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MUSIK Im Stil der »Capri-Fischer«

aus DER SPIEGEL 42/1956

Bischöfe in Violett, Dominikanermönche in weißen Kutten, Herren im Smoking und Damen in tiefdekolletierten Roben klatschten Beifall, als in der »Christlichen Zitadelle« von Assisi, dem bedeutenden Wallfahrtsort Italiens, ungewöhnliche Weisen erklangen: Vor einem Mikrophon hatten sich auf dem Podium die beliebtesten italienischen Schlagersänger aufgestellt und sangen, von einer schmissigen Rundfunk -Tanzkapelle begleitet, zum Lob des Erlösers und wider die Sünden der Welt im Slowfox-Rhythmus und im Dreivierteltakt.

Der italienische Priester Don Giovanni Rossi hatte auf dem von ihm organisierten »Fest des neuen Gesangs« ein Experiment veranstaltet, das nicht nur die Musikkritiker als »revolutionär« bezeichneten. Er hatte die bekanntesten italienischen Schlagerkomponisten und -texter beauftragt, eine neuartige religiöse Musik im Stile moderner Unterhaltungs- und Tanzmelodien zu schaffen.

In einer vorbereitenden Tagung erläuterte der über sechzig Jahre alte Geistliche den Unterhaltungsproduzenten sein Bestreben, der leichten Muse Eingang in den Kirchenraum zu gewähren: »Die Leute sind heute zu sehr abgelenkt und hören sich nicht mehr die Predigten an, aber sie sind immer bereit, ihr Ohr zu leihen, wenn ein Foxtrott oder Walzer ertönt; wenn ihr statt der üblichen banalen Geschichten in diesen Liedern ernste Dinge erzählt, die eine Moral enthalten und zum Nachdenken anregen, werdet ihr euch ein großes Verdienst erwerben, denn ihr werdet euren Nächsten bessern.«

Die solcherart angesprochenen Komponisten und Texter zeigten sich über die christlichen Möglichkeiten der modernen Schlagermusik begeistert. Um nun auch ihren Enthusiasmus in die richtigen schöpferischen Bahnen zu lenken, überreichte Don Giovanni jedem Schlagermann als Leitfaden ein Exemplar der Bibel.

Auf dem »Fest des neuen Gesangs« zeigten die Männer des Unterhaltungssektors, wie weit es ihnen gelungen war, die biblische Botschaft in das bunte Gewand der unterhaltenden Muse zu kleiden. Die schüchternsten der Texter suchten ihren Respekt vor dem ungewohnten Sujet dadurch auszudrücken, daß sie das Wort »Amore« ("Liebe") jedesmal mit einem großen A schrieben und - um Irrtümern vorzubeugen - gelegentlich auch das Beiwort »göttlich« hinzufügten.

Die Kühnsten hatten sich dagegen aus der Bibel die Geschichte der Ehebrecherin ausgesucht, die der Heiland vor der Steinigung bewahrte. Der Refrain dieses religiösen Foxtrotts, zu dem der in Italien bekannte Unterhaltungskomponist Cherubine die Musik schrieb, lautet auf deutsch:

Frau, lausche, hörst du das Wutgeschrei

der Leute?

Sag' mir, warum hast du gesündigt?

Sag' mir, warum hast du betrogene

Wer soll noch glauben an deine reine Liebe?

Die Schlußzeilen sind nicht weniger mahnend:

Geh' mit meinem barmherzigen Segen,

Du sollst die göttliche Liebe wiedergewinnen,

Aber hüte dich, jemals wieder zu sündigen.

Dieses Lied war der Höhepunkt des Musikfestes in Assisi, nicht zuletzt, weil es von Italiens populärsten Gesangstars, dem schmalzigen Gino Lattilla und der Sängerin Carla Boni, dargeboten wurde. In diesem Duett sang Lattilla die Worte Jesu, während Carla Boni mit ihrer Lys-Assia -Stimme die Antworten der Sünderin zu sentimental weinendem Geigenklang ins Mikrophon hauchte.

Einige Kritiker mäkelten, das Schlager -Duo habe selbst am Wallfahrtsort seine Natur nicht ganz verleugnet. Sie fanden es unziemlich, daß Gino Lattilla seine Partnerin um die Taille faßte, während er die Partie des Erlösers vortrug.

Andere Komponisten suchten der ihnen gestellten Aufgabe dadurch gerecht zu werden, daß sie süßlich sentimentale Songs im Stile der »Capri-Fischer« kreierten, etwa:

Vom blauen Himmel lächelt

uns eine Schar von Engeln zu.

Und ein Glockenkonzert läutet für uns

Ding dong, ding dong, ding dong.

Der italienische Texter Olivieri, der Autor vieler auch in Deutschland bekannter Schlager ("Komm zurück"), schrieb ein religiöses Lied, das sich nicht von seinen weltlichen Schlagern unterschied:

Dort unten - im blühenden Tal

Steigt unter der goldenen Sonne

der schönste Liebesgesang zum Himmel empor.

Trotz eifrigen Bibelstudiums war es nicht jedem der Texter gelungen, seine Werke von Zweideutigkeiten frei zu halten. In einem der Schlager beschränkten sich die Autoren darauf, zu schildern, wie sich ein Verliebter, dessen Begehren erfüllt wurde, beim lieben Gott bedankt:

Er hat mir die Gunst gewährt, dich zu sehen,

Er hat mir das Glück geschenkt, dich zu lieben,

Er hat mir die Freude gegeben -

Die Freude, mit dir zu leben.

Daß dieses seltsame Experiment in Assisi stattfand - dem geweihten Ort, an dem der Heilige Franziskus lebte und begraben liegt -, rechtfertigt der Don Giovanni mit christlichem Sendungsbewußtsein: »Wenn die Sünder und die Gleichgültigen nicht zu uns kommen, müssen wir zu ihnen gehen, ganz gleich an welchem Ort, ganz gleich mit welchen Mitteln.«

Don Giovanni Rossi ist Leiter und Gründer der katholischen Organisation »Pro Civitate Christiana« ("Für eine christliche Gemeinschaft"), deren Ziel es ist, mit revolutionären Methoden in allen dem Christentum entfremdeten Kreisen Europas zu missionieren. Der ergraute Seelsorger, der in Paris als Sohn armer italienischer Auswanderer geboren wurde, hat zu diesem Zweck eine Gemeinschaft von fünf Priestern und etwa fünfzig jungen Männern und Mädchen um sich gesammelt, die sämtlich in verschiedenen Disziplinen das Doktorat gemacht und ein dreijähriges Theologiestudium absolviert haben.

Obwohl diese Gefolgsleute Don Giovannis Laien sind, haben sie ein Armuts- und Keuschheitsgelübde abgelegt. Dennoch erscheinen sie auch im Smoking, in Abendtoilette mit Dauerwelle und lackierten Fingernägeln auf Bällen und anderen mondänen Veranstaltungen, um aus den vom Glauben abgefallenen Snobs beiderlei Geschlechts »Proselyten« (Neubekehrte) zu machen.

Der Mittelpunkt dieser Bewegung ist die »Christliche Zitadelle« in Assisi, ein Studier- und Veranstaltungszentrum. Die Idee des Gründers der »Pro Civitate Christiana« war es, dort in der erdentrückten heroischen Glaubenslandschaft, in der der Heilige Franziskus vor siebenhundert Jahren wirkte, eine »Seelen-Klinik« oder - wie sich Don Giovanni auch ausdrückt - ein »Touristenzentrum des Geistes« zu schaffen. Gleich weltlichen Touristen-Organisationen veranstaltet die »Pro Civitate Christiana« in Assisi auch »Festivals«, wie sie überall in Mode gekommen sind.

Die Kritiker sind geteilter Meinung über das Festival von Assisi, auf dem der neuartige Typ des religiösen Schlagers begründet wurde. Im antiklerikalen römischen »Espresso« stellte die Kritikerin Camilla Cederna das musikalische Wagnis des Don Giovanni auf eine Stufe mit Schönheitskonkurrenzen und Miss-Wahlen. Mit christlicher Milde drückte sich der Gesellschaftsjournalist Carlo Visconti aus: »Die Musiker und Textdichter sind sicherlich alle ehrenwerte Leute, aber sie konnten wohl nicht über ihren Schatten springen, obwohl sie es mit dem Evangelium zu tun hatten.«

Die Würdenträger des Vatikans haben die religiöse Schlagermusik des Don Giovanni bisher nicht mit einer offiziellen Stellungnahme bedacht. Immerhin bewies die Anwesenheit von insgesamt acht katholischen Bischöfen auf dem Schlager-Festival, daß der avantgardistische Vorstoß des unternehmungslustigen Missionars von der Kirche zumindest geduldet wird.

Priester Rossi mit Mitgliedern der »Pro Civitate Christiana": Eine neuartige religiöse Musik ...

Sänger Lattilla, Carla Boni ... im Rhythmus moderner Schlager

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