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JUSTIZ / SCHÖFFEN-EID Ja ja, nein nein

aus DER SPIEGEL 18/1969

Landgerichtsrat Dr. Dieter Kuhne eröffnete die Verhandlung gegen einen säumigen Unterhaltszahler vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Bonn; dann ging er daran, die Schoffen zu vereidigen. Als Pastor Waldemar Sardaczuk, 33, an der Reihe war, sprach der geistliche Herr: »Ich verweigere den Eid aus Gewissensgründen.«

Da »setzten sich alle wieder hin« (Sardaczuk), und der verblüffte Staatsanwalt Dr. Hans Wilhelm ("Ich kann mich nicht erinnern, daß so ein Fall schon passiert ist") bat um zehn Minuten Pause.

Hernach beantragte Wilhelm eine Ordnungsstrafe gegen Sardaczuk, und der Vorsitzende verurteilte den eigensinnigen Prediger zu 30 Mark Geldbuße und zur Übernahme der Kosten für den geplatzten Termin. Dann war, so Sardaczuk, »die Sache schon zu Ende«, die Verhandlung fand nicht statt.

Seither knobeln Bonner Richter an der Frage, wie mit dem renitenten Hirten der »Freien Christengemeinde« fortan zu verfahren sei, denn die Sache ist noch nicht zu Ende: Sardaczuk ist für weitere Verhandlungstage als Schöffe eingeteilt.

Der Geistliche will -- wie er schon knapp zwei Wochen vor dem Verhandlungstermin an das Landgericht schrieb -- »gemäß biblischer Richtlinien« auf der Eidesverweigerung beharren. Er beruft sich dabei unter anderem auf die Bibelstelle Jakobus 5, Vers 12: »Vor allen Dingen aber, meine Brüder, schwöret nicht, weder bei dem Himmel noch bei der Erde noch mit einem andern Eid. Es sei aber euer Wort: Ja, das Ja ist; und: Nein, das Nein ist, auf daß ihr nicht unter ein Gericht fallet.«

Seine Berufung zum Schöffen konnte der Freie Christ damit freilich nicht mehr rückgängig machen. Für dieses Ehrenamt hatte Sardaczuk sich sogar selbst nominiert, als er im Dezember aufgefordert worden war, zehn Vorschläge aus seiner 100-Seelen-Gemeinde für die neu anstehende Schöffenwahl zu machen. Dabei war ihm »leider nicht klargeworden«, daß ein Schöffe vereidigt wird.

Diesen Umstand entnahm er erst einem Merkblatt, das ihn mit der Nachricht erreichte, er sei zum Hilfsschöffen gewählt. Auch dann unternahm er nichts, weil er glaubte, »als Hilfsschöffe kommst du doch nicht dran«.

Aber er kam dran, und alsbald berichtete er dem Landgericht von seiner Gewissensnot: Den »Dienst als Schöffe würde ich gerne tun«, wenn man auf die Eidesabnahme verzichten könne. Vier Tage lang wälzten die zuständigen Richter in Bonn Gesetzesbücher, dann teilten sie dem Priester mit, daß »keiner der gesetzlichen Gründe« vorliege, die »eine Ablehnung des Schöffenamtes rechtfertigen«. Darauf Sardaczuk am Telephon: »Gut, ich komme. Aber ich werde nicht schwören.«

Kurz vor dem Termin schien sich ein Ausweg aus dem Dilemma zu zeigen: Strafkammervorsitzender Kuhne rief den Pastor an und erläuterte, der Mennoniten-Sekte, deren Mitglieder zum großen Teil ebenfalls aus Gewissensgründen den Eid ablehnten, werde per Gesetz eine Ersatzformel ("Mein Ja ist ja, mein Nein ist nein") zugestanden, und Sardaczuk, dessen Christengemeinde doch mit den Mennoniten manches gemeinsam habe, möge sich eine entsprechende Beteuerungsformel bescheinigen lassen.

Der Juristenkniff zog nicht. Zwar sieht das Gerichtsverfassungsgesetz* in bestimmten Fällen den Gebrauch einer Ersatzformel vor, doch einmal ist Sardaczuk nicht Mitglied der Mennoniten-Sekte, und zum anderen ist sich seine Glaubensgemeinschaft nicht einig über die Ablehnung des Eides.

Sardaczuk selbst hat bereits einmal, als Zeuge vor Gericht, den Eid verweigert, doch ist das »damals akzeptiert« worden. Andere Mitglieder seiner Glaubensgemeinschaft aber dienen in der Bundeswehr und haben mithin auch auf die Fahne geschworen -- obgleich die Mehrheit der Freien Christen den Wehrdienst ablehnt, Auch hat es hin und wieder, so Freie-Christen-Sekretär Ludwig Eisenlöffel, »kleine Fälle« von Eidesverweigerung bei Beamten gegeben, die aber »an Ort und Stelle glimpflich erledigt« worden seien.

So ist Christen-Hirte Sardaczuk für die Freie Gemeinde der »erste gravierende Fall« (Eisenlöffel). Auf ihrer nächsten Arbeitstagung will die Arbeitsgemeinschaft der Christengemeinden in Deutschland denn auch eine »verbindliche Glaubensformel« erarbeiten, deren Anerkennung als Eid-Ersatz in Bonn betrieben werden soll.

* Paragraph 51 Abs. 5: »Ist ein Schöffe Mitglied einer Religionsgesellschaft, der das Gesetz den Gebrauch gewisser Beteuerungsformeln an Stelle des Eides gestattet, so wird die Abgabe einer Erklärung unter der Beteuerungsformel dieser Religionsgesellschaft der Eidesleistung gleichgeachtet.«

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