FIRMEN-PUBLIZITÄT Jalousie hoch
Versandhändler Neckermann, Radiobauer Grundig und Puddingkönig Oetker setzten bisher jährlich mehr als eine Milliarde Mark um, ohne irgend jemandem über Kapital und Profit Rechenschaft schuldig zu sein. In Zukunft sollen sie ihre Bücher Vor Konkurrenz und Kundschaft offenlegen.
So steht es in zwei Gesetzentwürfen, mit denen sich der Bundestag noch in diesem Jahr befassen wird. Für Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Kommanditgesellschaften, Offene Handelsgesellschaften und Einzelfirmen soll -- sofern sie eine bestimmte Größe erreichen gleiches gelten wie für Aktiengesellschaften: Einmal im Jahr sollen sie ihre Bilanz sowie ihre Gewinn- und Verlustrechnung im Bundesanzeiger oder in einer Tageszeitung veröffentlichen.
Anstoß zu den Reformplänen gaben die Finanzschwierigkeiten bei der Einzelfirma Krupp, die gut hunderttausend Beschäftigte hat und noch nie eine Konzernbilanz vorlegte (SPIEGEL 12/1967). Als der Arbeitskreis II »Ernährung und Wirtschaft« der CDU-Bundestagsfraktion im vergangenen Monat über das Essener Familien-Unternehmen beriet, ereiferten sich die Abgeordneten: Rechtzeitig ließen sich die Herren Wirtschaftskapitäne nicht in die Bücher gucken. Der Staat werde immer erst dann gerufen, wenn Gefahr drohe.
Da bat der westfälische Abgeordnete Rembert van Delden, 50, ums Wort. Der Kapitänleutnant der Reserve und Firmenvorstand der familieneigenen Westfälischen Jute-Spinnerei und Weberei AG wies seinen Ausschuß-Kollegen einen selbstgefertigten Gesetzentwurf vor. Tenor: Alle wichtigen Firmen werden, unabhängig von ihrer Gesellschaftsform, den Publizitäts-Vorschriften des Aktiengesetzes unterworfen.
Dazu der Autor: »Als Vorstandsmitglied meiner Firma weiß ich, was in so vielen nicht veröffentlichten Beteiligungs-Bilanzen drinsteht und bisher noch vom Mantel der christlichen Wohlstandsgesellschaft verdeckt wird.«
Erst wenn der Schleier des Bilanzgeheimnisses falle, könne die Öffentlichkeit faule Firmen-Finanzen rechtzeitig erkennen. Van Delden glaubt, daß beispielsweise die Pleiten des Hamburger Werftherrn Schlieker und des Bremer Autofabrikanten Borgward bei hinreichender Publizität unter Umständen hätten abgewendet werden können.
Formulierungshilfe leisteten dem Arbeitgeber van Delden die Linkschristen in Hans Katzers Arbeitsministerium. Nach dem Entwurf sollen alle Firmen ihre Bilanz offenlegen, die
* mehr als zwei Millionen Mark Kapital besitzen oder
* fünf und mehr Millionen Mark im Jahr umsetzen oder
* mehr als 300 Arbeiter und Angestellte beschäftigen.
Nach der Lex Delden müßten nicht allein Großfabrikanten wie Flick, Reemtsma und Springer alljährlich einmal die Jalousie vor dem Allerheiligsten hochlassen. Die Publizitätspflicht droht insgesamt etwa 20 000 Unternehmers des industriellen Mittelstandes. »Was Krupp für Essen bedeutet«, so van Delden, »kann Meiers Firma mit 300 Beschäftigten für einen kleinen Ort im Sauerland sein.
Mit Beifall seiner Berufskollegen durfte van Delden nicht rechnen. Immerhin stellte er bei Umfragen unter CDU-Industriellen fest: »Alle, die ihren Laden in Ordnung halten, haben o.k. gesagt. Die anderen, die nach eigenen Gesichtspunkten bilanzieren. kamen mit Intimsphäre und Unantastbarkeit des Eigentums.«
Trotz der Proteste ist dem Reformer um seinen Plan nicht bange. Unerwartet kam nämlich Hilfe von links. SPD-Justizminister Gustav Heinemann teilte Anfang April mit, auch sein Haus bereite eine Publizitäts-Novelle vor.
Heinemanns Justizbeamte wollen sich mit der Prüfung der Rechtslage und dem Formulieren der Paragraphen bis zum Herbst Zeit lassen, Rembert van Delden ("Warum soll nicht ein Roter auch einmal eine gute Idee haben") nutzt inzwischen seinen Vorsprung. Er will seinen Entwurf in der Unions-Fraktion noch vor Pfingsten zur Diskussion stellen.