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Immer bereit

aus DER SPIEGEL 41/1966

Von Genossen wie sich und seinesgleichen pflegt er zu sagen: »Walter Ulbricht - das sind wir alle.« Doch von allen hat derzeit er allein Aussicht, eines Tages tatsächlich so etwas wie ein zweiter Ulbricht zu werden: der SED-Politbürokrat und ZK-Sekretär Erich Honecker, 54.

Seit Jahren ist der Vertraute Ulbrichts als Sicherheitsbeauftragter der SED und Verantwortlicher für Personalfragen die unumstrittene Nummer Zwei im Partei-Apparat. Jetzt gilt er auch offiziell als Anwärter auf das höchste Parteiamt: Das SED-Zentralkomitee beschloß auf Vorschlag Ulbrichts, dem gelernten Dachdecker das ideologische Grundsatzreferat für den 7. SED-Parteitag im April nächsten Jahres und damit die Fixierung der künftigen Parteilinie zu übertragen.

Keinem SED-Funktionär paßt die Kronprinzenrobe so faltenlos wie dem Mustergenossen Erich Honecker. Seine kommunistische Herkunft und seine Parteikarriere sind makellos, seine Phantasie ist begrenzt, sein Glaube an die Sowjets unerschütterlich.

Er ist emsig, humorlos und trinkt gern Buttermilch. Er ist pedantisch und knüpft seine Krawatten zu Windsorknoten, weil sie ordentlich und symmetrisch sind. Er ist so klassenbewußt, daß ihn seine Dienstmädchen im Wandlitzer Funktionärswohngetto Erich nennen und duzen dürfen. Er verabscheut Intellektuelle, liebt Klischees, scheut ungelenkte Publicity - er ist der perfekte Apparatschik.

Sein politischer Lebenslauf hat, im Gegensatz zu dem mancher seiner Führungsgenossen, weder Knick noch Knacks noch auch nur graue Stellen. Mit zehn Jahren gehörte der Sohn eines Saar-Bergmannes der kommunistischen Kindergruppe in Wiebelskirchen an, mit 14 Jahren dem Kommunistischen Jugendverband, mit 18 der KPD.

Im Jahre 1931, gerade 19 Jahre alt, avancierte er zum Sekretär des Kommunistischen Jugendverbandes im Saargebiet. Und drei Jahre später bereits saß der Saar-Kommunist im Zentralkomitee des Jugendverbandes.

Damals - die Hitler-Dämmerung lag über Deutschland - bewies Honecker nicht nur Überzeugungstreue, sondern auch Mut. Er ging in die Illegalität und organisierte Widerstandsgruppen, bis ihn im Dezember 1935 in Berlin die Gestapo erwischte. Nach 18 Monaten U -Haft steckte ihn der Volksgerichtshof wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« für zehn Jahre ins Zuchthaus Brandenburg-Görden.

Kaum hatten ihn die Sowjets Ende April 1945 befreit, machte er sich im Auftrag Wilhelm Piecks daran, die Gründung der »Freien Deutschen Jugend« (FDJ) vorzubereiten. Er wurde-1946 - erster Chef der FDJ und heiratete im Jahr darauf seine Stellvertreterin, die vormalige SPD-Genossin Edith Baumann, Jahrgang 1909.

Fast zehn Jahre lang, bis zum Mai 1955, hatte Honecker Zeit, die FDJ - ursprünglich als überparteiliche Organisation gegründet - zum straff gegliederten Jugendtrupp der SED zu machen. Getreu der FDJ-Devise »Immer bereit«, diente er seiner Partei zugleich als ZK-Mitglied und, seit 1950, als Kandidat des Politbüros.

Anpassungsfähig nahm der Saarländer unter Sachsen alle Kurven der Parteilinie so sicher, daß er nie ins Schleudern geriet.

> Honecker 1947: »Es lebe die unzerstörbare Freundschaft zwischen der deutschen Jugend und der jugoslawischen Jugend, die mit Recht stolz sein kann auf den demokratischen Volksstaat, den sie unter Führung Marschall Titos errichtet hat.«

> Honecker 1948: »Für uns gibt es keine Freundschaft mit der jugoslawischen Jugend. Wer mit offenen Augen die

Entwicklung in Jugoslawien während der letzten Jahre verfolgt hat, der kann sich heute gar nicht darüber wundern, daß in diesem Land verbrecherische Politik getrieben wird.«

> Honecker 1947: »Nur ein Weg führt in die Zukunft Deutschlands, und das ist der Weg der Entmilitarisierung Deutschlands.«

Honecker 1952: »Es ist für jeden Deutschen eine hohe Ehre, in den bewaffneten Einheiten unserer Deutschen Demokratischen Republik unserer Heimat zu dienen.«

Ulbricht beschloß, das Talent zu fördern. Er schickte den zweifachen Vater (eine Tochter aus erster Ehe, eine Tochter aus zweiter Ehe mit Margot, geborene Feist, Jahrgang 1927, einst Chefin der Jungen Pioniere und derzeit Minister für Volksbildung) für zwei Jahre zur Schulung in die Sowjet-Union.

Die Investition machte sich bezahlt. Aus Moskau zurückgekehrt, erwies sich der Genosse- auch heiklen Aufgaben durchaus gewachsen: Im Februar 1958 hielt er vor dem ZK die Anklagerede gegen die Ulbricht-Gegner Schirdewan, Wollweber und Oelssner.

Im Sommer desselben Jahres rückte Honecker zum Vollmitglied des Politbüros auf. Und von da an nutzte er jede Möglichkeit, landauf landab Kontakte zu den Genossen zu suchen. Er ließ sich den neuesten Parteiklatsch zutragen, forschte nach Intrigen und nutzte die Kenntnisse, die er beim Umgang mit den Provinz-Satrapen der Partei erwarb, zum Ausbau seiner Stellung im Führungsapparat.

Populärer wurde er dadurch nicht, aber mächtiger. 1963 übergab ihm Ulbricht zur Leitung des Sicherheits-Ressorts die Aufsicht über die Personalpolitik der Partei.

Seither ist Honecker nach Ulbricht der zweitmächtigste Mann der DDR. Er vertritt den Parteichef auch bei offiziellen Anlässen und hält - immer in Übereinstimmung mit den Sowjets - die Partei auf konservativ-dogmatischem Kurs. Und zweimal schon hat der SED-Vize bewiesen, daß er diese Aufgabe für wichtiger hält als die Wünsche seines greisen Gönners:

> Im Dezember letzten Jahres stoppte er die von Ulbricht gebilligte Liberalisierung der Kulturpolitik und bezichtigte die Partei-Intellektuellen »moralzersetzender Philosophie«, des »Nihilismus« und der »ideologischen Diversion«;

> im April dieses Jahres torpedierte er mit sowjetischer Rückendeckung den von Ulbricht gesuchten Dialog mit der SPD.

Gleichwohl hat der Parteichef nichts unternommen, die Karriere seines Stellvertreters zu bremsen. Denn er weiß so gut wie die Sowjets, daß eine wegen ihrer West-Nachbarschaft ideologisch so gefährdete Partei wie die SED für die Nach-Ulbricht-Periode einen Verwalter braucht, der mit harter Hand für Disziplin sorgt. Und Honecker hat bewiesen, daß er wie kein anderer versteht, Disziplin zu halten.

Mit der Ausnahme: Er behält sich ein Recht vor, das er allen seinen Untergebenen verweigert. Sein Sicherheitsapparat sorgt dafür, daß nicht einmal Dorfpolizist werden kann, wer Verwandte im Westen hat. Honeckers Familie aber, angefangen von seinem 84jährigen Vater, lebt vollzählig in der Bundesrepublik.

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