US-ARMEE Je nach Bedarf
Der Ernstfall begann vorletzten Montag. Zwischen Kassel und Koblenz rasselten amerikanische M 60-Panzer, am Himmel kurvten Airforce-Jets, in Feld und Wald kämpften 61 000 US-Soldaten, die Nato-»Blauen« gegen die feindlichen »Roten«. Es lief das Herbstmanöver »Confident Enterprise«, auf deutsch: Zuversichtliches Unternehmen.
Der simulierte Krieg gefiel den Heer-Führern. Bonns Verteidigungsminister Manfred Wörner war von den Übungen »stark beeindruckt«. Kanzler Helmut Kohl, ebenfalls Manövergast im Hessischen, lobte den »Friedensdienst« der US-Soldaten: »Sehr schön.« Ein US-Major, der ihn begleitete, revanchierte sich. Es sei »wirklich wunderbar«, wie »herzlich die Deutschen zu uns sind«.
Die schönen Worte täuschen. Die Amerikaner trieben ihr Kriegsspiel diesmal so weit, daß es am Ende gar nicht mehr zuversichtlich aussah: In einem Waldstück bei Hanau hoben Soldaten ein mächtiges Massengrab aus, in aller Stille, ganz ohne »Blumen und Feierlichkeiten«, wie die Armeezeitung »The Stars und Stripes« schilderte.
»Zum erstenmal auf deutschem Boden«, verkündete ein Sprecher des V. US-Corps, probte die Army die Bestattung von »massenhaft anfallenden« Leichen - ganz so, als sei das eine besondere Attraktion.
Die Idee war den Militärführern schon bei einem Herbstmanöver im letzten Jahr gekommen. Was bei einem künftigen Krieg wohl millionenfach zu besorgen ist, die Beerdigung von Toten, wurde damals nicht geübt. Denn die eigens ausgebildeten Spezialisten für »mass burials« waren in den Vereinigten Staaten, nicht aber am »Schauplatz« Deutschland (Stabsfeldwebel Isiah Gibbs) stationiert.
Erst im Kriegsfall, so die ursprüngliche Planung, sollten die Experten für »Grabregistrierung« (Militär-Fachausdruck) eingeflogen werden.
Die Amerikaner holten diesmal das Versäumnis nach. »Qualifizierte Spezialisten« (ein Army-Sprecher) wurden nach Deutschland versetzt, Soldaten der 26. Nachschub- und Versorgungskompanie Hanau sollten die Grabregistrierung beim Herbstmanöver in Hessen trainieren. »Die Experten«, erklärten US-Sprecher den Reportern von »Stars and Stripes«, »werden hier gebraucht.«
Gleich am zweiten Manövertag war die »Pflichtübung« angesetzt. Mit Bulldozern hoben Rekruten der Hanauer Kompanie im versteckten Waldstück »Campo Pond« östlich von Hanau ein riesiges Grab aus, fast drei Meter breit, gut einen Meter tief und so lang wie ein Mehrfamilienhaus. Dann wurde »durchexerziert«, umschreibt Walter Nebgen, Sprecher des V. Corps, wie sich im Kriegsfall am besten »Massenverluste handhaben« lassen.
Die »ganze Sache«, berichtet Nebgen, »war sehr pietätvoll, wie im Leben«. Der GI Kenneth L. Allen, ein Schwarzer, spielte ein tödlich getroffenes Opfer, »überlebende« Kameraden registrierten Namen, Sozialversicherungsnummer, Todesort und kassierten seine Erkennungsmarke. Dann wurde Allen in einen Nylonsack gepackt, ins hundert Tote fassende Riesengrab abgelegt, und die lebendige Leiche anschließend exakt vermessen.
Schulter an Schulter und in Reihen, so ist es vorgesehen, sollen die Opfer verscharrt werden, massenweise eben, »je nach Bedarf« (ein US-Kommandeur).
Wie viele Gefallene ins Massengrab passen, wird anhand der Meßdaten hochgerechnet. Ein Plätzchen finden im Ernstfall alle: »Die Gruben können so _(Beim Nato-Manöver »Confident ) _(Enterprise«. )
lang sein wie notwendig«, beschreibt Stabsfeldwebel Gibbs die Vorsorgeplanung, »so lang, bis wir an ein Hindernis rennen, das nicht weggeräumt werden kann.« Sind »die Schächte gefüllt«, erläutert Gibbs, »füllen Techniker die Grube auf« - fertig ist »die bestmögliche Fürsorge für die Todesopfer«.
Seit das makabre Manöver publik wurde, stehen die US-Militärs unter scharfem Beschuß. Die »Frankfurter Rundschau« fand, es könne »einem angst und bange werden vor der Perspektive eines Atomkrieges«. In der ARD-Tagesschau empörte sich Kommentator Martin Schulze: »Instinktlos.« Beim US-Hauptquartier und im Manöverpressezentrum meldeten sich zahlreiche Anrufer: »Scheiß-Amis.«
Die Reaktion, gibt Nebgen zu, »hat uns völlig überrascht«. Die Übung »mass burial procedures« soll künftig nicht mehr stattfinden. Sie sei, kritisierte im nachhinein auch Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner, »weder sinnvoll noch notwendig«.
Gleichwohl halten amerikanische Führungsoffziere die Aufregung für überflüssig. »Nach jeder Schlacht«, rechtfertigt Gibbs die Übung, »wird aufgeräumt.« Und »wenn geschossen wird«, entgegnete ein Armeesprecher letzte Woche den Kritikern, »gibt es nun mal nicht für jeden Toten einen fahnengeschmückten Sarg«.
Beim Nato-Manöver »Confident Enterprise«.