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DIPLOMATIE Irgendwie verschwinden

Auch innerhalb der Bundesregierung wird um den Diplomaten-Status des Persers Tabatabai gestritten - Genscher gegen Zimmermann.
aus DER SPIEGEL 9/1983

Im Bonner Außenamt feilten Völkerrechtsexperten an einer diplomatischen Note. Adressat war das eigene Haus.

Der Text, den die Juristen in der letzten Januar-Woche formulierten, ging am 3. Februar als offizielle Demarche des iranischen Außenministeriums wieder bei Hans-Dietrich Genscher ein.

Die bundesdeutschen AA-Spezialisten hatten für die Perser einen Türken gebaut. Im besten Amtsdeutsch baten die Iraner, ihrem Landsmann Tabatabai »alle Vorrechte und Befreiungen zu gewähren, die einem Botschafter in besonderer Mission zustehen«. Fortan mühte sich Genscher offiziell und immer wieder, einen alten Bekannten vor dem Knast zu retten.

Einfach ist das nicht. Sadigh Tabatabai, 39, derzeit Untersuchungshäftling, war am 8. Januar mit 1,7176 Kilogramm Opium im Gepäck auf dem Flughafen Düsseldorf-Lohausen vom Zoll geschnappt worden. Erst gab er zu Protokoll, es handele sich nur um ein altes Hausmittel gegen Erkältungskrankheiten, dann aber, auf Vorhalt, brachte er seine Feinde ins Spiel: »Das war eine Falle, die haben mir das Zeug untergeschoben.«

Und seitdem streiten Politiker und Diplomaten darüber, ob Tabatabai als gewöhnlicher Reisender oder als Diplomat unterwegs war. Irans Botschaft in Bonn hatte zunächst erklärt, der Landsmann sei »ein privater Geschäftsmann«. Drei Tage später korrigierte sich die Vertretung und verlangte für den »Sonderbotschafter« Tabatabai die strafrechtliche Immunität. In der Nacht der ersten Festnahme hatten AA-Spitzenbeamte den Diplomatenstatus verneint und dann vor Prozeßbeginn um so stärker für den Festgenommenen interveniert.

Auch Gutachter und Gerichte kamen zu unterschiedlicher Bewertung, Völkerrechtler legten gegenläufige Expertisen vor. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) behandelte den Perser als Diplomaten und hob, bei einem Haftprüfungstermin, den Haftbefehl auf. Das Landgericht, das den Strafprozeß abzuwickeln hat, ignorierte den OLG-Beschluß. Tabatabai, erklärte Richter Otto Strauß, genieße keine Immunität und sei deshalb »der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen«.

So sah das am Freitag letzter Woche auch Genschers Kabinettskollege Friedrich Zimmermann. Der CSU-Innenminister ("Schmierentheater") kritisierte intern, es gehe nicht, die Kleinen zu greifen und die Großen laufenzulassen. Die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität werde auf diese Weise »ins Zwielicht« gezogen. Und selbst Genschers Staatsminister Alois Mertes (CDU) äußerte erhebliche Zweifel am richtigen Kurs seines Chefs.

Das Stück um den Perser hat orientalische Züge. Nachdem er für eine 200 000-Mark-Kaution in seine Düsseldorfer Wohnung hatte zurückkehren dürfen, riet ihm das offizielle Bonn hintenherum zur Flucht.

Gerhard Ritzel, vormaliger Botschafter in Teheran und nunmehr Koordinator der Geheimdienste im Kanzleramt, empfing Tabatabai in seinem Amtszimmer zu einem »rein privaten Besuch«. Ritzel und Tabatabai kennen sich, seit sie vor drei Jahren gemeinsam mit der Geiselaffäre in der Teheraner Botschaft befaßt waren.

Als freundschaftlichen Tip, der Haftbefehl gegen Tabatabai bestand nach wie vor, nahm der Chomeini-Vertraute aus Bonn die Empfehlung mit, sich schnellstens in seine Heimat abzusetzen. Ritzel, der vorige Woche krank wurde, erhielt mittlerweile Sprechverbot. Auch der Bundessicherheitsrat war sich einig: Es sei am besten, Tabatabai unbestraft ziehen zu lassen. Ein Prozeß sei nicht erwünscht.

Das Auswärtige Amt konnte am Ritzel-Tip nichts Anstößiges finden. Ein AA-Mann: »Es wäre besser, dieser ganz windige Bursche verschwände irgendwie.« Auch für den Fall einer Verurteilung - Tabatabai drohen mindestens zwei Jahre Haft - wurde in Bonn eine Variante durchgespielt: Der Iraner soll zur Persona non grata erklärt und in sein Heimatland abgeschoben werden.

Die Sache ist wirklich heikel, weil Tabatabai als Diplomat des greisen Ajatollah S.110 Chomeini beste Kontakte bis ins US-State-Departement pflegt. Auch die CIA, weiß ein hoher westdeutscher Sicherheitsbeamter, war um Tabatabai bemüht, »aus Dankbarkeit für seine Vermittlung in dem Geiseldrama«.

Tabatabais politische Karriere im revolutionären Iran begann nach dem Sieg der islamischen Revolutionäre. Er wurde Regierungssprecher und stellvertretender Ministerpräsident; von November 1979 bis September 1980 führte er kommissarisch die Regierung. Seit dem Ausbruch des Bruderkrieges mit dem Irak ist er Angehöriger des Obersten Verteidigungsrates.

Auch in Westeuropa ist Tabatabai eine Nummer, vor allem als Ansprechpartner für Politiker wie Hans-Jürgen Wischnewski oder Genscher. Als im Frühling vorigen Jahres Prügelperser ein Studentenwohnheim in Mainz stürmten und Chomeini-Gegner malträtierten, besprach er mit dem Außenminister die Modalitäten der Ausweisung seiner Landsleute. Genscher versprach, »differenziert und abgestuft« vorzugehen.

Schon einmal kam Bonns Außenamt dem Iraner Tabatabai, der seit Ausbruch des Krieges mit dem Irak überall auf der Welt Waffengeschäfte betreibt, im richtigen Moment zur Hilfe. Als Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) den vielseitigen Perser wegen eines Verstoßes gegen das Kriegswaffen-Kontrollgesetz - es ging um einen Panzer-Deal - festnehmen wollte, legte sich Genscher quer. Tabatabai genieße strafrechtliche Immunität - eine Version, die damals ebenfalls arg umstritten war.

In Düsseldorf scheint Genschers Taktik nicht aufzugehen. Richter Strauß ließ Tabatabai am Donnerstag zum zweiten Mal verhaften, diesmal vor der Praxis des Anwalts Heinrich Kroppen.

Im Haftbefehl heißt es, die offizielle Demarche des Außenministeriums habe nur dazu gedient, den Angeklagten »aus der U-Haft zu befreien«. Das Gericht kam zum Schluß, daß jenes Papier tatsächlich »in Abstimmung« mit dem AA formuliert worden sei.

Tabatabai, der beharrlich von einer »Geheimmission« spricht, war zwar im Januar als Sonderbotschafter für seine Regierung auf Reisen. Das eigentliche Ziel aber hieß Frankreich. In Bonn wollte er lediglich mit dem deutschen Botschafter in Teheran, Jens Petersen, Kontakte nach Paris klarmachen. Französische Waffenschmieden beliefern Irans Kriegsgegner Irak mit schwerem Gerät. Zum Treffen mit Petersen ist es allerdings nicht gekommen.

So mußte denn auch in einer vierstündigen Vernehmung vor dem Düsseldorfer Landgericht der Leiter der politischen Abteilung (Dritte Welt) im AA, Walter Gorenflos, als Zeuge berichten, bei der Intervention seines Amtes habe »eine besondere Aufgabe des Angeklagten keine Rolle gespielt«. Es sei vielmehr allgemein darum gegangen, die »außenpolitischen Beziehungen zum Iran nicht zu verschlechtern«.

Aus Teheran kam Ende letzter Woche die Warnung, eine Verhaftung und Verurteilung des Chomeini-Verwandten könne »Unheil bringen«. Der iranische Botschafter in Bonn, Navab-Motlagh, sprach im Auswärtigen Amt vor und wies auf die möglichen Konsequenzen im Verhältnis beider Länder hin. Bonns Mann in Teheran mußte den Ajatollahs im Gegenzug klarmachen, daß dem AA »derzeit die Hände gebunden« sind. Deutsche Gerichte seien unabhängig.

Schon im letzten Jahr hatten Drohungen der Mullahs Wirkungen gezeigt. Als es um die Ausweisung der Prügelperser von Mainz ging, kündigte Navab-Motlagh an, »die diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Islamischen Republik« würden »bis auf weiteres ihre Tätigkeit einstellen«.

Bonn lenkte ein. Einige Studenten wurden erst Monate später ausgeflogen, andere leben immer noch in der Bundesrepublik. Sie sind zwar offiziell ausgewiesen, dürfen aber weiterstudieren.

Auch im Rauschgift-Prozeß Tabatabai gibt es immer wieder neue Überraschungen. Tabatabais Verteidiger Kroppen wies am Freitag letzter Woche vor Gericht darauf hin, er genieße das Vertrauen seines Mandanten und der Regierung Irans nur insoweit, »als es nicht um strafrechtliche Dinge geht«. Als Zivilrechtler sei er nicht in der Lage, »alle strafprozessualen Möglichkeiten schnell genug zu bewerten«.

Kroppen legte sein Mandat nieder. Er zog die Robe aus und verließ den Saal. Am Dienstag dieser Woche soll der Prozeß gegen Tabatabai weitergehen.

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