Indiens Liquidator
Wenn Sie bei Manövern gegen Battenberg stehen, können Sie sicher sein, geschlagen zu werden«, pflegte man von Prinz Ludwig von Battenberg zu sagen, damals Erster Seelord Großbritanniens.
Der Sohn, Lord Louis Mountbatten, hat diesen Ruf bestätigt. Die deutsche Abstammung seines Vaters hatte diesen nach Ausbruch des ersten Weltkrieges zum Rücktritt gezwungen. Auf Wunsch des englischen Königs nahm er im Jahre 1917 den Namen Mountbatten an. Die Prinzen und Prinzessinnen von Battenberg sind die Nachkommen des Prinzen Alexander von Hessen aus seiner morganatischen Ehe mit der polnischen Gräfin Julie Haucke. Lord Louis Mountbatten hat von seinem Vater das glänzende Aussehen und die schnelle Auffassungsgabe geerbt.
Als letzter englischer Vizekönig von Indien hat der 46jährige Vetter des englischen Königs ein schweres Amt. Schon vor dem Kriege hatte Lord Mountbatten die Aufmerksamkeit militärischer Kreise auf sich gelenkt. Er begann als Schiffsjunge in der Royal Navy. Während des Weltkriegs Nr. 2 bereicherte er die englische Kriegschronik durch seine Heldentaten. Als Kapitän eines Zerstörers pumpte er vor der Küste Norwegens und beim harten Kampf um Kreta das Wasser aus seinem leckgeschossenen Schiff. Er hatte seine Jacke und sein Hemd abgelegt und arbeitete mit nacktem Oberkörper, blutig und verschmutzt wie ein einfacher Matrose. Die Kapitulationsaufforderung eines deutschen U-Bootes wies er zurück.
Dreimal führt er sein sinkendes Schiff in den rettenden Hafen. Einmal muß er sich, verwundet im Meer schwimmend, auf ein Ruderboot retten. Noel Coward drehte nach den Heldentaten von Lord
Mountbatten den Film »In which we serve«.
Den berühmten Handstreich auf Dieppe führte ebenfalls Lord Mountbatten. Dann wird ihm von Churchill das Oberkommando im Südosten übertragen. Wieder macht er durch seine Tollkühnheit und seine rasche Entschlußfähigkeit, vor allem in Burma, von sich reden.
Die Züricher »Weltwoche« führt die Ernennung Lord Mountbattens als Vizekönig von Indien auf seine eben geschilderten Eigenschaften zurück. Sie meint, »der bedächtige und methodische Rechtsanwalt Clement Attlee und der uralte Indienminister Lord Pathick, ehemals militanter Pazifist und juristischer Berater der Suffragettenbewegung, scheinen von diesem so ganz anderen, ihnen im Grunde völlig wesensfremden jungen Aristokraten so angezogen zu sein, daß sie das Experiment wagten, ihm in einem kritischen Zeitpunkt das Steuer über das 400millionenköpfige Indien anzuvertrauen.«
Lord Mountbatten weilt in dieser Woche in England, um über seine Erfahrungen zu berichten und einen Indienplan vorzulegen. Der Plan bezieht sich auf die Uebertragung der politischen Macht in Indien.
Die Indienfrage beschäftigt die gesamte britische Presse. Man sieht nicht nur eine Teilung Indiens durch Moslems und Hindus, sondern eine Dreiteilung, weil auch die Fürstenstaaten sich in den Kampf um die Macht eingeschaltet haben. Ebenso bestehen Zweifel über das Schicksal Kalkuttas, der größten Stadt Indiens. Sowohl die Moslem-Liga als auch die Kongreßpartei erheben Anspruch auf die Zweimillionenstadt, die Indiens Schiffahrts- und Wirtschaftszentrum ist.
Zwölf Monate hat Indien Zeit, sich darüber klar zu werden, ob der 35. und letzte Vizekönig, Lord Mountbatten, im Juni 1948 die Macht einer zentralen Gesamtregierung übergeben wird oder einem Haufen indischer Einzelstaaten. Manche Beobachter sehen einen Bürgerkrieg als Folge des Gruppen- und Kastenkampfes kommen. Mountbatten will nach Möglichkeit kein Chaos zurücklassen, sondern ein sauberes Haus übergeben, wenn er die britische Herrschaft in Indien liquidiert. Ein Reuter-Korrespondent schrieb aus Delhi, Großbritannien habe nicht die Absicht, »in einigen Monaten einen panischen Rückzug aus Indien unzutreten«
Lord Mountbatten reicht Indien die Hände zur Selbständigkeit