Ägypten Jagd auf den Pharao
Die schwarzuniformierten Polizisten brachten ihre Schnellfeuergewehre in Anschlag und starrten gebannt auf das schmutzigweiße Gebäude, das sie umstellt hatten.
Doch zum erwarteten Schußwechsel kam es nicht, die Razzia war ein Fehlschlag. Statt schwerbewaffneter Fundamentalisten, wie die Einsatzzentrale geglaubt hatte, hielten sich in der Rahma-Moschee der oberägyptischen Provinzhauptstadt Asjut nur harmlose Beter auf.
Der Feind schlug wenige Minuten später ganz woanders zu: im Herzen Kairos, nahe der Amerikanischen Universität. Ihr Ziel: der als entschlossener Extremistenjäger bei den Islamisten verhaßte Innenminister Hassan el-Alfi. Eine Bombe tötete 5 Menschen und verletzte 15 Passanten; Alfi selbst kam mit kleineren Wunden davon.
Das Attentat war der Höhepunkt einer Kette von Anschlägen radikaler Moslems, die seit März 1992 schon 185 Menschen das Leben kosteten und sich gleichermaßen gegen Touristen, Christen, aufgeklärte Intellektuelle und Regierungsfunktionäre richteten. »Die Serie reißt nicht ab«, klagte das ägyptische Staatsfernsehen.
Die Koran-Terroristen, die sich als Vorkämpfer für einen islamischen Gottesstaat am Nil betrachten, tricksen die Sicherheitsbehörden immer häufiger aus und wagen sich an immer höhere Repräsentanten des verhaßten Regimes heran.
»Wir haben Gott gelobt, daß wir in unserer Jagd auf Ägyptens Pharaonen nicht nachlassen werden«, hieß es in einem Bekennerbrief der Gruppe »Heiliger Krieg«. Deren Oberhaupt, Scheich Abd el-Rahman, wird jetzt in den USA angeklagt, das Sprengstoffattentat auf das New Yorker World Trade Center geplant und ein Mordkomplott gegen den ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak vorbereitet zu haben.
Das technische Know-how der Untergrundkämpfer hat inzwischen eine Perfektion erreicht, mit der Polizei und Militär bislang nicht gerechnet hatten. Die TNT-Sprengbombe, die dem Innenminister gegolten hatte, wurde ferngezündet - ein Novum in Ägypten. Die Täter gehörten einem Selbstmordkommando an, und Schutz vor »Kamikaze-Killern«, so bangte Radio Kairo, gebe es erfahrungsgemäß nicht.
Die Behörden wissen, woher die technische Aufrüstung kommt: Die meisten Rädelsführer der ägyptischen Fundamentalisten haben jahrelang als Freiwillige in Afghanistan gegen Sowjets und Kommunisten gekämpft; dabei hatten sie Gelegenheit genug, sich mit komplizierter Waffen- und Kommunikationstechnik vertraut zu machen und Hinterhalte zu erproben.
Nach dem Zusammenbruch des prosowjetischen Regimes in Kabul eigneten sich viele ägyptische Mudschahidin in Sonderlagern der iranischen Revolutionswächter und im pakistanischen Peschawar zusätzliche Fertigkeiten für den elektronischen Guerillakrieg daheim an.
Wie die ägyptischen Ermittler herausfanden, stellen die Afghanistan-Veteranen im schwer kontrollierbaren afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet Reisepässe und militärische Passierscheine her, die ihnen eine gefahrlose Einreise nach Ägypten und Zugang zu Waffendepots der Armee verschaffen.
Die Regierung in Kairo glaubt, dem »Spuk der Wahnsinnigen« (ein Sprecher des Innenministeriums) mit Ausnahmegesetzen und Polizeibrutalität beikommen zu können. Aber selbst die massive Anwendung der Todesstrafe - 15 überführte Islam-Terroristen wurden in den letzten zwei Monaten gehängt - hat die Gotteskämpfer nicht abgeschreckt. Denn der geistige Nährboden, auf dem religiöser Extremismus und Gewaltbereitschaft gedeihen, wurde nur unzureichend bearbeitet.
Präsident Mubaraks Anordnung, sämtliche Schriften des von Fundamentalisten ermordeten Islamisten-Feindes Farag Foda auf Staatskosten zu veröffentlichen, blieb unbeachtet. Vergebens empfahl der fortschrittliche Mufti Mohammed Sajjid Tantawi - höchste islamische Rechtsinstanz -, die 40 000 Privatmoscheen zu schließen, in denen häufig militante Islamisten predigen. Unterbezahlte Beamte, vor Ort für den Kampf gegen die Islamisten zuständig, sind meist zu nachlässig und oft zu bestechlich, um energisch gegen die Staatsfeinde vorzugehen.
Zwar gelang es der Polizei, zwei Millionen Kassetten sicherzustellen, auf denen militante Scheichs zum Kampf gegen den »gottlosen Staat« und zur Diskriminierung der koptischen Christen in Ägypten aufriefen. Doch die »teuflische Islamistensaat« (die Tageszeitung Al-Ahram) geht weiter auf.
Ungestraft darf der prominente Scheich Mohammed el-Ghasali in dem von zehn Millionen Christen bewohnten Land Bücher wie »Warnruf vor den christlichen Missionaren« herausbringen und die Todesstrafe für »Abtrünnige vom Islam« fordern. Noch immer schreitet das Erziehungsministerium nur selten gegen Schulleiter und Lehrer ein, die Mädchen zum Tragen des Schleiers zwingen, in der Morgenpause Gebete rezitieren und über »Ketzer« und »Feinde Gottes« dozieren.
Zum erstenmal seit der Ermordung des Präsidenten Sadat 1981 haben die Islamisten offenbar auch wieder die Ränge der Armee infiltriert, die von Mubarak als Garant der Stabilität in Ägypten angesehen wird.
Ein Waffenstillstand zwischen Regierung und Islamisten scheint illusorisch. »Für die Terroristen ist der Terror Selbstzweck geworden«, sagt der prominente Schriftsteller Mohammed Sid Ahmed, »sie bomben und schießen für eine blutige Utopie.« Und auch Präsident Mubarak schließt jeden Dialog aus: »Das führt zu nichts.«
Innenminister Alfi hofft derweil auf die Widerstandskraft des Volkes. Noch auf dem Krankenbett, seine Knochenbrüche waren gerade gerichtet, rief er ins Mikrofon: »Bürger, nehmt Rache an den Terroristen.« Y