Zur Ausgabe
Artikel 16 / 93

»Inhumaner Umgang mit Andersdenkenden«

Anmaßende Selbstsicherheit und fatale Kommunistenjägerei wirft der TV-Journalist Franz Alt (Report Baden-Baden), selbst engagierter CDU-Mann, seinem Parteivorsitzenden in einem offenen Brief vor. Helmut Kohls Eintreten für den Radikalenerlaß sei nicht nur unchristlich, sondern verstoße auch gegen das Grundgesetz.
aus DER SPIEGEL 24/1978

Lieber Herr Kohl, in diesen Tagen haben führende Unionspolitiker erfreulich selbstkritische und differenzierte Positionen zur Praxis des sogenannten Radikalenerlasses vertreten. Hans Filbinger will »Auswüchse überprüfen« und Alfred Dregger findet »Gesinnungsschnüffelei zum Kotzen«. Sie aber haben in Ihrer letzten Rede vor dem Deutschen Bundestag zum selben Thema eine Meinung geäußert. die mich erschreckt hat. Einigkeit sollte, so haben Sie gesagt, doch darüber bestehen, daß Kommunisten nicht Lehrer werden dürften.

Damit unterstellen Sie, daß jeder Kommunist wegen seiner Gesinnung ein Verfassungsfeind und jeder Christdemokrat oder Sozialdemokrat oder jedes FDP-Mitglied automatisch ein Verfassungsfreund sei. Diese anmaßende Gewißheit widerspricht dem Geist und dem Buchstaben des Grundgesetzes, verstößt gegen Grundüberzeugungen einer christlich motivierten Politik und erinnert mich fatal an eine entsprechende Praxis in Osteuropa, die Sie und ich in gleicher Weise verurteilen. Dort sollen engagierte Christen nicht Lehrer werden dürfen.

Weil ich vermute, daß Ihnen mein Vergleich mir Osteuropa nicht zulässig scheinen wird, lassen Sie mich kurz ein Erlebnis schildern, (las mich zum Nachdenken brachte. Vor etwa drei Jahren zeigte mir ein tschechischer Priester einen Brief. in dem eine kommunistische Behörde einem jungen Katholiken aus Prag mitteilte, er könne wegen seines Engagements für seine Kirche und seinen Glauben nicht Lehrer in einem kommunistischen Land sein.

Am selben Tag schickte mir ein baden-württembergisches DKP-Mitglied die Begründung für seine Ablehnung als Lehrer. Nicht verfassungsfeindliche Aktivitäten, nur seine Mitgliedschaft in einer kommunistischen Partei hatte den Ausschlag gegeben. Kommunist-Sein« war hier ein mit »Christ-Sein« austauschbares Kainsmal geworden. Ich erschrak über die Stuttgarter Intoleranz nicht weniger als über die in Prag. Betroffen hatte mich (las Verhalten meiner eigenen Parteifreunde allerdings mehr.

Doch in Baden-Württemberg gibt es noch schlimmere Fälle. Nach wie vor ist Fritz Gilde, der Sohn unseres Parteifreundes Max Güde, arbeitslos. Er darf nicht Lehrer sein, weil er früher einmal (!) Mitglied im Kommunistischen Bund Westdeutschlands war. Warum wird Fritz Güde der Weg zurück zur politischen Vernunft so schwer gemacht?

Der häufig zu hörende Hinweis auf die rechtsstaatliche Praxis des Extremistenbeschlusses muß -- um ein drittes Beispiel aus Baden-Württemberg anzuführen -- für das DKP-Mitglied Hans Schäfer in Stuttgart gar wie eine Farce anmuten. Der Junglehrer war 1975 fristlos entlassen worden. Das Stuttgarter Verwaltungsgericht verfügte aber seine Wiedereinstellung. Doch die Kultusbehörde bemühte weiter die Gerichte. Schäfer wurde vor einem halben Jahr endgültig entlassen.

Jetzt schickte ihm das Land Baden-Württemberg eine Rechnung über 50 198,-.- DM. Was er nach seiner ursprünglich vom Gericht erzwungenen Wiedereinstellung verdient hatte, soll der Vater zweier Kinder nunmehr zurückbezahl en.

Schäfer hatte sich schon während der gerichtlichen Auseinandersetzungen um eine andere Beschäftigung bemüht, doch das Arbeitsamt hatte abgelehnt: Er sei ja Beamter auf Probe und Arbeitslosengeld könne auch nicht gewährt werden. Der Staat beantwortet jetzt auch noch Klassenkampf-Gesinnung mit Kassenkampf-Praxis.

Die CDU, so meinten Sie einmal, sei die Partei des Grundgesetzes. Das Grundgesetz aber sagt in Artikel drei, niemand darf wegen seiner politischen Anschauung benachteiligt werden. Ihre jetzige Aussage zum Extremistenbeschluß widerspricht nicht nur diesem Grundgesetzauftrag, sondern -- so finde ich -- bestärkt auch noch manchen Kultusbürokraten in seinem inhumanen Umgang mit Andersdenkenden.

Einig sind wir uns darin, daß Verfassungsfeinde nicht Beamte werden sollten. Der Automatismus allerdings, mit dem Sie jeden Kommunisten und wahrscheinlich auch jeden Nationaldemokraten zum Verfassungsfeind machen, trennt uns. Aber natürlich gibt es auch tolerante und demokratisch denkende und handelnde Kommunisten und Nationaldemokraten! Ich kenne solche. Ein vernünftiges Kriterium für den Rausschmiß eines Lehrers könnte allerdings sein: Unerträgliche Parteipropaganda im Unterricht, egal für welche Partei! Ansonsten entscheidet die fachliche, pädagogische und humane Qualität. So ist das auch anderswo.

Stimmt es Sie nicht nachdenklich, daß diesseits des Rheins Kommunisten grundsätzlich Verfassungsfeinde sein sollen, während jenseits des Rheins beinahe jeder dritte Lehrer Kommunist ist? Unsere Parteifreunde in Frankreich und Italien, in Belgien und Holland führen die undifferenzierte Praxis beim Radikalenerlaß schon lange auf einen allzu undifferenzierten Antikommunismus in der Bundesrepublik Deutschland zurück.

Wie wollen Sie denn mit Christdemokraten dieser Länder demnächst gemeinsam europäischen Wahlkampf führen und gleichzeitig Ihre Extremistenposition aufrechterhalten?

Auch unsere geografische Nähe zur DDR rechtfertigt es nicht, in Westeuropa allmählich das Land mit den wenigsten Kommunisten und den meisten Kommunistenjägern zu werden. Zudem sollte man Märtyrerkronen nicht verschenken, schon gar nicht, wenn der politische Gegner darauf wartet. Und Freund-Feind-Denken sollte nicht unser Stil sein.

Lieber Herr Kohl, wenn das unterscheidend Christliche am Christentum das Programm des Jesus von Nazareth ist, dann muß dessen Geist auch in einer christlich motivierten Politik erkennbar sein. Das heißt: Christlichen Demokraten sollte man zumindest anmerken, daß sie sich um Toleranz und Integration bemühen. Kontrolle ist gut, Vertrauen besser.

Dies wäre nicht nur Grundlage einer glaubwürdigen Unionspolitik, sondern auch das bessere taktische Rezept.

Konrad Adenauer hat nach dem ersten Weltkrieg ganz intensiv mit Kommunisten zusammengearbeitet. Er war als Oberbürgermeister von Köln sogar für kurze Zeit Sicherheitsbeauftragter des revolutionären Arbeiter- und Soldatenrats. Dieser Posten war Adenauers Bedingung dafür, daß er den Revolutionären Schreibmaschinen und Papier zur Verfügung stellte. Ich weiß nicht, ob Adenauer mit dieser Vergangenheit heute in Berlin oder Bayern Lehrer werden dürfte Aber ich weiß, daß 1918 die Revolution in Köln ganz schnell zu Ende war. Nicht ein defensiver Radikalenerlaß, sondern Adenauers kluger Umgang mit den Revolutionären hat das mitbewirkt.

Wenn diese offensive und selbstbewußte Haltung schon inmitten unmittelbarer Nachkriegswirren erfolgreich war ...

Mit freundlichen Grüßen Ihr Franz Alt

Zur Ausgabe
Artikel 16 / 93
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten