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GEISSLER Jauche über den Kopf

Sozialdemokraten verweigern jede Zusammenarbeit mit dem CDU-Generalsekretär - auch im Ausland. *
aus DER SPIEGEL 52/1983

In La Paz, über 20 Flugstunden von der Heimat entfernt, mußte der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Rudolf Bindig gegen einen Fraktionsbeschluß verstoßen. Er konnte der Weisung an alle SPD-Parlamentarier, einen christdemokratischen Kollegen strikt zu schneiden, nicht recht nachkommen.

Am Vortag des vierten Advent betrat CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, auf dem Rückflug von einer Südamerika-Reise, die VIP-Lounge im Flughafen der bolivianischen Hauptstadt. Dort wartete Entwicklungspolitiker Bindig mit einer Bundestagsdelegation auf eine Maschine nach Buenos Aires.

Geißler ging auf den Sozialdemokraten zu und entbot einen Gruß. Bindig sprang vom Sofa auf und preßte ein »guten Tag« heraus. Dann fügte er rasch hinzu, eine weitere Unterhaltung mit dem christdemokratischen Familienminister wünsche er nicht. Der ließ sich nicht abschrecken. Wenig später, zu seiner Verabschiedung waren inzwischen zahlreiche bolivianische Offizielle in den Salon gekommen, wollte Geißler dem Landsmann Bindig »auf Wiedersehen« sagen. Doch der Genosse klemmte beide Arme an den Körper und knurrte: »Ein Gruß genügt.« Hernach lamentierte er: »Ich lasse mir doch nicht Jauche über den Kopf schütten und anschließend noch sagen, ich stinke.«

Bolivianische Christdemokraten und Regierungsmitglieder wurden zu ratlosen Zeugen einer deutschen Kontroverse, die Geißler verschuldet hat und die der SPD-Fraktionsvorsitzende Hans-Jochen Vogel ausnutzt, den CDU-Generalsekretär an den Pranger zu stellen.

Auf dem Parteitag der rheinischen CDU im September hatte Geißler der SPD vorgehalten, sie übernehme in der Sicherheitspolitik »nahtlos Argumente der Sowjet-Union« und werde, »ob sie's will oder nicht, in der geistigen Auseinandersetzung in der Bundesrepublik zu einer Fünften Kolonne der anderen Seite«. Vogel warf Geißler vor, er habe »eine Atmosphäre des Hasses« erzeugt. Dann ließ er die SPD-Fraktion beschließen, jeder Kontakt mit Geißler solle, wann immer möglich, gemieden werden.

Bei Sitzungen des Bundestagsausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ziehen die Sozialdemokraten seither aus, wenn Geißler kommt. In der Nachrüstungsdebatte des Parlaments forderte SPD-Chef Willy Brandt den christlichen Polemiker mit harten Attacken heraus. Doch Geißler blieb still: Er wußte, daß die Sozialdemokraten nur auf einen Anlaß warteten, spektakulär das Plenum zu verlassen.

Die Gelegenheit bekamen die Genossen zwei Wochen später, als sie nach einer Wortmeldung Geißlers in der Haushaltsdebatte bis auf wenige Aufpasser aus dem Saal gingen - draußen herrschte freilich schon Nacht, und die Fernsehkameras waren abgeschaltet.

Schwieriger wird es im Ausland, die Kontaktsperre durchzuhalten. Bei den Feiern zur Amtseinführung des argentinischen Staatspräsidenten Raul Alfonsin in Buenos Aires legte SPD-Präsidiumsmitglied Hans-Jürgen Wischnewski großen Wert darauf, dem offiziellen Vertreter der Bundesregierung, Familienminister Geißler, nicht über den Weg zu laufen. Während der FDP-Bundestagsabgeordnete Uwe Ronneburger mit Geißler in der nur zu einem Viertel besetzten Bundeswehr-Boeing zur Staatsfete flog, mied der Genosse jeden direkten Kontakt zu dem Christdemokraten - »Ben Wisch« reiste mit Linie. Daß die Sozis so unnachgiebig sind, hat gute Gründe. Seit langem schon macht sich Geißler mit seiner Holzerei unbeliebt. Der CDU-Generalsekretär, der sich als Sozialausschüßler zum linken Flügel der Union bekennt, handelt nach der Regel, er müsse »Begriffe besetzen«. Schließlich besorge ja kein anderer in der Unionsspitze dieses Geschäft.

So bezichtigte er die Sozialdemokraten im Wahlkampf der »Mietenlüge« und setzte, ausgerechnet, ein Brecht-Zitat obendrauf: »Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.« In der Diskussion um die Nachrüstung hatte er verkündet, »der Pazifismus der dreißiger Jahre« habe »Auschwitz erst möglich gemacht«.

Bisher hat Geißler, darauf ist er stolz, noch keinen seiner Sprüche zurückgenommen. Doch die Ächtung durch die Sozialdemokraten zeigt erste Wirkung.

Er beruft sich zwar darauf, in einem Brief an Ex-Kanzler Helmut Schmidt habe er seine Beschuldigung erläutert: Die SPD sei in der Gefahr, »in der geistigen Auseinandersetzung« um die Nachrüstung, keinesfalls auf allen Gebieten, »Fünfte Kolonne zu werden«. Er wolle nicht behaupten, so der CDU-Generalsekretär, die SPD sei bereits eine Fünfte Kolonne. Geißler: »Das ist für mich längst ausgeräumt.«

Doch er weiß auch, daß mit Rabulistik die Beziehungen zwischen ihm und der SPD nicht wiederherzustellen sind. Er sei, so versicherte er in der Woche vor Weihnachten, »selbstverständlich zum Gespräch bereit«. Denn: »Mit mir kann man über alles reden, allerdings auch über das, was die Sozialdemokraten uns angedichtet haben, wir seien eine Raketenpartei und unfähig zum Frieden.«

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