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»Immer an der Grenze des Konflikts«

aus DER SPIEGEL 8/1978

Erst ganz zum Schluß, die Genossen hatten vermitteln müssen, kamen die beiden aufeinander zu, um sich wenigstens die Hand zu geben: Egon Bahr, SPD-Bundesgeschäftsführer, und Gerhard Schröder, den die Jungsozialisten gerade zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt hatten.

Die Szene, vorletzten Sonntag beim Juso-Bundeskongreß in Hofheim bei Frankfurt, schien manchen Delegierten so bezeichnend, daß sie die Schritte zählten, die jeder zu machen hatte: Bahr sieben, Schröder vier. Dann Bahr: » Es wird Schwierigkeiten geben.« Schröder: »Das sehe ich auch so.«

Daß Stamm-Partei und Jungsozialisten sich nach dem Hinauswurf des Juso-Chefs Klaus-Uwe Benneter schwertun würden, wieder zueinander zu finden, war eh klar gewesen. Klar ist nun aber auch, daß die Wahl des hannoverschen Rechtsanwalts Schröder zum Benneter-Nachfolger die Versöhnung nicht gerade beschleunigen wird.

Denn Gerhard Schröder, bald 34, sieht sich nicht nur »in der Tradition früherer Vorsitzender, Benneter ausdrücklich eingeschlossen«, für ihn ist »keine Frage. ich bin von den gleichen Leuten gewählt, die Benneter gewählt haben«. Und: »Ich glaub«, inhaltlich ist nix anders.«

Kann auch kaum, denn das linke »Hamburger Bündnis« war voriges wie dieses Jahr siegreich und schlug die parteifrommeren Juso-Reformisten aus dem Feld nur daß mit Benneter mal der Stamokap-Flügel, mit Schröder nun die Gruppe der sogenannten Anti-Revisionisten ihren Kandidaten durchbrachte.

Schröder ("Mein Fraktionsdenken ist begrenzt") bedeuten solche Zuordnungen freilich nicht viel, für ihn sind das »alles keine neuen Positionen in der Geschichte der Arbeiterbewegung«, Auseinandersetzungen finden da lediglich »um den richtigen Weg zum gemeinsamen Ziel« statt. Und wie er für »konsequente Marxisten« seiner Couleur »durchaus Platz in der Partei« sieht, ist er auch »nicht der Meinung, daß der Ansatz der Stamokap-Theorie unsozialdemokratisch ist«.

Anders als Benneter aber will Schröder zumindest »unnütze Konflikte« mit der SPD-Führung vermeiden, will auch nicht »jeden zweiten Tag den Kanzler in den Hintern treten« oder sich gar »als Nebenkanzler aufspielen«. Für das eine Jahr, das er zu amtieren gedenkt, sieht er seine Funktion vielmehr darin, seinen Jungsozialisten mal so etwas wie »Selbstfindung zu ermöglichen«, aber gefälligst so, daß sie »nicht Partei in der Partei, sondern Teil der Partei« sind und bleiben.

Da ist Schröder, mit einer Lehrerin verheiratet und in einer geräumigen Altbauwohnung am hannoverschen Stadtwald Eilenriede zu Haus, dann doch noch mehr Sozialdemokrat als Jungsozialist, einer, dem die Existenz der SPD so wichtig ist wie deren Veränderung, einer schließlich, der sich im Grunde nach alten Zeiten sehnt, als die Partei mehr war als heute, »'ne soziale Institution« nämlich.

Wie daheim im Lippischen, wo der Vater, der gefallen ist, als Hilfsarbeiter sich auch auf der Kirmes verdingte und die Mutter, die sechs Kinder großzog, eben »keine Geborene von soundso, sondern eine geborene Sozialdemokratin« war. In dem Milieu ist Schröder, Kriegsjahrgang 44, geprägt worden, ist acht Jahre lang zur Volksschule gegangen, hat, im Gemischtwarenladen, Einzelhandelskaufmann und überdies Skat und Fußball gelernt. Im TuS Talle, wo er Mittelstürmer spielte, gab es einen Linksaußen namens Marx, und im Sportteil des Lokalblatts hieß es immer, Schröder habe »auf Vorlage von Marx eiskalt verwandelt«; das hört er sich gar zu gern erzählen, der Juso-Chef.

Weil ein Freund dort studierte, siedelte Schröder nach Göttingen um, wo er sich auf einem Bierdeckel notierte, was zwei Skatpartner, die er in einer Kneipe traf, abends sonst noch machten: mittlere Reife in der Abendschule. Nach zwei Jahren besaß er die gleichfalls und zog weiter zum Westfalen-Kolleg nach Bielefeld, wo er auch noch das Abitur nachholte. Im selben Jahr, 1966, begann er, zurück in Göttingen, das Jura-Studium.

Mit dem Studium der Sozialdemokratie hatte Schröder unterdes gleichfalls begonnen, war Genosse geworden und weiß noch: »Je mehr ich von Politik erfuhr, desto prononcierter wurde meine linke Position.« Bald saß er so im Göttinger Juso-Vorstand« den Leute vom Sozialdemokratischen Hochschulbund allerdings als hanebüchen rechts empfanden; sie traten den Jusos bei und wählten ihn ab -- beim Putsch dabei war eine Anne aus Ostfriesland, heute Schröders Frau.

Da er gleichwohl für die Kasse, für Öffentlichkeitsarbeit und Kontakte zur Partei zuständig blieb, war seine politische Karriere gesichert: Als Schröder 1971 sein erstes Examen machte, wurde er als Nachfolger des heutigen hannoverschen Oberbürgermeisters Herbert Schmalstieg zum Juso-Chef im SPD-Bezirk Hannover gewählt.

Daß er vergangenes Jahr in die Parteivorstände des Bezirks und der Stadt Hannover gewählt wurde, wertet Schröder als »eine gewisse Schutzfunktion« in seinem neuen Amt, die er vielleicht aber gar nicht nötig haben wird. Denn wenn er, wie vorgesehen, nicht Personen, sondern nur »falsche politische Inhalte« wie etwa den »Abbau von Rechtsstaatlichkeit« aufs Korn nimmt, »da kann mich die Partei sowieso schlecht rausschmeißen«.

Und außerdem, das hat Gerhard Schröder mit seiner Frau so abgesprochen, wird er den Jungsozialisten nur am Wochenende zur Verfügung stehen und seine »Kernzeit« der Anwaltspraxis widmen, die er eben gegründet hat: »Ich muß das ordentlich machen; jeder berufliche geht jedem politischen Termin vor.«

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