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BERLIN-VERKEHR Immer in zwei Richtungen

Die Trassenführung der geplanten Autobahn Berlin-Hamburg gefährdet die militärische Sicherheit der Bundesrepublik -- glaubt die Opposition.
aus DER SPIEGEL 31/1978

Es las sich, als ob Norddeutschland dem Zugriff des Ostens wehrlos ausgeliefert wäre »Wie eine Pistolenmündung«, gruselte sich Militär-Kommentator Adelbert Weinstein in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, ziele die neue Straße auf Hamburg. Die »ideale Panzerrollbahn« werde »schon im Spannungsfall magnetische Anziehungskraft auf den sowjetischen Generalstab ausüben«.

Auch Franz Josef Straußens »Bayernkurier« witterte vom Autobahnbau durch die DDR nichts als Unheil: Die Trasse schaffe roten Truppen »eine zusätzliche Aufmarschmöglichkeit« und spalte die »europäische Nato-Verteidigung in drei Blöcke«.

Kein Wunder, daß Unionspolitiker an der vorgesehenen Streckenführung der neuen Autobahn Berlin-Hamburg ebenfalls keinen Gefallen fanden: Sie liege, kritisierte der CDU/CSU-Fraktionsgeschäftsführer Paul Röhner, »im einseitigen lnteresse« Ost-Berlins. Wieder einmal zahle Bonn einen hohen Preis ohne Gegenleistung.

Auf den ersten Blick sieht das erzielte Ergebnis für die Bundesrepublik freilich keineswegs schlecht aus. In zwei Jahren. so vereinbarten Bonn und Ost-Berlin, soll mit den Arbeiten an der neuen Autobahn-Verbindung begonnen werden, die nördlich Lauenburgs DDR-Gebiet erreicht und in der Nähe des Brandenburg-Städtchens Wittstock in die bereits weitgehend fertiggestellte Autobahn Berlin-Rostock mündet. Statt wie bisher vier Stunden durch die Nadelöhre der DDR-Kleinstädte zu kriechen und hinter qualmenden Bussen über das Holperpflaster der Fernstraße Berlin-Lauenburg zu zuckeln, werden die Autofahrer etwa ab 1985 über die Nord-Autobahn nur noch die Hälfte der Zeit benötigen.

Daß bei solcher Zukunftserwartung das bislang größte deutsch-deutsche Kooperationsgeschäft bei der Bonner Opposition keine positivere Würdigung findet, stößt im Kanzleramt auf Unverständnis. Jahrelang hätten alle Parteien eine bessere Verkehrsverbindung zwischen Hamburg und West-Berlin, erläutern die Regierungsvertreter ihre Enttäuschung, ebenso dringend gewünscht wie für unrealisierbar gehalten. Jetzt, da man die Zustimmung der Gegenseite für die neue Schnellstraße in der Tasche habe, könne der Erfolg nicht zur Niederlage verfälscht werden.

Den Vorwurf mangelhafter Verhandlungsführung halten die Bonner

* Ortsdurchfahrt Kyritz

für gänzlich unzutreffend. »Da die von uns gewünschte Autobahn nun einmal über DDR-Gebiet geht«, resümiert ein Kanzler-Berater, »kann Ost-Berlin auch allein über den Trassenverlauf entscheiden.« Und der stand bereits fest, bevor im Juni Bonns Vertreter in der DDR, Günter Gaus, mit den Sondierungsgesprächen begann.

Ganz anders die Lage hei den westdeutschen Anrainern. »Die haben sich fortwährend den Kopf der DDR zerbrochen«, bilanziert Peter Borowski vom Innerdeutschen Ministerium die Haltung der Bundesländer. Während Hamburg und Schleswig-Holstein für die Nordtrasse votierten, sprachen sich die Niedersachsen für eine Süd-Führung aus: von Wittstock in den Raum Lüchow-Dannenberg« an Lüneburg vorbei zum Horster Dreieck.

Ihre Argumente für diese Strecke entnahm die Landesregierung in Hannover dem Gutachten eines Berliner Ingenieurbüros: Für die Südtrasse brauchten der DDR nur 66 Kilometer Baukosten erstattet werden, für die Nordtrasse dagegen 119 Kilometer.

Hamburg und Kiel führten dagegen für ihre Lösung als Hauptvorteil an, daß sie sich am schnellsten verwirklichen lasse. Denn die vorbereitenden Arbeiten hatte bereits in den dreißiger Jahren Hitlers Autobahn-Beauftragter Fritz Todt in die Wege geleitet; fast alle erforderlichen Grundstücke befinden sich seit damals in Staatsbesitz.

Von den Bundesländern derart unterschiedlich munitioniert, rüstete ein interministerieller Arbeitsstab den Bonner Unterhändler Gaus im Frühjahr mit einer detaillierten Verhandlungsmappe aus. Auf jeden DDR-Vorschlag sollte Gaus flexibel reagieren und eine schnelle Festlegung vermeiden.

Doch a"s die DDR gleich zu Beginn der Gespräche klarstellte, die Trassenführung sei für sie kein Verhandlungsgegenstand, war das Konzept nur noch Makulatur. In einem Chefgespräch stimmten daraufhin Finanzminister Hans Matthöfer, Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, Verkehrsminister Kurt Gscheidle, Kanzleramtsminister Hans-Jürgen Wischnewski und der Berliner Bürgermeister Dietrich Stobbe der Nord-Variante ohne Zögern zu.

Die Einwilligung fiel dem Gremium um so leichter, als sich Ost-Berlin zuvor einverstanden erklärt hatte, nach 1980 mit Bonn auch über den Bau »einer zusätzlichen Verbindungsstraße in den Raum Lüchow-Dannenberg zu verhandeln« (so Staatssekretär Heinz Ruhnau aus dem Verkehrsministerium).

Unterhändler Gaus wurde aufgetragen, nach der Sommerpause mit dem Ost-Berliner Verkehrsministerium Bauzeit und Baukosten für die Nord-Autobahn festzulegen sowie die zukünftige Verwendung der alten Fernstraße von Staaken nach Lauenburg zu regeln. Bonn sähe gern, wenn sie als zusätzlicher Transitweg erhalten bliebe.

Daß sich die DDR von Anfang an auf die Nordtrasse festlegte, erklären die Kanzleramts-Experten mit ökonomischen Gründen. Durch den größeren Streckenanteil auf Ost-Gebiet erhöhe sich die Geldforderung an Bonn, und mit dem längeren Weg steige auch die nach Verkehrsaufkommen und Kilometern berechnete Transitpauschale.

Das Argument, der DDR-Entschluß sei vor allem militärisch motiviert, wie die Union und ihr publizistischer Anhang vermuten, lassen die Bonner dagegen nicht gelten. Zwar hat Ost-Berlin Teilstücke der Rostock-Autobahn als Luftwaffenbasis ausgerüstet. Doch ist dies nicht ungewöhnlich: Auch auf den West-Autobahnen sind bestimmte Abschnitte im Notfall als Feldflugplätze nutzbar.

In zwei Gutachten des Verteidigungsministeriums ließ sich das Kanzleramt die militärische Ungefährlichkeit der Nord-Autobahn bestätigen. Wer den Autobahn-Neubau von Berlin nach Hamburg für bedrohlich halte. erläuterten die Bonner Militärs. dem müsse auch der Feldwegeausbau in Schleswig-Holstein suspekt erscheinen. Bei einer Invasion aus dem Osten könne der Feind bei einem guten Wegenetz wesentlich schneller vorstoßen.

Am überzeugendsten fanden die Zivilisten im Kanzleramt freilich eine militärische Binsenweisheit. »Autobahnen«, so ein hoher Generalstabsoffizier. »führen immer in zwei Richtungen.«

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