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SPANIEN In den Abgrund

Der neue Generalsekretär setzte sich gegen den alten durch. Aber die einst starke KP ist tief zerstritten. *
aus DER SPIEGEL 52/1983

Im Diplomatischen Klub von Madrid brach Beifall aus. Gerardo Iglesias, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE), hatte alle Themen der internationalen Fragestunde zur Zufriedenheit der Gäste beantwortet.

Einen Tag nach der Veranstaltung wurde dem spanischen Chefkommunisten noch eine besondere Ehre zuteil: Alle diplomatischen Vertreter der kommunistischen Länder bedankten sich telephonisch bei Iglesias und versicherten ihn ihres »brüderlichen Beistands für die Zukunft«. Selbst Kuba stimmte in das Loblied ein.

Das Sonderlob der Ostblock-Genossen kam gerade zur rechten Zeit. Denn wenige Tage vor dem XI. Kongreß der PCE, der Mitte Dezember in Madrid stattfand, war seine Partei dermaßen tief in einen Machtkampf der Führung verstrickt, daß manche schon einen »Sturz in den Abgrund«, so der andalusische Kommunistenführer Felipe Alcaraz, fürchteten: eine Spaltung der traditionsreichen Partei.

Der Beistand der Kommunisten aus Moskau, Budapest und Ost-Berlin kam Iglesias auch deshalb so gelegen, weil er und sein Parteivorstand sich ausgerechnet durch eine Fraktion in die Enge getrieben sahen, die sich so sowjetfreundlich gab wie kaum jemand sonst in der bislang eurokommunistischen Partei.

Angeführt wird diese Moskau-Fraktion von dem Mann, der noch vor wenigen Jahren die spanischen Kommunisten auf den Moskau-unabhängigen Eurokommunismus-Kurs getrimmt hatte und deshalb in Moskau als Häretiker galt: von Santiago Carrillo, 68.

Als einst unumstrittener Führer der Kommunisten Spaniens hatte Carrillo nach dem Tod von Diktator Franco durch Verhandlungsgeschick und kluges Taktieren das Kunststück fertiggebracht, daß die PCE entgegen allen Widerständen der Franco-treuen Militärs legalisiert und am Demokratisierungsprozeß wesentlich beteiligt wurde.

Nichts schien Carrillo dabei zuviel zu sein, um zu beweisen, daß die seit dem Bürgerkrieg so gefürchteten und verunglimpften spanischen Kommunisten keine Teufel seien, sondern mindestens so demokratisch wie alle guten Bürger der westlichen Welt.

Ohne Widerspruch der Genossen zu dulden, baute er unerbittlich die bislang heiligsten Prinzipien seiner Partei ab: Die Grundsätze von der Diktatur des Proletariats und dem proletarischen Internationalismus wurden ersatzlos gestrichen, der Leninismus einfach aus den Statuten gebannt - wenn auch nicht aus den Köpfen vieler Parteimitglieder.

Als Carrillo daranging, wider die Moskauer Führungsrolle gegenüber dem Weltkommunismus zu ketzern - und das noch in einem für Moskau höchst beleidigenden Ton -, folgten viele Genossen nur noch »mit blutendem Herzen« der neuen Linie ihres Generalsekretärs, der gegen die Amerikaner wenig sagte und sogar die US-Militärstützpunkte auf spanischem Boden ausdrücklich billigte.

Mit seinem Kurs erkaufte sich Carrillo zwar die Duldung durch die politische Rechte in Spanien, seine eigenen Anhänger aber stürzte er in eine tiefe Identitätskrise. Zerstritten in Eurokommunisten und Stalinisten, Erneuerer und Pro-Sowjets, kehrte über die Hälfte der einst mitgliederstärksten Partei Spaniens der PCE in den letzten Jahren den Rücken.

Bei den Parlamentswahlen im Oktober 1982 verloren die Kommunisten dann auch noch über eine Million Stimmen, meist an die Sozialisten. Sie sackten von beinahe elf auf knapp vier Prozent der Wähler ab und wurden damit zu einer der unbedeutendsten KP in Westeuropa degradiert.

»Carrillo ist wirklich ein bedeutender Mann: In gut zwei Jahren ist ihm das gelungen, was Franco in vier Jahrzehnten mit harter Repression nicht erreicht hat - nämlich die Kommunistische Partei Spaniens zu zerschlagen«, freute sich Spaniens Ministerpräsident Felipe Gonzalez. Nach dem Zerfall der zentralistischen Regierungspartei UCD war der Niedergang der Kommunisten der zweite spektakuläre Fall von Selbstzerfleischung einer Partei in Spanien. Übrig blieb im wesentlichen ein Zwei-Parteien-System: gemäßigte Sozialisten unter Felipe Gonzalez an der Macht, die vereinte Rechte in der Opposition.

Nach dem Wahldebakel von 1982 mußte Carrillo, 22 Jahre lang Generalsekretär der PCE, endlich gehen. Wehklagend benannte er den jungen, weithin unbekannten Arbeiter Gerardo Iglesias zu seinem Nachfolger, wohl hoffend, daß er selbst als graue Eminenz die Partei aus dem Hintergrund weiter dirigieren könne.

Doch Iglesias war zu ehrgeizig und eigenständig, als daß er sich von dem Alten ins Handwerk pfuschen ließ. Sein Versprechen aber, alle versprengten Kommunisten wieder in der PCE zu vereinen, hat er bislang nicht erfüllen können. Mehr denn je ist die Partei in der zentralen Richtungsfrage zerstritten.

Um sie hat sich der einstige Eurokommunist Carrillo in letzter Zeit besonders liebevoll gekümmert. Auf Kundgebungen zog er plötzlich wieder alte, revolutionäre Register. In Madrid lobte er den einst verbannten Lenin so lauthals, daß viele Zuhörer sogar ein »viva Lenin« zu hören glaubten.

Doch offensichtlich trauen nicht allzu viele dem neuen Links-Um des alten Fuchses - sie sehen darin vor allem einen Profilierungsversuch gegenüber dem Nachfolger. Der nämlich möchte die sozialistische Regierung Gonzalez in manchen Fragen unterstützen und denkt, schließlich nach französischem Vorbild im Windschatten einer großen sozialistischen Partei Machtbeteiligung zu erlangen. Carrillo hält dagegen.

Dem neuen Linken wiederum nehmen viele Stalinisten seinen Schwenk nicht _(Nach der Wiederwahl zum Generalsekretär. )

ab, weil sie sich noch zu gut erinnern, wie er in seiner Euro-Phase alle Gegner verfolgte. Eine Gruppe alter, sowjettreuer Kommunisten, geführt von dem Stalinisten Ignacio Gallego, will im Januar eine neue kommunistische Partei gründen - ohne Carrillo.

Auf dem fünftägigen Parteitag der PCE zeigte Generalsekretär Iglesias bereits, wer die stärkeren Bataillone hat: Er wurde am letzten Sonntag gegen Carrillo mit bequemer Mehrheit als Generalsekretär bestätigt.

Die größte Delegation, die andalusische, war allerdings nur unter einer Bedingung bereit, für Iglesias zu stimmen: Der Terminus »Eurokommunismus« soll in den nächsten Jahren neu überdacht werden.

Nach der Wiederwahl zum Generalsekretär.

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