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ADENAUER Jene zwanziger Jahre

aus DER SPIEGEL 3/1961

Das Oberlandesgericht Düsseldorf wird sich im Frühjahr mit einer Berufungsklage zu befassen haben, in der ein Dr. jur. Dr. phil. h. c. Fritz Blüthgen, wohnhaft in Berlin-Dahlem, den Nachweis erbringen will, daß die Vereinigten Glanzstoff-Fabriken AG (VGF) in Wuppertal-Elberfeld ihm - dem früheren Generaldirektor und Aufsichtsratsvorsitzenden des Unternehmens - eine Pension von monatlich 2500 Mark vorenthalte.

Eine Ersatzzahlung in Höhe von monatlich 1250 Mark, zu der sich die Glanzstoff-Werke am 8. Dezember 1953 auf dem Vergleichswege herbeigelassen hatten, will Kläger Blüthgen als Abfindung nicht länger akzeptieren, weil dieses Glanzstoff-Scherflein weniger als Ersatz für die von ihm geforderte Pension denn als Entgelt für eine Schuld gedacht sei, die der frühere Oberbürgermeister Kölns und heutige Bundeskanzler Adenauer bei dem ehemaligen Glanzstoff-Direktor abzutragen habe.

Blüthgen-Anwalt Dr. Lauterjung aus Solingen begründete die - von der Ersten Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal am 25. Oktober 1960 abgewiesene - Klage seines Mandanten so: Der Kläger betrachtet die Abmachung vom 8. Dezember 1953 »als Verpflichtung zur Zahlung eines Entgeltes für den Verzicht auf seine Forderung gegen Dr. Adenauer ... Die Zahlungen geschehen von der Beklagten (VGFS als Beauftragten Dr. Adenauers, also in dessen Interesse«.

Nun läßt sich in der Tat nicht bestreiten, daß die Zahlungen, die Glanzstoff-Direktor Dr. Ernst Hellmut Vits dem früheren Glanzstoff-Direktor Blüthgen am 8. Dezember 1953 zugestand, ehrenwerten patriotischen Zwekken dienten: Dem Bundesvolk, so lautete der Auftrag des Bankiers, Kanzlerfreundes und Glanzstoff-Aufsichtsratsvorsitzenden Hermann Josef Abs an Vergleichs-Unterhändler Vits, müsse jenes offizielle Kanzlerbild erhalten bleiben, das Adenauer als pater patriae, als sparsamen und allzeit vertauenswürdigen Haus- und Familienvorstand präsentiert. Blüthgens Forderungen an Adenauer aber hätten, einmal ruchbar geworden, den gegenteiligen Effekt.

Die Ansprüche, die Fritz Blüthgen gegen den Bundeskanzler geltend macht, stammen nämlich aus jenen turbulenten zwanziger Jahren, in denen der Oberbürgermeister von Köln und Präsident des preußischen Staatsrates Konrad Adenauer den Lockungen des Mammons nicht widerstehen konnte und mit Hilfe von Krediten spekulierte.

Kanzler Adenauer, der sich heute keine Gelegenheit entgehen läßt, das Bundesvolk an die christlichen Tugenden der Sparsamkeit und Bescheidenheit zu mahnen, hatte als reifer Fünfziger keine Bedenken, mit geliehenem Geld an der Börse zu spekulieren - eine Methode des Geldverdienens, die in gutbürgerlichen, allen Experimenten abgeneigten Kreisen seit jeher als verwerflich gilt. Adenauer im September 1960: »Es ist mir oft bang ums Herz, was aus dem deutschen Volk werden wird, wenn ihm nicht das Gefühl, immer mehr haben zu müssen, einmal genommen wird.«

Die Kredite, mit denen das Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank Konrad Adenauer Ende der zwanziger Jahre sein goldenes Glück machen wollte, wurden ihm vom Filialdirektor der Deutschen Bank in Köln, Dr. Anton Brüning**, eingeräumt. Wegen gewinnsüchtiger Untreue und Betrugs wurde Brüning 1934 zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Duzfreund Adenauer im Prozeß über Brüning: »Er hatte ein außerordentlich höfliches, zuvorkommendes und anscheinend sehr hilfsbereites Wesen.«

Zu seiner Kredit-Spekulation in Sachen Glanzstoff wurde Adenauer während eines Essens angeregt, zu dem die Stadt Köln am 13. Februar 1928 Honoratioren aus Politik und Wirtschaft ins Rathaus gebeten hatte. Einer jener Wirtschaftskapitäne, die sich an der städtischen Tafel labten, war jener Dr. Fritz Blüthgen, dessen Konterfei Ende der zwanziger Jahre häufig die Wirtschaftsseiten der Zeitungen zierte.

Dem damaligen Chef der Glanzstoff -Werke Wuppertal-Elberfeld war mit der Gründung einer amerikanischen Tochtergesellschaft - der American Glanzstoff Corporation - im Jahre 1927 nämlich ein Vorstoß auf den dollarträchtigen amerikanischen Markt geglückt, der reichen Dividendensegen versprach. Vom Kölner Oberbürgermeister und den versammelten Bankiers bedrängt, gab Blüthgen an diesem 13. Februar Einzelheiten über die amerikanische Kunstseiden-Tochter bekannt, die geeignet waren, die Begehrlichkeit der geladenen Börsen-Interessenten nach American-Glanzstoff-Aktien zu steigern.

Die Aussichten der amerikanischen Gesellschaft, deren Aktienmehrheit von der deutschen Glanzstoff AG gehalten wurde, schienen schon deshalb außergewöhnlich günstig, weil der Bedarf an Kunstseide jenseits des Atlantiks ebenso sprunghaft angestiegen war wie auf dem europäischen Kontinent.

Das Interesse, das Oberbürgermeister Adenauer am Erwerb amerikanischer Kunststoff-Beteiligungen bekundete, erklärt sich denn auch zum guten Teil aus der heimischen Kunstseide-Konjunktur: Bis in das Jahr 1929 hinein waren die Geschäfte der Glanzstoff immerhin so lukrativ, daß deutsche Glanzstoff-Aktien-Dividende für 1928: 16 Prozent - an der Börse zu dem für damalige Verhältnisse hohen Kurs von 500 gehandelt wurden.

Ende Dezember 1928 ließ Adenauer dann einige Geschäftsfreunde wissen, daß er - unter Aufnahme eines beträchtlichen Bankkredits - sein Depot bei der Deutschen Bank um American-Glanzstoff-Shares verstärkt habe. Im Frühjahr 1929 besaß Kölns Stadtvater schließlich 7000 American-Glanzstoff-Shares, die bei einem Durchschnittskurs von 100 Dollar je Aktie einen Wert von etwa 700 000 Dollar - damals rund drei Millionen Reichsmark - repräsentierten.

Die ersten Depressionsanzeichen in der Wallstreet konfrontierten den Kunstseide - Spekulanten Adenauer indes jäh mit einer ungedeckten Bankschuld, die er Ende April 1929 selbst auf rund 1,4 bis 1,5 Millionen Mark bezifferte: American Glanzstoff hatte 40 Prozent ihres Kurswertes eingebüßt.

Von der Deutschen Bank gedrängt, die Millionenschuld zu liquidieren, entsann sich Aktionär Adenauer seines Freundes Dr. Fritz Blüthgen, der sich ihm und der Stadt Köln schon beim Aufbau der Kölner Universität mit einem 200 000-Mark-Scheck aus seiner Privatschatulle erkenntlich gezeigt hatte - eine Spende, die dem stiftungsfreudigen Glanzstoff-Kapitän zur Würde eines Ehrendoktors der Philosophie verhalf. Blüthgen, schrieb Adenauer nach Elberfeld, möge ihn doch baldmöglichst im Rathaus zu Köln aufsuchen.

Blüthgen fuhr nach Köln, um den Bericht über die Notlage des prominenten Spekulanten entgegenzunehmen: Kein führender Wirtschaftsmann, so wurde dem Zellstoff-Veredler bedeutet, dürfe sich den Sorgen des Kölner Oberbürgermeisters verschließen. Konrad Adenauer sei nämlich nicht nur persönlich in Bedrängnis, es stehe bedeutend Schlimmeres auf dem Spiel: Falls die Sozialdemokraten von der Überschuldung des Zentrum-Oberbürgermeisters erführen, sei dessen Wiederwahl gefährdet.

Ende 1929 nämlich war die erste, auf zwölf Jahre bemessene Amtszeit Adenauers abgelaufen, und die Stadtverordneten schickten sich an, einen neuen Oberbürgermeister zu wählen. Nationalsozialisten, Kommunisten und Sozialdemokraten aber trachteten die Wiederwahl Adenauers mit dem Hinweis auf die chronische Mißwirtschaft der Stadtverwaltung zu verhindern: Köln war damals die höchstverschuldete Stadt in preußischen Landen.

Obschon kein Mitglied des Zentrums, mochte Dr. Fritz Blüthgen sich dem Appell an das gemeinsame Interesse, das deutsche Industrielle und Zentrum verband, nicht verschließen. Anfang Mai 1929 teilte Blüthgens Bank - H. van Peski & Co. zu Amsterdam- dem Oberbürgermeister von Köln schriftlich mit, daß auf Anweisung Dr. Fritz Blüthgens dem Depot Adenauers bei der Deutschen Bank in Köln ein Paket Glanzstoff-Aktien - Nennwert: 150 000 Reichsmark (Kurswert Mitte Mai 1929 rund 600 000 Mark) - leihweise überstellt würde. Adenauer wurde mit einer Mehrheit von nur einer Stimme ein zweites Mal zum Oberbürgermeister von Köln, gewählt.

Daß die rettende Aktien-Transaktion kein Geschenk darstellen sollte, bestätigte Dr. Fritz Blüthgen der Firma H. van Peski und Co., Amsterdam, Kaisersgracht 604, in einem vom 7. Mai 1929 datierten Brief, der 1940 beim Einmarsch deutscher Truppen in Holland erbeutet wurde.

Schrieb Blüthgen: »Verabredungsgemäß bestätige ich Ihnen nochmals, daß diese leihweise Zurverfügungstellung ... so lange dauern soll, bis die augenblickliche Baisse in unseren amerikanischen Kunstseidenwerten im wesentlichen überwunden ist und sich eine Besserung der Kurse bemerkbar macht. Sobald dieser Fall eintreten sollte, bitte ich, im Einverständnis mit mir, wieder an Herrn Oberbürgermeister Dr. Adenauer, Köln, wegen Rückgabe Ihrer Stücke an Sie heranzutreten.«

Indes: Das Aktienpaket, das der Glanzstoff-Direktor dem Zentrums-Politiker im Mai 1929 leihweise überlassen hatte, um dessen Schuldenkonto auszugleichen, erwies sich als ungenügend. Schon im September appellierte Adenauer erneut an den Nothelfer in Wuppertal. Seine finanzielle Lage, teilte der Oberbürgermeister von Köln dem Dr. Fritz Blüthgen mit, habe sich weiter verschlechtert. Er, Adenauer, bitte Dr. Blüthgen deshalb, ihm nochmals behilflich zu sein.

Wiederum sprang Blüthgen in die Bresche: Am 28. Oktober 1929 ließ er dem Oberbürgermeister von Köln durch H. van Peski in Amsterdam einen zweiten Posten Glanzstoff-Aktien leihweise überstellen. Da sich die Glanzstoff inzwischen auf Anregung Blüthgens mit der holländischen »Algemene Kunstzijde Unie N. V.« (AKU) in Arnheim zusammengeschlossen hatte und im Zuge dieser Transaktion die deutschen Glanzstoff-Aktien in AKU-Aktien umgetauscht worden waren, lieh H. van Peski auf Rechnung Blüthgens dem Konrad Adenauer am 28. Oktober 1929. zwei weitere Aktienpakete zum Nennwert von

- 74 000 holländischen Gulden, entstanden aus nominell 100 000 Reichsmark Glanzstoff-Aktien, und

- 37 000 holländischen Gulden, entstanden durch Umtausch von nominell 50 000 Reichsmark-Glanzstoff -Aktien.

Der Wert dieser beiden Aktienpakete belief sich im Herbst 1929 auf rund 490 000 Mark. Adenauers Gesamtschuld gegenüber Blüthgen betrug demnach über eine Million Mark.

Damit freilich wollte sich Konrad Adenauer noch immer nicht begnügen. Im Sommer 1931 erschien Adenauer -Intimus Dr. Brüning, jener später verurteilte Bankdirektor, bei Dr. Blüthgen in Wuppertal und sprach sich anerkennend über die Hilfsbereitschaft aus, die Blüthgen seinem Freunde Adenauer erwiesen habe. Infolge der mißlichen Zeitumstände, bedeutete Brüning dem Blüthgen, seien jedoch die Schwierigkeiten des gemeinsamen Freundes noch immer nicht behoben. Er bitte deshalb um Mitteilung, falls Dr. Blüthgen einen Weg sehe, dem Kölner Stadtpatriarchen nochmals behilflich zu sein.

Blüthgen, inzwischen selbst in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, lehnte diesmal ab. Die Korrespondenzakten des Kölner Filialdirektors der Deutschen Bank Brüning enthalten denn auch ein Antwortschreiben des Glanzstoff-Chefs, in dem das neuerliche Hilfebegehren freundlich, aber bestimmt zurückgewiesen wurde.

Brüning mußte zur Kenntnis nehmen: »Ich habe wirklich aus Mitgefühl und in aufrichtiger Bewunderung und Zuneigung für Herrn Dr. Adenauer meine Freunde zu der bekannten Depotverstärkung veranlaßt und war glücklich, in schwerer Zeit Gelegenheit gehabt zu haben, einen solchen Dienst zu erweisen. Ihr aufrichtiges Mitgefühl mit der Situation des Herrn Dr. A. und die freundlichen Worte, die Sie meiner Haltung als der eines hilfsbereiten Freundes widmeten, habe ich auf das angenehmste empfunden, und ich möchte bestimmt hoffen, daß nicht erst die Erben des Herrn Dr. A., sondern er selbst recht bald die Wiederkehr normaler geschäftlicher Bedingungen ... erleben möge.«

Zugleich allerdings erinnerte Blüthgen diskret an die Rückgabe der von ihm leihweise überstellten Aktien: »Ich denke wirklich, daß in einem solchen Falle nicht nur Herr Dr. A. einen Teil seines verlorenen Vermögens wieder erlangen wird, sondern daß auch der Einschuß (Blüthgens via H. van Peski) wieder frei werden wird.«

Blüthgen verweigert heute jede Auskunft auf die Frage, warum er nicht früher gerichtlich gegen Adenauer vorgegangen sei. Seine Zurückhaltung vor 1945 wird jedoch verständlich, wenn man sich daran erinnert, daß beide - Blüthgen und Adenauer - von den Nationalsozialisten nach der Machtübernahme ihrer Ämter enthoben wurden und kein Interesse daran haben konnten, einen solchen Streit öffentlich auszutragen.

Immerhin: Wie peinvoll den längst zum Bundeskanzler avancierten Glanzstoff -Aktionär die Erinnerung an jene zwanziger Jahre ankommen, ist dem Vergleich zu entnehmen, den die Vereinigten Glanzstoff-Fabriken ihrem früheren Direktor im Herbst 1953 offerierten.

Seit Kriegsende hatte Blüthgen von den Glanzstoff-Werken vergebens jene Pension verlangt, die ihm laut Anstellungsvertrag aus dem Jahre 1931 zustand. Die VGF verweigerten die Zahlung und verwiesen auf einen Vergleich aus dem Jahre 1943, in dem Dr. Fritz Blüthgen allen Ansprüchen gegen Glanzstoff entsagt hatte.

Daß dieser Verzicht dem ehemaligen Kunstseide-Industriellen mittels handfesten politischen Drucks abgerungen wurde, erhellt unschwer aus den Akten, die dem Landgericht Wuppertal - Aktenzeichen 1 0 14/60 - im Sommer 1960 zugeleitet wurden.

Nach der Machtübernahme von den Nationalsozialisten gezwungen, alle Glanzstoff-Ämter niederzulegen, hatte sich Blüthgen zunächst gegen den Vorwurf zu verteidigen, er habe sich der handelsrechtlichen Untreue schuldig gemacht. Ein gegen ihn angestrengtes Verfahren wurde jedoch eingestellt, und ein Schiedsgericht verurteilte die Glanzstoff im Jahre 1938, dem gefeuerten Direktor die ihm zustehende Pension zuzüglich des ihm seit 1933 vorenthaltenen Gehalts zu zahlen.

Drei Jahre später allerdings, 1941, focht die Glanzstoff - nach Einsicht in die in Holland erbeuteten AKU-Akten - den Schiedsspruch vom 30. März 1938 an. Wehrwirtschaftsführer Ernst Hellmut Vits, 1940 von Göring als Glanzstoff-Chef eingesetzt, 1953 Vergleichspartner im Streit Adenauer -Blüthgen, konfrontierte den wegen angeblicher Devisenschiebungen zuvor verhafteten Blüthgen erneut einer Klageschrift. Vits gab Blüthgen allerdings zu verstehen, daß die Glanzstoff auf die Klage gegen ihren vormaligen Direktor verzichten werde, falls er - Blüthgen - auf die Pensionszahlung der VGF hinfort rechtskräftig verzichte.

Der Hauptvorwurf, mit dem die Glanzstoff-Werke gegen ihren ehemaligen Direktor und Aufsichtsratsvorsitzenden operierten: Erst nach Abschluß des Schiedsverfahrens habe sich herausgestellt, daß Blüthgen auf eigene Rechnung Aktien nach Holland verschoben habe. Zugleich drohten die Glanzstoff-Werke, sich die ursprüngliche nationalsozialistische Version jener Aktien -Transaktion Blüthgen-Adenauer zu eigen zu machen, die lautete: Bestechung des Oberbürgermeisters von Köln und Präsidenten des Preußischen Staatsrates, Konrad Adenauer.

Die Nationalsozialisten waren nämlich nicht geneigt, dem Dr. Fritz Blüthgen seine Version jener Aktien-Manipulation abzunehmen, die das Schuldkonto Konrad Adenauers bei der Deutschen Bank in Köln hatte abdecken helfen. Blüthgen, so lautete die nationalsozialistische Lesart, habe sich dem Dr. Adenauer erkenntlich gezeigt, weil er gehofft habe, der Präsident des Preußischen Staatsrates werde seinen Einfluß geltend machen und eine Zollerhöhung für Kunstseiden-Importe durchsetzen. Nochmalige Verhaftung fürchtend, verzichtete Blüthgen auf seine Pension.

Derselbe Dr. Vits, der Blüthgen im Jahre 1943 auch mit dem Hinweis auf die Adenauer-Transaktionen zum Verzicht auf seine Glanzstoff-Pension bewogen hatte, meldete sich im Herbst 1953 jedoch unverhofft bei dem nunmehr Aufsichtsratsvorsitzenden der Spinnstoff-Fabrik Zehlendorf AG, Blüthgen, in Berlin. Blüthgen, so Vits am Telephon, möge doch mit ihm, Vits, bei Kempinski essen gehen.

Daß der langjährige Blüthgen-Gegner sich plötzlich zum persönlichen Plausch bereit fand, hatte freilich seinen besonderen Grund.

Sich der Aktienpakete erinnernd, die er Konrad Adenauer 1929 leihweise überlassen und niemals zurückerhalten hatte, unternahm Blüthgen nach dem Kriege mehrmals den Versuch, den Bundeskanzler auf seine, Blüthgens, wirtschaftliche Notlage aufmerksam zu machen: Jetzt sei er, Blüthgen, hilfsbedürftig. Adenauer würdigte den Bittsteller Blüthgen keiner Antwort.

Unter dem 28. September 1953 schrieb daraufhin Rechtsanwalt Dr. Adams, Bonn, an den »Herrn Bundeskanzler Dr. Adenauer, Rhöndorf«, daß Herr Dr. Fritz Blüthgen gegen ihn »Ansprüche aus leihweiser Überlassung von Aktien« geltend mache Blüthgen, fuhr der Anwalt fort, habe ihn beauftragt, Klage gegen Adenauer einzureichen, weil alle Versuche, die Angelegenheit persönlich zu regeln, gescheitert seien.

Adams: »Ich frage an, ob Sie den Anspruch meines Auftraggebers anerkennen und wie Sie ... die Befriedigung des Herrn Dr. Blüthgen durchführen wollen.« Wenn er bis zum 15. Oktober 1953 keine Nachricht erhalte, müsse er annehmen, daß Adenauer »eine außergerichtliche Erledigung der Sache ablehne«.

Auch diesen Brief beantwortete Adenauer nicht. Vielmehr übertrug er die »Befriedigung des Herrn Dr. Blüthgen« dem Direktor der Deutschen Bank und Glanzstoff-Aufsichtsratsvorsitzenden Hermann Abs, der seinerseits Glanzstoff-Generaldirektor Dr. Vits mit der Order in Marsch setzte, Blüthgen in Berlin einen Vergleich anzutragen.

Vits zu Blüthgen: Die westdeutsche Wirtschaft habe alles Interesse daran, daß der Kanzler durch die Aktien-Affäre nicht beunruhigt werde.

Das Ergebnis des Gesprächs bei Kempinski: Einen Tag vor Ablauf der von Rechtsanwalt Adams gesetzten Frist, am 14. Oktober 1953, ließ Vits dem Dr. Blüthgen einen Vorschlag zugehen, in dem er ihm eine Monatsrente von 1250 Mark anbot, vorausgesetzt, daß damit alle früheren Streitpunkte zwischen Glanzstoff und Blüthgen erledigt seien. Schrieb Vits: »Hierunter fallen... auch die von Herrn Dr. Blüthgen geltend gemachten Ansprüche gegen Dr. Adenauer.«

Am 24. Oktober 1953 gab Blüthgen die ihm abgeforderte Erklärung, in der er auf alle Ansprüche gegen Dr. Adenauer verzichtete.

Am 8. Dezember 1953 unterzeichneten die Vertragspartner - Glanzstoff-Chef a. D. Blüthgen und Glanzstoff-Chef im Dienst Vits - dann einen Vergleich, dessen Punkt fünf den Verzicht gegenüber Adenauer freilich verschleiert: »Herr Dr. Blüthgen betrachtet alle zwischen ihm und den Vereinigten Glanzstoff -Fabriken bestehenden Streitpunkte - auch soweit sie Dritte betreffen - als endgültig erledigt.«

Dr. Blüthgen hofft, das Oberlandesgericht in Düsseldorf werde - entgegen dem Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 25. Oktober 1960 - anerkennen, daß der 1943 geleistete Verzicht auf seine Pension ihm mittels politischen Drucks abgepreßt und folglich rechtsunwirksam sei. Der Vergleich vom 8. Dezember 1953 wäre dann nicht mehr als Abfindung zu werten, die Glanzstoff ihrem ehemaligen Direktor leistet, sondern als Teil-Entschädigung für jene Schulden, die Adenauer in den goldenen zwanziger Jahren auf sich lud.

** Anton Brüning, nicht zu verwechseln mit dem früheren Reichskanzler Heinrich Brüning, verschaffte der stark verschuldeten Stadt Köln Kredit und wurde dem Oberbürgermeister Konrad Adenauer als finanzieller Ratgeber unentbehrlich. So hat er eine Transaktion In Höhe von 55 000 Mark zugunsten eines Privatkontos Adenauers vorgenommen, von der Adenauer während des Brüning-Prozesses behauptete, er habe von ihr erst während der gegen Brüning laufenden Untersuchungen, also 1934, Kenntnis erhalten

Kölns Adenauer (r.), Gäste* (1926): Freunde ringsum

Glanzstoff-Chef Blüthgen (1931)

Mitgefühl mit Dr. A.

Glanzstoff-Chef Vits, Freund: Mittlerdienste ...

Glanzstoff-Pensionär Blüthgen (1960)

... bei Kempinski

Glanzstoff-Vorsitzer Abs

Kanzlerbild ohne Flecken

* Staatsbesuch anläßlich der Rheinland-Befreiung. Links von Adenauer: Reichspräsident von Hindenburg, Kölner Erzbischof Kardinal Schulte.

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