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FERNSEH-PROZESS Ja, ja, hm, hm

aus DER SPIEGEL 50/1960

Mit Schröder-Attitüde trat der Staatssekretär Georg Anders vom Bundesinnenministerium in der vergangenen Woche vor den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts, uni im Namen des Bonner Kanzlers wider die fernsehklagenden Länder Hessen, Hamburg, Bremen und Niedersachsen zu streiten.

Indes: Durch den brillanten Redefluß des SPD-Advokaten Arndt in seiher Zuversicht bedenklich- erschüttert, sah sich Schröders leitender Ministerialbürokrat, alsbald einer peinlichen Inquisition ausgesetzt. In ihrem Verlauf versuchten Anders -und die übrigen Kanzler-Anwälte, - mit wechselndem Erfolg -, den Verfassungsstreit um das Fernsehen der Sphäre des Rechts zu entrücken, wobei sie die widersinnige Fernseh-Logik der Adenader, Stücklen & Co. detailliert darlegten.

Bundesrichter Kutscher servierte dem Anders zunächst die vermeintlich harmlose Frage, ob das Streitobjekt, die kanzlereigene Deutschland-Fernsehen GmbH eigentlich »zum Ressort des Bundespostministeriums« gehöre.

Eine derart kabinettsintime Auskunft zu geben, fühlte, sich der Staatssekretär jedoch nicht aufgelegt. Er entgegnete schlicht: »Das kann ich aus dem Stegreif nicht beantworten.«

Die Richter, über die angebliche Unkenntnis des Schröder-Adlatus verärgert, beharrten jedoch auf ihrer Frage und entlockten dem Anders auch prompt das Geständnis: »Einstweilen noch zum Bundeskanzleramt«.

Um von der Schein-Ignoranz des Oberbeamten Anders wieder zum Prozeßthema - dem Streit, ob der Bund ein Zweites Fernsehprogramm ausstrahlen darf - zurückzulenken, tröstete ein Verfassungsrichter den arg zerzausten Anders: »Sie, Herr Staatssekretär, sollen ja nur erklären, was andere zu verantworten haben.«

Diese Entlastung des Staatssekretärs wär durchaus unberechtigt. Der als Offizierssohn geborene Anders, der seine Karriere als Hilfsarbeiter im Reichsinnenministerium begonnen hatte und sich später als Kommentator des Bundesbeamtengesetzes qualifizierte, war an der Projektierung der Bonner Fernseh-Kabale nämlich von Anfang an beteiligt.

Anders waltete bereits drei Jahre lang im Hause Schröder, als der Kanzler am 25. Juli 1960 seine Deutschland-Fernsehen GmbH aus der Taufe hob. Von ihr behauptete der mit dem Grundgesetz und,den Bonner Intrigen gleichermaßen vertraute Rechtsberater Arndt namens »der vier Länder, die ich zu vertreten die Ehre habe«, sie sei verfassungswidrig, weil der Bund keine Kompetenz für Rundfunk und Fernsehen habe.

Dieser These entgegenzutreten, blieb - neben dem eingeschüchterten Staatssekretär Anders - vor allem dem temperamentvollen Bonner Professor Scheuner vorbehalten, der sich für die Form seiner Vorstellung richterliches Pardon erbat. Scheuner: »Ich bitte um Vergebung. Es gehört zu meinen Unarten, daß ich die Gegner nicht ausreden lasse.«

Der unartige Scheuner bekundete sodann, die Zuständigkeit des Bundes im Äther gründe sich auf die Bonn-Kompetenz für das Post- und Fernmeldewesen (Artikel 73 Ziffer 7 des Grundgesetzes), für die auswärtigen (und gesamtdeutschen) Angelegenheiten (Artikel 73 Ziffer 1) sowie die Freiheit der Information, der Presse und des Rundfunks (Artikel 5).

Für den wachsamen Arndt war Artikel 5 das Stichwort, um den Geschäftsführer der beschränkt haftenden Kanzler-Gesellschaft, den im Bundeskanzleramt beschäftigten Ministerialdirektor Mercker, als Zeugen über die Herkunft der Fernsehgelder vernehmen zu lassen.

Nach einer Stunde hatte sich der beamtete Fernsehboß von seinem Vorgesetzten in Bonn eine Aussagegenehmigung besorgt. Als ihm das Gericht jedoch statt einer gleich fünf Fragen vorlegte, ging Adenauers Äther-Gehilfe nochmals für eineinhalb Stunden ans Telephon, um höheren Orts Auskünfte einzuholen.

Zurückgekehrt, begann Mercker nach zahlreichen »Ja, hm, ja, hm, die Sache ist so« mitzuteilen, daß die Geschäftsanteile für Konrad Adenauer und Fritz Schäffer sowie die laufenden Unkosten der GmbH der Bundeskasse entnommen würden, weil man, wie nun wieder Anders erläuterte, noch nicht wisse, welcher Minister künftig

»die Aufsicht über die Gesellschaft« ausüben solle.

Diese Anders-Antwort erregte allerdings erneut höchstrichterliche Verwunderung. Verfassungsrichter Professor Friesenhahn erkundigte sich mit gebotener Diskretion: »Wieso denn Aufsicht?«, eine Frage, die verständlicherweise weder Ministerialdirektor Mercker noch Staatssekretär Anders zu beantworten wünschte.

Etwas präziser als über den Plan, eine angeblich der freien Meinungsbildung dienende GmbH ministerieller Aufsicht zu unterstellen, äußerte sich Fernseh-Chef Mercker über die Persönlichkeits-Spaltung des Bundesjustizministers. Auf die Frage des Gerichts: »In welcher Eigenschaft nahm Bundesjustizminister Schäffer als Gesellschafter an der Gründung der GmbH teil?«, entgegnete Mercker: »Ja, hm, als Bundesminister, aber nicht mit dem vollen Gewicht seines Ressorts.«

Hinreichend belehrt, daß der wendige Schäffer sich nicht nur in einen Minister und eine Privatperson, sondern auch in ein Kabinettsmitglied mit und ohne Gewicht trennen lasse, wollte das Gericht von Anders wissen, ob jene Angaben richtig seien, die der rheinland-pfälzische Altmeier als Beauftragter der westdeutschen Länderchefs in einem Brief an Innenminister Schröder vom 17. November 1960 gemacht hatte. Jammerte der schlecht präparierte Anders, sich hilfesuchend im Sitzungssaal umsehend: »Welcher Brief? Ich kenne ihn nicht.«

Seine neuerliche Unwissenheit verdankte der Staatssekretär mangelnder Konzentration. Tags zuvor hatte Prozeßgegner Arndt den Brief nämlich genüßlich zitiert und auch nicht versäumt, den Advokaten des Kanzlers eine Ablichtung der Altmeier-Studie zu überreichen.

In jener Epistel hatte der Christdemokrat Altmeier aus Mainz dem Parteifreund Schröder in Bonn vorgeworfen, sein Schriftsatz an das Bundesverfassungsgericht enthalte »in nicht wenigen Teilen« eine Ausdeutung, »die mit der Wirklichkeit nicht übereinstimme«.

Daß sich in den nach Karlsruhe gesandten Schriftsätzen der Bundesregierung Unrichtigkeiten eingeschlichen hatten, war dem Senat freilich schon selbst klargeworden. Bundesrichter Schunck, der den erkrankten Senatspräsidenten Katz als ältester der neun Richter vertrat, bemängelte: »Die Bundesregierung hat das Fernmeldeanlagengesetz von 1928, auf das sie sich beruft, falsch zitiert. Es heißt dort ,Funk' und nicht ,Rundfunk'.«

Zu diesem bedeutsamen Unterschied - die Bundesregierung wandelt ihre Kompetenz für den »Funk« stets ohne Bedenken in eine solche für den »Rundfunk« ab - mochten sich die Prozeßvertreter des Kanzlers jedoch wiederum nicht äußern.

Um derart gefährlichen Fallgruben zu entgehen, verlegten sich zwei andere Vertreter der Bonner Fernseh-Interessen, der in der schwarzen Robe der Anwälte niederer Gerichtsbarkeit erschienene Bundestagsabgeordnete Deringer aus Stuttgart und der mit der roten Robe des Anwalts am Bundesgerichtshof geschmückte Professor Möhring, vielmehr auf schlichtere Argumente.

Deringer deklamierte zum Erstaunen der Zuhörer ganze Passagen aus dem Brief eines unbekannten Ostzonen-Pfarrers, der sich über die »aufdringliche Betonung des Länder-Partikularismus« im westdeutschen Fernsehen bitter beklagte. Als ein Richter fragte: »Aber die föderale Struktur der Bundesrepublik soll doch durch das Bundes-Fernsehen nicht aufgehoben werden?«, verzichtete Deringer darauf, seiner Briefmappe weitere Zuschriften zu entnehmen.

Hatten die Kanzler-Emissäre damit vergebens versucht, die Fernseh-Kompetenz ihres Tele-Meisters zu Bonn an Hand von Hörer-Briefen zu untermauern, so griffen sie bald zu Beweismitteln, die den Verfassungs-Prozeß noch weiter von der Rechtsfrage entfernten.

Mit Emphase brachte Advokat Möhring jenen Mann ins Spiel, um dessen Unterhaltung, Belehrung und Beeinflussung der ganze Streit geht: den fernsehenden deutschen Staatsbürger. Der Honorarprofessor beschwor die Verfassungsrichter, den Antrag der vier Länder auf Erlaß einer Einstweiligen Anordnung gegen die Deutschland-Fernsehen GmbH des Bundeskanzlers abzulehnen.

Möhrings Begründung: »Was ist wichtiger: ein Urteil des Hohen Senats, das mich sicherlich belehren wird, öder die Verpflichtung gegenüber dem Bürger, der ein zweites Programm sehen will?«

Nach dem Vortrag solcher kaum noch dem Verfassungsrecht zuzuordnenden Gedankengänge - »Frankfurter Allgemeine": »Politisches Feuilleton« - erreichte der klägliche Auftritt der Banner seinen Höhepunkt: Möhring konfrontierte die Bundesrichter der Gefahr, die dem Seelenfrieden des Bürgers drohe, wenn der Senat der Adenauer-GmbH die Sendung eines Zweiten Programms ab 1. Januar verbiete.

Möhring: Dann bestehe die Gefahr, daß sich der westdeutsche Fernseher am Zweiten Programm der Zonensender delektiere. Dazu Arndt: »Aber die Sachverständigen haben uns doch gesagt, daß die Zone gar nicht in der Lage wäre, ab Januar ein Zweites Programm zu senden.«

Durch derlei Realitäten ließ sich Adenauers Anwalts-Garde in Karlsruhe aber keineswegs davon abbringen, neben der Einstrahlung ostzonaler Rotfunker auch noch die anerkannt mindere Qualität des bisherigen Ersten Programms in ihre

verfassungsrechtliche Beweisführung einzubauen.

Die Karlsruher Verfassungsschützer waren jedoch nicht gewillt, den Bonner Staatsjuristen auf solchen Abwegen zu folgen. Konterte Verfassungsrichter Rupp, indem er abermals zum Prozeßthema zurücklenkte: »Wie glaubt der Bund, ein in seinem Sinne besseres Programm garantieren zu können, wenn er nicht auf die Sendungen Einfluß nimmt?«

Länder-Anwalt Arndt

Peinliches Verhör

Kanzler-Anwalt Anders

Klägliche Repliken

Schunck

Staatsjurist Scheuner

Ohne Bonn-Programm kein Seelenfriede

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