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KIRCHE / LATEIN Jesus entschuldigen

aus DER SPIEGEL 13/1967

Die »Münchener Katholische Kirchenzeitung«, das Blatt des Erzbischofs Julius Kardinal Döpfner, ist schuldig der »sündhaften Unehrlichkeit«, »unwürdiger Taktik«, der »Hinterlist«, »Verdrehung von Tatsachen«, »primitiver Gemeinheit«, »niedriger und verschmutzter Gesinnung«, »geschmackloser, gemeiner und primitiver Volksverdummung«.

Mit solchen Kraftausdrücken schmähen fromme Bayern, darunter Uradel und Klerus, das Kardinals-Blatt. Der katholische Volkszorn hat sich an einem als Fiktion gekennzeichneten »Exklusiv-Interview« der »Kirchenzeitung« mit einem namenlosen Repräsentanten der innerkatholischen Bewegung »Una Voce« ("Mit einer Stimme") entzündet.

Fiktiv war das Interview, nicht »Una Voce«. Diese Vereinigung hat sich international organisiert. Die Zahl der Mitglieder ist überall gering; in Deutschland sind es 700, die von dem West-Berliner Latein-Dozenten Lorenz Weinrich, 37, angeführt werden.

Doch überall machen die wenigen »Una Voce«-Katholiken viel von sich reden. Ihr Ziel ist es« das Kirchenlatein zu verteidigen und soweit wie möglich zu verhindern« daß Gottesdienste in der jeweiligen Landessprache abgehalten werden, wie es seit dem Konzil erlaubt ist.

Auch modernen Theologen und moderner Kirchenmusik haben sie den Kampf angesagt. In West-Berlin verteilten sie Flugblätter, als in die St.-Alfons-Kirche zur Messe »Freut euch -- der Herr ist nah« eine Jazz-Combo kam. An Münchner Bauzäune schlug eine »Una Voce«-Gruppe »Maria«-Plakate, auf denen sie gegen »Grundsätze der Reformer« eiferte und -- fälschlich -- den Domkapitular Ernst Tewes, einen der ranghöchsten Priester Bayerns, dafür verantwortlich machte, daß in Münchner Kirchen mehr und mehr das Tabernakel vom Haupt- auf einen Nebenaltar verlegt wird. Text eines Protest-Plakats: »Katholiken! Ihr müßt Euch entscheiden, zwischen Domkapitular Tewes mit seinem Anhang und Papst Pius XII. Wendet Euch gegen die Verwüstung der Altäre durch die Neuerer.«

Von dieser Münchner Plakataktion distanzierte sich sogar »Una Voce«-Chef Weinrich. Doch mit Protestbriefen in ähnlichem Stil werden Bischöfe und Zeitungen überschüttet, sobald irgendwo Priester im Gottesdienst zuviel Deutsch reden und Theologen oder Musiker neue Töne anschlagen.

So geschah es auch, als die Münchner »Kirchenzeitung« im Februar die »Bewegung« verulkte. In dem erfundenen Interview fragte das Blatt, ob es im Gottesdienst »nicht mehr auf das Verständnis des Inhalts« ankomme »als auf den Gleichlaut einer Sprache, die 95 Prozent nicht verstehen«. Antwort: »Keine Spur ... Wer nicht Latein kann, der glaubt eben, was die Lateiner glauben -- die müssen es ja wissen.«,

Und auf die Feststellung, daß einst Jesus nicht lateinisch gepredigt habe antwortet »Una Voce": »Jesus müssen wir entschuldigen. Erstens war er nicht auf dem Gymnasium, und zweitens gab es damals noch keine Gruppe Una Voce. die ihn auf diese seine Unzulänglichkeit aufmerksam hätte machen können.«

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