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Nachruf Jack Lemmon

aus DER SPIEGEL 27/2001

Er war einer der besten und leidenschaftlichsten Golfer Hollywoods, und seine allerletzte Filmrolle hatte er vergangenes Jahr im Golfdrama »Die Legende von Bagger Vance«. Da verkörperte er, in der Rahmenhandlung, einen gealterten Caddy, den bei einer bedächtigen Morgenrunde über den Platz eine Herzattacke niederstreckt.

Es war eine kleine Rolle (und Jack Lemmon hat darauf verzichtet, im Abspann genannt zu werden), aber sein wehmütiger, weiser Blick, als er allein im Schatten alter Bäume liegt und begreift, dass er jetzt sterben wird, war der einzige ergreifende Augenblick des ganzen Films.

Schon damals fiel auf, dass die knappen Szenen mit ihm wie eine Hommage - an den Golfer und an den Darsteller - inszeniert waren, und jetzt, im Nachhinein, ist klar, dass der krebskranke Jack Lemmon mit dieser Rolle seinen Abschied von der Welt und von seinen Zuschauern genommen hat.

Er ließ es sich nicht nehmen, seinen Tod für sie zu spielen.

Das passt zu einem, der nie etwas anderes wollte, als vor der Kamera zu stehen, und der sich nach seinem Harvard-Abschluss 1947 von seinem Vater, einem Doughnut-Fabrikanten aus Massachusetts, 300 Dollar lieh, damit »ich mich beeilen und Schauspieler werden konnte«.

Er wurde es schnell, erst ein paar Jahre lang im Fernsehen, dann in Hollywood, und ein halbes Jahrhundert war er schließlich »a guy you gonna like«, wie ihn die Werbung seines ersten Hollywood-Films Mitte der fünfziger Jahre anpries: ein Typ, den man einfach mögen musste.

Man musste ihn mögen, weil er kein Held war (und auch nie Anstrengungen unternahm, einer zu werden). Die virile Ausstrahlung anderer Hollywood-Stars der Nachkriegszeit, etwa Robert Mitchum oder William Holden, besaß er nie - er trat, wenn überhaupt, nicht ohne Oberhemd, sondern ohne Hose auf. Für diesen Bürger in Socken war Sex meist ein Problem, nicht er bekam in »Manche mögen's heiß« (1959) am Ende die Trophäe Marilyn Monroe, sondern sein Kollege Tony Curtis. Deswegen ließ er sich (in acht Filmen) lieber auf eine fruchtbare Hassliebebeziehung mit Walter Matthau ein.

Man musste ihn mögen, weil er auf Stress nicht mit Überlegenheit reagierte, sondern mit Gezeter, Gejammer, Gezappel und hysterischen Ausbrüchen. In seiner hektischen Körpersprache entluden sich die Verklemmungen und Zurichtungen seiner Welt. Dass er komisch wirkte, hatte viel mit einem Hang zur Selbstzerstörung zu tun. Er zeigte seine Angst, er ließ sich demütigen. Die Zuschauer durften sich auf seine Kosten amüsieren.

Ihm widerfuhr das Leben, auch dafür musste man ihn mögen, mit all seinen Albernheiten (etwa dem Stirnhöhlenkatarr in »Ein seltsames Paar«, 1968) und mit seinen Katastrophen (dem politischen Mord an seinem Sohn in »Vermisst«, 1982), und er versuchte, den ganzen Irrsinn in den Griff zu kriegen, nicht immer sehr geschickt, doch stets so, dass ihm bei aller Miesepetrigkeit die Sympathie erhalten blieb.

John Uhler Lemmon III, so sein Geburtsname, war der domestizierte Mann der amerikanischen Angestelltengesellschaft, der klassische Anzugund-Krawatte-Typ, den er - zerrissen zwischen Willfährigkeit und innerem Anstand - so wunderbar nicht nur in »Das Appartement« (1960) gespielt hat. Als ideale Identifikationsfigur, als Mr. Middle America, besetzte ihn in diesem tragikomischen Gesellschaftsporträt - und in sechs weiteren Filmen - nicht zufällig der scharfäugige Regie-Einwanderer Billy Wilder.

Auch wenn Wilder seinen Star in »Manche mögen's heiß« in Frauenkleider steckte und dazu brachte, sich mit einer Rose zwischen den Zähnen auf die Tanzfläche zu wagen: Lemmon war als Erstes immer Schauspieler, nicht Faxenmacher. Er mag seine Zuschauer mit Grimassen oder Slapsticks zum Lachen gebracht haben - denkt man an seine Filme, dann denkt man, anders als etwa bei Jerry Lewis, nicht an Gags, sondern an Charaktere und ihre Geschichten.

Darum fiel es ihm leichter als anderen Spaßmachern, in ernsten Partien auch ernst genommen zu werden. Seine Figuren standen stets auf der Kippe zwischen Lächerlichkeit und Verzweiflung, er musste sich nur in die andere Richtung lehnen, und schon war er der Sisyphus des amerikanischen Traums.

In Filmen wie dem schonungslosen Unternehmerporträt »Save the Tiger« (1973), für das er einen seiner beiden Oscars gewann, und auch im großartigen Immobilienmaklerdrama »Glengarry Glenn Ross« (1992) rackerte er sich ab, obwohl er wusste, dass all seine Mühen vergeblich sein würden. Auch dafür musste man ihn mögen.

Aber ein echter Golfer weiß eben um die Tugend der Beharrlichkeit. In »Die Legende von Bagger Vance« rappelt er sich am Ende hoch, ein Auferstandener, und zieht mit seinem Golfwägelchen Richtung Horizont. Jack Lemmon darf jetzt auf dem großen Golfplatz im Himmel einputten.

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