschen Elektrizitätswirtschaft bei einem Gespräch im Bonner Wirtschaftsministerium besorgt darüber, daß die Zechen für ihre Kohlekraftwerke nicht genügend Brennstoff liefern könnten. Rekordmengen bestellte damals auch noch der zweite Großabnehmer des Bergbaus, die Stahlindustrie.

Doch als Anfang dieses Jahres die Stahlhersteller jählings in ein weltweites Absatztief gerieten und als auch die E-Werke infolge des globalen Konjunkturtiefs bei ihren Industriekunden immer weniger Strom loswurden, fanden auch die Verkaufschefs der Zechen für ihre zuvor noch heiß begehrte Ware plötzlich nicht mehr genügend Abnehmer.

Hinzu kam, daß die Manager der E-Werke den Ölschock verblüffend schnell überwanden. Denn statt bei der sinkenden Stromnachfrage Kohle- und Ölverbrauch in ihren Kraftwerken gleichmäßig zurückzufahren, ließen sie die Ölöfen wie gehabt weiterbrennen und drosselten allein den Kohlekonsum -- um immerhin ein Viertel.

Sie handelten mit Blick auf die Bilanz: Seit Öl wieder reichlich zu kaufen ist, leiden die Ölkonzerne an einer Überproduktion von schwerem Heizöl, das beim Raffinierungsprozeß automatisch anfällt. Entsprechend billig können die E-Werke das schwere Öl für ihre Öfen erwerben, während der Preis für Kraftwerks-Steinkohle seit Oktober 1973 um 44 Prozent gestiegen ist. Trotz großer Absatznöte der Zechen an Ruhr und Saar zeigte Bonn bislang jedoch wenig Neigung. Hilfestellung zu leisten. Die Energie-Experten im Wirtschaftsministerium kalkulieren, daß die Haldenbestände »zum entscheidenden Teil konjunkturbedingt sind« (ein Friderichs-Beamter) und bei besseren Winden für die Wirtschaft auch die Kohlenberge rasch wieder vergehen werden. Mit Rücklagen von derzeit 650 Millionen allein bei der großenteils im Bundesbesitz befindlichen Ruhrkohle AG könnten die Kohlegesellschaften noch einigermaßen warm überwintern.

Doch ganz soll es angesichts des heraufziehenden Wahljahres heim schlichten Laisser-faire auch nicht bleiben. Die Bonner Energiestrategen erwägen trotz ihrer Geldklemme, notfalls

* eine nationale Energiereserve an Kohle. die zunächst nach den Plänen der Bundesregierung erst von 1977 an aufgebaut werden sollte, schon ab 1976 zu finanzieren;

* den sogenannten Kohlepfennig, der den Stromverbrauchern abgeknapst und mit dem Kraftwerkskohle subventioniert wird, zu verdoppeln, um so den Brennstoff gegenüber dem schweren Heizöl zu verbilligen, oder gar

* die Elektrizitätswerke durch Bonner Dekret zu höherem Kohleverbrauch zu zwingen. Kanzler-Berater Ernst Wolf Mommsen, Aufsichtsratsvorsitzender der bundes- und landeseigenen Saarbergwerke: »Das hat mit Dirigismus oder Planwirtschaft nichts zu tun. Wir müssen in schlechten Zeiten den Kohlesockel durchhalten.«

Eine Vorbedingung für Bonner Nothilfe haben die Kohlebosse bereits erfüllt. Wenn die Bundesregierung öffentlich eine Haldenfinanzierung diskutieren würde, so hatte Wirtschaftsminister Hans Friderichs zweimal dem Ruhrkohle-Chef Karlheinz Bund und in einem weiteren Gespräch dem Bergarbeiterführer Adolf Schmidt bedeutet, dann könnten die Zechen nicht auch noch mit Volldampf fördern. Am vergangenen Montag kündigte daraufhin der Zechenkonzern Ruhrkohle AG an, man werde voraussichtlich Kurzarbeit verhängen.

Für Bundeskanzler Schmidt bleibt das heikle Kohlen-Thema auf der Tagesordnung. Nach dem Gespräch mit dem Genossen Kühn in Düsseldorf wies der Regierungschef seinen Staatssekretär Manfred Schüler an, die Kohle-Akte deich nach seiner Rückkehr aus Peking wieder vorzulegen.

Schmidt-Intimus Schüler versteht, worum es geht: »Wir wollen doch wiedergewählt werden. Und das an der Ruhr.«

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