Islam: Hoffnung in den Übermenschen
Munir D. Ahmed, 43, aus Pakistan stammender Moslem: ist seit 1968 Lehrbeauftragter der Universität Hamburg für Islamkunde und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Orient-Instituts in Hamburg.
Das Ergebnis des Referendums über
Irans neue Staatsform lag noch nicht vor, da verkündete Schiitenführer Chomeini schon die »Islamische Republik« für sein Land.
Kurz zuvor hatte sein Nachbar, Pakistans Herrscher General Sia-uI Hak, die Umwandlung des Landes in einen »Islamischen Staat« proklamiert, und andere mögen folgen: In den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kuweit soll das islamische Recht eingeführt werden -- das in Saudi-Arabien schon gilt-, und in Afghanistan sind die Anhänger einer islamischen Gesellschaftsordnung zum Kampf gegen das weltliche und sogar noch moskauhörige Regime angetreten.
Doch was charakterisiert den »Islamischen Staat«? Was streben Chomeini und Co. an? Was wird islamisch sein und was republikanisch an der »Islamischen Republik«? Und worin wird sie sich unterscheiden von den verteufelten Modellen: dem kapitalistischen, parlamentarischen Mehrparteienstaat des Westens und dem kommunistischen Einparteienregime des Ostens?
So wenig Ajatollah Chomeini auch über den künftigen Staat gesagt hat und so widersprüchlich es sein mag -- aus den Schriften der traditionalistischen Denker eines islamischen Staates und aus der Praxis der Staaten, die den Islam als Grundlage ihres Staates ansehen, lassen sich die Grundzüge eines Staates erkennen, der in krassem Widerspruch steht zu den demokratischen Versicherungen vieler Chomeini-Anhänger, auch im Widerspruch zur pathetisch verkündeten Volkssouveränität des libyschen Staatschefs Gaddafi beispielsweise.
Ein »Islamischer Staat«, so steht zu befürchten, wird eine Mischung sein aus faschistischen Staatsideen und der Praxis eines spätmittelalterlichen absolutistischen Staates. Fr wird aber auch eine religiöse Diskriminierung ausüben, wie sie in dem von Chomeini am meisten verachteten Land herrscht: Israel.
Chomeini ist eine charismatische Führerpersönlichkeit. aber nicht der eigentliche Denker der Islamisierungswelle. Chefideologe der islamischen Traditionalisten ist der Pakistaner Maududi. Im März dieses Jahres verlieh König Chalid von Saudi-Arabien den mit 200 000 Rial dotierten islamischen Nobelpreis, die König-Feisal-Medaille, an Maududi für »seine Verdienste auf dem Gebiet der Grundlagenforschung für die islamische Gesellschaftsforschung«. Iran-Premier Basargan beruft sich offen auf die pakistanischen Schriften.
Und jener Maududi sagt denn auch so deutlich wie möglich, wie ein »Islamischer Staat« aussehen wird. Maududi: »Er ist ein totalitärer Staat . . in dieser Hinsicht hat er eine gewisse Ähnlichkeit mit den faschistischen und sozialistischen Staaten.«
Alle faschistischen Bewegungen dieses Jahrhunderts waren anti-liberal, antidemokratisch und autoritär -- Züge, die wohl auch ein »Islamischer Staat« haben wird. Seiner Organisation nach wird er eher einem Staat aus dem katholischen Mittelalter in Europa verwandt sein.
Der »Islamische Staat« der Traditionalisten ist allein schon durch seinen theokratischen Charakter in hohem Maße autoritär. Die absolute Souveränität, lehren die Traditionalisten, gebührt dem, der auch die Richtlinien des politischen Handelns für die Menschheit festlegt: Gott. Fr ist auch der alleinige Gesetzgeber.
Wer die politische Macht ausübt, handelt in Gottes Namen, denn der Mensch stellt lediglich ein Instrument dar, durch das die gottgewollte Ordnung in dieser Welt errichtet werden soll.
Daher ist der Gläubige weder in seinem Handeln vollkommen frei, noch ist er befugt, in irgendeiner Weise die von Gott erlassenen Gesetze zu ändern. »Kein Paragraph dieser (islamischen) Verfassung darf geändert werden«, lehrt Maududi.
In dieser Theokratie übernimmt die kirchliche Hierarchie die Lenkung des Staates, da sie sich anmaßt, von Gott für die Interpretation seines Willens beauftragt zu sein.
Der Vorwand, im Islam gebe es keine Priesterklasse, weshalb die Errichtung einer Theokratie nicht möglich sei, basiert auf einem Mißverständnis. Zwar hat der Islam keine Kirche, es hat sich aber längst eine Priesterklasse herausgebildet, deren Einfluß nicht wie im Christentum im Zurückgehen begriffen ist, sondern in letzter Zeit stetig zugenommen hat,
»Die Regierung des Islam ist eine ideologische Regierung«, lehrt Chefdenker Maududi, »sie ist deshalb völlig anders als das nationaldemokratische Regierungssystem.« »Das Volk will eine islamische Republik«, sagt Chomeini, »nicht eine demokratische und auch nicht eine demokratische und islamische Republik.«
Eine Demokratie westlichen Musters bezeichnet Libyens Staatschef Gaddafi sogar als Diktatur und begründet: »Ein politischer Kampf, dessen Ergebnis der Sieg eines Kandidaten mit 51 Prozent Stimmanteil ist, führt zu einem als Demokratie bemäntelten diktatorischen Regierungskörper, da 49 Prozent der Wählerschaft von einem Herrschaftsinstrument regiert werden, für das sie nicht gestimmt haben, sondern das ihnen auferlegt worden ist. Das ist Diktatur.«
Unter Demokratie verstehen die Traditionalisten allenfalls die Bezeugung der Unterwürfigkeit des Volkes gegenüber dem Herrscher. Dies geschieht bei der Thronbesteigung oder zu anderen Anlässen, wie etwa durch die begeisterte Begrüßung des aus dem Ausland heimkehrenden Herrschers am Flugplatz durch die herbeigeeilte oder herbeibeorderte Menschenmenge.
Die Akklamation des Volkes setzen die sich auf den Islam gründenden Herrscher mit demokratischer Bestätigung gleich. Diese Auffassung von Volksherrschaft hatten die osmanischen Herrscher fast zur Groteske entwickelt.
Obgleich die Erbfolge zumeist eingehalten wurde, ließen sich die Kaufen von einem Gremium wählen -- freilich gab es weder Gegenkandidaten, noch wurde je ein Kalif nicht gewählt. Eine »Abwahl« war nur durch Mord möglich.
Im »Islamischen Staat« der Traditionalisten wird der Staatspräsident zwar von den Bürgern gewählt, soll aber in Wirklichkeit von Gott ausersehen worden sein. Deshalb ist seine Amtsdauer unbegrenzt, und er kann nicht abgesetzt werden. Außer Gott ist er niemandem Rechenschaft schuldig. Er soll zwar den Ratschlägen der Gemeinschaft der Gläubigen ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit schenken, ist aber nicht verpflichtet, deren Empfehlungen Folge zu leisten.
Weil die Umma, die Gemeinschaft der Gläubigen, als eine homogene Gruppe von Menschen verstanden wird, die keinerlei Klassenunterschiede oder Meinungsverschiedenheiten kennt, kann es im »Islamischen Staat« keine Opposition geben. Er wird aber nicht ein Einparteienstaat sein, sondern ein parteiloser Staat.
Die Traditionalisten reden von allen erdenklichen Freiheiten, die der »Islamische Staat« den Menschen gewähren würde. Die Gewissens- und Glaubensfreiheit freilich gewährt er interessanterweise wohl den Nichtmoslems nicht aber den Moslems.
Ein Nichtmoslem kann jederzeit seine frühere Religion aufgeben und den Islam annehmen. Der Abfall eines Moslems vom Islam dagegen wird auf grausamste Art geahndet: Tod durch Steinigung und die Konfiszierung des gesamten Vermögens.
Selbst auf die im nichtmoslemischen Ausland lebenden Moslems fremder Staatsangehörigkeit dehnt der »Islamische Staat« seinen totalitären Anspruch aus. »Der Aufenthalt eines Moslems im Reich des Unglaubens ist eine permanente Übertretung«, ereifert sich Maududi und verlangt: »Der Moslem ist dazu verpflichtet, von dort auszuwandern.«
Der »Islamische Staat« verhält sich seinen Bürgern gegenüber nicht nur anti-liberal, er stuft sie ab wie Südafrika oder Israel.
Nur Moslems bilden das Staatsvolk. Die Nichtmoslems haben den Status einer geduldeten Minorität. Der Staat teilt das Volk in Staatsbürger und Untertanen ein, nicht wegen der Hautfarbe oder der Rasse, aber immerhin anhand der religiösen Überzeugung der Menschen.
Seine Politik ähnelt der Israels, das nach dem gleichen Prinzip der Religions- und Volkszugehörigkeit verfährt wie der »Islamische Staat«. Israel diskriminiert die Araber, indem es sie zu Bürgern minderen Rechts abqualifiziert.
Wie Israel will auch ein »Islamischer Staat« die Sicherheit seiner Bürger garantieren, mißtraut aber der Loyalität der Nichtmoslems dem Staat gegenüber. So wie die Araber in Israel nicht für Militärdienst herangezogen werden, schließt der »Islamische Staat« die Nichtmoslems vom Dienst in der Waffe aus. Sie müssen dafür eine Sondersteuer entrichten, die um ein Vielfaches höher liegt als der normale Steuersatz.
Die Nichtmoslems nehmen in der Regel an den Wahlen nicht teil, sondern wählen lediglich Vertreter aus ihrer Mitte für eine eigene Versammlung, die weder an das Parlament gekoppelt ist noch gesetzgeberische Funktionen ausübt.
Sie bleiben von den Schlüsselpositionen ausgeschlossen. Begründung: Der »Islamische Staat« sei ein ideologischer Staat, der es sich nicht leisten könne, Personen in wichtige Positionen aufrücken zu lassen, die sich dieser Ideologie nicht verpflichtet fühlen.
Zu den Kategorien der Bürger erster und zweiter Klasse kommt noch die der Frauen, lehrt doch der Koran: »Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie (von Natur aus vor diesen) ausgezeichnet hat.« (Sure 4, Vers 35.)
Im islamischen Staat der Traditionalisten sind die Frauen die Parias der Gesellschaft, die nur Pflichten und kaum Rechte besitzen. Man wird ihnen möglicherweise das Wahlrecht zugestehen. Sie dürfen aber weder ins Parlament gewählt werden noch eine verantwortungsvolle Aufgabe im Staat übernehmen. Maududi: »Der Koran hat die Tür für die Mitgliedschaft der Frauen im Parlament verschlossen.«
Die Traditionalisten wollen sie sogar aus dem Berufsleben verbannen, das sie als eine Domäne des Mannes betrachten. So gesehen, erweist sieh der »Islamische Staat« repressiver als jeder totalitäre Staat. Nicht nur Angehörigen fremder Religionen werden die Bürgerrechte vorenthalten -- der Hälfte des Volkes wird das Recht auf Eigenpersönlichkeit und die Teilnahme an den politischen Entscheidungen versagt.
Eine antidemokratische und antiparlamentarische Haltung ist in der islamischen Welt weit verbreitet. Der pakistanische Dichter Mohammed Ikbal, der wohl bekannteste Denker der islamischen Renaissance, machte sich über das parlamentarische Wahlsystem lustig, in dem »die Köpfe gezählt werden, statt sie zu wiegen«.
Dieser an der Universität München ausgebildete Philosoph, der zeit seines Lebens ein Bewunderer Nietzsches war, setzte, wie sein Vorbild, seine Hoffnungen in den Übermenschen. Gleiches Stimmrecht für alle lehnt er ab, wie auch der iranische Ajatollah Nun, der nichts vom Prinzip der Mehrheitsentscheidungen hält.
Maududi läßt zwar die Bildung des Parlaments zu, dessen Aufgabe es ist, Gesetze zu verabschieden. Jedoch dürfen diese auf gar keinen Fall die vom Islam gezogenen Grenzen überschreiten. Das heißt, nichts darf Gesetz werden, was im Gegensatz zum islamischen Kodex steht.
Damit werden der gesetzgeberischen Tätigkeit des Parlaments enge Grenzen gesetzt. Chomeini lehnt es ab, überhaupt von einer Gesetzgebenden Versammlung zu sprechen. Seiner Meinung nach handelt es sich bei dem in der islamischen Tradition verankerten Beratergremium um eine Institution, deren Aufgabe es ist, Empfehlungen für die Durchführung der Regierungsarbeit im Lichte der islamischen Lehren zu machen.
Die iranische Verfassung von 1906 sah ein Gremium von fünf Schriftgelehrten vor, dem ein Vetorecht über die gesetzgeberische Tätigkeit des Parlaments eingeräumt wurde. Es hatte darüber zu wachen, daß die Gesetze mit den Lehren des Korans übereinstimmten. Die Schriftgelehrten konnten die Verabschiedung der Gesetze verhindern, wenn sie ihrer Meinung nach mit islamischem Recht unvereinbar waren.
In der pakistanischen Verfassung ist ein ähnliches Gremium vorgesehen
vergleichbar dem Verfassungsgericht in der Bundesrepublik Deutschland, das ja ebenfalls, allerdings auf Antrag, darüber wacht, daß keine Gesetze dem Grundgesetz zuwiderlaufen.
Die Frage allerdings ist, ob der Koran wirklich so etwas wie eine Verfassung für den »Islamischen Staat« darstellt.
Die Traditionalisten bejahen diese Frage. Saudi-Arabien zum Beispiel besitzt keine andere Verfassung als den Koran. Eine kritische Betrachtung des Korans aber zeigt, daß er in einem modernen Staat die Verfassung nicht ersetzen kann,
Er enthält keinerlei Vorschriften über den Wahlmodus, über die Regierungsform, über Gewaltenteilung oder über die Kompetenzen der Staatsorgane. Gewiß weist der Koran auf die Menschenrechte hin, die die islamische Gesellschaft beachten sollte, oder schreibt Verhaltensregeln sowohl für den einzelnen als auch für die Gemeinschaft in Friedens- und Kriegszeiten vor. Aber als eine Verfassung kann man ihn nicht bezeichnen.
Wie immer die Verfassung eines islamischen Staats auch aussehen wird. sicher ist, daß sie nichts verbieten wird, was im Koran erlaubt ist, wie zum Beispiel die Polygamie. oder etwas erlauben, was der Koran ausdrücklich untersagt, wie beispielsweise Alkoholgenuß. In den Augen der Traditionalisten sind die Lehren des Korans ungeachtet der veränderten Lebensbedingungen seit Mohammed für alle Zeiten und an allen Orten gültig.
Die Epoche, zu der die Traditionalisten zurückblicken, war die Zeit des Propheten Mohammed und seiner unmittelbaren Nachfolger. Diese archaische Gesellschaft aus der Wüstenlandschaft von Arabien von vor etwa l300 Jahren ist ihr Ideal. Sie wollen die damalige Welt, samt ihren Normen, Tabus und Verhaltensregeln, wieder aufleben lassen, als lebe die Menschheit noch im siebten Jahrhundert.
Am augenfälligsten kommt dies durch die Einführung des islamischen Strafrechts zum Ausdruck. Damals gab es in Arabien keine Gefängnisse, in die beispielsweise ein Dieb eingesperrt werden konnte. Also hackte man seine Hand ab und ließ ihn laufen.
Ein Mörder dagegen konnte sein Leben retten, wenn er oder seine Sippe das Blutgeld zu entrichten in der Lage war. Wer die Mittel dazu nicht besaß, wurde von Staats wegen enthauptet, wobei die Exekution dem nächsten männlichen Verwandten des Ermordeten überlassen blieb.
Die islamische Welt hat weder eine Französische Revolution erlebt noch eine Reformation zustande gebracht. Die Orthodoxie hat es verstanden, jegliche Kritik an Dogmen und überlieferten Praktiken im Keime zu ersticken.
Selbst auf den Gebieten, wo die islamische Kultur anfänglich den anderen Kulturen überlegen war, sind die Moslems längst von anderen überholt worden. Einst hatte der Islam in bezug auf Toleranz gegenüber Andersgläubigen und Fremden eine vorbildliche Haltung gezeigt, der vom christlichen Abendland nur sehr zögernd gefolgt wurde. In Europa erwuchs daraus die Verpflichtung des Staates zur Einhaltung einer strikten Neutralität in bezug auf religiöse und weltanschauliche Bekenntnisse des Volkes. Die islamische Welt ist bis heute diesen Weg nicht gegangen.
In der islamischen Welt wird heute von den Traditionalisten jegliche säkularistische Tendenz radikal bekämpft: Der Säkularismus wird mit der Irreligiosität oder dem Atheismus gleichgesetzt.
Die islamische Welt scheint nicht gewillt zu sein, von der Geschichte Europas zu lernen. Sie ist mit der Gründung des islamischen Staates ins Mittelalter zurückgekehrt. Man muß gespannt sein, ob sie ebenso wie Europa erst durch die Religionskriege, die ihr möglicherweise bevorstehen, zum säkularistischen Staat gelangen wird.