PARTEIEN Immer die gleichen
Neun Monate lang war die CSU-Landesgruppe in Bonn auf Empfang. Tag für Tag ließ sie, nach eigener Darstellung in »außerordentlich schwieriger und zeitraubender« Lauscharbeit, westdeutsche Rundfunk- und Fernsehprogramme observieren. Auf Tonband wurden Hörfunkprogramme aus Frankfurt, Hamburg, Köln und Berlin mitgeschnitten, mittels Videorecorder ARD- und ZDF-Sendungen wie das Westdeutsche Regionalfernsehen eingefangen.
Aus den Konserven fertigte die Arbeitsgruppe Publizistik der Bayern in Bonn eine 60 Seiten starke Dokumentation mit Auszügen aus 51 Sendungen -laut CSU alles Belege für die Umtriebe roter »Diffamierungs und Fälschungszentralen« ml westdeutschen Funkwesen. »In bestimmten deutschen Rundfunk- und Fernsehanstalten«, so verkündete die Arbeitsgruppe dann am vorletzten Wochenende, würden ständig »staats- und verfassungsfeindliche Sendungen« von »gewaltigem Ausmaß« abgelassen -- linksradikale »Agitation« und prokommunistische »Infiltration«, kurzum »geistig-ethische Subversion und Zersetzung«.
Der Programm-Verriß ist der bisher massivste Angriff der CSU, die mit Kritik am »Rotfunk« schon zuvor nicht zimperlich war. Nun freilich fordert die bayrische Unionspartei »Konsequenzen gegen jene«, die den »Mißbrauch der Pressefreiheit in Rundfunk und Fernsehen ... systematisch betreiben«.
Das Signal aus der Bonner CSU forciert erneut die vielfachen Versuche der Christenparteien, den vermuteten Linkstrend im westdeutschen Äther zu wenden. Denn ohne Medien, propagierte beispielsweise der frühere CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf den Konflikt, sei eine Partei »verraten und verkauft, sie wird dann sprachlos«.
Zum erstenmal sucht daher der Bonner CSU-Report. über allgemeinen Argwohn und häufige Kritik in Einzelfällen hinaus, den faktischen Nachweis für die Einseitigkeit ganzer Programme zu erbringen. »Immer wieder die gleichen Namen, Sendungen und Anstalten« geben den Programmkontrolleuren dabei Anlaß zur Kritik, eine solche »Fülle des Materials«, daß sich der Report der CSU »auf die schwerwiegendsten von vielen Verstößen« beschränkt.
»Verfälschung und Diffamierung unserer staatlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit« lautet der generelle Befund für politische Sendungen, und das Urteil scheint auf den ersten Blick keineswegs abwegig, denn, so belegt die Dokumentation beispielsweise:
Am 14. Mai 1977 wurde vom Westdeutschen Rundfunk ein unverblümtes Plädoyer für den revolutionären Kampf gesendet. Dieser Kampf, war damals im WDR zu hören, müsse, »von der Sabotage im Betrieb bis zu Enteignungen und Entführungen, diesen Staat an seinen empfindlichsten Stellen treffen«. Wörtlich weiter:
Alle Angehörigen der herrschenden Klasse sollen in ihrem Willen unsicher sein, sie haben lange genug ruhig geschlafen ... Sie sollen gezwungen werden, wirklich alles und jedes Objekt mit ihrem Aufgebot von Bullen zu schützen. Wir wollen, daß die Stadtguerilla eine Massenperspektive wird und nicht eine Sache von ein paar Leuten (bleibt). Der Aufruf stammte von einem namentlich nicht genannten Mitglied einer »Revolutionären Zelle«, das ihn laut CSU-Version im Dritten Hörfunk-Programm des WDR »referieren durfte« »"Spektakulär« hätten ihn WDR-Redakteurin Carola Stern und eine Ko-Autorin in den Terror-Appell eingeblendet,"statt die bekannten alarmierenden Fakten über den Terrorismus in der Bundesrepublik« darzulegen.
Ein gravierender Vorwurf -- wenn er begründet wäre. Er ist es nicht, die CSU-Version ist falsch. Denn die Sendung sollte, so das (nicht zitierte) Vorwort der angesehenen Kommentatorin Carola Stern, »durch Darstellung der Strategie und Praxis des Terrorismus Illusionen zerstören, da, wo sie noch vorhanden sein mögen«, und sollte Wege zu verbesserter »Bekämpfung des Terrorismus« aufzeigen.
Die von der CSU vermißten »alarmierenden Fakten« wurden in Wirklichkeit ausgiebig, 105 Minuten lang, in dem Beitrag ausgebreitet -- knapp dreieinhalb Minuten dauerte es, das Flugblatt der »Revolutionären Zelle« zu verlesen. Und nicht ein Revoluzzer, wie die CSU es hinstellte, »durfte referieren«, sondern ein WDR-Sprecher verlas, wie in solchen Fällen üblich, den Text vom Blatt -- das ganze war mithin nicht Proklamation, sondern Dokumentation, ein Stück gebotene journalistische Aufklärung. Autorin Stern hatte sich das Pamphlet für ihre Sendung eigens »von Terroristenfahndern« besorgt.
Ein zweiter Fall, der keiner ist: Die Ursachen des Terrorismus, meinte Kommentator Peter Bender Anfang Oktober im gemeinsamen Hörfunkprogramm von NDR und WDR, seien offenbar nicht nur in der »Fehlentwicklung von ein paar hundert Leuten« zu suchen, sondern in einer »Krankheit, an der Staat und Gesellschaft leiden«.
Im »Überfluß und Überdruß« der permissiven Wohlstandsgesellschaft gelte beispielsweise Stehlen schon bei Kindern als Kavaliersdelikt. Bender: »Die Krankheit, an der wir leiden, ist die aller reichen Leute. Uns geht es zu gut.«
Diese These mißfiel der CSU, da sie, so heißt es nun in der Medien-Kritik, Baader-Meinhof als »Alibi« dienen könne. Die Gesellschaft nämlich sei »nicht erkrankt«; vielmehr lasse das Verantwortungsbewußtsein der selbsternannten Ärzte zu wünschen übrig. Wenn »die »Ärzte« nun die Krankheit ihrer falschen Diagnose anzupassen« trachteten, wie es Bender versuche, gelte es »Widerstand zu leisten«.
Daß derlei ungnädige Textkritik ausreicht. einen -- in diesem Fall eher konservativ argumentierenden -- Kommentator als Verfassungsfeind abzustempeln, nickt die Untersuchung der CSU dorthin, wo sie ihrerseits die Sender hinrücken will, ins schiefe Licht. Ohne einen Hauch von Plausibilität registrieren die CSU-Kontrolleure den Bender-Kommentar im Wirtschaftsteil ihrer sogenannten Dokumentation unter dem Obertitel: »Kommunistisch-sozialistische Agitation gegenüber der sozialen Marktwirtschaft und ihren Grundlagen«.
Daß Scharfmacher bei der CSU am Werk waren und nicht Dokumentaristen, ist offenkundig. Der Herausgeber der Studie, CSU-MdB Carl-Dieter Spranger, 38, ist in Bonn eh einschlägig bekannt. Der gebürtige Sachse aus dem fränkischen Ansbach macht immer wieder mal mit »Verschwörungsthesen« und »Denunziation für Dumme« von sich reden und hielt, wie ihm die liberale »Zeit« bescheinigte, letztes Jahr zum Thema Terrorismus »eine der schlimmsten Reden, die je im Bundestag gehalten wurden -- ein klassisches Beispiel politischer Infamie«.
Nach der gleichen Technik -- »die Gegner so nahe bei Beschuldigungen und Verdächtigungen zu placieren, daß die Situationsbeschreibung zwanglos zur Anklage wird« ("Zeit") -- besorgte ein Gesinnungsfreund jetzt Sprangers Fallsammlung aus Funk und Fernsehen: der Baltendeutsche Elimar Schubbe, 43, Redakteur des »Rheinischen Merkur«, der nebenher in Bonn ein Büro zur Programmbeobachtung ("Tele-Control") betreibt.
Ressortleiter Schubbe (Innenpolitik und Kultur) läßt unter offizieller Leitung seiner Ehefrau Ingeborg Programme auf Linkstendenzen abhorchen. »Punktuell, nicht rund um die Uhr« (Schubbe) schalten sich freie Mitarbeiter für »Tele-Control« in mutmaßlich anrüchige Sendungen ein.
Dabei läßt Schubbe, wie er einräumt, von CDU/CSU-Intendanten geleitete Süd-Anstalten. den Bayerischen, Süddeutschen. Saarländischen Rundfunk, hei der Programmbeobachtung fast völlig außer Betracht -- was auf verquere Weise logisch macht, daß Spranger »immer wieder die gleichen« Anstalten rügen muß.
Diese Rügen, zwanglos unter dem Verdacht auf »staats- und verfassungsfeindliche« Tendenzen placiert, richten sich fast durchweg gegen Berichte und Kommentare, deren Richtung den Sprangers und Schubbes nicht paßt -- ein »Wort zum Sonntag« von Pfarrer Heinrich Albertz etwa, der »dem großen Angebot der Freiheit in unserem Grundgesetz« die Realität gegenüberstellte, wie er sie sieht: »bestimmte Polizeieinsätze«, die »elenden Folgen des Radikalenerlasses«, »Geldanlagen in Ländern, in denen Menschen gefoltert und liquidiert werden«. Kommentar im CSU-Papier: »Unheilvolle Thesen.«
Auch unbequeme Theologen wie Heinz Zahrnt und Martin Niemöller passen der CSU nicht ins Konzept: Leute wie sie spielten »die gegen einen abendländischen Anthropozentrismus gerichtete Grundmelodie« der Gesellschaftsveränderer und Marxisten. Und beliebig setzen die Programm-Beobachter die Liste fort:
»Verharmlosung von Linksradikalen« registrieren sie, wenn ein Autor im Hessischen Rundfunk erwägt:
Wir setzen mit deutscher Gründlichkeit einen Riesenapparat der demokratischen Gesinnungskontrolle in Gang, um eine Handvoll linksverdächtiger Leute auszusondern.
Zuviel Spielraum für »linke Gesellschaftsveränderer« und deren »hetzerische Wirkung« beklagen sie, wenn das ZDF den aus der DDR ausgebürgerten kommunistischen Liedermacher Wolf Biermann reden und singen läßt, und sind »um so mehr verwundert« über die ZDF-Begründung:
Wir könnten den Scharfmachern in der SED gar keinen größeren Gefallen tun, als wenn wir Wolf Biermann auch bei uns einen Maulkorb verpaßten.
»Abwegig«, entrüsten sie sich über den im Homosexuellen-Milieu spielenden WDR-Film »Die Konsequenz«, den sie freilich daheim, im CSU-Land, gar nicht hätten sehen können, weil sich seinetwegen der Bayerische Rundfunk -- als einziger Sender -- aus dem ARD-Programm ausschaltete. Heute ködern bundesdeutsche Kinos ihre Besucher mit dem bayrischen Sendeverbot.
Die Crux der CSU-Untersuchung ist offensichtlich: Die Technik, mißliebige Fictions, kritische Kommentare in die Nähe »prokommunistischer« Tendenzen zu rücken, hindert die Medienjäger der Union an durchdachter Kritik. Die aber wäre mitunter tatsächlich angebracht.
So ließ eine Moderatorin des Senders Freies Berlin im September letzten Jahres. als Terroristen den Arbeitgeber-Präsidenten Harms Martin Schleyer entführt hatten, den Schweizer Links-Professor Jean Ziegler in einem Live-Interview ohne Widerrede sagen: Die Bundesrepublik hat eine Außenpolitik ... die täglich direkt oder indirekt den Tod von Hunderten von Menschen verschuldet ... Es gibt (also) im Fall Schleyer zwei Machtapparate, die sich gegenüberstehen: ein Staatsapparat mit Polizisten, Armee, Banken. Der andere Machtapparat ist ein Anarchistenkommando. Keiner der beiden Machtapparate hat irgendwelche Moral ... beide (sind) unmoralisch. Die Berliner Panne macht allerdings deutlich, daß solche Fehlleistungen gerade nicht zum Funkhaus-Alltag gehören. Es entstand, sagt der stellvertretende SFB-Chefredakteur Peter Schulze, eine »ungeheure Aufregung« im Sender, der Intendant gab eine Erklärung ab, Chefredakteur Peter Pechel bezeichnete Zieglers Ausführungen als »unsinnig«. Und manche Moderatoren, die Schultze als »eine Mischung zwischen Plauderer und Alleswisser« bezeichnet, dürfen seither so brisante politische Gespräche nicht mehr fuhren.
»Zu dem, was verfassungsrechtlich erlaubt ist, müssen auch Fehlleistungen gehören«. kommentiert Jürgen Kellermeier (SPD), stellvertretender Chefredakteur des NDR-Hörfunks, das CSU-Papier. »Verfassungsfeindlich ist dagegen die Behauptung, der Gebrauch der Meinungsfreiheit im Rundfunk sei verfassungsfeindlich.«