SPD In den Wolken
Kritik an seinem Führungsstil und dem Bemühen, die unterschiedlichen Meinungen in der SPD zusammenzubinden, so sprach am Dienstag vergangener Woche der Vorsitzende Hans-Jochen Vogel im Fraktionsvorstand, sei selbstverständlich jederzeit zulässig. Aber: »Es kann auch ein Punkt kommen, wo ich sagen muß, jetzt kann ich nicht mehr.«
Verdattert schauten die Genossen ihrem mit grimmiger Miene davoneilenden Chef nach; keiner wußte, warum Vogel sich gerade jetzt aufgeregt hatte.
Es war wohl die allgemeine Anspannung, die dem Noch-Parteivorsitzenden zu schaffen macht, seit die Sozis über ihre Position zum Krieg am Golf auseinanderdriften. Das war am Tag zuvor deutlich geworden.
Da hatte das SPD-Präsidium Kriegsrat gehalten und ohne förmlichen Beschluß an die Uno appelliert, eine »Initiative« zu ergreifen für eine Waffenruhe und politische Lösung des Konflikts. »Ziel bleibt«, so erläuterte Parteivize Oskar Lafontaine hinterher, »daß die Invasion Kuweits beendet wird« - doch dann fing er an zu eiern: Ob der Rückzug Iraks oder dessen Beginn »Vorbedingung« für einen Waffenstillstand sei, wolle er »dahingestellt sein lassen«.
Wie ihr Ex-Kanzlerkandidat denken immer mehr Sozialdemokraten. Je länger der Krieg dauert, je mehr Waffen zum Einsatz kommen, desto lauter wird der Ruf nach einem Waffenstillstand auch dann, wenn Saddam Hussein noch keine Rückzugsabsichten zeigen sollte.
Die Tendenz hatte sich gleich nach Kriegsbeginn in der gemeinhin als rechtslastig eingestuften Fraktion gezeigt. Kompromißloser noch als eine Woche später der stärker links geprägte Vorstand formulierten die Abgeordneten ihr Nein zu militärischer Gewalt. Nicht einmal Altmeister Willy Brandt hatte eine Chance: Der Vorschlag des Friedensnobelpreisträgers, den Aufruf »an alle Beteiligten, die Kriegshandlungen einzustellen«, durch ein »sobald wie möglich« abzumildern, wurde abgelehnt.
Längst nicht alle Sozis sind auf dem Trip zum Waffenstillstand. Schatzmeister Hans-Ulrich Klose etwa sieht keine Friedenschancen, solange im Irak der Diktator Saddam herrscht: »Nicht zuletzt deshalb muß dieser Mann niedergekämpft werden.« Im Vorstand stützte NRW-Umweltminister Klaus Matthiesen offen die Klose-Linie.
Kein Zweifel, der Golfkrieg birgt für die SPD viel Konfliktstoff. Schon kommen erste Spaltungsängste auf.
Vor der Fraktion mahnte am vergangenen Dienstag Peter Conradi, Anhänger einer sofortigen Waffenruhe, zu fairem Umgang. »Moralos und Realos« dürften sich nicht gegenseitig »die Politikfähigkeit absprechen«, wie Klose das mit dem Diktum, »mit Angst und Moral allein ist Politik nicht zu machen«, schon begonnen habe.
Dramatischer noch warnte Hans Koschnick die Fraktionsgenossen. Der langjährige Bremer Bürgermeister erinnerte an das Jahr 1916, als die SPD-Reichstagsfraktion die Gegner der Kriegskredite aus ihren Reihen entfernte. Als einer, der »an der Seite der Uno und der Allianz gegen Hussein« stehe, hoffe er, eines Tages nicht auch zu Ausgeschlossenen zu gehören.
Noch einhellig hatten die Sozis vorher unter dem Eindruck der Raketenangriffe auf Israel eine bisher sakrosankte Position gegen Waffenlieferungen in Spannungsgebiete aufgegeben. In der Fraktion gab es nur vier Gegenstimmen überzeugter Pazifisten gegen das Regierungsversprechen, Israel deutsche »Patriot«-Raketen zu liefern. »Abwehrsysteme kann ich nicht verweigern«, begründete Lafontaine den Meinungswandel.
Doch die Rigorosität der Friedensfreunde wächst. In Niedersachsen gefährdet Gerhard Schröder, Chef der rotgrünen Landesregierung, sein bewährtes Zweckbündnis mit dem rechten SPD-Vorsitzenden Johann Bruns. Als Schröder in seiner Regierungserklärung vorletzte Woche zusammen mit seiner Absage an den Waffengang am Golf »ohne jedes Wenn und Aber« die Heimkehr der deutschen Soldaten aus der Türkei forderte, hatte Bruns schon gemosert. Als er letzte Woche den Aufruf zu einer Demonstration in Hannover unterschrieb, in dem die Jüdischen Gemeinden »Solidarität mit Israel« und den Alliierten fordern, verweigerte der Ministerpräsident Unterschrift und Teilnahme: Er mache bei »keiner Demo« mit, deren »zentrale Forderung nicht lautet: Kein Krieg!«.
Schröders Freund Oskar Lafontaine hat schon das nächste Konfliktthema drauf. Die Eskalation des Golfkriegs und die Diskussion, ob ein Angriff Iraks auf die Türkei in der Nato den Bündnisfall auslöst, zeigten, wie die USA über die Uno Nato und Deutschland in den Konflikt ziehen könnten. Und dann erinnerte der Saar-Regent daran, daß er schon vor Jahren vor dem Hintergrund solcher Zwangssituationen den Austritt der Bundesrepublik aus der militärischen Nato-Integration gefordert habe.
Macht Lafontaine mit dieser Diskussion weiter, wäre die SPD gewiß schnell in der antiamerikanischen Ecke, aus der Vogel und andere Fahrensleute sie herauszuhalten suchen. Im Fraktionsvorstand mahnte der Oppositionsführer seine Genossen vor »Rechthaberei«; die SPD müsse auch dann Politik machen können, »wenn man die eigene Position nicht realisieren kann«.
Auf seine verschlungene Art argumentierte Brandt kurz darauf vor der Fraktion im Sinne seines Nachfolgers. In der Sozialdemokratie hätten Pazifismus und moralisches Engagement seit jeher ihren guten Platz gehabt; auch sei »die Haltung der SPD vor Kriegsbeginn nicht widerlegt«, weil sich die Politik der Sanktionen gegen Bagdad gar nicht voll habe entfalten können.
Nun aber müßten die Freunde aufpassen, daß »der Ruf nach Waffenruhe nicht in den Wolken landet«. Und mit leiser Ironie fügte Brandt hinzu, ob sich denn »die Weltmacht SPD« zutrauen wolle, was nicht einmal der Uno-Sicherheitsrat leiste.
Doch wie »unberechenbar« (MdB Helmut Esters) die Stimmung der Genossen mittlerweile ist, zeigte die Reaktion eines gestandenen Rechten auf Brandts zusätzliche Mahnung, die SPD dürfe sich »nicht über Gebühr« bei den Schwesterparteien in Europa und der Sozialistischen Internationale »isolieren«.
Da posaunte der Bayer Ludwig Stiegler: »Ich bin gerne isoliert, weil ich für den Frieden bin.« o
Sozialdemokrat Klose »Saddam niederkämpfen«
Sozialdemokrat Koschnick Erinnerung an 1916