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CHILE Jäher Abgang

In der seit fast fünf Jahren regierenden Militärjunta kam es zum Bruch: Diktator Pinochet entließ seinen Luftwaffenchef.
aus DER SPIEGEL 31/1978

Der Luftwaffengeneral Gustavo Leigh Guzmán, so notierte unter dem Datum des 30. August 1973 Chiles damaliger Heeresgeneralstabschef Carlos Prats voll Sorge in seinem Tagebuch, sei ein »intelligenter, gerissener und fanatischer Putschist«.

Elf Tage später putschte der so Charakterisierte wirklich: Gemeinsam mit Armeegeneral Augusto Pinochet sowie den Oberkommandierenden von Manne und Polizei stürzte Leigh in einem blutigen Staatsstreich die Volksfrontregierung des Sozialisten Salvador Allende. In der Militärjunta, die Chile seither regiert, entwickelte Leigh sich zum einflußreichsten Mann neben Pinochet, der als Vertreter der stärksten Teilstreitkraft Juntachef wurde.

Doch vergangenen Montag feuerte Pinochet, verärgert durch kritische Äußerungen Leighs, den Luftwaffengeneral kurzerhand aus der Junta. Und seither rätseln die Chilenen, welcher der beiden Putschisten sich letzten Endes als der Gerissenere erweisen wird. Denn Leighs jäher Abgang muß keineswegs endgültig sein, ja, er könnte sogar den Sturz des Diktators herbeiführen:

Aus Solidarität mit Leigh traten vorige Woche 18 der 21 Generäle in Chiles Luftwaffe zurück -- und offenbarten damit, daß die Streitkräfte nicht mehr geschlossen hinter dem Regime stehen. »Die offenkundigen politischen Meinungsverschiedenheiten in der Militärjunta«, so stellte Santiagos größte Tageszeitung, der konservative »Mercurio« fest, »sind eine Tatsache, die man weder vertuschen noch beschönigen kann.«

Dabei hatten sich erste Risse in der Fassade der Einigkeit bereits wenige Monate nach dem Putsch gezeigt, als Pinochet das ursprünglich vereinbarte Prinzip des rotierenden Juntavorsitzes durchbrach und die alleinige Führung an sich riß.

Im Sommer 1975 übte General Leigh erstmals offen Kritik an der Wirtschaftspolitik der Regierung: Unter der Freigabe der Preise, dem Einfrieren der Löhne, dem Verbot aller gewerkschaftlichen Tätigkeit müßten gerade »die ärmsten Bevölkerungsschichten intensiv leiden«. Leigh: »Die sozialen Kosten dieser Politik gehen weit über das hinaus, was ich erwartet hatIdeologisch freilich marschierten Leigh und Pinochet damals noch durchaus in gleicher Richtung -- hin auf einen Ständestaat, wie ihn schon die frühe spanische Falange angestrebt hatte. Marxismus war für den überzeugten Rechtsradikalen Leigh ein »Krebsgeschwür«, das es auszurotten galt, Parteipolitik und parlamentarische Demokratie nannte er »diese Droge, diesen Virus der Gesellschaft«.

Doch in dem Maße, wie Pinochet sich zum Caudillo zu erheben versuchte, distanzierte sich Leigh offenbar von derlei Gedankengut -- oh aus Einsicht. ob aus Opportunismus, steht dahin. Als Pinochet im vergangenen Sommer vor Mitgliedern der faschistischen Jugendbewegung verkündete, er werde Wahlen in Chile, wenn überhaupt, »vielleicht« 1991 gestatten, warf Leigh ihm Personenkult vor. Gegenüber französischen Rechtsanwälten, die ihn besuchten, äußerte der Luftwaffenchef den Wunsch nach »politischer Normalisierung«.

Zum offenen Angriff gegen den Juntachef ging Leigh im Dezember über, als Pinochet, ohne die übrigen Juntamitglieder vorher zu fragen, beschloß, sein Regime durch eine Volksabstimmung bestätigen zu lassen. »Ehre und Ansehen der Streitkräfte«, so schrieb Leigh in einem Brief an Pinochet, könnten durch das Referendum nur geschädigt werden. Denn das Ergebnis der Abstimmung werde in jedem Fall »Verdacht und Mißdeutung hervorrufen

Pinochet rief das Volk dennoch zu den Urnen. Über 75 Prozent der Wähler beantworteten die Suggestivfrage, ob sie angesichts der ständigen Verurteilungen Chiles durch die Uno patriotisch hinter der Regierung stünden, mit ja. Der Luftwaffenchef fehlte bei der Siegesfeier.

Doch auch der Abstimmungssieger Pinochet hatte schon bald nur noch wenig Grund zum Feiern. Immer mehr nämlich geriet er unter Druck aus Washington, wo seit Monaten US-Staatsanwälte die Ermordung des früheren Volksfrontministers Orlando Letelier untersuchen. Die Bombe, der Letelier vor knapp zwei Jahren mitten in Washington zum Opfer fiel, wurde nach den Erkenntnissen der Amerikaner mit Hilfe chilenischer Geheimdienstleute gezündet. Auftraggeber soll der frühere Geheimdienstchef General Manuel Contreras gewesen sein, ein persönlicher Freund Pinochets, der dem Staatschef direkt unterstand.

Chiles Generalität verlangte von ihrem obersten Führer eine eidesstattliche Erklärung, daß er mit dem Mordfall nichts zu tun habe -- deutliches Zeichen für den Prestigeverlust Pinochets bei den eigenen Waffenbrüdern.

Der angeschlagene Caudillo mußte innenpolitische Zugeständnisse machen: Er holte erstmals mehr Zivilisten als Militärs in die Regierung, erließ eine neue Amnestie für politische Straftaten und hob die seit dem Putsch bestehende Ausgangssperre auf.

Luftwaffenchef Leigh jedoch forderte mehr -- die baldige Rückkehr zu einer verfassungsmäßigen zivilen Regierung, und zwar nicht erst in zehn Jahren, wie Pinochet unterdessen einzuräumen schien, sondern in der Hälfte der Zeit.

»Die Chilenen haben eine alte Tradition der Freiheit und der Demokratie«. erklärte Leigh vorletzte Woche einem Reporter der italienischen Tageszeitung »Corriere della Sera«, »und man kann ihnen picht auf ewige Zeiten die Freiheit verweigern.«

Auch Parteien. so Leigh, sollten in etwa fünf Jahren wieder zugelassen werden -- zwar keine marxistischen, aber sozial- und christdemokratische. Denn: »Einige Christdemokraten sind zwar nicht eben Heilige, aber auch die Mehrheit der Partelanhänger stellt doch wohl das Interesse Chiles über alles.«

Leider zeige aber gerade »jene Autorität, die all dies eigentlich am deutlichsten sehen müßte, kein Verständnis dafür« -- eine deutliche Anspielung auf den Staatschef.

Der schlug, als auch die einheimische Presse die sensationellen Äußerungen verbreitete, schnell und hart zurück und schickte seine Truppen zu Leighs Amtssitz. Zwei Tage später erklärte der geschaßte General, er wolle gerichtlich gegen seine Entlassung vorgehen. gab seinen Vorsatz aber Ende vergangener Woche wieder auf.

Wer schließlich gewinnt, wird sich womöglich schon in den nächsten Tagen zeigen -- wenn Washington seine Ankündigung wahr macht und die Auslieferung des einstigen Pinochet-Freundes Contreras und zweier weiterer, angeblich in den Mordfall Letelier verwickelter chilenischer Militärs verlangt.

Dann, so vermutete die »Washington Post«, »kann Pinochet unmöglich noch weiter im Amt bleiben«.

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