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»Inakzeptabel und empörend«

Für die Bundesbankspitze kommt der Krach ihrer Vorstände zum ungünstigsten Zeitpunkt.
Von Wolfgang Reuter
aus DER SPIEGEL 42/2009

Axel Weber war sichtlich genervt. Die »diskriminierenden Äußerungen« seines Vorstandskollegen Thilo Sarrazin hatten den Chef der Bundesbank bis nach Istanbul verfolgt. Am Rande der Weltbanktagung ließ Weber keinen Zweifel daran, dass er Sarrazin eh nie im Vorstand seiner Bundesbank haben wollte. »Was sollten wir denn tun?«, klagte er gegenüber einem kleinen Grüppchen Zuhörer im Ballsaal des Hotels Four Seasons, »Berlin und Brandenburg hatten das Vorschlagsrecht.«

Klar: Der Vorstand hätte damals ein Veto gegen Sarrazin einlegen können. Doch das hat die Spitze der Notenbank in ihrer Geschichte siebenmal versucht - und am Ende stets erfolglos.

Sarrazin hatte indes schon für Ärger gesorgt, bevor er sein Büro in der ehrwürdigen Frankfurter Notenbank überhaupt bezog. Forsch reklamierte er das renommierte Ressort »Internationale Beziehungen« für sich. Doch Weber, dem die Aufgabenverteilung in der Behörde obliegt, ließ den früheren Berliner Finanzsenator abblitzen.

Der jüngste Krach kam mit Ansage: Sarrazin hatte das umstrittene Interview mit dem kleinen Kulturblatt »Lettre International« vor der Veröffentlichung der Pressestelle vorgelegt. Kommunikationschef Benedikt Fehr leitete das Manuskript an Weber weiter. Der wiederum ließ Sarrazin nach Lektüre über Fehr ausrichten, dass der Text »inakzeptabel und empörend« sei. Sarrazin scherte sich nicht weiter darum und gab das Interview frei.

Nach einer scharfen öffentlichen Distanzierung legte Weber seinem Kollegen den Rücktritt nahe. Sarrazin will davon nichts wissen. Der Streit geht also weiter. Die Unabhängigkeit der Institution wie ihrer Top-Manager zeigt hier ihre ganze Absurdität. Mehrfach prüften Juristen der Bank vergangene Woche, ob Sarrazins Äußerungen eine Abberufung rechtfertigen. Dann nämlich könnten die übrigen Vorstände ein entsprechendes Gesuch an den Bundespräsidenten richten. Doch die Hürden dafür sind hoch.

Das Verhalten müsse dazu bei Beamten »die Entfernung aus dem Dienst im Disziplinarverfahren« rechtfertigen, heißt es in der Bundesbank. Andererseits gibt es einen internen Verhaltenskodex, den sich die Bundesbank nach der Affäre um ihren Ex-Chef Ernst Welteke verpasst hat (SPIEGEL 15/ 2004). Gegen diesen Kodex hat Sarrazin nach Webers Meinung eindeutig verstoßen. Doch rechtliche Konsequenzen ergeben sich daraus nicht.

Die beiden in Abneigung verbundenen Spitzen sind also ohnmächtig in ihrer Macht. Weber kann Sarrazin nicht rausschmeißen, Sarrazin allerdings hat auch nichts zu sagen. Dem Vorstand droht eine Lähmung - zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt.

CDU und FDP haben gerade erst beschlossen, dass die Bundesbank schon bald die Oberhoheit über die Bankenaufsicht erhalten soll. Bislang ist auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) damit betraut.

Zwar hat sich der Vorstand bereits am vorvergangenen Freitag prinzipiell auf eine volle Integration wichtiger Teile der BaFin geeinigt - doch der Teufel steckt auch hier im Detail.

Im derzeitigen Entwurf des Koalitionsvertrags heißt es: »Die demokratische Kontrolle und Legitimation der Aufsicht ist zu gewährleisten.« Demnach müsste die Bundesregierung die Möglichkeit erhalten, den für die Bankenaufsicht zuständigen Vorstand, beispielsweise wegen nachgewiesener Unfähigkeit, abberufen zu können. Das aber ist für viele Bundesbanker eine Entweihung ihrer sakrosankten Unabhängigkeit.

Und auch darüber, wie die BaFin integriert wird, gibt es Meinungsverschiedenheiten. Soll etwa die derzeitige Chefin der BaFin-Abteilung Bankenaufsicht, Sabine Lautenschläger, unter dem schon heute für den Bereich zuständigen Zentralbereichsleiter Erich Loeper arbeiten - oder gleichberechtigt neben ihm?

Schließlich sorgt eine Organisationsreform intern für Unmut: Die Bundesbank schickt sich gerade an, bundesweit 14 ihrer 47 Filialen zu schließen. Dabei will die Institutsspitze zwar ohne betriebsbedingte Kündigungen auskommen. Dennoch haben die Gewerkschaften Ver.di und die Bundesbankgewerkschaft für Dienstag dieser Woche zu Demonstrationen aufgerufen. Der Bundesbank stehen also turbulente Zeiten bevor: Sie wird prinzipiell mächtiger - doch der Preis dafür ist eine Einschränkung ihrer Unabhängigkeit.

Das interne Gerangel um Sarrazin schwächt dabei die Position der ganzen Bank. Denn ohne eine Gesetzesänderung wird der Vorstand den unliebsamen Kollegen nicht los - auch dann nicht, wenn das Gremium durch den Krach kaum noch arbeitsfähig ist. Das Modell der Unabhängigkeit und damit Unkündbarkeit jedes Vorstands zeigt sich hier selbst seine Grenzen auf.

Freiwillig jedenfalls will Sarrazin nicht gehen. Diesen Gefallen mag er seinem Präsidenten nicht tun.

WOLFGANG REUTER

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