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BUNDESWEHR Jacke im Sog

Wer bei der Bundeswehr Bruch macht, hat häufig selbst den Schaden -- er muß zahlen.
aus DER SPIEGEL 34/1973

Nach Auswertung optischer Peilungen riet Kapitänleutnant Rainer Künkel, Navigationsoffizier (NO) auf dem in die Kieler Förde einlaufenden Lenkwaffenzerstörer »Lütjens«, dem Wachoffizier und dem Kommandanten: »Ich empfehle, drei Grad nach Backbord zu gehen.«

Wachoffizier und Kommandant stimmten zu. Gleichwohl nahmen sie die empfohlene Kursänderung nicht vor, und da die Schiffsführung infolge blendender Sonne zudem noch zwei Fahrwassermarkierungen verwechselte, geriet die »Lütjens« kurz darauf bei der Tonne Kiel A auf Grund. An dem 207-Millionen-Mark-Schiff entstand ein Schaden von rund 2,5 Millionen.

Das geschah im Januar 1970. Zwei Jahre später erhielten Kommandant, Wachoffizier und NO von der Wehrbereichsverwaltung 1 in Kiel je einen sogenannten Leistungsbescheid -- Aufforderungen, sich an dem »durch grob fahrlässige Dienstpflichtverletzung« verursachten »Lütjens«-Schaden mit insgesamt 3960 Mark zu beteiligen.

Kommandant und Wachoffizier zahlten. NO Künkel, mit einer Forderung über 1060 Mark belegt, dagegen klagte vor dem Verwaltungsgericht Schleswig, das nunmehr in der zweiten Mai-Woche den Leistungsbescheid aufhob. Begründung: Weil er sich nicht darum gekümmert habe, ob seine Kursempfehlung auch ausgeführt werde, sei der NO zwar von einem »gewissen Verschulden nicht frei«; doch sei sein Schuldquantum an der »Lütjens«-Havarie nicht als »grobe Fahrlässigkeit« zu werten.

So entfiel in diesem Fall eine Voraussetzung, wie sie sonst tausendfach gegeben ist: die im Paragraph 24 des Soldatengesetzes vorgesehene Leistung von Schadenersatz, Danach ist ein Soldat für Schäden in Regreß zu nehmen, sofern ihm »Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt"* -- rund achttausendmal jährlich werden deshalb Soldaten der Bundeswehr von den sechs Wehrbereichsverwaltungen angezapft.

Mehr als 40 000mal im Jahr geht im 669 000-Mann-Betrieb Bundeswehr -- 493 000 Uniformierte, 176 000 Zivilisten -- Material oder Ausrüstung zu Bruch, werden Waffen oder Werkzeug versust, demolieren Bonns Soldaten Eigentum Dritter. Der Schadenskatalog reicht vom abgestürzten Starfighter bis zu Manöver- verwüstetem Bauernland, voni Verkehrsunfall bis zu verlorengegangenen Wagenhebern.

Und wiederum annähernd jeder fünfte Fall wächst aufgrund von »Schadensberichten« des Heeres, »Flugunfalluntersuchungen« der Luftwaffe oder »Havarieverfahren« der Marine zum Leistungsbescheid. der Aufforderung zur Schadensersatzleistung -- darunter Schäden von der Dimension des »Lütjens«-Unfalles. dem bislang kostspieligsten Bruch, bei dem auf »grobe Fahrlässigkeit« von Bundeswehrsoldaten erkannt wurde; darunter ebenso Lappalien wie ein Paar Handschuhe (Gebrauchswert: 14 Mark), das einem Panzergrenadier aus Neumünster abhanden kam.

Die Höhe der Schadensersatzforderungen regeln Bundeswehr-interne »Einziehungs-Richtlinien«. Danach kann ein Wehrpflichtiger, gleich welchen Dienstgrad er hat, bis zum Zehnfachen eines sogenannten Meßbetrages von gegenwärtig 150 Mark in Regreß genommen werden.

Der Meßbetrag für Profis dagegen hängt von Dienstgrad und Familienstand ab. Bei einem unverheirateten Hauptmann der Besoldungsgruppe A 11 beispielsweise macht er 1460 Mark aus, bei einem Oberfeldwebel (Besoldungsgruppe A 7) gleichen Familienstandes aber nur 920 Mark. Je nachdem, ob das grob-fahrlässige Handeln eines Berufs- oder Zeitsoldaten nur von »unterdurchschnittlicher Schwere« oder gar »überdurchschnittlicher Schwere« war, kann ein zweifacher oder dreifacher Meßbetrag kassiert werden. Die Berücksichtigung besonderer »wirtschaftlicher Verhältnisse« oder auch eine günstige Beurteilung des Betroffenen wiederum läßt eine Kürzung der * Vor dem Verwaltungsgericht Schleswig im Mai 1973

Ersatzsumme bis zu einem halben Meßbetrag zu.

Leicht laufen Soldaten Gefahr. mit solchen Rechnungen konfrontiert zu werden; durch Fehlleistungen am Kraftfahrzeuglenker oder auf der Kommandobrücke, durch Leichtsinn oder -- häufig -- durch pure Flusigkeit:

So wurde unlängst ein Unteroffizier von seiner Flensburger Einheit zu einem Lehrgang nach auswärts befohlen. Dabei vergaß er, seine Dienstschuhe und seine Kampfjacke mitzunehmen. Nach Rückkehr vom Lehrgang waren Schuhe und Jacke aus dem Spind verschwunden. Höhe des Leistungsbescheides: 123 Mark.

Auf dem Übungsplatz Grafenwöhr erbot sich ein Leutnant. ausgemusterte Infanteriemunition zu vernichten -- obwohl ihm die dafür notwendige Qualifikation fehlte. Ein Teil der Munition ging hoch, mehrere Soldaten wurden verletzt.

Der Leutnant mußte 2340 Mark zahlen (bei einem Gesamtschaden von 50 000 Mark).

Ein Mechaniker des seinerzeit auf Sardinien stationierten Jagdbombergeschwaders 31 vergaß vor einem Probelauf, ein Schutzgitter vor dem Triebwerk eines Starfighters anzubringen. Folge: Die Jacke eines anderen Soldaten wurde vom Düsensog erfaßt und ins Triebwerk gerissen. Für 174 000 Mark mußte das so demolierte Triebwerk ausgebaut und repariert werden. Der Mechaniker zahlte 1260 Mark.

Bei Neuburg an der Donau hatte letztes Jahr ein Wehrpflichtiger mit einem VW-Kombi einen Kleincomputer (Wert: 160 000 Mark) zu transportieren. In einer Kurve fiel der Computer durch die unverschlossene Wagentür auf die Straße: 40 000 Mark Schaden. Rechnung für den Fahrer: 300 Mark.

Anders als bei grob-fahrlässig herbeigeführten Schäden kassiert der Bund bei erwiesenem Vorsatz volle Kosten. Für Schwarzfahrten beispielsweise gibt es daher je nach Beförderungsmittel gestaffelte feste Tarife.

So kostet derzeit ein unerlaubt mit dem Jeep zurückgelegter Kilometer 53 Pfennig. Für einen Fünf-Tonnen-Lkw ist ein Kilometerpreis von 1,30 Mark zu entrichten, und zwei Soldaten, die Ende 1971 in Göttingen mit einem Kanonen-Jagdpanzer eine nächtliche Privatfahrt unternahmen, wurde kürzlich eine Rechnung über 2734 Mark aufgemacht -- 75 Mark pro Kilometer.

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