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»JEDES KIND WEISS, VON WEM ICH SPRECHE«

aus DER SPIEGEL 44/1965

SPIEGEL: Paternität, Sie haben auf dem Konzil zu einer »weltweiten Aktion« der katholischen Kirche gegen den Atheismus aufgerufen und sind daraufhin, vor allem in der amerikanischen Presse, scharf kritisiert worden. Sind Sie über diese negative Resonanz beunruhigt?

ARRUPE: Die Resonanz auf das, was ich im Konzil zur Frage des Atheismus sagen durfte, war nicht nur negativ und darf nicht nur aus einem Teil der Pressestimmen beurteilt werden. Beunruhigt haben mich einige Mißverständnisse meiner Worte, und ich bin gern bereit, dazu beizutragen, daß sie zerstreut werden.

SPIEGEL: Ihre Rede ist auch hier in Rom von Konzilsvätern und Theologen als »unglücklich« bezeichnet worden. Ein Konzilstheologe sagte uns, er habe zwei Worte bei Ihnen vermißt: das vom »Dialog«, der laut Paul VI. mit allen Menschen geführt werden soll, und das von der »Liebe«, die - so ebenfalls Paul VI. - die Katholiken »zu den Menschen von heute, wer immer und wo immer sie sind, zu allen« empfinden sollen.

ARRUPE: Das Wort »Dialog« steht zwar nicht in meinem Konzilsbeitrag - nicht alle, die es gebrauchen, gebrauchen es in dem weiten Sinn von Paul VI., zu dem ich mich oft genug öffentlich bekannte. In der Sache steht es durchaus darin. Die wesentlich christliche Auseinandersetzung mit dem Atheismus ist nicht der Dialog des wissenschaftlichen Streitgesprächs oder die Debatte über den Atheismus, sondern der gelebte Glaube an Gott, der lauter und lebendiger spricht. Darauf ruht der Akzent meiner Worte.

SPIEGEL: Und das zweite Wort ...

ARRUPE: Wenn ich sage, daß wir nur den Gekreuzigten verkünden sollen, wie kann man sagen, daß die Liebe fehlt? Ich habe sie außerdem mehrfach ausdrücklich erwähnt, und sie war mein letztes Wort.

SPIEGEL: Auf jeden Fall wurde die Auffassung, die Sie von der nichtchristlichen Gesellschaft haben, vielfach als zu negativ empfunden. Der Jesuit und Konzilstheologe Karl Rahner hat einmal gesagt, es seien »theologisch falsche Propagandaplatten«, wenn behauptet werde, »daß überall dort, wo nicht die Kirche und der Klerus herrscht, nur Zersetzung und Untergang sein könne«.

ARRUPE: Ich habe nicht von der nichtchristlichen Gesellschaft, sondern von der Gesellschaft ohne Gott gesprochen. Das Wort von Pater Rahner trifft mich also nicht. Ich habe in meinem Leben in den verschiedensten Teilen der Welt genug Menschen getroffen, die, ohne »von der Kirche oder vom Klerus beherrscht« zu sein, keineswegs von »Zersetzung und Untergang geprägt« waren. Auch bei der Gesellschaft ohne Gott habe ich Unterschiede gemacht. Die Texte, auf die sich die Polemik beruft, beziehen sich auf den kämpferischen Atheismus.

SPIEGEL: Sie erklärten in der Konzils - Aula, Atheisten hätten eine »fast absolute Herrschaft in den internationalen Organisationen«. In aller Welt hat man sich gefragt, ob damit auch die Vereinten Nationen gemeint waren - die größte internationale Organisation, die der Papst wenige Tage später in New York besuchte.

ARRUPE: Das ist ein Irrtum. Ich habe gesagt, daß eine bestimmte Form des Atheismus - jeder weiß, wen ich meine

- über eine wissenschaftlich und technisch gut ausgearbeitete, weltweite Strategie verfügt; sie bedient sich kultureller, sozialer und wirtschaftlicher Mittel, internationaler Organisationen, indem sie eine absolute Herrschaft ausübt, moderner Massenmedien. Es ist barer Unsinn, zu fragen, ob ich damit die Vereinten Nationen gemeint habe.

SPIEGEL: Welche internationalen Organisationen hatten Sie denn im Auge?

ARRUPE: Brauche ich das zu beantworten? Jedes Kind weiß, von wem ich spreche, wenn ich von internationalen Organisationen spreche, die von einem bewußten Atheismus beherrscht sind.

SPIEGEL: Da sind wir nicht so sicher. Paternität, es gibt zweifellos viele Formen des »Atheismus«, wenn wir den Unglauben so nennen dürfen. Wie kann es dann aber - wir zitieren Ihre Intervention - eine einheitliche perfekt ausgearbeitete Strategie« des Atheismus geben?

ARRUPE: Sie zitieren zwar meine Intervention - aber Sie zitieren sie falsch. Ich sprach von der »perfekt ausgearbeiteten Strategie« nicht »des« Atheismus, sondern eines Teils desselben, einer besonders militanten Schicht. Wollen Sie leugnen, daß es sie gibt?

SPIEGEL: Wer sind die »verantwortlichen Mitglieder« einer »neuen atheistischen Gesellschaft«, von denen Sie sprachen?

ARRUPE: Von den »verantwortlichen Mitgliedern« der neuen atheistischen Gesellschaft habe ich kein Wort gesagt - ich vermute eine Fehlübersetzung meines Wortes über »sehr bewußte Mitglieder« derselben.

SPIEGEL: Sollen die Katholiken allein den Kampf gegen den Atheismus führen?

ARRUPE: Ich habe in meinem Konzilswort ausdrücklich zur Solidarität aller an Gott Glaubenden aufgefordert, ausdrücklich, auch wenn sie nicht Christen sind. Ich habe gesagt, daß diese Solidarität auch die Christen einander näher führen kann.

SPIEGEL: Die von Ihnen geforderte Weltaktion erfordert, wie Sie sagten, »einen mystischen kollektiven Tod; den Verzicht auf jeden Partikularismus ...« Wie ist das zu verstehen?

ARRUPE: Die Aktion der Kirche leidet vielfach unter der Zersplitterung der Kräfte. Soll sie überwunden werden, dann in einer Disziplin, die das Sonderinteresse dem allgemeinen Wohl zu opfern bereit ist. Für den Christen ist dieses Opfer - nicht nur von einzelnen, sondern von Bistümern und Ordensfamilien gebracht - In ihrer geheimnisvollen Verbundenheit mit dem Tode Christi zu sehen. Das war der Sinn meiner Worte.

SPIEGEL: Der Papst selber, so haben Sie angeregt, solle die Weltaktion gegen den Atheismus leiten. Dürfen wir fragen, ob Sie dem Heiligen Vater diesen Vorschlag vorher unterbreitet haben?

ARRUPE: Wer, wenn es sich um die weltweite Aktion der Kirche gegenüber dem Atheismus handelt - davon war die Rede: Bischöfe, Orden und dergleichen -, sollte diese Aktion leiten außer dem Papst? Es geht nicht um »eine« Aktion, sondern um »die« Aktion der Kirche, von der im Konzilstext die Rede sein mußte, wollen wir - was ich forderte - von der Theorie zum Handeln kommen.

SPIEGEL: Paul VI. hat schon am 7. Mai die »Gesellschaft Jesu« zum Kampf gegen den Atheismus aufgerufen. Ihr Orden widmet sich diesem Kampf also bereits. Was wird sich denn nun künftig im Kampf der Jesuiten ändern, und welche »radikaleren ... wirklich wirksamen Mittel«, die die Kirche »bisher noch nicht gefunden hat« - wir zitieren aus Ihrer Intervention -, gedenken Sie anzuwenden?

ARRUPE: Ich habe doch wohl gesagt, daß die Antwort auf die Frage nach radikaleren, wirklich wirksamen Mitteln« ein eingehendes Studium fordert. Unser Orden ist davon nicht ausgenommen. Der Auftrag des Papstes bedingt auch bei uns eingehende Überlegungen, wo wir in der weltweiten Auseinandersetzung der Kirche mit dem Atheismus als Orden stehen können und sollen.

SPIEGEL: Auf der Generalkongregation Ihres Ordens haben Sie gesagt, die Schlacht, die heute gegen den wahren Glauben geführt werde, sei härter als zur Zeit des heiligen Ignatius von Loyola, also zur Zeit der Gegenreformation. Können Sie uns diesen Satz erläutern?

ARRUPE: Der Kampf im 16. Jahrhundert war eine Auseinandersetzung unter Menschen, die gemeinsame christliche Grundüberzeugungen hatten. Diese Gemeinsamkeit fehlt doch beim Kampf mit dem Atheismus.

SPIEGEL: Immerhin haben die Jesuiten damals schärfste Waffen gutgeheißen. Der Gründer Ihres Ordens hat in einem Brief an Petrus Canisius als Maßnahmen der katholischen Fürsten gegen häretische Untertanen deren Enteignung und Vertreibung empfohlen, ja sogar die Todesstrafe für sie gefordert. Welche Waffen haben die Jesuiten heute im Kampf gegen den Atheismus?

ARRUPE: Über die Waffen in dieser Auseinandersetzung habe ich im Konzil klar gesprochen. Sie müssen dem Evangelium entsprechen. Was dem Evangelium entspricht - darüber hat man im 16. Jahrhundert etwas anders gedacht als heute. Unsere stärkste Waffe ist der lebendige Glaube; die Lebendigkeit desselben erweist sich vor allem im Willen zur Wahrheit, zur Freiheit und zur Brüderlichkeit.

SPIEGEL: Papst Paul VI. hat wiederholt zum »Dialog mit der Welt« aufgerufen. Dürfen die Jesuiten diesen Dialog mit jedem führen, oder ist er an bestimmte Voraussetzungen gebunden? In Ihrem Orden gibt es ja unterschiedliche Auffassungen über die Frage, ob Jesuiten den Dialog auch mit den Kommunisten führen sollen. Die römische Jesuiten-Zeitschrift »Civiltà Cattolica« hat ihn jüngst strikt abgelehnt; Karl Rahner und andere Ordensmitglieder haben dagegen in Salzburg eine Tagung mit kommunistischen Ideologen abgehalten.

ARRUPE: Den existentiellen Dialog, das Zeugnis gelebten Glaubens, schulden wir allen. Der Dialog im natürlichen Wortsinn ist an Voraussetzungen geknüpft. Ob sie gegeben sind oder nicht, darüber wird nach Ort und Zeit verschieden zu urteilen sein. Darüber sind auch Meinungsverschiedenheiten möglich - auch unter Jesuiten.

SPIEGEL: Sie haben jahrzehntelang in Japan gewirkt. Ist die Arbeit der Jesuiten in Japan beispielhaft für die Art, wie der Kampf gegen den Atheismus geführt werden soll?

ARRUPE: Ich habe in Japan keinen direkten Kampf gegen den Atheismus geführt. Ich war Missionar und habe mich bemüht, unseren Glauben zu bezeugen im Leben und Wort. Dieses Zeugnis muß überall situationsgerecht sein, und die Situationen sind verschieden; nicht in allem vielleicht, aber in vielem.

SPIEGEL: Zeigt nicht gerade das Beispiel Japan, daß der Kampf fast »aussichtslos« ist? Nach einem halben Jahrhundert Mission sind nur 0,3 Prozent der Japaner katholisch ...

ARRUPE: Das Ziel einer Mission kann nicht sein, in einer bestimmten Zeitspanne einen bestimmten Prozentsatz der Menschen katholisch zu machen.

SPIEGEL: Haben Sie in der Konzilsaula Ihre persönliche Meinung vorgetragen oder war es die offizielle Stimme des Ordens?

ARRUPE: Der Orden hat auf dem Konzil keine offizielle Stimme. Die Stimme, die soviel Federn in Bewegung brachte, war also meine eigene; eine unter mehr als zweitausend Stimmen.

SPIEGEL: Paternität, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Arrupe (r.) beim SPIEGEL-Gespräch in seinem römischen Amtssitz* Papst Paul VI. vor den Vereinten Nationen: »Die stärkste Waffe ...

... ist der lebendige Glaube": Papst Paul VI., Jesuiten*

* Mit SPIEGEL-Redakteur Dr. Günther Zacharias.

* Rechts neben dem Papst: Jesuitengeneral Arrupe.

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