BERLIN / ABGEORDNETEN-SPESEN Ins Vergnügen
Rathausdiener gingen den Behördenschrank mit Zange und Schraubenzieher an. Das Möbel erlag der Amtsgewalt und öffnete sich.
Doch der dienstlich verfügte Einbruch, vorletzte Woche im Zimmer des Direktors beim Berliner Abgeordnetenhaus, brachte keinen Gewinn. Die Papiere, die der amtierende Parlamentspräsident Peter Lorenz als Verschlußsache im Geheimschrank seines Bürochefs vermutete, fanden sich nicht an.
Die Fahndung galt einem Reiseprogramm des Berliner Abgeordnetenvorstehers Walter Sickert (SPD), der mit großem Gefolge -- den Vorsitzenden der drei Fraktionen, zwei weiteren Parlamentariern, dem höchsten Parlamentsbeamten und einem Privatdolmetscher -- auf Südamerika-Tournee weilte. Offizieller Anlaß des dreiwöchigen Abstechers: Sympathie-Werbung für West-Berlin.
Anhand des unauffindbaren Dokuments wollte Vizepräsident Lorenz nachweisen, daß die acht Politiker unter südlicher Sonne keineswegs eine Vergnügungsreise auf Kosten des Steuerzahlers absolvierten. Denn Kommunalberichter der Berliner Tageszeitungen, die bislang auf Staatsspesen bei allen Auslandstouren des Parlamentspräsidenten dabei waren und nun erstmals aus Sparsamkeitsgründen daheim bleiben mußten, hatten die Frühlingsfahrt der Volksvertreter heftig kritisiert.
So fragte die »Berliner Morgenpost« aus dem Hause Springer: »Was machen die Abgeordneten in Südamerika?« Schwesterblatt »BZ« höhnte: »Rein ins Vergnügen.« Und »Bild«-Berlin nörgelte: »Aber das Programm kennt keiner.«
Das Programm, nach Meinung des Vizepräsidenten Lorenz »angesichts der Temperaturunterschiede bestimmt anstrengend«, führte die Partei-Touristen in die Hauptstädte Chiles, Brasiliens, Ecuadors und Kolumbiens. Mit dem Segen des Bundesaußenministers und dem Geld des Bundespresseamtes ausgestattet, nahmen die West-Berlin-Werber in der Erste-Klasse-Kabine eines Lufthansa-Jet Platz.
Im Handgepäck: Von der Parlamentskasse bezahlte Langenscheidt-Wörterbücher für Englisch, Spanisch und Portugiesisch. Gastgeschenke -- darunter ein Megaphon und Zierteller der staatlichen Porzellanmanufaktur Berlin -- hatten sie mit einer Frachtmaschine vorausgeschickt.
Was ihnen in der Fremde widerfuhr, drang nur in spärlichen Mitteilungen in die Halbstadt. So lasen die Berliner, daß der chilenische Staatspräsident Eduardo Frei den Leuten, die ihm Berlins Probleme nahebringen sollten, eigene Probleme darlegte. »Wenn Lateinamerika für die Freie Welt verlorengeht«, dozierte der Präsident, »so wäre das auch für Europa ein schwerer Schlag.«
Noch voll vom Hochgefühl des Globetrottens, fuhren sieben der acht Berliner am Ende ihres Amerika-Abenteuers keineswegs auf dem kürzesten Weg nach Haus zurück. Für 10 000 Mark Mehrkosten, die sie nun selber aufbringen müssen, flogen sie erst nach New York und belegten dort Luxuskabinen auf dem Europa-Liner »Rotterdam«. Der achte, CDU-Chef Franz Amrehn, nahm ein Flugzeug -- er wird immer seekrank.
Zu Hause mühte sich unterdessen Sickert-Vize Lorenz um telephonische Verbindung mit den Ausflüglern, um wenigstens fernmündlich über das Programm der Reise informiert zu werden. Doch noch ehe die Verbindung zustande kam, fand sich das verlorene Papier.
Eine Aushilfssekretärin entdeckte es im Zimmer des Parlamentsdirektors
im Ablagekorb, neben dem geknackten Schrank. Auskunft darüber, ob die Lustfahrt der Hauptstadt-Parlamentarier politisch bedeutsam war, gab das Dokument nicht.