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INS BETT MIT EINEM MÖRDER?

aus DER SPIEGEL 47/1970

Am Stadttor von Feuchtwangen, Mittelfranken, erwarten den im Ministerauto aus Bonn anreisenden Ertl Sepp bloß Stallduft und Schwärze. Die versprochene Eskorte weißer Wahlbusse ist, der frühen Dämmerung wegen, doch lieber in Dinkelsbühl geblieben.

Der Rekonvaleszent Ertl erscheint also ungeleitet im bayrischen Wahlkampf, eigentlich auch unerwartet. Daß die plötzliche Kräftigung seines Kreislaufs etwas mit den, gleichfalls unerwarteten, zehn FDP-Prozenten in Hessen zu tun habe, leugnet er glatt. Er ist Ökonom, nicht Psychosomatiker. Und das ist es ja eben, was ihn so krank macht -- »wenn dauernd versucht wird, einem Motive zu unterstellen«. Wenn einem keiner glauben will, »daß man vom Körper her ein rotes Licht gesetzt bekommt«.

Manchmal flackert das rote Licht noch ein bißchen. Nach zweieinhalb Stunden Wahlversammlung in Dinkelsbühl hat der Ertl Sepp wieder Herzstechen und »schwitzt innerlich«. Er läßt das nicht merken. Aber er sieht dann aus wie ein Schankwirt nach der Polizeistunde, wenn die letzten Besoffenen glücklich draußen sind. Daß er sich nicht abgewöhnen kann, Ärgernis zu nehmen, das ist sein Problem.

Drum kämpft er eigentlich auch gar nicht, er fängt jedenfalls nicht damit an. Politische Gegner erwähnt er am liebsten nur dann, wenn er hinzufügen kann, daß er mit ihnen befreundet sei oder sie doch »persönlich sehr schätze«. Ginge es in der Politik ganz nach ihm, so wäre Wahlkampf wenig mehr als ein beim Filser Jozef entlehnter Aufruf an das »gelibte Landfolk, klaube an dissen Ertl, wo bei dir stet und ein Bauernhärz hat«, ein schwaches.

Böse wird er bloß, wenn CSU-Disputanten ihm die schwierige Ertragslage der Bauern »in die Schuhe schieben wollen« und das, »was Sie in der EWG laufend ham sausen lassen«; auch wenn versucht wird, ihm »schuldhaft« die Koalition mit der SPD anzulasten -- wo das doch »der Strauß auch mal gemacht hat«, mit den Sozis zu koalieren.

Josef Ertl weiß, daß er die »reale Chance«, der FDP in Mitteifranken diesmal über die Zehn-Prozent-Hürde und damit in den Landtag zu helfen, nur durch hinhaltenden Widerstand gegen die auf dem Lande übermächtige CSU unterstützen kann; also auch durch den Versuch, der CSU ein paar von der NPD zurückkehrende Protestwähler zu stibitzen -- in netter Form, natürlich. Er sagt schon mal: »Wir haben nun langsam genug Vergangenheit bewältigt.« Und er läßt, wenn man ihn drauf anspricht, keinen Zweifel daran, daß er den hessischen Wahlerfolg der FDP als Bremskraftverstärker für Bonn versteht.

Und was die CSU angeht, so soll sie überhaupt erst einmal damit aufhören, die FDP »vernichten« oder ihr mittelfränkische Abgeordnete wegkaufen zu wollen. Erstens »beginnt auch irgendwo unsere Selbstachtung«. Und zweitens könnte das in Bayern, wo die FDP ja nicht (wie in Hessen) durch Parteibeschluß auf eine Koalition mit der SPD festgelegt ist, für die CSU auch ins Auge gehen: »Mit einem Mörder geht man ja nicht gern ins Hochzeitsbett einer Koalition.«

Letzten Freitagmorgen muß der Ertl Sepp dann aber in den Nürnberger Zeitungen eine Anzeige lesen, worin der CSU, dem »Sammelbecken der rechtsextremen Kräfte«, ohne Umschweife erklärt wird: »Die F.D.P. wird mit dieser CSU nicht koalieren« -- unterschrieben von den mittelfränkischen FDP-Stimmkreiskandidaten, voran Dr. Hildegard Hamm-Brücher (die den Ertl Sepp früher immerhin mal einen »HJ-Lausbuben« geheißen hat).

Mittags gibt »Minister J. Ertl« laut »Rednereinsatz«-Plan eine Pressekonferenz im »Grand Hotel«. Als er hinkommt, ist da auch Hildegard Hamm-Brücher. Dem Ertl Sepp hat das vorher niemand gesagt. Er lächelt lieb, hat aber rote Flecken im Gesicht. Der Händedruck der beiden kommt frisch aus dem Frigidaire.

Natürlich fragt dann jemand nach einer möglichen Koalition mit der CSU. Kommt nicht in Frage, sagt Hildegard Hamm-Brücher, Der Ertl Sepp will aber offenbar die drohende Diskussion mit der Parteifreundin vermeiden und bringt deshalb einfach sein Zitat vom Abend vorher noch mal. Aber er verplappert sich dabei: »Mit einem Mörder«, sagt der Ertl Sepp, »legt man sich nicht ins Diskussionsbett.«

Hermann Schreiber
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