HOCHSCHULE Jagd auf Mogel-Studenten
Es sind Fälle wie der des Darmstädter Wirtschaftsstudenten, die den Verdacht der Ermittler erregten: Der junge Mann kassierte sechs Jahre lang bis zu 500 Euro im Monat vom Staat. Dank Bundesausbildungsförderungsgesetz - kurz Bafög - landeten 29 000 Euro auf seinem Konto.
Was der Student, Mercedes-Cabrio-Fahrer, in seinen Bafög-Anträgen verschwieg: Bereits zu Studienbeginn besaß er rund 75 000 Euro, später vervielfachte der Börsenboom sein Vermögen auf 700 000 Euro.
Im November vorigen Jahres verurteilte ihn das Amtsgericht Darmstadt zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung. Inzwischen machen Bafög-Sachbearbeiter in ganz Deutschland Jagd auf solche akademischen Abzocker.
Das Zwischenergebnis ist beachtlich: In Nordrhein-Westfalen sind bisher bei 11 831 Überprüfungen immerhin 3173 falsche Anträge aufgefallen; die Mogler haben 16 Millionen Euro an Fördergeldern zurücküberwiesen. In Berlin haben allein im Jahr 2000 nach Erkenntnissen der Sachbearbeiter 1600 Studenten Unwahrheiten in den Antrag hineingeschrieben: Mehr als zehn Millionen Euro gingen bereits retour. Und in Tübingen musste ein einzelner Studiosus gar 25 000 Euro zurückzahlen.
Hochgerechnet auf alle Bafög-Empfänger bedeuten die Zahlen aus NRW, dass bundesweit fast 100 000 Studenten Geld kassiert haben könnten, das ihnen nicht zusteht. Der Schaden für die Staatskasse wird auf bis zu 500 Millionen Euro geschätzt - Deutschland, ein Land der Schummel-Studenten?
Möglich machte die große Rasterfahndung die Änderung des Einkommensteuergesetzes von 1999. Danach ist es möglich, Anträge auf Sozialleistungen mit den Freistellungsaufträgen für Zinseinkünfte zu vergleichen. Der Bundesrechnungshof schlug vor, nach diesem Muster auch Bafög-Bezieher zu durchleuchten.
Einige Bundesländer wie NRW und Brandenburg haben die meisten Nachkontrollen bereits abgeschlossen. Das Ergebnis: Rund 20 bis 25 Prozent aller Studenten hatten ihr Vermögen nicht korrekt notiert. Sie müssen nun erklären, woher ihre Zinseinkünfte stammen. Viele Schummler haben erschlichenes Geld bereits zurückerstattet und Bußgelder gezahlt. Zudem haben Bafög-Ämter sogar den Staatsanwalt eingeschaltet.
Trotz dieser massenhaften Missbrauchsfälle ist die Ausforschung der Konten nicht unumstritten. Datenschützer monieren, dass für den kollektiven Datenabgleich die rechtliche Basis fehlt. Eine Studentin aus Siegen und deren münsterscher Anwalt Wilhelm Achelpöhler klagen deshalb vor dem Verwaltungsgericht Köln. Die Bafög-Ämter beschweren sich zudem über gewaltige Aktenberge und bürokratischen Aufwand. Viele prall gefüllte Sparbücher erwiesen sich bei näherem Hinsehen etwa als Konten, auf denen Wohngemeinschaften die Kaution hinterlegt hatten.
Außerdem scheint jetzt bestraft zu werden, was jahrelang niemanden ernsthaft interessiert hat. Die Mannheimer Studentin Evelyn Naudorf, die inklusive Bußgeld wohl rund 15 000 Euro zurückzahlen muss, hatte Sparbuch und Bausparvertrag nicht angegeben. Diesen Tipp, sagt die Anglistik-Studentin, habe ihr ein Mitarbeiter im Bafög-Amt ("Das können wir ohnehin nicht kontrollieren") gegeben.
Nach dem Gesetz müssen Studenten bettelarm sein, bevor sie Anspruch auf Bafög bekommen. Bis Juli 2002 durften sie allenfalls 6000 Mark auf der Kante haben, seitdem liegt die Grenze bei 5200 Euro. Für »völlig willkürlich« hält Dieter Schäferbarthold, Generalsekretär beim Deutschen Studentenwerk, diesen Freibetrag. Auch Studenten hätten das Recht auf eine gewisse Vorsorge, sagt er.
In der Tat: Wovon soll ein Student leben, wenn die Bafög-Förderung ausläuft und er noch im Examen steht? Wie soll er die Zeit zwischen Studienabschluss und Berufseintritt finanzieren, wenn sein Konto praktisch leer sein muss? »Keine Großmutter schenkt mehr ihrem Enkel Wertpapiere«, sagt Schäferbarthold, »wenn das Geld sofort auf das Bafög angerechnet wird.«
Für den Dresdner Peter W., 26, beispielsweise hatte die Oma einen Bausparvertrag angefüttert. Mit dem Geld sollte der angehende Wirtschaftsingenieur später einmal in der Lage sein, ihr Häuschen zu unterhalten. So kam er auf die Fahndungsliste.
Ohnedies werden nur diejenigen beim Mogeln erwischt, die sich weniger clever angestellt haben. Denn wer erst gar keinen Freistellungsauftrag gestellt hatte, dem können die Bafög-Ämter auch nicht auf die Schliche kommen. ARMIN HIMMELRATH,
UDO LUDWIG