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JUSTIZ Immer pärchenweise

Wer vom Arbeitsamt finanzierte Fortbildung schwänzt, dem droht jetzt Freiheitsstrafe. Dem Betrug leisten die Behörden selbst Vorschub.
aus DER SPIEGEL 23/1979

Ein Großhandelskaufmann aus Neu-Isenburg strebte nach Höherem. Auf Kosten des Arbeitsamtes Frankfurt wollte sich der 33jährige zum praktischen Betriebswirt fortbilden, doch statt Betriebswirt wurde er zum Betrüger.

Weil der Kaufmann das zweite Semester schon nach dem ersten Tag schwänzte, dem Arbeitsamt davon aber keine Mitteilung machte und dadurch weiterhin staatliche Zuschüsse von insgesamt 12479,40 Mark kassierte, verurteilte ihn das Amtsgericht Frankfurt wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, allerdings mit Bewährung.

Dem uneinsichtigen Angeklagten müsse, so schrieb Richter Wolfgang Jakubski in das Urteil, »durch eine empfindliche Strafe klargemacht werden, daß sein Verhalten jedenfalls von der Rechtsordnung nicht gebilligt wird«.

Ein halbes Jahr Freiheitsentzug gab es auch für einen arbeitslosen Bankkaufmann, der sich zum Bilanzbuchhalter umschulen lassen wollte. Er hatte den Kurs abgebrochen, ohne es dem Arbeitsamt zu melden. Auf sein Konto waren danach noch insgesamt 4740,20 Mark für Unterhalt und Lernmittel geflossen.

»Schon aus Gründen der Generalprävention«, begründete Amtsrichter Hans-Günther Cappel das ungewöhnliche Strafmaß, »ist eine solche Strafe geboten.« Es sei »dem Ansinnen weiterer Kreise, unberechtigt Gelder der Allgemeinheit als Zuwendung des Arbeitsamtes ... kassieren zu können, entgegenzuwirken«.

Gar 14 Monate Freiheitsentzug schienen dem Frankfurter Amtsrichter Werner Erbrecht »unter Abwägung aller Umstände angezeigt« -- für einen Kunstschlosser aus Dietzenbach, der einen Lehrgang als Maschinenbautechniker vorzeitig beendete, aber noch anderthalb Jahre lang Gelder vom Arbeitsamt Offenbach bezog, insgesamt 42 278,54 Mark.

Den Schwindel mit Ausbildungshilfen der Arbeitsämter, weithin allenfalls als Kavaliersdelikt abgetan, stempelt die Frankfurter Justiz inzwischen zum Vergehen von beachtlicher krimineller Intensität: Wer staatlich geförderte Kurse schwänzt und das verschweigt, muß durchweg mit erheblichen Sanktionen rechnen.

»Man kann bei den Gerichten die Tendenz erkennen«, sagt der Frankfurter Staatsanwalt Jürgen Stehling vom Betrugsdezernat, »die Dinge härter zu beantworten« -- statt Geldstrafe jetzt schon mal Freiheitsentzug.

Es trifft gleichermaßen biedere Hausfrauen, die nach wenigen Wochen Schulbankdrücken doch lieber bequem zu Hause sitzen, wie ehrgeizige Kaufleute, denen das gesteckte Lernziel plötzlich unerreichbar scheint. Es hilft den Angeklagten auch wenig, wenn sie vor Gericht als Entschuldigung für ihr Fernbleiben vom Kurs vorbringen: »Kreislaufstörungen«, »eheliche Zerwürfnisse« oder einfach, so ein Kaufmann, »Überfüllung des Klassenzimmers«.

Denn die Gerichte halten den Delinquenten grundsätzlich vor, daß sie sich per Unterschrift verpflichteten, Veränderungen »wie vorzeitige Beendigung oder den Abbruch der Teilnahme an dem Kurs dem Arbeitsamt unverzüglich mitzuteilen«. Wer das nach drei Wochen, so die zugebilligte Karenzzeit, noch nicht getan hat, betrügt »durch Unterlassen«.

Durchweg als Ausreden werten die Richter die Einlassungen, warum einer nicht Meldung machte. Gängige Schutzbehauptung: Die Schulen würden das Fehlen ohnehin bekanntmachen. Viele, so Staatsanwalt Stehling, »geben aber, wenn man ein bißchen bohrt, den wahren Grund zu: Teilst du es heute mit, hast du morgen kein Geld mehr«.

Selbst wer beharrlich behauptet, dem Arbeitsamt den Kursabbruch schriftlich angezeigt zu haben, ist noch lange nicht frei von Schuld. Das Frankfurter Oberlandesgericht legte jetzt grundsätzlich fest, wie weit die Mitteilungspflicht geht. Bei »Weiterzahlung der Förderungsleistungen«, so die Oberlandesrichter, sei der Begünstigte auch »zu einem weiteren Tätigwerden, sei es in Form einer Nachfrage, sei es durch erneute Mitteilung des Abbruchs einer Umschulung, verpflichtet«.

Daß Bürger auch noch für die Schlamperei von Behörden büßen sollen, stößt freilich auf juristische Bedenken. Ohnehin gibt es Stimmen, die vor einer Ausuferung des Betrugstatbestandes »durch Unterlassen« warnen. Gerade bei den »meisten Fällen des Fortbezuges von Renten und Unterstützungen«, so der Münchner Strafrechtsprofessor Paul Bockelmann schon vor Jahren, sei »das Schweigen des Empfängers keine Irrtumsunterhaltung, geschweige denn eine Irrtumserregung«, fehle es also an einer Voraussetzung des Betrugstatbestandes.

Immerhin, das räumt auch die Frankfurter Justiz ein, fördert das Arbeitsamt durch nachlässige Überprüfungen die Schwindeleien. Amtsrichter Jakubski etwa bemängelt, daß fehlende Kontrollen »dem Angeklagten die Tat sehr leicht gemacht« hätten, und auch seinem Kollegen Erbrecht scheint das Überprüfungssystem des Arbeitsamtes »sehr zweifelhaft«.

Anfragen wegen der Anwesenheit der Lehrgangsteilnehmer gibt es nur sporadisch. »Der Träger wird, wenn der Lehrgang vorbei ist, mal angeschrieben«, schildert Hermann Klaas, stellvertretender Direktor des Arbeitsamtes Frankfurt, die Praxis, »wer denn alles bestanden hat.« Viele Ausbilder führten auch Anwesenheitslisten, aber, so Klaas, »nicht alle sind da so hinterher«.

Die Bundesanstalt für Arbeit (BfA) in Nürnberg hält strengere Überprüfungen für problematisch, denn »die totale Kontrolle«, so Herbert Schneider, Referent für die Förderung der beruflichen Bildung, »belastet Bildungsträger, Teilnehmer und Arbeitsämter«.

Die BfA setzt den entstandenen Schaden auch gering an. Schneider: »Wir erwischen alle, spätestens, wenn die Maßnahme zu Ende ist. Die machen sich dann zwar strafbar, aber in der Regel kommen wir wieder an das Geld ran, das wir überzahlt haben.«

Mancherorts soll es so weit gar nicht kommen. Das Arbeitsamt Recklinghausen etwa arbeitet, so beteuert Amtsleiter Ehrenfried Kulozik, »nur mit Trägern zusammen, die uns mindestens einmal im Monat Anwesenheitslisten vorlegen«.

Für Dortmunds Arbeitsamtschef Gerhard Ahl ("Wir führen überall Anwesenheitslisten, da rutscht uns keiner durchs Netz") ist es »einfach unvorstellbar, daß einer anderthalb Jahre unentdeckt« bleibt. Im Düsseldorfer Bereich wurden in den vergangenen 15 Monaten nur sechs Fälle registriert. Gesamtschaden: 31 945 Mark.

Nahezu das Doppelte schaffte in Frankfurt, wo die Staatsanwaltschaft »immer päckchenweise fünf, sechs Verfahren« (Stehling) vom Arbeitsamt geschickt bekommt, eine 39jährige Hausfrau ganz alleine beiseite. Zwei Jahre lang zahlte die Behörde pünktlich Unterhalt und Zuschüsse, insgesamt 56 254 Mark -- im Kurs für Betriebswirtschaft ließ sich die Auszubildende nicht einmal blicken. Stehling: »Das ist natürlich dick.«

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