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NAZI-GOLD J wie Jude oder »J'accuse«

In London stritten Politiker, jüdische Interessenvertreter und Historiker um den noch vorhandenen Rest des Nazi-Raubgoldes, heute gut 50 Millionen Dollar wert. Doch nur wenige Länder wollen für die Holocaust-Opfer spenden.
Von Hans Hoyng
aus DER SPIEGEL 50/1997

Die frische rote Rose, die Lord Janner of Braunstone, 69, stets im Knopfloch trägt, ist das Signet eines leicht exzentrischen Selfmade-Millionärs, der sich vornahm, für ein bißchen mehr Gerechtigkeit in der Welt zu kämpfen.

Deshalb auch hat sich der Lord, der lange Jahre die Labour-Partei im Unterhaus vertrat, als Vorsitzender des Britischen Holocaust Educational Trust rastlos um das Zustandekommen einer Konferenz über das Raubgold der Nazis bemüht. 1946 hatte der 18jährige Soldat nach der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen erlebt, daß kein Staat die Davongekommenen aufnehmen mochte. Irgendwann, schwor er sich damals, werde er Überlebenden des Holocaust seinen Beistand anbieten.

Noch vor Labours Wahltriumph überzeugte Lord Janner seinen Freund Robin Cook, heute Außenminister, von seinem Plan: Regierungsemissäre, Historiker und jüdische Vertreter sollten bei einem internationalen Treffen aufklären, wo das Gold geblieben sei, das die Nazis gestohlen hatten. Und diese Konferenz könne auch dafür sorgen, daß der Rest der Beute den noch lebenden Opfern des Holocaust zugute komme.

Sieben Monate nach Labours Wahlsieg fand die Konferenz mit Abgesandten aus 41 Nationen wirklich in London statt - für Lord Janner war das ein »moralisches Wunder«. Doch der Griff nach dem Gold aus der Vergangenheit weckte nur wenig selbstlose Gefühle.

Die Versammlung im Lancaster House machte vor allem eine peinliche Erkenntnis deutlich: Der Judenmord, dessen Erforschung längst globalisiert ist, stellt sich auch als eine globale moralische Herausforderung dar - nicht nur die Deutschen haben geschwiegen, nichts wissen wollen, weggeguckt, manchmal profitiert und am liebsten alles verdrängt.

Da mühten sich Italiener und Niederländer nachzuweisen, wie heldenhaft, wenngleich vergebens, sie versucht hätten, ihr Gold vor den Nazis in Sicherheit zu bringen. Schweden und Schweizer erläuterten ihre angeblich verzweifelte geopolitische Lage während des Zweiten Weltkriegs, die sie zur partiellen Kooperation mit den Nazis gezwungen habe. Selbst notorische Nazi-Kollaborateure suchten sich in Widerstandskämpfer zu verwandeln.

Die andere Seite, die der jüdischen Opfer, pochte auf Wiedergutmachung in einem Tonfall, daß sich Rabbi Hillel Levine aus Boston schon um die Würde des Andenkens an den Holocaust sorgte.

Europas hochrangige Politiker hatten sich vorsichtshalber vor der Veranstaltung gedrückt. Anstelle von Ministern, wie ursprünglich vorgesehen, kamen Botschafter oder Staatssekretäre. Die fast unsichtbare deutsche Delegation begnügte sich gar mit einem pensionierten Staatssekretär.

Zufall oder nicht: Nur unvollständig konnten die wissenschaftlichen Berichte aus jenen Ländern vorgelegt werden, von denen man sich die meiste Aufklärung erhofft hatte. Neben der Schweiz waren das vor allem die Mitglieder der Tripartite Gold Commision (TGC), einer Behörde, die seit 51 Jahren über die Rückgabe des bei Kriegsende sichergestellten Goldes wacht. Ihr gehören die Siegermächte Großbritannien, Frankreich und USA an.

Doch das Archiv dieser TGC, das ganze Stapel von Dokumenten über die Goldtransaktionen der Nazis beherbergen müßte, bleibt auch weiterhin so fest verschlossen wie die Verliese des Vatikans - dort wird Genaueres über das von der kroatischen Ustascha geraubte Gold vermutet.

Wo es ging, wurde verdunkelt und vernebelt: Seit einem Monat hat beispielsweise das Gastgeberland der Konferenz einen Bericht über die von Großbritannien eingezogenen Vermögen von Nazi-Opfern abgeschlossen, doch das Ergebnis wurde nicht publik. Der Grund: London hat die Bankguthaben wahrscheinlich einfach eingesackt - als Ausgleich für Schulden, welche die Heimatländer der Opfer gegenüber Großbritannien hatten.

Auch die an sich bußfertige Schweiz schaffte es nicht, der Kritik zu entkommen. Drei Viertel des von den Nazis zusammengerafften Goldes hatten servicebeflissene Schweizer Bankiers entweder in ihre Franken - damals Europas einzige frei konvertierbare Währung - umgetauscht oder für kriegswichtige Güter in Zahlung genommen.

Als Schadensersatz verlangte Edgar Bronfman, Präsident des World Jewish Congress (WJC), von den Eidgenossen eine »mindestens neun- bis zehnstellige Summe«. Der Schweizer Delegationsleiter Thomas Borer hielt das für eine »unverständliche Forderung«, bar »jeder Grundlage«.

US-Delegationschef Stuart Eizenstat stützte Bronfman: Die Schweiz habe nach Kriegsende nur einen Teil des Goldes zurückgegeben, der größere Teil sei ihr wegen des beginnenden Kalten Krieges belassen worden. So war es im Washingtoner Abkommen von 1946 vereinbart.

Die Frage, ob der jüngst von Schweizer Banken und Versicherungen eingerichtete Fonds für Holocaust-Opfer - derzeitige Ausstattung: 270 Millionen Franken - als Kompensation ausreiche, ließ Eizenstat unbeantwortet. Israel verlangte eine Neuverhandlung des Washingtoner Abkommens.

Der US-Gesandte verstummte, wenn es um eigene Verantwortung ging. So wollte er nicht sagen, ob seine Regierung wußte, woher das Gold kam, das die TGC nach dem Krieg an die Zentralbanken der befreiten Länder zurückgab. Darunter befand sich auch edles Metall, das Privatleuten gehört hatte und Opfern der Vernichtungslager geraubt worden war. Dokumente scheinen zu belegen, daß die USA noch 1952 Goldschmuck einschmolzen und dem TGC-Bestand als Barren zuführten.

Die Delegation der Niederlande weigerte sich, auf restliches TGC-Gold, das ihrem Staat noch zusteht, zugunsten eines internationalen Hilfsfonds zu verzichten. Da konnten sich einige Schweizer Experten den Hinweis nicht verkneifen, daß sich einst der niederländische Zentralbankchef allzu willfährig den Forderungen der deutschen Invasoren gebeugt habe.

Das israelische Delegationsmitglied Bobby Brown, Vertreter des Premiers Benjamin Netanjahu, fiel mit theatralischen Gesten auf: Brown wedelte mit dem deutschen Paß seiner ermordeten Großmutter und verkündete, das damals auf Verlangen der Schweiz eingestempelte »J« habe einst für »Jude« gestanden; heute bedeute es aber »J'accuse«, ich klage an.

US-Anwalt Edward Fagan, der KZ-Überlebende in einer Sammelklage gegen Schweizer Banken vertritt, sorgte sich, künftige Hilfsgelder könnten vor allem nach Osteuropa fließen. Dorthin hat das reuige Deutschland bereits mehr als anderthalb Milliarden Mark überwiesen. Fagan-Schützling Christoph Meili über die Forderungen von Bronfmans WJC: »Die wollen das Geld für sich behalten und damit im Osten Synagogen bauen.«

Lord Janner versuchte, die Perspektiven zurechtzurücken. Er erinnerte daran, daß »wir alle nicht hier wären, wenn es nicht in erster Linie die Deutschen gegeben hätte«. Doch die einstigen Täter blieben weithin unerwähnt - und somit geschont.

Die deutsche Delegation rühmte die nahezu vollständige Zugänglichkeit deutscher Quellen bei der Suche nach dem Verbleib des Raubgoldes. Zur gleichen Zeit kam heraus, einschlägige Unterlagen der Reichsbank seien seit ihrer Rückgabe durch die Amerikaner teilweise verschollen. Deutsche Bank und Dresdner Bank aber zeigten frische Kooperationsbereitschaft angesichts neuer Dokumentenfunde in Wien, die zum Teil auf Mikroverfilmungen jener Reichsbankakten beruhen, nach denen in Deutschland gefahndet wird.

Eine Folgekonferenz soll in einem halben Jahr in angemessenem Rahmen, im Washingtoner Holocaust-Museum, tagen. Dabei sollen die Deutschen nicht so einfach davonkommen. Die Amerikaner haben bereits angekündigt, daß es ihnen um den Verbleib gestohlener Kunstschätze geht, vor allem aber um eine Erstattung von »Versicherungsraub«, etwa der Lebensversicherungen von Holocaust-Opfern.

Auch der November-Pogrom 1938, die sogenannte Reichskristallnacht, soll noch einmal durchleuchtet werden: Der NS-Staat hatte damals die Versicherungsleistungen für demolierte Geschäfte, etwa 25 Millionen Reichsmark, beschlagnahmt. Die jüdischen Deutschen mußten eine »Sühneleistung« für den Mord am Diplomaten Ernst von Rath aufbringen: eine Milliarde Mark. Für dieses Zwangsgeld, aber auch für die Plünderungsschäden ist längst Entschädigung bezahlt worden.

Die in London erschienenen Historiker erreichten immerhin einen groben Konsens, wieviel Gold die Nazis insgesamt bei eroberten Notenbanken fremder Staaten und von jüdischen Privatpersonen zusammengestohlen hatten: an die 900 Millionen Dollar. Dieser Erfolg war vor allem den vielgeschmähten Schweizern zu verdanken. Da sie den versprochenen Bericht ihrer Unabhängigen Expertenkommission über den Hehler-Service für die Nazis nicht fertiggestellt hatten, lieferten sie einen Vorbericht ab, dessen Zahlen weithin unwidersprochen blieben.

Spätestens seit 1941 müssen die Schweizer gewußt haben, daß es sich bei den deutschen Goldanlieferungen um Diebesgut handelte. Der Wert der von Privatbankiers akzeptierten heißen Ware lag mit damals 61 Millionen Dollar dreimal höher als bisher angenommen.

Der Vorsitzende der Schweizer Historiker-Kommission, Jean-François Bergier, schätzte den Anteil, der Privatleuten abgenommen worden war, auf ein Sechstel des gesamten Goldes, das den Nazis während des Krieges zur Verfügung stand. Das aber bedeutet, daß die TGC nach dem Krieg auch solches Gold an die Zentralbanken ablieferte, das individuellen Opfern gehört hatte. Die Wiedergutmachung hätte an die Erben, nicht an die Staatsbanken gehen müssen. Für diesen Zweck sind heute aber nur noch 1,6 Prozent des einstigen Goldschatzes der TGC übrig: 5,5 Tonnen mit einem Verkaufswert von derzeit 51,5 Millionen Dollar.

Längst nicht alle 15 anspruchsberechtigten Länder konnten sich auf der Konferenz dazu durchringen, auf ihren Anteil zugunsten von Holocaust-Opfern zu verzichten, wie es Engländer und Amerikaner vorgeschlagen hatten. Frankreich möchte mit dem ihm zustehenden Gold ausschließlich französische Überlebende unterstützen.

Auch die großherzigen Spenden, zu denen Außenminister Cook aufgerufen hatte, blieben beschämend dürftig. Nur acht Länder rangen sich zu einer Gabe durch, Deutschland war nicht dabei. Österreich zeigte sich noch am großzügigsten, mit 8,7 Millionen Dollar.

Lord Janner bilanzierte dennoch unverzagt einen »moralischen Triumph«. Schon in naher Zukunft wird er im Vatikan über die Öffnung der Archive verhandeln. Er bleibt bei seinem rosigen Dekor.

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