AA In drei Monaten Botschafter
Mochte der ungeduldige Bundestag nach einem Vorschlag des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten vom 31. März ersuchen, »im Rahmen des Bundeskanzleramtes mit größter Beschleunigung ein sachgerecht und zweckmäßig organisiertes Bundesamt für Besatzungsfragen und auswärtige Angelegenheiten einzurichten« - Kanzler Adenauer sieht das als einen unberechtigten Eingriff in die Exekutive an und hält die Hand davor. Sein diplomatisches Korps sitzt in den Presseagenturen der außerdeutschen Welt.
So wird das erste Patengeschenk für das Auswärtige Amt des Bundes gewiß noch einige Zeit in der Exerzierhalle der Troilo-Kaserne von Bonn-Duisdorf abstehen müssen: 60000 Archivbände Großdeutscher Außenpolitik, die von den Amerikanern einige hundert Kilometer Höhenluft in US-Bombern zudiktiert bekamen, bevor sie per Militärtransport in Bonn anrollen konnten. Ribbentrop hatte 240000 Bände seines Diplomatenrüstzeugs nach Hessisch-Lichtenau verlagern lassen, um es vor der US-Airforce zu retten. Die mußte es nach dem Kriege nach Berlin zurückschaffen.
Aus vierjähriger Siebung ging ein Viertel der außenpolitischen Konkursmasse unbeanstandet in Bundesbesitz über. Die Verpackung blieb so militärisch, wie sie von großdeutschen Munitionskistenmachern zusammengezimmert worden war. Sogar die Schilder »Sprengkapseln 38« - »Sprengwirkung nicht überprüft« kleben noch.
Daran würde sich Staatsrat Dr. Haas nicht stören, wenn er nur schon Gelegenheit hätte, den Wissensdurst eines auswärtigen Amtes zu befriedigen. Dafür, daß seine Wunschträume nicht allzu handfeste Wirklichkeit werden, sorgt jedoch Adenauers Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt Erich Globke.
»Die Hohe Kommission und die Bundesregierung sind übereingekommen, daß die Bundesregierung nunmehr die schrittweise Wiederaufnahme von konsularischen und Handelsbeziehungen mit den Ländern in Angriff nehmen wird, mit denen derartige Beziehungen als vorteilhaft erscheinen«, hatte Konrad Adenauer am 24. November 1949 im Petersberger Abkommen ausgehandelt, gegengezeichnet von Sir Brian Robertson, John McCloy und André François Poncet
Staatsrat Haas bekam den Auftrag, die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Damals schien es sogar, als sei Eile geboten. Den Eindruck verspürten auch alle Bundesdeutschen Diplomatenanwärter alter und ohne Schule. Dr. Haas ertrank in 16000 Bewerbungen, während er einen Plan für die Errichtung der ersten Konsulate und eines Organisationsbüros als Vorstufe des Außenamtes bearbeitete.
Haas und sein Intimus Staatsrat Dr. Schwarz sind alte Kollegen aus dem AA. 1933 hatten sie ihren Dienst wegen jüdischer Gattinnen quittieren müssen.
Haas will »einen Teil der Leute vom alten Auswärtigen Amt übernehmen, wenn wir nicht sofort Schiffbruch erleiden wollen. Die haben nun mal die Erfahrung.«
Die Alliierten haben ihre eigenen Erfahrungen und sind skeptisch. Haas zog sich auf die Ziffer von zehn Prozent für die AA-Männer zurück. Allerdings sollen sie die ersten Garnituren in den Konsulaten stellen. Im übrigen macht er Konzessionen.
In dem Plan für den Aufbau der Konsulate, den Haas dem Bundestagsausschuß für Besatzungsfragen für auswärtige Angelegenheiten vortrug, waren die Petersberger Vorstellungen zu seinen eigenen Absichten geworden: Die Konsuln sollen nicht wie diplomatische Vertreter handeln; beschlagnahmte Vermögen im Ausland bleiben außerhalb ihrer Zuständigkeiten. Die Hauptaufgaben sind wirtschaftlicher und handelspolitischer Natur.
Für die Behandlung des Personals der Wirtschaftsabteilung tauchen die ersten Schwierigkeiten auf. Haas gibt sich keinen Illusionen hin. »Ick jeh ja bloß raus, um mir die richtigen Verbindungen anzulachen«, hatte ein Bewerber im Vorzimmerbereich seinem Freimut Lauf gelassen. Haas weiß das. Er folgert: »Die Auswahl des Wirtschaftspersonals soll im Wirtschaftsministerium in Höchst erfolgen. Es soll nicht verbeamtet werden, damit jederzeit eine 'Auffrischung' möglich ist.«
Die zweite Fußangel haben die Gewerkschaften angelegt. Sie wollen den Sozialreferenten stellen, der in der Konsularabteilung arbeiten soll. »Die direkte Fühlungnahme deutscher Gewerkschaftler mit den ausländischen Arbeitnehmerverbänden ist wirksamer als ein diplomatischer Wakkelkontakt.«
Haas gab nach, um seine alten AA-Kollegen vor gewerkschaftlichen Giftpfeilen zu bewahren. Er brüskierte auf diesem Kurs sogar den Bonner Bundesjournalismus, indem er die Intimitäten seiner Pläne vor einer Pressekonferenz bekanntgab.
Auch die Ausbildung des Nachwuchses ist halbwegs geregelt. Generalkonsul a. D. Pfeiffer hat bereits die ersten 21 von 1400 Bewerbern in der Mache. In diesem Jahr sollen rund 90 diplomatische Anfänger durch seine Mühle gehen. Spätere Kurse werden dann wieder wie früher zwei Jahre dauern.
Damit ist Staatsrat Haas die größte Sorge aber noch nicht los: Die Besetzung der Konsulatsspitzen. »Die Konsulate dürfen nicht zum Abstellgleis für mißliebige Abgeordnete werden«, hatte SPD-Dr. Lütkens dem Kanzler im Plenum gedroht. In der Umgebung von Haas weiß man, daß hier die größte Gefahr steht.
»Gehen Sie nur, in drei bis vier Monaten sind Sie Botschafter«, hatte Konrad Adenauer seinen Widersacher Hans Schlange-Schöningen ermuntert. Da es im Pfefferland kein Konsulat einzurichten gab, wollte er ihn nach Washington verfrachten. Schlange nahm an. Er hatte eine ziemlich präzise Vorstellung von dem Stab, der ihn in das gelobte Land begleiten sollte, Staatsrat Haas hatte auch eine.
Und Erich Globke vom Bundeskanzleramt hatte ebenfalls eine. Globke als Ministerialdirektor auf einem Staatssekretärposten hält bei der jetzigen Organisation von Adenauers Amt und beim Fehlen eines Außenamtes den größten Teil der Kanzlerfäden zwischen seinen Fingern.
Trotzdem kam nach hinreichender Zeit eine erste Einigung zustande. Nur ein alter AA-Mann sollte mit Schlange gehen, der Rat Kamphövener. Inzwischen hatte der Konsulaspirant auch einigermaßen Englisch gelernt.
Doch all das war ohne die Rechnung mit Schlanges Vergangenheit gemacht.
Alte Widersacher hatten dem Redakteur Harry Saarbach von der Frankfurter Redaktion der »Neuen Zeitung« schriftliche Unterlagen über Schlanges deutschnationale Jugendeskapaden geliefert. Saarbach legte sie zunächst in seinen Schreibtisch. Als ihn amerikanische Journalistenkollegen, die offenbar von demselben Querschützen in Schlanges Wahlrepertoire von 1924 eingeweiht worden waren, wegen dieser Enthüllungen anriefen, wollte Saarbach nicht mehr Geheimnisträger sein. Der US-Kommentator Drew-Pearson sei unterrichtet, hieß es, und werde Schlanges Ankunft mit dessen aufgewärmtem Antisemitismus würzen. Deutschlands erster Konsul in Amerika mußte mit faulen Eiern rechnen.
»Ich hielt es für meine Pflicht, Schlange darauf aufmerksam zu machen und verständigte auch Dr. v. Brentano. Länger als bis zum Ostermontag könnte ich die Sache nicht hinauszögern.« (Saarbach).
Da aber dpa schon vorher die 24er Schlange-Reden ausbuddelte, wurde Saarbachs Ultimatum hinfällig. Daß Schlange es 1924 mit den Juden nicht gut gemeint und außerdem Blut- und Eisentheorien im pommerschen Hinterwald gepredigt habe, wurde allgemein bekannt.
Der zweite Streich wurde aus Washington direkt geführt. Man wolle das Konsulat nicht in Washington, sondern in New York haben, verlautete offiziell. Erstens sei Deutschland formal noch Feindstaat und zweitens habe der Konsul, wie bekannt, keine politischen, sondern wirtschaftliche Aufgaben.
Unter solchen Aspekten schmeckte Schlange der konsularische Lebensabend gallebitter. Er verzichtete langsam, aber dann endgültig.
Auch der England-Kandidat FDP-Dr. Oellers zog zurück, als er die politischen Lorbeeren schwinden sah.
Haas hat nach vier Monaten noch kein Konsulat auch nur theoretisch auf den Beinen. Daß die Erlaubnis zur Einrichtung im November als gewaltiger außenpolitischer Erfolg gefeiert worden war, kümmert seinen Auftraggeber offensichtlich nicht mehr.
Auch um sein großes Ziel steht es schlecht: die Schaffung einer zentralen Dienststelle als Vorstufe für das Außenamt. Hier beißt Haas auf Adenauers Ministerialrat Globke.
Haas wollte im April aufgestellt haben: ein Amt für konsularwirtschaftliche Angelegenheiten im Bundeskanzleramt mit den Abteilungen Organisation, Personal, Verwaltung, Verbindung zur Hohen Kommission, Kultur, Handelspolitik, Protokoll und Presse.
Die Verbindung zur Hohen Kommission hält nach wie vor Blankenhorn aufrecht, soweit es der alte Herr nicht alleine macht.
Das Personal aber ist Ministerialrat Globkes Domäne Den Männern vom alten AA ist er nicht grün. Und in seinem Ressort Innere Verwaltung hat der alte CV-er (CV = Cartell-Verband katholischer deutscher Studentenverbindungen) gerade jetzt die beiden letzten Protestanten aus den beiden höheren Chargen ausgemerzt.