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GRÜNE Invasion von der Wega

Vier Grüne konnten ihren chinesischen Gastgebern nicht erklären, wohin die Reise der deutschen Alternativen geht. *
aus DER SPIEGEL 9/1985

Die Telephonistin in Frankfurt, die am Dienstag letzter Woche ein Gespräch aus dem Schanghaier Jinjiang-Hotel vermittelte, vergaß ihre berufsübliche Zurückhaltung. »Frau Schoppe«, fragte sie verblüfft, als sich die Teilnehmerin meldete, »was machen Sie denn in China?«

Das hatte sich Waltraud Schoppe, Fraktionssprecherin der Grünen in Bonn, zunächst selbst gefragt, als sie vor einiger Zeit von den Reiseplänen hörte: »Ja, was wollen die Grünen in China?«

Auch Alternative erholen sich gern vom Bonner Streß, da unterscheiden sie sich nicht von den Parlamentariern der Alt-Parteien. Und steht ein Reiseziel erst mal fest, dann lassen sich auch politische Gründe für Exkursionen in entlegene Winkel der Welt finden.

Die lieferte seiner Fraktionsspitze der Abgeordnete Joschka Fischer, Initiator der Expedition ins Reich der Mitte. Die Chinesen seien, argumentierte er, wegen ihrer blockunabhängigen Politik und ihrer Wirtschaftsreform ideale Gesprächspartner für die Grünen. Der Frauen-Vorstand ließ sich rasch überzeugen und schickte Waltraud Schoppe mit nach China. Der Sprecherin, sonst Vorkämpferin für die Gleichberechtigung, kam, nach einigem Nachdenken, der Plan so abwegig gar nicht mehr vor. Es sei doch ganz gut, sich an Ort und Stelle mal umzusehen, »wieso das mit dem Sozialismus nirgends klappt«.

Für das Forschungsziel, nach grüner Art hochgesteckt, interessierte sich auch die verhinderte Nachrückerin Hannelore Saibold. Die Öko-Expertin holte sich vom zuständigen Fraktions-Arbeitskreis grünes Licht für die Reise, um sich über chinesische Landwirtschafts- und Umweltpolitik zu informieren. Das Ticket sollte wohl ein Trostpflaster dafür sein, daß sie nicht in den Bundestag einziehen darf - weil Petra Kelly, die nicht rotieren will, ihr Mandat behält.

Das vierte Mitglied der Delegation, der Abgeordnete Hubert Kleinert, mußte von seinem hessischen Parteifreund Fischer zur Teilnahme förmlich überredet werden. Der Grünen-Haushälter bekundete vor dem Abflug nach Peking, daß er »eigentlich gar keine Lust mehr« verspüre. Kleinert wollte nicht in den Verdacht geraten, er sei vergnügungssüchtig. Schließlich war er, als Mitglied einer deutsch-indischen Parlamentariergruppe, gerade durch Indien, Sri Lanka und Burma gefahren.

Obwohl die anderen drei zum erstenmal auf großer Fernost-Fahrt waren,

zeigte die Gruppe, daß sie sich aufs Reisen versteht. Wie alte Routiniers verknüpften die Alternativen politische Pflichtübungen mit touristischem Vergnügen. Die wenigen Gespräche mit Vertretern der staatlichen Wirtschaftskommission, des Umwelt-, Städtebau- und Außenministeriums ließen den Grünen genug Zeit für ausgiebiges Sightseeing. Sie besuchten den Himmelstempel und den Kaiserpalast in Peking, die Ming-Gräber und die Große Mauer. Die Chinesen, die gar nicht so recht wußten, was sie mit ihren Gästen anfangen sollten, sorgten zuvorkommend auch für leichte Kost.

Die Alternativen ergötzten sich an einer Akrobatik-Schau mit Trapezkünstler und Pandabär, zu einer Bootstour auf dem Huangpu-Fluß hatten die Gastgeber eigens einen Zauberer bestellt. In der Wirtschaftssonderzone in Zhuhai am Chinesischen Meer sichteten die Reisenden Westlich-Vertrautes: Am Eingang zu einem Feriendorf, das eine Hongkonger Aktiengesellschaft finanziert und mit den Volkschinesen managt, grüßte ein riesiger Donald Duck.

Schon unterwegs dorthin hatten die Grünen erste Ergebnisse der chinesischen Wirtschaftsreform begutachtet. Stolz zeigte ihnen ein Funktionär in der Stadt Schenzhen ein neues Komfort-Hotel für ausländische Touristen. Es verfügt, besondere Attraktion, über den ersten 18-Loch-Golfplatz Chinas.

Begeistert von solch fernöstlichen Wundern, klopfte Fischer, bei einem Bummel durch die Altstadt von Schanghai, seinem Reisekumpanen Kleinert auf die Schulter: »Wir haben die schönste Fraktionsreise der letzten zwei Jahre an Land gezogen.«

Das ist ausschließlich sein Verdienst. Monatelang hatte Fischer den Kontakt zur chinesischen Botschaft in Bonn gepflegt, sich an den vielen Gängen der fernöstlichen Küche gelabt und zielstrebig auf eine Einladung hingearbeitet.

Im Spätherbst zeigte sich der Erfolg. Die chinesische »Gesellschaft für Freundschaft mit dem Ausland« bat die Grünen offiziell zu einer 14tägigen Visite in die Volksrepublik. Sie brauchten nur die Flugscheine, zu 3700 Mark pro Stück, besorgen. Fischer malte sich aus, wie die Bonner Exoten in China empfangen würden: »Wie eine Invasion von der Wega.«

Da hatte sich der Ex-Sponti gründlich geirrt. Die deutschen Grünen sind in Peking alles andere als unbekannte Wesen von einem fernen Stern. So überraschte der Leiter der Abteilung für westeuropäische Angelegenheiten im chinesischen Außenministerium, Mei Zhaorong, die Gäste mit Intimkenntnis über Bonner Verhältnisse.

Geduldig tat der Europa-Experte erst seine Pflicht und diskutierte mit den Besuchern über Sicherheits- und Deutschlandpolitik. Doch sein Interesse galt einem anderen Thema: Ob sie denn bereit seien, wollte er von den Grünen wissen, mit der SPD zu koalieren?

Da fühlten sich die Fernost-Touristen plötzlich wieder ganz wie zu Hause. Ihre übliche diffuse Auskunft über widerstreitende Lager in der Partei, über unterschiedliche Konzepte in Bund und Ländern stellte die Gastgeber nicht zufrieden.

Nach dem Gespräch bat der Dolmetscher um ein Privatissimum. Er habe, entschuldigte er sich, nicht so genau mitgekriegt, wie das mit den Grünen und der SPD sei. Mei nämlich, des Deutschen seit Studium in Leipzig und Arbeit in Bonn mächtig, hatte auf die Hilfe des Übersetzers verzichtet.

Wie genau die Chinesen die Entwicklung der neuen Partei in der Bundesrepublik beobachten, zeigte eine zweite Debatte mit Angehörigen des »Instituts für westeuropäische Studien« und Vertretern des Außenministeriums.

Die Grünen waren gebeten worden, einen Vortrag über ihre politischen Ziele zu halten. Noch am Frühstückstisch grübelten Hannelore Saibold und Joschka Fischer darüber nach, wie man den Chinesen wohl am besten den Begriff »Basis-Demokratie« erklären könne.

Aber ihre Sorge, die Gesprächspartner wüßten damit nichts anzufangen, erwies sich als unbegründet. Nicht was Basis-Demokratie sei, sondern wie sie denn verwirklicht werden solle, wollte ein Mitglied des Instituts nach langatmigen Vorträgen der Grünen wissen. Die deutschen Gäste jedoch konnten auch kein rechtes Konzept bieten, Kleinert hatte nur die Floskel parat, es gebe eben immer »fruchtbare Kompromisse zwischen Führung und Basis«.

Auch mit einem anderen Anliegen, nämlich den Gastgebern die Verdrossenheit überversorgter Industrie-Menschen zu vermitteln, kamen die Grünen nicht an. Die Chinesen haben jahrzehntelang, zwangsweise, Konsumverzicht geübt. Theoretiker, die ihnen jetzt den Kauf von Waschmaschine, Kühlschrank, Farbfernseher vermiesen wollen, stoßen auf blankes Unverständnis. Der sonst so eloquente Fischer über die chinesische Realität: »Das verschlägt einem die grüne Sprache.«

Höflich behielten die Chinesen für sich, was sie wirklich von den Grünen denken. Das Gespräch mit den Alternativen, so Mei, sei »sehr interessant gewesen«, die chinesische Regierung wolle Kontakt zu allen Parteien in der Bundesrepublik halten. Eine Gegeneinladung noch für dieses Jahr hat die Freundschaftsgesellschaft angenommen.

Die Grünen übten sich, zum Dank für die Nettigkeiten, in den Ritualen richtiger Politiker. Sie schwärmten von den »Abenteuern«, die sie erleben durften, bewunderten die Leistungen der politischen Führung und betonten immer wieder, daß in China »glückliche Menschen« leben. Als Gastgeschenke überreichten sie Schallplatten von Bach und Beethoven.

Selbst auf korrektes Äußeres, wer will schon unangenehm auffallen, legten die Alternativen großen Wert. Auf Geheiß des Delegationsleiters Fischer trug Kleinert zum erstenmal in seinem Leben, sagte er, einen Schlips.

So sehr waren die Öko-Paxe bemüht, den Gastgebern zu gefallen, daß sie alle heiklen Themen aussparten: kein Wort über die Unterdrückung jeglicher Opposition in China, über Zensur und politische Gefangene. »Das hätte«, entschuldigte Fischer, »nirgends gepaßt.« _(Der Vizepräsident der »Gesellschaft für ) _(Freundschaft mit dem Ausland«, Chu ) _(Tunau. )

Der Vizepräsident der »Gesellschaft für Freundschaft mit demAusland«, Chu Tunau.

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