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»Immer nur bei anderen gut«

SPIEGEL-Redakteurin Marion Schreiber über Petra Kellys USA-Besuch *
aus DER SPIEGEL 40/1983

Wäre Petra Kelly pünktlich und am richtigen Eingang des State Department in Washington gewesen, dann hätte sie Ronald Reagan wenigstens gesehen. Der Präsident, der keine Zeit für ein Gespräch mit der grünen Parlamentarierin aus Bonn hat, fuhr in höchster Eile davon; zwei heftig kreischende Sekretärinnen, die ihm zujubeln wollten, brachte er mit knappem Winken zum Verstummen.

Doch Petra Kelly, der »attraktive Star der radikalen Antipartei-Partei« ("Time"), ist, wie meist auf ihrer einwöchigen Tour durch die etablierten Politzirkel von New York und Washington, wieder einmal verspätet.

Zwanzig Minuten müssen die rund 400 Mitarbeiter im großen Auditorium des amerikanischen Außenministeriums warten, ehe »eine der begehrtesten und kontroversesten politischen Figuren Westdeutschlands« ("International Herald Tribune") das Podium besteigt. Und dann vermittelt sie ihren Zuhörern, blaß, fröstelnd und angespannt, mit dunklen Rändern unter den Augen, den Eindruck, die müßten sich glücklich schätzen, daß eine dermaßen gestreßte politische Figur überhaupt noch Zeit für sie findet.

Sie sei »völlig fertig«, entschuldigt sie sich - von einer zweistündigen improvisierten Diskussion mit einhundert Studenten an der American University, an der sie selbst von 1966 bis 1970 Politische Wissenschaften studiert hat. »Das war für mich«, sagt sie mit leichtem Augenaufschlag, »ein sehr bewegendes Ereignis.«

Mutter und Stiefvater Kelly, die eigentlich in Newport News wohnen, aber bei allen Terminen in Washington dabei sind, genießen stolz von der ersten Reihe aus den Auftritt ihrer Tochter vor der Creme der amerikanischen Diplomatie. Binnen Minuten wandelt sich das hektische, fahrige Nervenbündel in jene konzentrierte »dynamische Rednerin« (so die Werbetexte), die in ihrer zweiten Muttersprache Ideologie und Gesinnung so überzeugend darbieten kann wie ihre konservativen Gegenspieler von der Aufrüstungs-, Atom- und Wachstumsfronde in Ronald Reagans Republikanischer Partei.

Mit Erstaunen registriert die Bonner Botschaft in Washington, wie aufmerksam diese Jeanne d''Arc der Friedensbewegung von den Amerikanern behandelt wird. Zwei überregionale Fernsehshows (eine dritte mußte aus Zeitnot abgesagt werden), Auftritte vor dem exklusiven New Yorker Council on Foreign Relations, dem Washingtoner Institute for Foreign Affairs, Vorträge im State Department und im National War College, der militärischen Elite-Hochschule, die seit Jahren keinen deutschen Politiker eingeladen hatte.

Das geht alles so weit, daß zuweilen das Selbstbewußtsein der Abgeordneten aus der Bonner Mini-Fraktion in pure Selbstüberschätzung umschlägt. Mit einem Ersatztermin - statt Reagan wurde Petra Kelly und ihrem Kollegen Gert Bastian der Unterstaatssekretär Richard Burt angeboten - wollten sich die alternativen Parlamentarier nicht begnügen. Kelly: »Wenn, dann wollen wir schon den Präsidenten.«

Für die amerikanischen Pazifisten ist die Kelly eine Zugnummer. Vor dem Florence Swimley Theater im kalifornischen Berkeley stehen junge und alte Friedensfreunde Schlange, um für vier Dollar Petra Kelly zu erleben.

Und vor dem Hancock Auditorium an der Universität von Kalifornien in Los Angeles drängen sich Hunderte von Studenten, um die Rede Petra Kellys wenigstens über Lautsprecher verfolgen zu können. »So viele Leute«, wundert sich der Universitätsdozent Larry L. Berg, »hat zuletzt Robert Kennedy bei uns auf die Beine gekriegt.«

»She is going to be a darling«, staunt Dorothy Storck, Kolumnistin des »Philadelphia Inquirer«, über die seltsame Grüne. Die streitbaren Damen von »Women strike for peace« in Philadelphia küren sie zu ihrer Frau des Jahres.

Die amerikanischen Medien sind von diesem deutschen Fräuleinwunder, das mit 13 Jahren gemeinsam mit der Mutter und dem Stiefvater Colonel John Kelly in die USA kam, fasziniert. Eine von ihresgleichen, obwohl Petra Lehmann vor 36 Jahren im schwäbischen Günzburg geboren wurde. »Petra Kelly comes home«, titelte der Washingtoner »Eagle«.

In den Staaten hat die ehemalige Klosterschülerin das politische Handwerk gelernt, als Wahlhelferin für die Senatoren Robert Kennedy und Hubert Humphrey. Von den Studenten der American University wurde sie damals zur »outstanding woman of the year« gewählt, zur Klasse-Frau vom Campus.

Mit Martin Luther King und Joan Baez marschierte sie zum Weißen Haus und lernte, so erklärt sie den Herren im Washingtoner »Cosmos Club«, »den gewaltfreien Widerstand«. In diesem Club, wo die Gentlemen gebeten werden, nur »im Jackett und mit ordentlichem Halsgebinde« zu erscheinen, hat als letzter Deutscher Franz Josef Strauß gesprochen. Die Honoratioren sind schockiert, als die Rednerin die »einseitige Abrüstung der Nato« verlangt.

Doch als sie sich dann gegen den Vorwurf zur Wehr setzt, die europäische _(Bei der Verleihung des Titels »Frau des ) _(Jahres« der US-Friedensorganisation ) _("Women strike for peace« in ) _(Philadelphia; mit Gert Bastian (rechts). )

Friedensbewegung sei »einäugig, antiamerikanisch«, weicht der Schock dem Wohlgefallen: Haben nicht die friedlichen Blockierer von Mutlangen überhaupt als erste mit einer Lichterdemonstration auf den Abschuß des koreanischen Verkehrsflugzeuges durch die Sowjets reagiert? Sind nicht die Grünen von einer Friedenskonferenz in Prag demonstrativ abgereist, weil die Mitglieder der Charta 77 nicht teilnehmen durften? Und haben nicht die Alternativen mit 10 000 Sympathisanten in Bonn beim Breschnew-Besuch gegen die sowjetische Hochrüstungspolitik protestiert?

Schließlich wurde die Deutsche gemeinsam mit General Bastian und anderen grünen Kollegen in Ost-Berlin verhaftet, weil sie auf dem Alexanderplatz für den Frieden demonstriert hatten: »Eine Aktion, zu der uns sogar die Christdemokraten gratuliert haben; die Friedensbewegung ist eben immer nur bei den anderen gut.« Da klatschen die konservativen Herren im »Cosmos Club«.

Für die Militärs und für die Strategen, etwa für Stephen Szabo, Professor am Washingtoner War College, steht die Ernsthaftigkeit dieser Friedensbewegung außer Zweifel. Obwohl sie wohl keinen der 280 Offiziere überzeugt habe und keiner ihre politischen Ziele für richtig halte, hätten viele von ihnen, so Szabo, »ihre guten Absichten gespürt«.

Na bitte. Wie kann man denn amerikanische Politiker überzeugen wollen, die - wie der Reagan-Berater Robert Jastrow in einer Diskussion an der Columbia-Universität - erklären, ein 20facher Overkill sei sowieso nicht ausreichend, die Amerikaner bräuchten den 30- bis 40fachen. Ein anderer Gesprächspartner gab zu bedenken, daß die USA bei einer atomaren Auseinandersetzung »niemals Chicago für Hamburg« opfern würden.

Wenn schon das Überreden nicht gelingen kann - Petra Kelly versucht die Männergesellschaft wenigstens nachhaltig zu beeindrucken. Die »New York Times« rühmt ihren »ausgeprägten und amerikanischen Spürsinn für Public Relations«. Das wirkt, die Abgeordnete weiß es, »bedrohlich auf gewisse machtlüsterne Herren« in den eigenen Reihen. Aber sie braucht Bedrohungen.

In Philadelphia will sie, mit Bastian, an einer Demo amerikanischer Friedensfreunde gegen den deutschen Präsidenten Karl Carstens teilnehmen, um den Sozialdemokraten Erhard Eppler auszustechen: »Wenn da ein SPD-Vertreter spricht, müssen mindestens zwei Grüne da sein.«

Braucht sie auch mehr »Zärtlichkeit und Versöhnung in der Politik«, wie sie immer predigt? Ihr Leben verläuft nach anderen Mustern. Familiäre Bindungen und Freundschaften gehen in den politischen Aktivitäten auf. Die Omi in Bayern ist weniger Familienmitglied als vielmehr Hilfe in der Politik, Begleitung bei Demonstrationen und gelegentlich Sekretärin. Mutter und Stiefvater betreuen in Newport News den amerikanischen Stützpunkt für die Tochter.

Petra Kelly hat früher einmal Nonne werden wollen, »weltliche Nonne«, wie sie betont. Sie wurde statt dessen eine Missionarin, rigide gegen sich und streng mit den anderen. Ex-General Bastian, der in Amerika wie oft in Bonn im Schatten dieser redegewandten, energischen Person steht, sucht manchmal vergeblich ihre Hektik zu mildern - und hilft ihr zugleich bei ihrer Präsentation: Er wird jetzt nicht mit den Kollegen der Grünen-Fraktion nach Moskau reisen, sondern mit Petra Kelly einen Monat später, im November. Bastian: »Ich glaube einfach, dabei kommt mehr für uns raus.«

Kein Wunder, daß die Missionarin aus Bonn und ihre amerikanischen Kollegen nicht so gut miteinander können - gemeinsam ist Petra Kelly und Jane Fonda, der Filmschauspielerin und Friedensaktivistin, allenfalls der Sinn für PR. Die Fonda, die die Grüne aus Bonn in ihr Haus nach Santa Monica zur Dinner-Party einlud, habe sich, so die Kelly, »immer den Männern angepaßt: erst dem Roger Vadim, da war sie die ''Barbarella'', dann dem Tom Hayden, und da wurde sie links«.

Die Distanz beruht wohl auf Gegenseitigkeit, die beiden First Ladies der Friedensbewegung kamen nicht zueinander; Gastgeber Tom Hayden, demokratischer Abgeordneter im kalifornischen Kongreß, entschuldigte seine Frau: Sie filmt.

Bei der Verleihung des Titels »Frau des Jahres« derUS-Friedensorganisation »Women strike for peace« in Philadelphia;mit Gert Bastian (rechts).

Marion Schreiber
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