ADENAUER-TOD Jenseits des Tales
Am Donnerstagmorgen der letzten Woche um 9.16 Uhr beurkundete Stadtdirektor Dr. Wahl im Rathaus zu Bad Honnef den Tod eines Rhöndorfer Mitbürgers.
Unter der Registernummer C/56 trug der Standesbeamte ins Sterbebuch ein: Doktor ehrenhalber Konrad Hermann Joseph Adenauer, Bundeskanzler außer Diensten, katholisch«.
Und während Adenauer-Sohn Georg beim Standesamt des kleinen Kur-
* Während seiner Spanienreise, nordwestlich von Madrid.
städtchens den Tod des Vaters anzeigte, rüsteten die Großen der Welt zur Reise an den Rhein.
In der Stunde, da er sein Volk verließ, diente Bonns großer alter Mann dem Vaterland ein letztes Mal.
Denn nie zuvor sind hinter dem Sarg eines deutschen Kanzlers, geschweige denn früheren Kanzlers, Amerikas Präsident, Frankreichs Staatschef und Englands Premier einhergegangen. Das illustre Trauergefolge honoriert das Lebenswerk des Mannes, der sein Land aus Schmach und Schande zu neuer Geltung geführt und zum angesehenen Partner der westlichen Welt gemacht hat.
Schon eine knappe Stunde nach dem Tod des ersten Bundeskanzlers, am letzten Mittwoch, war Frankreichs Bonn-Botschafter François Seydoux de Clausonne als erster ins Trauerhaus geeilt und hatte der Familie avisiert, der General aus Paris werde seinen deutschen Freund auf dem letzten Gang begleiten.
Bald nach Seydoux fand sich US-Botschafter George McGhee in Rhöndorf ein und kündigte das Kommen von fünf hohen Amerikanern an: Präsident Johnson, Außenminister Rusk, des früheren Militärgouverneurs Clay und der beiden ehemaligen Hohen Kommissare McCloy und Conant.
Was den sterbenden Staatsmann bis zuletzt bewegt hatte -- durch seinen Tod wurde es Ereignis:
* Vietnam-Krieger Johnson, dessen Politik sich in den letzten Jahren immer mehr auf Asien konzentrierte und von Europa zu entfernen schien, trifft zum erstenmal den deutschen Kanzler Kiesinger.
* Amerika-Gegner de Gaulle, der seit Kennedys Begräbnis im November 1963 dem Herrn im Weißen Haus aus dem Weg gegangen war, begegnet in Bonn am Sarge Adenauers erstmals wieder dem Texaner.
* EWG-Aspirant Wilson, der wegen de Gaulles kontinental-europäischem Konzept mit dem Staats-General im Streit liegt, kann nun am Sarge des alten Europa-Kämpfers Englands Hinwendung zum Kontinent bekräftigen.
Selbst die Russen senkten schließlich ihre rote Fahne vor dem großen Gegner. Am Tage nach Adenauers Ableben setzte die Sowjet-Botschaft in Rolandseck -- nach Rücksprache mit dem Moskauer Außenamt -- das Hammer-und-Sichel-Banner auf halbmast. Botschafter Zarapkins ursprünglicher protokollarischer Einwand, es handele sich schließlich nur um den Tod eines Bundestagsabgeordneten, hielt der weltweiten Welle des Mitgefühls nicht stand.
Der Russe ließ sich ins Palais Schaumburg chauffieren und trug sich in die ausgelegte Kondolenzliste ein, seinen Namen Semjon Zarapkin in kyrillischen Buchstaben, dahinter auf englisch seinen Titel: »Ambassador of the USSR«.
Das politische Leben der Bonner Republik stockte, als ihr Vater starb. Bundestag und Kabinett brachen ihre Beratungen ab. Der Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz wurde auf Vereinbarung zwischen den drei Bonner Parteien eingestellt.
Eigentlich hatte auch Konrad Adenauer am Mittwoch letzter Woche noch einmal seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen und in Ludwigshafen als Wahlkämpfer auftreten wollen. Doch dieser Mittwoch wurde sein Todestag.
Schon seit drei Monaten hatte Adenauer sein Tagespensum mehr und mehr einschränken müssen.
Der Alt-Kanzler bekam seine übliche Winterbronchitis zu Weihnachten. Die Anfälligkeit seiner »oberen Luftwege« hatte schon den Zwanzigjährigen vor dem Militärdienst in der preußischen Armee bewahrt und war Ursache dafür gewesen, daß eine Lebensversicherung es ablehnte, den Achtundzwanzigjährigen aufzunehmen. Adenauer später: »Man kann sich ja vorstellen, wie viele Beiträge ich dadurch gespart habe.«
Vor zwölf Jahren, im Herbst 1955, nach Adenauers Rückkehr von der Moskau-Reise, hatte das deutsche Volk erstmals von dieser konstitutionellen Schwäche seines Kanzlers erfahren: als eine Lungenentzündung Adenauer in Lebensgefahr brachte.
Im letzten Winter begann die Krankheit mit verstärktem Hustenreiz. Aber schon an seinem 91. Geburtstag, dem 5. Januar 1967, ließ der alte Herr erkennen, daß diesmal ein besorgniserregendes Symptom hinzukam: Auf die Frage nach seinem Wohlergehen gestand er beim Geburtstagsempfang in der Godesberger Redoute einem Gratulanten: »Es geht mir nicht besonders, Das Herz will nicht mehr so recht.«
Doch Rücksicht auf seine Gesundheit nahm er dennoch nicht. Was er sich als Kanzler aus politischen Gründen immer wieder versagen mußte, das tat er nun als Pensionär: Er reiste Mitte Februar nach Franco-Spanien. Dort, von wo einst Kaiser Karl V. das katholische Europa beherrschte, das dem Abendländer Adenauer zeitlebens als Leitbild vorgeschwebt hat, wollte der alte Mann die Renaissance des alten Kontinents neu beginnen lassen. Adenauer: »Spanien war immer so eng verbunden mit Europa, daß es auf das herzlichste willkommen ist, wenn es dieser Einigung beitritt.«
Zweimal verharrte er lange im Madrider Kunsttempel Prado vor dem wandgroßen Tizian-Gemälde des letzten Repräsentanten eines universalen Kaisertums. Auf diese Begegnung hatte er sich daheim in Rhöndorf in jahrelanger Beschäftigung mit seiner historischen Lieblingsfigur -- Adenauer besaß eine Spezial-Bibliothek über Karl V. -- präpariert.
Im düsteren Monumentalbau des Königsklosters Escorial stieg er in die Grabkammer der spanischen Herrscher hinab. Auch dem in Felsen geschlagenen Nationaldenkmal für die Toten des spanischen Bürgerkrieges erwies er seine Reverenz. Trotz Schnee und schneidender Kälte schritt er steinernen Gesichts durch die Tunnel-Basilika im Tal der Gefallenen.
Der Gedanke an den Tod blieb sein Reisebegleiter. In der alten Festungsstadt Toledo beschied er eine bejahrte Marquesa, die ihm ewiges Leben wünschte: »Nee, dat ist zuviel!«
Kaum war Adenauer nach Bonn heimgekehrt, mußte er zu neuem Trauer-Begängnis. Der verstorbene Sozialdemokrat Fritz Erler, Führer der SPD-Fraktion im Bundestag und lange Zeit erbitterter Widersacher des regierenden Kanzlers Adenauer, wurde in einem Staatsakt des Deutschen Bundestages geehrt.
An diesem 24. Februar saß Konrad Adenauer zum letztenmal auf seinem Abgeordnetensitz in der ersten Reihe des Bonner Parlaments. Im Plenarsaal
Mit Peter Koch 1967 auf der Rückreise von Madrid in Paris.
des weißen Hauses am Rhein, wo der Rhöndorfer 18 Jahre zuvor, am 15. September 1949, mit einer -- seiner eigenen -- Stimme Mehrheit zum ersten Kanzler der zweiten deutschen Republik gewählt worden war, blieb sein Stuhl seither leer.
Bald nach dem letzten Gang ins Parlament ging Konrad Adenauer ein letztes Mal auf Reisen -- nach München.
Dort widerfuhr ihm weitere körperliche Unbill. Film-Uraufführung ("90 Jahre Adenauer") und CSU-Parteiversammlung in der naßkalten Isarmetropole trieben den hüstelnden Greis durch schädlichen Temperaturwechsel. Aus rauchigen und überhitzten Sälen mußte Adenauer hinaus in die Kälte.
In schwerem Schneesturm flog er mit der zweistrahligen, achtsitzigen Düsenmaschine des Wienerwald-Chefs Jahn zurück nach Wahn.
Von da an mußte der Alte schon tageweise das Haus hüten. Als der CDU-Kollege Kliesing, Studienrat aus Honnef, ihn am 1. März sprechen wollte, bat Adenauer den Abgeordneten am Telephon zu sich nach Hause: »Ich kann nicht nach Bonn »runterkommen. Ich habe so eine verschleppte Sache von der Spanien-Reise her.« Beim Kaffee saß der alte Herr im großen Wohnzimmer des Rhöndorfer Hauses am Faulen Berg mit dem Parteifreund zusammen. Nach einer halben Stunde kam die besorgte Sekretärin Anneliese Poppinga herein und mahnte: »Sie dürfen nicht soviel sprechen, Herr Bundeskanzler. Das strengt Sie zu sehr an. Sie wissen, daß die Ärztin das verboten hat.«
Adenauer wehrte unwirsch ab: »Ich werde mich doch wohl noch mit dem Abgeordneten meines Wahlkreises unterhalten dürfen.
Die fürsorgende Gehilfin erfaßte instinktiv, daß der alte Herr seine geschwächten Kräfte jetzt nicht mehr verzetteln dürfe. In geradezu missionarischem Eifer, das Lebenswerk Adenauers mit dem Abschluß der Memoiren krönen zu helfen, hielt sie zum Autorenfleiß an. Doch der Einundneunzigjährige mußte immer längere Diktierpausen einlegen.
Im Lehnstuhl saß er am großen Panoramafenster seines Hauses, blickte auf das Rheintal zwischen Drachenfels und Rolandsbogen und kam ins Meditieren.
Jenseits des Tales, den Rhöndorfer Höhen gegenüber, stand die Villa Hentzen, Residenz des Sowjetbotschafters Zarapkin. In den letzten Wochen seines Lebens besann sich Konrad Adenauer darauf, daß es ihm in 14jähriger Kanzlerzeit nicht gelungen war, Deutschlands Aussöhnung mit Frankreich durch einen Friedensschluß mit Slawen und Kommunisten zu komplettieren.
Nachdem Adenauers Bundesrepublik im westlichen Lager sowohl vom Amerikaner Johnson wie vom Franzosen de Gaulle bei deren Entspannungsflirt mit Moskau allein gelassen worden ist, gab er Besuchern sein außenpolitisches Vermächtnis mit auf den Weg: »Wir müssen mit den Russen sprechen. Wir müssen es noch einmal versuchen
In seinem letzten politischen Interview, das er einem deutschen Presse-Organ -- dem SPIEGEL -- gab (SPIEGEL 101967), beklagte er besorgt den amerikanischen Alleingang zum Atom-Kartell mit den Sowjets.
Die Rückkehr von Russen und Amerikanern zur Sieger-Kameraderie von 1945, die mit dem geplanten Atomsperrvertrag angebahnt werden soll, verdammte Adenauer: »Das ist wirklich der Morgenthau-Plan im Quadrat ... Wenn man dem Teufel den kleinen Finger gibt, dann nimmt er die ganze Hand.«
Für Konrad Adenauer hatte sich die Welt verdreht:
* Mit den Amerikanern haderte er: »Die sind auf die Russen »reingefallen.«
* Von den Franzosen war er enttäuscht. Adenauer nach seinem letzten Gespräch mit de Gaulle: »Da habe ich kaum noch Gehör gefunden.«
* Mit den Russen wollte er reden: »Wenn der chinesische Druck weiter anwächst, werden die Russen mit uns sprechen.«
Auch innerdeutsch sah er nun manches anders. Mit dem SPIEGEL (Adenauer 1957: »Das Schmutzblatt lese ich überhaupt nicht, das macht sich ja von selbst kaputt") machte er seinen Frieden -- obgleich es die SPIEGEL-Krise im Herbst 1962 gewesen war, die der Welt signalisierte, daß der Kanzler den Scheitelpunkt seiner Macht überschritten hatte.
Der Altbundeskanzler las jetzt das Blatt, empfing am 9. Dezember 1966 in seinem Büro im Bonner Bundeshaus den SPIEGEL-Herausgeber Rudolf Augstein und überraschte ihn mit Detailkenntnissen: »Da hat doch bei Ihnen im SPIEGEL gestanden, wie in Berlin die Mauer gebaut worden ist. Der Herr Brandt hat mir das alles bestätigt, was Sie da geschrieben haben« (SPIEGEL 17/1967).
Am Mittwoch vor Ostern verblüffte Adenauer einen Nachbarn in Rhöndorf mit der Kenntnis eines weiteren SPIEGEL-Berichts. Die SPIEGEL-Ausgabe mit der Darstellung der Schützenpanzer-Affäre HS 30, die seiner Regierung angelastet wird, kommentierte er mißmutig-ironisch: »Wenn das stimmt, was da drinsteht, dann ist das Landesverrat.«
Nur dem ungeliebten Kanzlernachfolger Ludwig Erhard verzieh Adenauer nichts. Dem Bonner Hof-Chronisten Walter Henkels, der in seinem dritten Adenauer-Schmunzelbuch beschrieben hatte, wie der Uraltkanzler den Altkanzler bis zuletzt im Bonner Bundestag schnitt und nicht einmal grüßte, erläuterte er brieflich: »Mein Verhalten würde nicht zu verstehen sein, wenn ich im offenen Kampfe besiegt worden wäre. Aber es war kein offener Kampf, und ich war so überzeugt« daß der Schaden für unser Volk groß sein würde. Das wirkt eben noch nach.
Am Ostermontag verließ der Patriarch zum letztenmal sein Haus. In der Rhöndorfer Kirche wohnte er noch einmal der Heiligen Messe bei.
Nun bemerkten auch seine Rhöndorfer Mitbürger, daß Konrad Adenauer krank war. Mühsam kämpfte er, das Taschentuch vor den Mund gepreßt, gegen Hustenreiz. Auf dem Heimweg mußte er auf dem ansteigenden Weg zu seinem Haus und auf den 54 Stufen, die er sonst zügig bewältigte, des öfteren innehalten.
Nach dem Kirchgang begann dann mit dem Ostereiersuchen der Enkelkinder in Großvaters Garten zum letztenmal eines der drei Familienfeste, die der Adenauer-Klan im Rhöndorfer Stammhaus alljährlich zu begehen pflegte: am zweiten Weihnachtstag, am Ostermontag und zum »Kirschenfest« im Sommer.
Nach den Ostertagen verordnete Leibärztin Bebber-Buch größtmögliche Schonung. Nun diktierte Konrad Adenauer seine Memoiren vom Sofa aus. Das Manuskript für den dritten Band wurde fast vollständig fertiggestellt.
Für Band IV sichtete Autor Adenauer mit Hilfe von Anneliese Poppinga bereits das Material vor und schrieb mit eigener Hand ein Gliederungskonzept nieder. Als Überschrift für das letzte Kapitel schrieb er auf: »Rückblick, Kritik, Ausblick«. Adenauer zu Fräulein Poppinga: »Ganz besonders freue ich mich aufzuzeichnen meinen Werdegang und die Einflüsse, die mich geformt haben.«
Dazu kam er nicht mehr. Bevor ihn die Krankheit zwang, die Arbeit ganz zu beenden, erläuterte er seiner Assistentin in stundenlangem Gespräch, wie das Werk zu Ende geführt werden soll.
Nebenher betrieb der Kranke in den letzten Märztagen eine emsige Korrespondenz mit Kanzler-Nachfolger Kiesinger über die Gefahren der amerikanisch-russischen Entwürfe für einen Atomsperrvertrag. Mit großer Besorgnis begründete er seine Bedenken. Kiesinger: »Es war ein heftiger Briefwechsel.« Schließlich rief Adenauer beim amtierenden Kanzler an, ob Kiesinger nicht so bald wie möglich in Rhöndorf vorbeikommen könne.
Am 3. April flog Kiesinger mit einem Bundesgrenzschutz-Hubschrauber ins rheinische Siebengebirge ein. Der Altkanzler empfing seinen Gast angekleidet auf dem Sofa liegend. Schon an der Tür war Kiesinger auf die schlechte Verfassung des Hausherrn vorbereitet worden.
Kiesinger hinterher: »Ich war bestürzt über Adenauers Zustand.«
Drei Tage später, am Sonntag Misericordias Domini, zwang die Krankheit Konrad Adenauer in das Bett. Die beiden Söhne in seiner Umgebung -- Monsignore Paul, der im väterlichen Hause wohnt, und Georg, der am Fuße des Rhöndorfer Rosenhügels einen vom Vater erbauten Bungalow gemietet hat -- bemühten sich, die Nachricht noch geheimzuhalten, damit der Kranke über seinen ernsten Zustand nicht selber in der Zeitung lese.
Zwei Tage danach, am Dienstag vorletzter Woche, blätterte Adenauer zum letzten Male seine Hausgazette, die »Bonner Rundschau«, durch. Mit letzter Kraft nahm er noch einmal seine Memoiren-Papiere zur Hand und diktierte Anneliese Poppinga ein umfängliches Stenogramm über innenpolitische Thematik, die ihm den Glanz vergangener Tage wachrief. Es war Adenauers letztes Diktat.
Tags darauf hörte er früh noch einmal Rundfunknachrichten. Dann schafften seine Betreuer das Radiogerät aus dem Zimmer. Konrad Adenauers Schlafgemach im ersten Stock wurde zur Krankenstube.
Frau Bebber-Buch alarmierte Kapazitäten von der Bonner Medizinischen Universitätsklinik: den Internisten Professor Heymer, den Herzspezialisten Professor Schaede, den Dozenten Dr. Hilger und Dr. Gerhards.
Ordinarius Heymer diagnostizierte Herz- und Kreislaufschwäche. Der Familie teilte er mit, es sei mit dem Schlimmsten zu rechnen.
Fünf Stunden später offenbarte ein erstes Bulletin des Ärztekonsiliums, daß der Älteste von Europas großen alten Männern auf den Tod darniederliege.
Bonns politische Prominenz begann sich auf den Trauerfall einzurichten. Kanzler Kiesinger, den Wahlkampf-Verpflichtungen in die Pfalz führten, nahm Biographisches über Adenauer mit auf die Reise. An der Mittagstafel im Hotel Matheis in Pirmasens redigierte er mit schwarzem Filzstift einen vorsorglich entworfenen Nachruf.
Abends, in Neustadt an der Weinstraße, f locht Kiesinger erstmals in seine Wahlrede ein, er werde »das Erbe Adenauers wahren«; das habe er dem Altkanzler beim letzten Besuch eine Woche zuvor versprochen.
Es war ein strahlender Sonntag, Autoausflügler aus allen Himmelsrichtungen verbanden die Fahrt in die rheinische Baumblüte mit einem Abstecher zum Haus des Alten. Adenauers Familie sah sich genötigt, die Leute über Funk und Fernsehen um Ruhe für den kranken Vater zu bitten.
Noch einmal schien an diesem Frühlingstag die Legende von der Unsterblichkeit des großen alten Mannes im Rosengarten zu erblühen. Sohn Paul, Familienkaplan der Adenauers, gestand: »Ich als Priester darf wohl sagen, daß unsere Gebete erhört worden sind. Die Stabilisierung von Vaters Befinden grenzt ans Wunderbare.« Und die Ärzte meldeten am Montag früh: »Der Kranke hatte eine ruhige Nacht. Im Krankheitsbild ist keine wesentliche Änderung eingetreten.«
Doch mit einem Wetterumschwung trat der Rückschlag ein. Am Abend des gleichen Tages, der so hoffnungsvoll angebrochen war, sprachen die Ärzte kurz vor sieben Uhr erstmals von einem »Lungenbefund«.
Wie immer bei sehr alten Patienten, standen die Mediziner vor dem schier unlösbaren Problem, eine drohende Lungenentzündung bei geschwächter Herz- und Kreislauffunktion wirkungsvoll zu bekämpfen. Nachts hielten die Kinder abwechselnd Wache am Sterbebett des Vaters, der nun in tiefe Bewußtlosigkeit fiel. Langsam begann der Kreislauf des Kranken schwächer zu werden.
In der Hauptstadt wurde unterdessen bereits beraten, wie Adenauers Beerdigung als Staatsakt zu gestalten sei. Kanzleramts-Staatssekretär Knieper ging seinen Vorgänger Globke um Rat an, denn es lagen mehrere Vorschläge miteinander in Konkurrenz.
Die Stadt Bonn hatte eine große Familiengruft auf ihrem alten Friedhof angeboten, auf dem Robert und Clara Schumann, Charlotte von Schiller und Ernst Moritz Arndt begraben sind. Katholische Laien wollten ihrem Glaubensbruder im Kloster Maria Laach, wo ihm zur Hitlerzeit Zuflucht gewährt worden war, die letzte Ruhestatt bereiten und damit zugleich einen nationalen Wallfahrtsort schaffen, wie ihn Feldmarschall von Hindenburg 1934 im Tannenberg-Denkmal fand.
Die Familie Adenauer hingegen wünschte ein Requiem in der Rhöndorfer Pfarrkirche »Maria Heimsuchung« und eine stille Beisetzung auf dem Waldfriedhof unterm Drachenfels.
Die regierungsamtlichen Bestattungsplaner ließen sich derweil den Farbfilm über Churchills Beerdigungsfeierlichkeiten vorspielen. Dem britischen Zeremoniell von damals entstammen die Ideen für des ehemaligen Kölner Oberbürgermeisters Leichenbegängnis: Pontifikalamt im Kölner Dom, danach Trauerkondukt auf dem Rhein nach Rhöndorf.
Am Dienstag dämmerte der Patient dahin. Am Mittwoch früh um 6.20 Uhr bezeichnete Hausärztin Bebber-Buch, die drei Wochen lang bei Adenauers einlogiert war, den Zustand erstmals als »sehr ernst«. Am Vormittag kam der Kölner Herzspezialist Professor Schaede in seinem grauen Rover zur Visite und teilte kurz vor zwölf mit, das Krankheitsbild habe sich verschlechtert. Die Lunge war jetzt ebenfalls stark angegriffen.
Als diese Meldung wenige Minuten später im CDU-Hauptquartier an der Bonner Nassestraße einging, verfügte die Parteileitung höchste Alarmstufe. CDU-Sprecher Rathke, gelernter Mediziner: »Da ist keine Hoffnung mehr.«
Weil der Patient zu dieser Zeit jedoch ganz ruhig war, fuhr Professor Schaede wieder ab und überließ Frau Bebber-Buch und dem Dozenten Dr. Hilger die ärztliche Aufsicht. Adenauer-Sohn Georg kam wenig später den Gartenweg herunter und sagte über den Zaun zu Nachbarn: »Es ist alles ganz schrecklich mit Vater.«
Ostermontag in Rhöndorf, rechts: Sicherheitsbeamter.
Um 12.43 Uhr verließ Tochter Lotte Multhaupt das Haus, um eine Besorgung zu machen. Als der SPIEGEL um 13 Uhr über die Kennummer bei Adenauers anrief, um sich nach dem Befinden zu erkundigen, lag friedliche Mittagsstille über dem Haus. Von der Familie waren nur die Söhne Paul und Georg bei ihrem Vater.
Da kündigte sich der Tod an. Die Agonie war kurz. Konrad Adenauer starb um 13.21 Uhr.
Zur gleichen Stunde, da Adenauers Leben endete, rangen im Kabinettssaal des Palais Schaumburg, wo er 14 Jahre lang mit fester Hand seinen Staat regiert hatte, Nachfahr Kiesinger und seine Minister um das politische Erbe des Toten.
Konrad Adenauers Politik der Westintegration konnte zu den Zeiten des krassen Ost-West-Gegensatzes und unter der Führung Amerikas florieren. Seit die Atommacht Amerika aber Entspannung und Ausgleich mit der Atommacht Rußland sucht, ist die Stellung Bonns unsicherer geworden.
An diesem Mittwoch letzter Woche, als der von Konrad Adenauer bis in die letzten Lebenswochen erbittert bekämpfte Atomsperrvertrag im Kabinett zur Beratung stand, mußte Kiesinger bekennen: »Es ist nun immer wieder dasselbe, daß man über das Konzept der amerikanischen Politik im unklaren ist.«
CSU-Chef und Finanzminister Strauß wurde noch deutlicher: »Man muß sich darauf einstellen, daß die Amerikaner mit den Russen Politik über unseren Kopf hinweg machen.«
Um noch größeren Zwist zwischen Bonn und Washington zu verhüten, wird Kanzler Kiesinger den bisher immer verschobenen, durch Adenauers Tod aber doch noch zustande kommenden Deutschland-Besuch US-Präsident Johnsons zu politischer Aussprache nutzen.
Auch Johnson präparierte sich für ein ausführliches politisches Gespräch mit dem Kanzler, das über protokollarische Höflichkeitsroutine hinausgehen soll.
Die führenden Männer der Bonner Christenunion aber, die unter Adenauer zu Rang und Würden gekommen sind und nun in der Pflicht stehen, auf seinem Erbe Neues zu bauen, fuhren Ende letzter Woche -- voran Kiesinger, Erhard, Krone, Gerstenmaier -- nach Rhöndorf, um in Konrad Adenauers Sterbezimmer ein letztes Mal die vertrauten Züge ihres toten Mentors zu sehen.
Denn ebenso, wie vom Eisernen Kanzler Otto von Bismarck ist von Konrad Adenauer keine Totenmaske abgenommen worden. Die Familie wollte es nicht.
Im ersten Stock des weißen Hauses auf dem Konrad-Adenauer-Hügel, in seinem Schlafzimmer an der Südseite, lag der ehrwürdige Alte aufgebahrt im Totenhemd, bedeckt mit dem Leichentuch. Den schlichten Eichensarg zimmerte ihm sein Honnefer Mitbürger, Schreinermeister Jakob Walkembach, der ihm vor Jahren auch seinen Kanzlerschreibtisch nach Wunsch und Maß aus Myrtenholz gefertigt hatte.