»Intensives verdecktes Handeln«
Berlins Lietzenburger Straße, vom Volksmund »Lietze« genannt, ist nicht die feinste Adresse. Dort protzt die Bordellszene mit dicken Schlitten und Appartements, blüht die Bauspekulation, gelegentlich wird im Umkreis ein Haus warm abgebrochen oder gar ein Mord in Auftrag gegeben.
In diesem Milieu ist die Korruptions- und Schmiergeldaffäre um den ehemaligen Charlottenburger Baustadtrat Wolfgang Antes (SPIEGEL 52/1985) angesiedelt. Eine neunzehnköpfige Sonderkommission »Lietze« des Polizeireferats für organisierte Kriminalität ist damit befaßt.
Seit geraumer Zeit wirft der Kiez lange Schatten auf eine mächtige Einrichtung in der Nachbarschaft: die CDU-Parteizentrale, Lietzenburger Straße Nummer 46.
»Lietzes« Fahndungserfolge belasten immer mehr CDU-Obere, neuerdings sogar den Hausherrn: Bei der Verhaftung des Bauunternehmers Kurt Franke, letzten Montag, fand sich Kompromittierendes über den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen. Der stand, gemeinsam mit Notabeln von SPD und FDP, auf der Spendenliste, die beim Baulöwen Franke beschlagnahmt worden war. Seither hat sich die Schmiergeldaffäre zur Regierungskrise geweitet.
Franke hat, wie Flicks Buchhalter Rudolf Diehl, über seine Zuwendungen an Parteileute akribisch Kladde geführt. Insgesamt stiftete er knapp eine Million Mark; davon gingen 1982 und 1983, in zwei Tranchen, rund 75000 Mark an den damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Diepgen.
Die Spende wurde von der Partei, entgegen den gesetzlichen Bestimmungen, in den Rechenschaftsberichten nicht ausgewiesen. 50000 Mark habe er, so Diepgen letzte Woche, für soziale Zwecke gleich weitergegeben, an parteinahe Institutionen wie das Union-Hilfswerk und den Förderverein Junge Politik der CDU.
An den Empfang von weiteren 25000 Mark erinnert sich Diepgen nicht mehr genau. Exakter habe das der damalige Landesgeschäftsführer Klemens Siebner gewußt, dieser Zeuge jedoch ist inzwischen gestorben.
Der Bürgermeister beichtete letzten Donnerstag, wie er sagt, um der »politischen Hygiene« willen. Doch um die ist es in Berlin längst geschehen.
Daß Diepgen sich erst nach Festnahme des Spenders offenbarte, kennzeichnet den Stil der ganzen Affäre. Dem Gedächtnis der CDU-Prominenz mußte schon bisher, so der Berliner FDP-Vorsitzende Walter Rasch, »nach und nach nachgeholfen werden«.
Der Kriminalfall hatte Ende letzten Jahres mit der Verhaftung des ehemaligen Charlottenburger CDU-Stadtrates Wolfgang Antes begonnen; ihm wird Bestechlichkeit vorgeworfen.
Antes spielt die Schlüsselrolle in einem dubiosen Immobiliengeschäft. Er soll vom Wuppertaler Autohändler Otto Putsch, der im Auftrag zweifelhafter Hintermänner billig an 2000 landeseigene Wohnungen herankommen wollte Schmiergeld verlangt haben.
Die Ermittlungen, von einem Oberstaatsanwalt und vier Staatsanwälten geführt, zogen immer mehr Politiker in den Strudel. Seit voriger Woche im Visier: CDU-Baustadtrat Jörg Herrmann aus Wilmersdorf und CDU-Bezirksbürgermeister Hans-Martin Quell aus Tiergarten, beide wegen Verdachts der Bestechlichkeit suspendiert.
Auch der Innensenator und Diepgen-Vize Heinrich Lummer ist schon seit Wochen im Gerede, er soll dem Strohmann Putsch in Berlin viele Türen geöffnet haben. Die örtliche Presse sieht den Senat »am Schlingern, wenn nicht gar am Schleudern« ("Berliner Morgenpost"), die regierenden Christdemokraten müssen nach Diepgens Enthüllung mit dem größten anzunehmenden Unfall rechnen.
Der Bürgermeister versucht den Schaden zu begrenzen. Aus der CDU kommen Tips, daß Franke auch andere großzügig bedient hat, der Sozialdemokrat und Ex-Senator Klaus Riebschläger beispielsweise bekam 130000 Mark. Solche Spenden, mahnt Diepgen, solle man nicht »kriminalisieren«.
Doch die Bemühungen, das Ganze als ein nicht ungewöhnliches Spendenmalheur abzutun, werden Berlins regierende Christdemokraten kaum entlasten. Im Mittelpunkt der Affärenserie stehen Kriminelle und Filz.
Gerichte und demnächst auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß sollen klären, wie weit sich prominente Christdemokraten mit Spekulanten, Bordellwirten und Stadtmafiosi gemein gemacht haben, ob sie sich für Schmiergelder und Durchstechereien verantworten müssen.
Bis jetzt sind 30 Personen beschuldigt in die Korruptionsaffäre verwickelt zu sein - ein bunter Kreis von Gastronomen und Schlägern, Unternehmern und Juristen, mit teils besten Verbindungen zum Senat. Sieben Verdächtige sitzen bereits im Untersuchungsgefängnis, vier weiteren wurde einstweilen Haftverschonung gewährt.
In Bestechungsverdacht geriet der Rechtsanwalt Christoph Schmidt-Salzmann. Er soll dem Stadtrat Antes 200000 Mark gezahlt und später Gegenleistungen mit Drohfloskeln angemahnt haben: »Du weißt, daß ich Möglichkeiten habe, auch anders zu meinem Recht zu kommen.«
Die Kriminalpolizei reihte den Rechtsanwalt ursprünglich sogar in ein Mordkomplott
ein: nach einem mißglückten Attentat auf einen Partner von Schmidt-Salzmann - das Opfer wurde nur angeschossen - waren den Killern sogar noch »Nachbesserungen« abverlangt worden.
Bestechungsgeld erhielt Stadtrat Antes, so stellten die Fahnder fest, auch von Architekten wie Heinz Werner Raffael (170000 Mark) oder Bordelliers wie Otto Schwanz (50000 Mark). Schon jetzt offenbart sich den Ermittlern ein außergewöhnlicher Anlauf von »Gangsterkreisen und Parteigrößen, gemeinsam kommunale Macht zu erringen«. Ein Beamter: »Das einzige, was denen noch fehlte, war eine eigene kommunale Polizei.«
Zum Ende des zweiten Amtsjahres des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen wird in der Halbstadt, bisher nur an rote Genossenwirtschaft gewöhnt, das Geflecht des schwarzen Filzes sichtbar. Das stellt schon jetzt frühere Skandale in den Schatten: die Pleite mit dem Hochhausprojekt »Steglitzer Kreisel« 1973 oder die riskante Bürgschaft für die zweifelhaften Geschäfte des Architekten Dietrich Garski die 1981 zum Sturz der Sozialliberalen führten.
»Auf Stühle kommen, auf Stühlen sitzen und auf Stühlen bleiben«, so hatte einst SPD-Bürgermeister Heinrich Albertz das Machtbewußtsein vieler sozialdemokratischer Kommunalpolitiker kritisiert. Jetzt muß sich die CDU von der Opposition eine »Beutepolitik par excellence« bescheinigen lassen.
Denn lange bevor Polizei und Staatsanwaltschaft begannen, ein Stück des Berliner Sumpfes trockenzulegen, zeigte sich vor allem in Baubehörden die altbekannte Verflechtung von Macht und Kommerz.
Schon im April vergangenen Jahres beschäftigte sich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß mit der Rolle des Bausenators und früheren Wohnungsbaumanagers Klaus Franke (CDU) beim Verkauf einer Immobilie an der Schlangenbader Straße im Stadtteil Schmargendorf. Preis: 68 Millionen Mark.
Es zeigte sich, daß das Zusammenspiel von privaten Bau- und städtischen Amtsträgern wie geölt funktionierte. Bei dem Handel entstanden 3,4 Millionen Mark »sogenannte 'Nebenkosten'« (Ausschußbericht).
Wie die Hände einander waschen, zeigt auch das Wirken des Diepgen-Vertrauten Klaus-Rüdiger Landowsky. Ohne ihn läuft nichts in der Berliner Politik. Parteiintern gilt Landowsky als zentrale Figur der dominierenden »Betonfraktion«, die dem Weizsäcker-Nachfolger Diepgen den Weg ins Amt geebnet hat.
Landowsky bekleidet zahlreiche Ämter: Der stellvertretende Fraktionschef vertritt seine Partei im Kontrollgremium des Senders Freies Berlin, im Vorstand der landeseigenen Wohnungsbau-Kreditanstalt und in der Berliner Pfandbriefbank. Neuerdings hat Landesvorsitzender Diepgen seinen Intimus auch noch zum Generalsekretär seiner Partei küren lassen.
Ausgerechnet Landowsky soll, so ein Schlüsselzeuge, bis zuletzt als Antes Fürsprecher gewirkt und »nahezu Weisung« erteilt haben, ein Disziplinarverfahren gegen den Stadtrat zu unterlassen.
Teilen dieser rechten Berliner Seilschaft ist bei ihren Geschäften wohl die genaue Unterscheidung zwischen Schmiergeld und Spende abhanden gekommen. Für beides erwartet der Geber Dankbarkeit, und die wurde auch gezeigt. Fahndungsbeamte, die das Büro des Bauunternehmers Franke durchsucht hatten, zeigten sich »fassungslos über die erbötigen Dankschreiben« der glücklichen Empfänger.
Als Franke, unweit der CDU-Zentrale, in der Lietzenburger Straße ein Jugendhotel errichtete, erließen ihm die Baubehörden die eigentlich fällige Ablösezahlung für nicht gebaute Parkplätze. Das letzte Wort dabei hatte die vom Namensvetter Klaus Franke (CDU) geführte Baubehörde. Dieses Entgegenkommen kritisierten die Sozialdemokraten seinerzeit als »Gefälligkeitsentscheidung«. Dauerspender Franke sparte eine halbe Million Mark.
Derzeit wirbt Kurt Franke für ein geplantes »Bürotel« in Ku'damm-Nähe, rund 30 Mitbewerber waren bei den Behörden schnell ausgebootet. Bieter Franke kam nur deshalb noch nicht zum Zug, weil es potente Rivalen gibt: Der christdemokratische Ex- Bundestagsabgeordnete Jürgen Wohlrabe will mit dem bekannten Bauunternehmer Dietmar Otremba am selben Ort ein »Medienzentrum« hochziehen.
Ob es auch bei diesem Wettbewerb nicht mit rechten Dingen zuging, beschäftigt nun ebenfalls die Fahnder: »Wir ermitteln gegen beide, Franke und Otremba.«
Vorsorglich sollen in Berlin jetzt alle größeren Projekte überprüft werden, bei denen Bauherren und Behörden in den letzten Jahren von allgemeinen Baurechtsbestimmungen abgewichen sind. Mit Vorrang wäre der Bezirk Tiergarten zu kontrollieren, wo Quell als Bürgermeister und Franke als Bauherr walteten.
Am härtesten drückt die Unions-Christen jedoch die Affäre um den Immobilienvermittler Putsch. Der schon beschlossene Charlottenburger Wohnungshandel, bei dem die Interessenten 100 Millionen Mark Subventionen von der Wohnungsbau-Kreditanstalt erhofften, hat die Regierungsspitze erst richtig reingerissen.
Otto Putsch sagte aus, er habe mit Innensenator Heinrich Lummer »nähere Einzelheiten« des Geschäfts durchgesprochen.
Der Senator selbst habe sich um das Projekt gekümmert und mit ihm mehrere Treffen« gehabt. Dabei wurden ihm, so der branchenfremde Immobiliengrossist, »bis dahin völlig unbekannte« Verhandlungspartner zugeführt - darunter Stadtrat Antes.
Daß er als Vermittler tätig war, läßt Lummer bis heute durch sein Anwaltsbüro bestreiten. Doch daß er den Beschuldigten Putsch kennt, konnte Lummer nicht verheimlichen. Den »netten Menschen« habe er Anfang der 70er Jahre, so rückte Lummer erst spät, Mitte Dezember, heraus, im Libanon kennengelernt. Putsch sei, nach einem Bittbesuch 1984 im Senatorenbüro, an die für Baufragen »zuständigen Fraktionsstellen« weitergereicht worden.
Der Christdemokrat behauptete zunächst, er habe den Bittsteller Putsch kurz abgefertigt. Lummer: »Was soll ich mich mit solchem Kappes befassen.« Dann aber räumte der Senator ein, er habe sich mindestens dreimal mit dem westfälischen Autohändler getroffen und dabei auch den Steuerberater Edwin Veth kennengelernt. Auch der wurde letzte Woche unter Bestechungsverdacht festgenommen.
Putsch versuchte das Erbbaurecht für Wohnungen (Verkehrswert: 40 Millionen Mark) für acht Millionen Mark zu ergattern. Daß dabei Schmiergeld und Parteispenden in Höhe von fünf Millionen Mark in Rede standen, bestreitet Lummer nach wie vor: »Das hätte ich natürlich abgeschmiert.«
Noch stellt sich die CDU schützend vor ihren altgedienten Kämpen. Der sei nun mal, so ein Senatskollege, »keine reine Lichtgestalt«. Ein anderer in Lummers Lage, fügt er aber hinzu. »müßte jetzt daran denken, den Hut zu nehmen«.
Die Taktik der Christdemokraten, scheibchenweise und nur bei der Konfrontation mit Ermittlungsergebnissen auszupacken, macht die Affäre vollends verheerend.
Wie Lummer wollte auch kein anderer Christdemokrat zunächst von Putsch etwas gewußt haben. Spät erst erinnerte sich CDU-Fraktionschef Dankward Buwitt an ein Treffen mit dem Händler. Dann gab er plötzlich zu Protokoll, ein Fraktionsassistent sei dabeigewesen. Schließlich fiel ihm ein, daß an diesem Gespräch auch noch ein Senatsdirektor und Stellvertreter des Bausenators teilgenommen habe.
Erst danach kam ans Licht, mit welch sonderbaren Rettungsaktionen die CDU-Spitze den angeschlagenen Parteifreund Antes rauspauken wollte.
Diepgens engster Kreis betrieb die Wiederwahl von Antes zum Baustadtrat. Die Herren stießen sich nicht daran, daß das Rechtsamt Charlottenburg bei dem Kandidaten schon Monate zuvor, in einem 13seitigen Ermittlungsbericht, schwere Verfehlungen und »intensives verdecktes Handeln« festgestellt hatte.
Das fällige Disziplinarverfahren bog Diepgen persönlich ab; er sorgte dafür, daß Antes mit einem milden Verweis davonkam. Diepgen wollte, vermutet SPD-Fraktionschef Walter Momper heute, »stromlinienförmig in den Wahlkampf gehen«.
Seit es nicht allein mehr um die Linie geht, sieht auch Diepgen ein: Da habe ihn »wohl der politische Instinkt im Stich gelassen«.