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»Jeder streichelt seinen Bimbo«

Mit einer Werbekampagne ohnegleichen machen Politiker, Medien und Show-Prominenz zum Ende des Hoyerswerda-Jahres Front gegen Fremdenhaß. Kritiker halten den millionenteuren Anti-Pogrom-Rummel für »dämlich«, weil er Konflikte verkleistere und die Minderheit militanter Fremdenfeinde weiter in die Brutalität treibe.
aus DER SPIEGEL 1/1992

Rund um Roland den Riesen am Rathaus zu Bremen erlebten die Hansestädter etwas nie Gesehenes: schwarze Weihnachten.

Angetan mit schneeweißen Wattebärten und mit purpurroten Mänteln, verteilten dunkelhäutige Männer aus Ghana und von der Elfenbeinküste auf dem Weihnachtsmarkt an der Roland-Statue 100 000 Tafeln Schokolade an Passanten. Gedacht war der Auftritt, finanziert vom Verein Bremen-Werbung, als »eine Aktion gegen den Rassismus«, wie einer der schwarzen Nikoläuse erläuterte.

Zum »Tanz gegen den Rassismus« rief, zur selben Zeit, die Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik: »Der Erlös geht an von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge.« »Musik gegen Fremdenhaß« präsentierten, ebenfalls im Weihnachtsmonat, westafrikanische Musiker und Voodoo-Trommler in Kiel - Motto: »Für ein verständnisvolles Miteinander«.

Bundesweit verbreiten Kirchenjugendliche seit Wochen den Slogan »Jesus war Asylant«. Prominente, von Peter Maffay bis Götz George, verkünden auf Tausenden von deutschen Litfaßsäulen: »Ich bin ein Ausländer.«

Kein Zweifel: Drei Monate nach der schändlichen Asylanten-Vertreibung aus Hoyerswerda, nach der blutigen Woge fremdenfeindlicher Übergriffe in Hünxe und anderswo ist in der Bundesrepublik ein »Wendepunkt« erreicht, wie das US-Magazin Newsweek unter der Überschrift meldete: »,Nie wieder'', entgegnet Deutschland den Skinheads.«

»Rund um Bonn ist es unmöglich, Plakate zu übersehen, auf denen ein afrikanischer Flüchtling durch eine zerschlagene Fensterscheibe schaut«, berichtet, spürbar beeindruckt, Newsweek-Korrespondent Michael Mayer nach Übersee. Gesehen hatte er SPD-Poster, die vieltausendfach ein Foto aus Hoyerswerda mit dem Slogan kombinierten: »Toleranz. Damit nicht noch mehr kaputtgeht.«

Ob in Frankfurt oder in Bielefeld, in Hagen oder in Chemnitz - überall machen in diesen Tagen auch Stadtverwaltungen mit Großplakaten Front gegen den Fremdenhaß: Mal fließt auf den Postern, die westdeutsche Werbeagenturen gestaltet haben, Blut aus einer schwarzrotgoldenen Flagge; mal schallt einem fetten deutschen Touristen in Shorts und Netzhemd beim Kamelritt der Ruf entgegen: »Ausländer raus«; mal steht neben dem Porträt eines Mädchens mit dunklen Augen die Frage: »Wer hilft mit, Zeinab anzuzünden?«

Wer das Radio oder das Fernsehgerät anschaltet, empfängt Signale der Fremdenfreundlichkeit auf allen Kanälen. Mit Werbespots wollen die Anstalten »die schweigende Mehrheit zu Wort bringen«, wie Hartwig Kelm formuliert, der Intendant des Hessischen Rundfunks.

Da ertönt dann, zum Deutschlandlied, lautes Klirren von Fensterglas, und im Hintergrund sind Explosionen von Höllenmaschinen, Polizeisirenen und Marschtritte wie von SA-Kolonnen zu hören. »Wenn das so weitergeht«, droht eine Stimme aus dem Off, »müssen vielleicht schon bald wieder Deutsche um Asyl im Ausland bitten.«

»Nach den Ausbrüchen von Fremdenfeindlichkeit«, kommentiert die Hamburger Zeit die neue Stimmung, erlebe die Bundesrepublik nun einen »Ausbruch von Fremdenfreundlichkeit«. Das Blatt, voll im Trend, servierte seinen Lesern gleich »einige ganz praktische Tips« für den Umgang mit Ausländern - etwa: »Kaufen Sie Obst beim Türken« und: »Setzen Sie sich in der U-Bahn das nächstemal neben einen Afrikaner.«

In einem gesellschaftspolitischen Experiment ohnegleichen scheint derzeit eine Nation sich selber den Fremdenhaß austreiben zu wollen - mit Millionenaufwand und mit allen Mitteln der Werbekunst. Selbst Landesregierungen schalten bundesweit Anzeigen mit Fotos sympathischer Einwanderer und mit Texten wie »Ohne Fremde sind wir allein« (Niedersachsen) oder »Wir sind Mitmenschen! Mitmachen! Dabeisein!« (Nordrhein-Westfalen).

In Frankfurt erhalten alle Schutzmänner in diesen Tagen eine Neujahrsbotschaft ihres Polizeipräsidenten Karlheinz Gemmer, der die Uniformierten auffordert, ab sofort dem Vorwurf entgegenzutreten, »die Polizei verfolge ausländische Tatverdächtige mit besonderer Intensität«. Auch Gemmer weiß: »Alle Menschen sind Ausländer.«

Selbst die Knackis im Knast können die gute Botschaft vernehmen, daß ausländische Mitbürger hinter Gittern nicht als »Kanaken« verhöhnt werden sollten: Es sei nicht richtig, mahnt die Saarbrücker Gefangenenzeitung Pro reo alle Mitinsassen, »wenn ausländische Sträflinge von einheimischen wegen ihrer Andersartigkeit gehänselt oder diskriminiert werden«.

Auch viel Prominenz erwärmt sich allerorten für die Fremden im Lande. Norbert Thines, Präsident des 1. FC Kaiserslautern, verpflichtete sich in aller Öffentlichkeit, ein »positives Zeichen« zu setzen und mit vier ausländischen Studenten »gemeinsam den Heiligen Abend zu begehen«. Die Schauspielerin Christine Kaufmann versprach gar, sie werde »im Januar in einem Münchner Wohnheim für Asylbewerber eine Hölderlin-Lesung abhalten« und »anschließend mit den Bewohnern diskutieren«.

Niedersachsens rechter CDU-Landesverband beschloß in Adventstimmung, sich einer Pro-Ausländer-Initiative des grünen hannoverschen Bundesratsministers Jürgen Trittin anzuschließen. Nicht einmal mehr Rechtsradikale mögen da abseits stehen. Per »Mitteilung an die Medien« verlautbaren sie nun, immerhin: »Republikaner verurteilen Überfälle auf Ausländerheime.«

Kritische Stimmen zur Kampagne sind kaum vernehmbar. Nur die Querdenker von der linksalternativen Tageszeitung (taz) schießen quer: »Ganz Deutschland«, spottet das Blatt, »sitzt auf dem Sofa und streichelt seinen Bimbo.«

Die Kampagne, rügt die taz, sei teilweise von »kaum zu überbietender Dämlichkeit«. Die zur Schau getragene »Bimbophilie« der Medien sei, wie der ganze »multikulturelle Propagandarummel« der letzten Wochen, eine Art »Mogelpackung«. Der Fremdenfurcht werde lediglich eine naive »Ausländersentimentalität« entgegengesetzt.

Das Unbehagen an der Kampagne zielt vor allem auf so flache Parolen wie »Alle sind Ausländer, oder fahren Sie etwa nie in Urlaub?«, die das Volk schlichtweg für dumm verkaufen - »als ob es beim sog. ,Ausländerproblem'' um Fragen des Tourismus ginge«, wie die taz anmerkte, und nicht um die bevorstehende legale oder illegale Einwanderung von Elendsflüchtlingen aus aller Welt.

Ob sich mit Good-will-Veranstaltungen und Werbespots, Anzeigen und Plakaten die politische Einstellung von eingefleischten Fremdenfeinden verändern läßt, ist in der Tat zweifelhaft. In der Regel werden mit den stets gutgemeinten, aber nicht immer gut gemachten Aktionen nur Gleichgesinnte erreicht.

So blieben Andersdenkende jüngst einer Hamburger Theater-Matinee mit dem Titel »Hoyerswerda - Made in Germany« fern. Beim ohnehin ausländerfreundlich gestimmten Publikum rief die »Betroffenheits-Routine« der Schauspieler »zeitweise nur noch Langeweile hervor« (Hamburger Morgenpost).

Manch eine forciert ausländerfreundliche Stellungnahme von Prominenten liest sich, als liege »der wahre Sinn der Kampagne in der Image-Werbung für ihre Macher«, argwöhnt die taz. Gelegentlich wird einfach plumper Inländerhaß gegen dumpfen Ausländerhaß gesetzt.

Der Schriftsteller Johannes Mario Simmel zog letzten Monat im SPD-Blatt Vorwärts eine gewagte historische Parallele. Unter der noblen Überschrift »Ich würde einen Flüchtling aufnehmen« behauptete der Erfolgsautor: »Nachdem es in Deutschland fast keine Juden mehr gibt, will man nun die Ausländer umbringen.«

Der Hamburger Parfümschöpfer Wolfgang Joop hat bereits den Exodus aus der Bundesrepublik vollzogen. Nachdem er öffentlich seine Solidarität mit den »bunten Schwestern und Brüdern« und seine Abneigung gegen die »lauwarme deutsche Mono-Kultur-Suppe« kundgetan hatte, erklärte er, im grauen Deutschland sei »kein Platz für Menschen mit Stil und Intelligenz« wie ihn.

Jetzt bezieht Joop ein Penthouse in Manhattan, weit weg zumindest von deutschen Rassisten: »Da weiß ich, daß ich nicht im Vierten Reich wohne.«

Daß ein Übermaß an Fremdenfeindlichkeit auf alle Ewigkeit ein Teil des deutschen Nationalcharakters sei, daß in den Bundesbürgern eine Art Nazi-Gen schlummere, diese (rassistische) Überzeugung spricht aus etlichen Stellungnahmen zum Thema.

Obwohl die Parallele zur Nazi-Propagandaformel vom »Ewigen Juden« unverkennbar ist, lasten vor allem Ultralinksblätter wie das Hamburger Konkret den Fremdenhaß gern dem »Ewigen Deutschen« an; der sei, verkündete die Zeitschrift jüngst auf der Titelseite, halt nach wie vor »ein gemütlicher Mörder«.

Für den Berliner Wissenschaftler Rainer Zittelmann, Fachmann für »Vergleichende Faschismusforschung« an der Freien Universität, ist »offensichtlich, daß viele sogenannte Ausländerfreunde das ausländerfeindliche Vorurteil nur mit einem anderen Vorzeichen versehen«. An Belegen mangelt es nicht.

»Deutschland, halt''s Maul«, »Ausländer, laßt uns mit den Deutschen nicht allein«, »Ausländer rein, Rheinländer raus« - das sind gängige Slogans auf linken Demonstrationen gegen Ausländerfeindlichkeit. Eine Anti-Fremdenhaß-Demo am 3. Oktober in Hamburg (4000 Teilnehmer) widmete dem Jahrestag der deutschen Vereinigung das Motto: »Wenigstens ein Deutschland weniger.«

Eine griesgrämige, fette, alte Deutsche und ein griesgrämiger, fetter, alter Deutscher, daneben freundlich lachende fremdländische Kinder - solche Bilder illustrieren ein Faltblatt, auf dem die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen eine soeben ins Leben gerufene »Initiative gastfreundliches Deutschland« vorstellt.

Dumpfe Deutsche, 18 an der Zahl, allesamt mit einem Brett vor dem Kopf, neben netten Fremden mit Turban, die vergebens versuchen, den teutonischen Fieslingen die Hand zu guter Nachbarschaft zu reichen - solche Zeichnungen zieren eine Broschüre ("Miteinander leben in Berlin"), mit der Barbara John, die Ausländerbeauftragte des CDU/ FDP-Senats, im Volk für mehr Fremdenfreundlichkeit werben will.

Häßliche deutsche Unmenschen gegen edle Fremdlinge, Inländerfeindlichkeit als Antidot gegen Ausländerfeindlichkeit - nach diesem Rezept verfahren derzeit auch die sogenannten Zeitgeist-Magazine.

Der Wiener, ein buntes Monatsblatt für den Multikulti-Yuppie, schickte eine Reporterin in das »Herz der Finsternis« zu Fremdenfeinden in einer Frankfurter Trinkhalle. Dort entdeckte sie »hessische _(* Werbung für einen Hamburger ) _(T-Shirt-Versand. ) Schweinsäuglein«, die »ganz unverfroren« auf Türken glotzten: »Wo aufgedunsene Fleischwülste sich an Henninger-Flaschen klammern und beim Rülpsen Essensreste von sich geben, da sind deutsche Dummheit und Ignoranz nicht weit.«

Das Konkurrenzblatt Tempo ließ Mitarbeiter ins pfälzische Haßloch ausschwärmen, eine »deutsche Durchschnittsstadt«, wo »die Deutschen unter sich« sind. Die Reporter ("O Gott!") fanden nur Gräßliches in »Deutschtown": »Bodenständige Männer, die graue Socken und karierte Hemden trugen und mit den Fingern zwischen den Zähnen nach Fleischresten pulten. Sie rauchten Ernte 23, tranken Bier und hatten Sandalen an ihren Füßen.« Fazit des Artikels: »Haßloch ist überall.«

Um dieses »Dumm Dumm Deutschland« (Tempo) zu verändern und »um unsere schweinsgesichtige Teutonengesellschaft durch ein paar Benetton-Neger etwas bunter zu machen«, hat das Blatt ("Hereinspaziert") eine Aktion »Ausländer her« gestartet - Ziel: »20, 30 Prozent Ausländeranteil« in der Bundesrepublik, gerade genug, »um den nur schwer zügelbaren deutschen Mob davon abzuhalten, auf eine kleine Minderheit einzuprügeln«.

Als Nebeneffekt eines so hohen Ausländeranteils ergebe sich, hofft Tempo, daß »das Pflaster in Frankfurt ebenso heiß wie das in New York« wird - »wunderbar!« Um diesem Ziel näherzukommen, veranstaltet die Redaktion ein Preisausschreiben, bei dem es unter anderem »Parolen für das multikulturelle Miteinander« zu texten gilt ("Möglichst lustig! . . . Etwa: Wir mögen Negerküsse"). Dazu werden Abertausende von Aufklebern gedruckt ("Wir sind alle Planetarier") und Platten gepreßt - Titel: »No more ugly Germans«, die »Antwort des Dancefloors auf Ausländerfeindlichkeit und Rassismus«.

So wie diese Antirassisten dem »Ausländer raus« der Rassisten nichts anderes als ein spiegelverkehrtes »Ausländer her« entgegenzusetzen haben, so reagieren sie auch auf den rechtsradikalen Ruf »Deutschland den Deutschen": »Offene Grenzen für alle Flüchtlinge«, fordert die Ex-Grüne Jutta Ditfurth. »Jeder Pole, Russe, Jude, Franzose, Schwarzafrikaner usw. hat genausoviel Recht, ,auf deutschem Boden'' . . . zu leben wie irgendein Deutscher - wenn nicht sogar mehr«, wegen der »deutschen Vergangenheit«, schrieb der Autor Wiglaf Droste in Titanic. Keine Satire: _____« Wenn so ca. 100 Millionen Asylanten, egal wie arm, » _____« krank und kriminell sie immer sein mögen, aufgenommen und » _____« gleichwertig und anständig behandelt worden sind, dann » _____« darf an einem Kneipentisch ein Besoffener einmal leise » _____« seine Überfremdungsbeschwerden führen - aber keinen Tag » _____« eher. » _____« Die Deutschland-den-Deutschen!-Deutschen . . . haben den » _____« Rand zu halten und sich nicht zu mopsen. Tun sie es doch, » _____« gehören sie - ja doch! - deportiert, an den dunkelsten, » _____« kältesten und elendesten Ort, der sich in diesem » _____« Universum finden läßt. Dort dürfen sie dann in der » _____« Scheiße, die sie im Kopf haben, ersaufen. »

Bei der Verschleppung von Andersdenkenden soll es nicht bleiben. Aus Drostes Sicht können sich auch die Mitglieder von militanten »Antifa«-Gruppen »durchaus nützlich« machen - indem sie »dann und wann dem einen oder anderen auf Mord und Totschlag sinnenden Nazi die Luft rauslassen bzw. das Lebenslicht auspusten«.

An mörderischen Phantasien, wie mit deutschen Fremdenfeinden umzugehen sei, konnten letzten Monat auch die Leser von Konkret teilhaben. Unter der Überschrift »Waffen für Hoyerswerda« sinniert ein Autor: _____« Was geschähe wohl, würde eine Bande rechtsradikaler » _____« Totschläger mal in einen Hinterhalt gelockt und ein paar » _____« von ihnen blieben auf der Strecke? Müßige Spekulationen, » _____« zugegeben, aber so müßig wieder nicht. » _____« Daß es ein Fehler war, im Jahr 1938 die Synagogen » _____« niederzubrennen, jüdische Geschäfte zu zerstören, die » _____« Juden durch die Straßen zu hetzen und zu erschlagen, » _____« begriffen die Landsleute erst, als ihre eigenen Städte » _____« wie die niedergebrannten Synagogen aussahen und sie » _____« selber auf der Flucht waren. » _____« Es wäre lehrreich für die Deutschen, die fühlen müssen, » _____« da sie nicht hören mögen, und es wäre ein Triumph der » _____« Gerechtigkeit obendrein, würde das ausländerfreie » _(* Oben: Ausriß aus einem Faltblatt der ) _(SPD-Frauen-Arbeitsgemeinschaft; unten: ) _(aus einer Broschüre der Berliner ) _(Ausländerbeauftragten. ) Hoyerswerda bald den mit Brandsätzen und Stahlkugeln attackierten Ausländerwohnheimen dort gleichen und die Einheimischen müßten fliehen von dort, wie die Ausländer fließen mußten.

Die Ansicht, gewalttätigen Fremdenfeinden müsse mit deren Mitteln heimgezahlt werden, scheint linksdraußen mittlerweile ziemlich weit verbreitet.

Nachdem im November 1990 der Türke Ayhan Öztürk in Berlin-Kreuzberg den Republikaner Rene Gruber erstochen hatte, tauchten Buttons mit dem Text »Ayhan did the right thing« auf. Und seit Monaten kursiert in der Szene ein Cartoon ("Gib Nazis keine Chance"), in dem ein Antifa-Kämpfer einem Neonazi den Grußarm abtrennt - mit einer Kettensäge, »Schnittgeschwindigkeit: 9 Nazis/sec«.

Vor allem in und um Berlin, wo sich blutige Zusammenstöße zwischen deutschen und ausländischen Straßenbanden häufen, finden sich an Häuserwänden militante Spray-Parolen: »Haut die Glatzen, bis sie platzen.« Oder, ganz neu: »Advent, Advent, ein Skinhead brennt. Erst ein Arm und dann ein Bein und dann das ganze Nazischwein.«

Ob die Haßparolen der Skin-Gegner und die »Hereinspaziert«-Thesen der Schickimicki-Bilderblätter die Fremdenfeindlichkeit in Deutschland wirklich abbauen helfen, steht dahin. Die blutrünstigen Spray-Sprüche, so ist zu befürchten, führen eher dazu, daß Rechte fortan noch skrupelloser prügeln, daß die Extreme einander weiter hochschaukeln. Und auch die Forderungen nach grenzenlosem Zuzug sind wohl nur geeignet, absurde rechte Überfremdungsneurosen zu nähren.

Die Tempo-Aktionisten stießen selbst bei ihrem eigenen Publikum auf geteilte Meinungen. Ein Leser erkannte, die pauschale Verurteilung aller Inländer als Dumpfköpfe a la Haßloch sei auch »nicht intelligenter als die These, alle Ausländer würden stinken«.

Moralische Appelle wiederum, die alle Alltagsprobleme im Umgang mit Zuwanderern schlicht unterschlagen, provozieren offenbar vorwiegend Trotzreaktionen. So wünschte ein Tempo-Leserbriefschreiber dem Autor des »Ausländer rein«-Appells, Matthias Horx, »daß türkische Dealer seine Tochter süchtig machen, jugoslawische Einbrecher seine Komfortwohnung leer räumen, polnische Mitbürger seinen Porsche hinter den Ural verbringen«. Prognose des Lesers: »Danach wird Horx in Haßloch um Asyl nachsuchen« - da, wo die Leute Fleischreste aus den Zähnen pulen.

Gerade bei solchen Deutschen, auf die der Freundschaftsfeldzug zielt, stoße auch die »oberflächliche Ausländersentimentalität« jener TV-Spots ins Leere, die für mehr Solidarität mit politisch Verfolgten werben, gibt die linksliberale Hamburger Rundschau zu bedenken. »Anti-Ausländer-Hardliner«, so das Blatt, »akzeptieren die Voraussetzung nicht, daß Asylsuchende wirklich von zu Hause weg müssen«; sie sähen bei den Immigranten vor allem wirtschaftliche Motive.

Ein Großteil der Adressaten der Multikulti-Propaganda wehrt sich vehement dagegen, als Angehörige eines Volkes von lauter Ausländerfeinden hingestellt zu werden: Schließlich hätten die meisten Deutschen doch gar nichts gegen türkische Gastarbeiter, japanische Studenten oder italienische Gastwirte. Sehr wohl aber seien sie gegen illegale Immigration und ungeregelten Massenzuzug - so wie nahezu alle US-Amerikaner und Australier, Briten und Schweden, die deshalb ja auch nicht als Fremdenhasser und Faschisten hingestellt würden.

Wenig Eindruck macht bei der rechten Zielgruppe der Kampagne auch das von konservativen Linken gern bemühte Argument, Deutschland müsse, wegen seiner kolonialistischen Verstrickungen, allen Wirtschaftsflüchtlingen aus Afrika und Asien großzügig Asyl bieten. Schließlich spiegele sich »in jedem sogenannten Wirtschaftsflüchtling eine verfehlte, ausbeuterische Wirtschaftspolitik des Nordens gegenüber dem Süden wider«, doziert etwa der Gießener Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter.

Doch solche Argumente führen in die Irre: Das Gros der Zuwanderer kommt zur Zeit keineswegs aus dem von Neokolonialisten ausgebeuteten Süden, sondern aus dem Osten - für dessen verfehlte Wirtschaftspolitik am allerwenigsten westliche Kapitalisten verantwortlich gemacht werden können.

Geradezu kontraproduktiv scheint bei den rechten Adressaten der Kampagne der Hinweis zu wirken, Deutschland müsse wegen seiner NS-Vergangenheit nicht nur politisch Verfolgte aufnehmen, sondern auch mehr Elendsflüchtlinge als andere Länder. Dieses Argument wird keineswegs nur von unbelehrbaren Nazis zurückgewiesen, sondern zum Beispiel auch von der jüdischen Bestseller-Autorin Salcia Landmann.

Die Verbrechen der NS-Zeit, wundert sie sich, wolle man »in einem kollektiven Reueschub dadurch abbüßen, daß man jetzt Millionen von Zuzüglern aus buchstäblich der ganzen Welt mit Milliardenbeträgen aus der Tasche des Steuerzahlers lebenslang Pensionen gewährt, und zwar oft genug zu besseren Konditionen, als sie der bescheidene einheimische Rentner, der lebenslang Beiträge gezahlt hat, je erhoffen kann«.

Eine »Massenpsychose« habe bewirkt, glaubt Salcia Landmann, daß einem Deutschen »jede Weigerung, Millionenheere einströmen zu lassen«, sofort als »nazistischer Rassismus« ausgelegt werde - »als ob das eine mit dem anderen auch nur das mindeste zu tun hätte«. Die Deutschen, schreibt die in der Schweiz lebende Autorin, seien in Wahrheit keineswegs rassistischer als Angehöriger anderer Völker.

In der Tat: Fremdenfeindlichkeit, bestätigt ein soeben veröffentlichtes Memorandum des berühmten Frankfurter Instituts für Sozialforschung, in dem einst Max Horkheimer und Herbert Marcuse, Theodor Adorno und Jürgen Habermas forschten, sei »weder ein spezifisch deutsches noch ein neuartiges Phänomen«. Und »offene Gewaltbereitschaft gegen Fremde« sei, in der deutschen Gesellschaft »wie in den meisten ihrer Nachbargesellschaften«, »nur bei einer kleinen Minderheit rechtsextremer Jugendlicher aus dem Unterschichtsmilieu zu finden«.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der Bremer Sozialpsychologe Gerhard Vinnai: »Militante Ausländerfeinde finden sich zur Zeit vorwiegend unter männlichen Jugendlichen, die als Pubertierende besondere Schwierigkeiten mit dem anderen Geschlecht haben und zugleich zu einer Überbetonung einer fragwürdigen Männlichkeit tendieren.«

»Untersuchungen über ,autoritätsgebundene Charaktere'', die zum Totalitären tendieren, zeigen eine Verbindung von unterschwellig angstbesetzter Frauenfeindlichkeit und ,ethnozentrischen'' Einstellungen«, resümiert Vinnai. Auch im abgelehnten Fremden sähen diese jungen Männer »meist ,feminine'' Züge wie Gefühlsbetontheit, Mangel an Selbstdisziplin oder eine verführerische Sinnlichkeit«.

Die jungen Unterschicht-Deutschen leben überwiegend in Stadtteilen, in denen die Sexualökonomie schwer gestört ist: Beim Werben um gleichaltrige deutsche Mädchen konkurrieren sie mit einer Überzahl junger Türken, deren gut behütete Schwestern nicht einmal ins Schwimmbad, geschweige denn in die Disco dürfen.

Exakt auf diese massiv gefährdete (und gefährliche) Minderheit unter den jungen Prolos, die sich »rechtsradikaler Symbole oft nur ihres Provokationswertes wegen bedient« (Institut für Sozialforschung), müßte mithin die Anti-Pogrom-Kampagne zielen. Doch gerade dieser harte Kern, so Werner Gaede, Professor für Werbekommunikation, werde sich von den Spots und Slogan-Plakaten »nicht so leicht bekehren lassen«.

Schlimmer noch: Durch verfehlte Reaktionen von Werbestrategen und Lehrern, Sozialarbeitern und Politikern könnte gerade diese sensible Zielgruppe weiter in die Isolation und damit in die Brutalität getrieben werden.

Die deutschen Unterschicht-Jugendlichen, viele ohne Beruf, ohne Schulabschluß und ohne Fremdsprachenkenntnisse, leben vielfach in denselben tristen Hochhaus- und Sanierungsgegenden, die auch die allerhöchsten Ausländeranteile verzeichnen. Ihre (oft zerrütteten) Familien konkurrieren mit den Sippen der Zugezogenen hart um Billigwohnungen und um Billigarbeitsplätze.

In diesen wahrhaft multikulturellen Vierteln, in denen kaum ein linker Lehrer, Werbeexperte oder Journalist wohnen mag und wo deutsche Kinder in vielen Hauptschulklassen mittlerweile in der Minderheit sind, muß die soziale und psychische Hauptlast der Massen-Immigration getragen werden. Deutsche Jugendliche, die gegen »Überfremdung« solcher Viertel anstänkern, sehen sich von Pädagogen rasch als Neonazis ausgegrenzt; selbst Jugendzentren erteilen ihnen Hausverbot.

»Die Polizei ist die einzige Institution, die noch mit den Skins spricht«, berichtet Carsten Müller, Jugendbeauftragter der Hamburger Polizeidirektion Süd, über die Problemviertel der Stadt. Auch anderswo widmen sich Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter lieber der Vorbereitung schicker lateinamerikanischer Folkloreabende in Stadtteil-Kulturläden als der mühsamen Arbeit mit den pubertierenden Unterschicht-Jungs, die an der Jacke den Aufnäher »Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein« tragen und die zum Verdruß der Pädagogen »keinen Bock« auf Töpfern oder Makramee-Arbeiten haben.

Vorbei sind die Zeiten, als, in den siebziger Jahren, linke Jung-Pädagogen noch um die Gunst der Randständigen buhlten, die damals noch als revolutionäres Potential galten. Seit die roten Träume zerstoben sind, bilden deutsche Unterschicht-Jugendliche eine vergessene Generation, eine Gruppe ohne Lobby.

»Normale Prolos sind megaout, die kommen nicht einmal in der Lindenstraße vor«, klagte Ernie Hellmann, Straßensozialarbeiter in der Hamburger Plattenbau-Siedlung Großlohe, gegenüber der taz. Es sei kaum ein Zufall, daß heutzutage die arroganten Mantafahrer-Witze Konjunktur hätten, mit denen der Zeitgeist die Verlierertypen erniedrigt und beleidigt. Mit den Unterschichtlern, klagt Hellmann, wollten auch SPD-Politiker »nichts mehr zu tun haben, seit sie den Weg raus aus den Arbeitervierteln, rein in die Kunsthallen hinter sich gebracht haben«.

Wenn die Medien den abgeschriebenen Jugendlichen stets das Bild des »guten Ausländers« vorhielten, der von den »bösen Deutschen« diskriminiert werde, seien viele von solchem »positiven Rassismus« überfordert, analysieren die Berliner Autoren Klaus Farin und Eberhard Seiden-Pielen. »Einseitig« hätten Politiker und Pädagogen von jungen Deutschen »Verständnis für die kulturellen Eigenarten und Besonderheiten ihrer türkischen Nachbarn eingefordert, ohne dieselben Forderungen auch an die andere Adresse zu richten«.

»In ganz Hamburg«, beklagen die beiden Buchautoren ("Krieg in den Städten"), »gibt es keinen einzigen Sozialpädagogen, der mit Glatzen arbeitet. Also gibt es auch keine Jugendhäuser, keine nichtkommerziellen Treffpunkte, keine Beratung bei individuellen Notlagen, keine Deeskalationsversuche.« Dieses Vakuum füllten rechte Organisationen: »Sie stellen den Kids Freiräume zur Verfügung, wo sie ihre Musik hören können und nicht gleich aufgrund des Outfits angemacht werden.«

Geradezu verhöhnt fühlt sich manch ein deutscher Hauptschüler, der in einem Viertel mit hohem Türkenanteil wohnt, durch Slogans wie »Alle Menschen sind Ausländer. Fast überall«. »Klar ist das so«, sagt ein 16jähriger Hamburger, »genau darum will ich doch einen Platz auf der Welt haben, wo ich als Deutscher kein Ausländer bin.«

Viele rechte Jugendliche, denen in der laufenden Werbekampagne rassistische Vorurteile gegenüber Ausländern vorgeworfen werden, spüren sehr genau, daß die Wahrheit komplexer ist. Das gab Mitte des Monats, bei einem Rassismus-Kongreß in Mainz, auch der in Utrecht lehrende Psychologe und Kommunikationswissenschaftler Jo Groebel zu bedenken. »Jeder«, mahnte Groebel, »hat Vorurteile. Wenn nicht gegen Ausländer, dann gegen die Deutschen, die was gegen Ausländer haben.«

Völlig falsch sei es, meint der Gütersloher Sozialpsychiater Klaus Dörner, wenn sich die Massenmedien über den ausländerfeindlichen Teil der Bevölkerung ständig »moralisch empört« zeigten. Richtiger wäre, »man würde konstatieren, daß es völlig normal ist, wenn man gegenüber etwas Fremdem Angst hat«. Nur wer sich in seiner Ängstlichkeit akzeptiert sehe, könne in produktive Dialoge einbezogen werden.

Auch der Hamburger Psychologie-Professor Reinhard Tausch hält es für »natürlich«, daß die Aufnahme Hunderttausender von Einwanderern zu »Streßreaktionen« gerade bei denen führe, die in der Nähe von Immigranten-Zusammenballungen leben und selber keine angemessene Wohnung finden. Tausch: »Diese Reaktion Ausländerhaß zu nennen heißt, die Realität nicht wahrzunehmen.«

Zutiefst skeptisch über die gängige Pro-Ausländer-Propaganda, die viele Probleme verkleistert, äußert sich auch der Bielefelder Rechtsextremismus-Forscher Wilhelm Heitmeer. Verlassen werden müßten nicht nur die »Schützengräben von menschenverachtender Fremdenfeindlichkeit«, fordert er, Abschied zu nehmen gelte es auch von »menschenüberfordernder Fremdenfreundlichkeit, die das Bild vom fehlerfreien Fremden transportiert«. Dieses Zerrbild, weiß Heitmeer, widerspreche »jeglicher Alltagserfahrung«.

Die wenigen Sozialarbeiter mit Skinhead-Kontakten fordern, den Opfern der deutschen Zweidrittel-Gesellschaft müsse das Gefühl genommen werden, daß die Politik sie abgeschrieben habe. »Kein Politiker interessiert sich für unsere Probleme«, klagten rechte Halbwüchsige letzten Monat bei einem Gesprächsabend in Zittau, »aber wenn es knallt, dann kommen sie, wie in Hoyerswerda.«

Allmählich schwant auch Linken, daß etwas dran sein könnte an einem umstrittenen Wort des sozialdemokratischen Ex-Kanzlers Helmut Schmidt: »Die deutschen linken Intellektuellen, die zum Teil ihr eigenes Volk nicht lieben können und nicht leiden mögen, irren sich, wenn sie glauben, weil sie selbst auf die Nation verzichten können, sollten auch die übrigen 98 Prozent des deutschen Volkes darauf verzichten.«

Die Frankfurter Rundschau (FR), Leibblatt deutscher Linker, berichtete in der Adventszeit über die Erfahrungen eines Pfarrers, der das Wagnis auf sich genommen hatte, Skinheads zu einem Dialog einzuladen. Mit Bomberjacken und Springerstiefeln erschienen die Verfemten in seinem Wohnzimmer.

Verblüffende Erkenntnis: Viele besuchen Schulen mit 70 oder 80 Prozent Fremdenanteil und waren oder sind wie der 17jährige Udo »Objekt der Gewalt jugendlicher Ausländer: Der Rekord an blauen Flecken, die er einen Arzt zählen ließ, steht bei 82«. Udo: »Das einzige, was dich am Leben hält, ist der Haß.«

Und die Vaterlandsliebe. Die rechten Jugendlichen berichteten dem Pfarrer, sie seien »erzogen worden, daß ich Scheiße bin als Deutscher«, während die ausländischen Mitschüler selbstverständlich stolz darauf gewesen seien, Türke oder Italiener zu sein.

Von solcher Demütigung von Unterschicht-Deutschen führe, urteilte die FR, »offenbar die mentale Trotzreaktion pfeilgerade zu einer extremen Überbetonung der eigenen nationalen Identität« - ein Phänomen, das Jugendwissenschaftler auch bei Absolventen von DDR-Schulen ausgemacht und auf die Formel gebracht haben: »Zuviel Rotlicht macht braun.«

Die noch immer demonstrativ zur Schau getragene Inländerfeindlichkeit deutscher Linker geht offenbar zunehmend auch Ausländern auf die Nerven. Als die taz Anfang letzten Monats einen Tag lang Ausländerinnen und Ausländern anbot, in Eigenregie das Blatt zu füllen, setzte die Gastredaktion ein paar goldene Regeln gleich auf die Titelseite.

»Wenn du einen ,Ausländer'' triffst«, hieß es da an die Adresse der deutschen Leser, *___"erwähne nicht sofort deine ausländischen Freunde oder ____ausländischen Kollegen, um zu beweisen, daß du ____,ausländerfreundlich'' bist, *___"bilde dir nicht ein, daß er es kaum erwarten kann, ____über Rassismus mit dir zu sprechen, *___"erwarte nicht, daß er ausflippt vor Entzücken, wenn du ____das Wort ,multikulturell'' erwähnst.«

Vor allem aber, rieten die Ausländer dem linken Leser, »sag nicht, daß du dich schämst, ein Deutscher zu sein«.

Denn: »Das wirkt blöd.«

* Werbung für einen Hamburger T-Shirt-Versand.* Oben: Ausriß aus einem Faltblatt derSPD-Frauen-Arbeitsgemeinschaft; unten: aus einer Broschüre derBerliner Ausländerbeauftragten.

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